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Finanzierungstheorie


Inhaltsübersicht
I. Gegenstand der Finanzierungstheorie
II. Grundansätze der Finanzierungstheorie I: Neoklassik
III. Grundansätze der Finanzierungstheorie II: Neoinstitutionalismus
IV. Finanzierungstitel
V. Finanzierungstheorie und Theorie der Unternehmung

I. Gegenstand der Finanzierungstheorie


Die Finanzierungstheorie befasst sich mit den Entscheidungen über die Beschaffung und Allokation finanzieller Mittel für die gegenwärtigen und zukünftigen Aktivitäten eines Unternehmens. Finanzierungsentscheidungen werden im Unternehmen selbst von der Unternehmensführung und in den Fachabteilungen, insbesondere im Treasury und im Financial Controlling, getroffen. Wichtige Finanzierungsentscheidungen werden aber auch außerhalb des Unternehmens etwa von den Aktionären einer Aktiengesellschaft getroffen oder beeinflusst, wenn diese sich beispielsweise an einer Kapitalerhöhung des Unternehmens beteiligen und dem Unternehmen neue Mittel zuführen. Obwohl in der Finanzierungstheorie die Unternehmensperspektive im Vordergrund steht, sind die von den Kapitalgebern angestellten Überlegungen, deren alternative Anlagemöglichkeiten und die von ihnen getroffenen Entscheidungen immer mit zu bedenken. Das Portfolio Management, das auch den Einsatz und die Bewertung von Aktien, Anleihen, hybriden Finanztiteln und derivativen Finanzinstrumenten behandelt, ist somit ein zentraler Bestandteil der Finanzierungstheorie.
Die in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Zentrum der Finanzierungstheorie stehende Kapitalmarkttheorie hat die Interdependenzen von Anleger- und Unternehmensentscheidungen in den Mittelpunkt ihrer Gleichgewichtsmodelle gestellt (Neus, W.  1989). Auch die nachfolgende Durchdringung der Finanzierungstheorie durch die Agency-Theory hat diese interdependente Betrachtung prinzipiell beibehalten, wenn auch in einigen Arbeiten wegen der sonst zu hohen Komplexität interdependenter Systeme wieder Partialbetrachtungen zu finden sind.
Neben den offensichtlich der Finanzierungstheorie zugehörigen Themenbereichen der optimalen Kapitalstruktur, der Ausschüttungspolitik sowie der Neuemission von Finanztiteln gibt es weniger beachtete „ versteckte “ Finanzierungsentscheidungen. So kann ein Kunde bereit sein, für ein Produkt des Unternehmens bei Zusicherung einer langjährigen Vorhaltung von Service und Ersatzteilen einen höheren Preis zu zahlen und stellt damit Finanzierungsmittel zur Verfügung. Mitarbeiter können sich in Erwartung eines sicheren Arbeitsplatzes mit einem vergleichsweise niedrigen Gehalt zufrieden geben und somit ebenfalls zu den Unternehmensfinanciers gezählt werden.
Transparenter konditioniert für den Mitarbeiter als Erwartungen auf eine zukünftige Beteiligung am Unternehmenserfolg sind Beteiligungsprogramme, die zunehmend zur Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitern eingesetzt werden. Solche Beteiligungsformen, die bei Aktiengesellschaften meist als Aktienoptionspläne gestaltet werden, knüpfen den Vergütungsanspruch des Mitarbeiters explizit an die zukünftige Wertentwicklung des Unternehmens und sind daher Gegenstand konkreter finanzierungstheoretischer Überlegungen. Anreizsysteme können im Übrigen dem immer wichtigeren Forschungsbereich der Corporate Governance zugeordnet werden, der sich mit allgemeinen Fragen der Unternehmenskontrolle und Unternehmensverfassung auseinandersetzt und damit das Umfeld und die Organisation expliziter wie impliziter Finanzierungsentscheidungen thematisiert (Rajan, R.G./Zingales, L.  2000).
Die Finanzierungstheorie behandelt die von ihr aufgegriffenen Fragen aus einer entscheidungstheoretisch geprägten Perspektive. Dabei wird in der Regel allen Entscheidungsträgern rationales Verhalten, nicht notwendigerweise aber ein gleicher Informationsstand unterstellt. In jüngerer Zeit mehren sich die Stimmen, die auch die im Rahmen der Kapitalanlageplanung diskutierten Ansätze zur Behavioral Finance in die Finanzierungstheorie integriert sehen wollen, um beobachtbares, mit einem globalen Rationalitätskonzept aber nicht zu vereinbarendes Verhalten der Entscheidungsträger in ökonomischen Erklärungsansätzen zur Unternehmensfinanzierung abbilden zu können (Schiereck, D./Weber, M.  2000).

II. Grundansätze der Finanzierungstheorie I: Neoklassik


Aus der Sicht der neoklassischen Finanzierungstheorie werden Unternehmen als zeitliche Produktionsfunktionen beschrieben. Die zukünftigen Einzahlungsüberschüsse (und damit auch die Auszahlungen an die Kapitalgeber) sind i.d.R. unsicher (technologische Unsicherheit). Das Unternehmen ist in Märkte eingebettet, deren Inanspruchnahme keine Kosten verursacht. Es kann sich insbesondere an einem vollkommenen Kapitalmarkt finanzieren, der keine Friktionen, Unvollkommenheiten oder Informationsasymmetrien aufweist. Eine Existenzbegründung von Unternehmen, d.h. die Verbindung mehrerer Produktionseinheiten in einem Unternehmen, kann in möglichen Wertsteigerungen aufgrund von Synergien im Unternehmensverbund (sinkende Durchschnittskosten infolge steigender Skalenerträge) gesehen werden. Grundsätzlich gelingt der neoklassischen Theorie jedoch keine plausible Abgrenzung der Transaktionen innerhalb eines Unternehmens von den Markttransaktionen.
Im Allgemeinen gibt es in diesem Modellansatz auch keine vernünftige Begründung für die Ausgabe unterschiedlicher Finanzierungstitel, die Wahl einer bestimmten Kapitalstruktur oder der Verfolgung einer bestimmten Emissions- und Ausschüttungspolitik (Irrelevanztheoreme). Ob Kapital bei einigen wenigen Wirtschaftssubjekten (z.B. den Finanzintermediären) oder am anonymen Kapitalmarkt beschafft wird, ist ebenso irrelevant für den Marktwert des Unternehmens wie die Wahl des Eigenkapital-Fremdkapital-Verhältnisses oder die Entscheidung über eine Ausgabe hybrider Finanztitel, die Merkmale des Eigen- und Fremdkapitals aufweisen. Stets bleibt die Finanzierung das „ fünfte Rad “ an einem realwirtschaftlich laufenden Wagen des Unternehmensgeschehens. Eine Marktwertsteigerung ist nur über neue realwirtschaftliche Investitionsprojekte, nicht aber über Finanzierungsmaßnahmen erreichbar.
Dennoch ist die neoklassische Finanzierungstheorie immer noch eine wesentliche Grundlage neuerer Theorieansätze und auch ein wichtiges Forschungsfeld, weil sie für den Fall eines vollkommenen und vollständigen Kapitalmarktes für Finanztitel und für das Unternehmen als Ganzes Bewertungsmodelle liefern kann. Vergleichbar umfassende Bewertungsansätze konnten für eine Welt unvollkommener und unvollständiger Kapitalmärkte im Allgemeinen nicht entwickelt werden. Für die neoklassischen Bewertungsansätze lassen sich drei unterschiedlich komplexe Fragestellungen ausmachen, für die jeweils geschlossene oder numerische Lösungen entwickelt wurden.

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Bei sicheren Erwartungen ist der theoretische Marktwert (Kurswert) eines Finanztitels der Barwert aller zukünftig aus dem Finanztitel fließenden Zahlungen, wobei zur Diskontierung der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse die aktuelle Zinsstrukturkurve herangezogen wird.

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Bei unsicheren Erwartungen lassen sich bezüglich der zukünftigen Zahlungen der Finanztitel im besten Fall Wahrscheinlichkeitsverteilungen abschätzen. Der Marktwert der Finanztitel wird entweder als Erwartungswert der mit zustandsabhängigen Preisen bewerteten Cashflows (State-Preference-Ansatz) oder als mit geeigneten risikoäquivalenten Zinssätzen diskontierte Erwartungswerte aller zukünftigen Zahlungen berechnet. Im einfachen Einperiodenfall lassen sich die Marktwerte unter bestimmten Annahmen beispielsweise aus dem in den sechziger Jahren von Sharpe, W.F./, Lintner, J./ und Mossin, J. entwickelten Capital Asset Pricing Model  CAPM ableiten, wonach der Marktwert einer Aktie als Barwert des in der Folgeperiode erwarteten Marktwertes abzüglich einer Risikoprämie berechnet werden kann, welche die Risikoprämie des Marktes auf das systematische Risiko (ß-Risiko) der betrachteten Aktie verrechnet (Rudolph, B.  1979).

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Auch für derivative Finanztitel, deren Wert von der Wertentwicklung anderer Finanztitel (neuerdings auch von anderen Größen wie z.B. dem Strompreis oder einem Katastrophenindex) abgeleitet wird, lassen sich mit Hilfe der Barwertberechnung Marktwerte ermitteln. Die Bewertungsgleichungen weisen insbesondere bei Derivaten mit Optionscharakter wegen der asymmetrischen Zahlungsstruktur einen erheblichen formalen Komplexitätsgrad auf, weshalb hier vor allem numerische Verfahren zum Einsatz kommen.


III. Grundansätze der Finanzierungstheorie II: Neoinstitutionalismus


Die neoklassische Theorie liefert zwar die heute allgemein verwendeten und anerkannten Bewertungsansätze für Finanztitel. Sie ist aber wegen der realitätsfernen Vollkommenheits- und Vollständigkeitsannahmen zur Begründung der Finanzpolitik von Unternehmen gerade nicht geeignet. Daher wurden seit den Siebzigerjahren Ansätze diskutiert, die insbesondere berücksichtigen, dass zwischen den Finanziers und den Entscheidungsträgern in den Unternehmen häufig fundamentale Informationsunterschiede bestehen. Die Unternehmung stellt sich nach dem auf Coase, R.H./ zurückgehenden und in ihren unterschiedlichen Ausprägungen insbesondere mit den Namen Williamson, O.E./ sowie Jensen, M./ und Meckling, W.H. verbundenen Neoinstitutionalismus als Geflecht teils gesetzlicher, teils vertraglich begründeter Rechtsbeziehungen zwischen verschiedenen Vertragspartnern mit unterschiedlichen Informationsständen und unterschiedlichen Interessenslagen dar. Die zukünftigen Auszahlungsansprüche der Vertragsparteien sind unsicher und teilweise vom Verhalten der Vertragspartner abhängig. Es gibt Vertragspartner mit Leitungsfunktionen im Unternehmen (Manager), die einerseits als Agent für die Eigentümer auftreten und andererseits selbst das Recht zur Delegation von Entscheidungskompetenzen haben, und solche, die nur über begrenzte Entscheidungskompetenzen verfügen. Daher ist die Kapitalallokation im Unternehmen (interner Kapitalmarkt) ebenso Gegenstand der Finanzierungstheorie wie die Kapitalbeschaffung der Unternehmen an den Kapitalmärkten.
Für die neoinstitutionalistische Theorie bilden der Markt als Plattform für Transaktionen zwischen selbstständigen Vertragspartnern und die Hierarchie als Medium für Transaktionen innerhalb von Unternehmen zwei Pole möglicher Koordinationsmechanismen, zwischen denen sich ein Kontinuum unterschiedlicher Koordinationsformen aufspannt (Konzernfinanzierung, Franchising, Projektfinanzierung). Aufgabe der Unternehmensfinanzierung ist auch die Wahl eines möglichst effizienten Koordinationsmechanismus, der sich in der Konstruktion einer entsprechenden Kapitalstruktur und geeigneter Finanztitel niederschlägt. Finanzierung und Corporate Governance spiegeln in weiten Teilen dieselbe Problemstellung wider.
Unter den neoinstitutionalistischen Ansätzen haben sich einige markante Bausteine herausgebildet:

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Die Theorie der Verfügungsrechte (Property-Rights-Theorie) lenkt das Augenmerk auf einzelne Vertragsmerkmale von Finanzierungsverträgen und damit über die in der Finanzierungstheorie übliche grobe Darstellung der Finanzinstrumente hinaus.

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Die Transaktionskostentheorie (Transaction Costs Economics) befasst sich mit der Gestaltung von Vertragsbeziehungen und Koordinationsstrukturen innerhalb von und zwischen Unternehmungen. Entscheidungskriterium zur Organisation der Arbeitsteilung ist die Höhe der Transaktionskosten, die insbesondere von der Faktorspezifität abhängen.

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Die Principal-Agent-Theorie befasst sich als dritte Säule der Institutionenökonomik mit der Delegation ökonomischer Entscheidungen und der Anreizwirkung von Verträgen. Die Theorie erklärt Finanzinstitutionen (z.B. die häufige Vereinbarung von Haftungsbeschränkungen) und macht Vorschläge für Verträge mit wünschenswerten Anreizen. Bei asymmetrischer Informationsverteilung und Interessendivergenzen zwischen den Kapitalgebern und Kapitalnehmern sind Märkte mit ihrem Koordinationsmechanismus Preissystem nicht immer geeignet, eine effiziente Allokation der Ressourcen zu gewährleisten. Im Extremfall führt das (berechtigte) Misstrauen rationaler Kapitalanleger gegenüber den Emittenten von Finanztiteln dazu, dass der Finanzierungsvertrag nicht zustande kommt, obwohl er für beide Seiten vorteilhaft wäre (Schmidt, R.H./Terberger, E.  1996, S. 37 ff.). Der Wissensvorsprung des Managements vor den Kapitalgebern (Myers, S.C./Majluf, N.S.  1984) und das Verfolgen eigener Interessen (Jensen, M.C./Meckling, W.H.  1976) sind die in der Finanzierungstheorie besonders weitgehend untersuchten Anwendungsfälle von Informationsvorsprüngen.
Informationsasymmetrien vor Vertragsabschluss lassen sich erstens durch Signaling verringern, indem ein Vertragspartner durch sein Verhalten glaubwürdig Informationen übermittelt. Sie können zweitens durch Screening vermindern werden, bei dem der Vertragspartner durch die Auswahl eines Vertrages aus mehreren angebotenen Vertragsdesigns Informationen offenbart. Zur Verminderung der negativen Auswirkungen von Informationsasymmetrien nach Vertragsabschluss dienen vertragliche Anreizsysteme, die bewirken, dass sich die Wirtschaftssubjekte im Interesse ihrer Vertragspartner verhalten. Eine besondere Kategorie bilden dabei Überwachungssysteme und Methoden der Selbstbindung hinsichtlich des vom Vertragspartner nicht beobachtbaren Verhaltens. Gesucht werden Vertragsbeziehungen, bei denen unter Einsatz dieser Instrumente die Agency- oder Delegationskosten insgesamt möglichst gering gehalten werden können. Jensen/Meckling teilen diese Agency-Kosten in Kosten der Kontrolltätigkeit des Auftraggebers (Monitoring Costs) von Verhaltensbindungsaktivitäten des Auftragnehmers (Bonding Costs) und in die auch nach Monitoring und Bonding verbleibenden Effizienzverluste (Residual Loss) ein (Jensen, M.C./Meckling, W.H.  1976).
Das Konzept der Agency-Kosten kann finanzierungstheoretisch insbesondere zur Verdeutlichung und Strukturierung von Problemen benutzt werden. Als Instrument zur Bewertung von Finanztiteln oder Handlungsalternativen scheitert es aber in aller Regel an der Komplexität realer Situationen. Das Konzept der Agency-Kosten erscheint jedoch dann hilfreich, wenn es um den Vergleich alternativer Ausgestaltungsformen von Verträgen geht (Breuer, W.  1998, S. 153 ff.). Für einen Vergleich ist nämlich die Kenntnis der absoluten Höhe der Agency-Kosten in der Regel gar nicht relevant, solange eine eindeutige Reihenfolge der Vorziehenswürdigkeit festgestellt werden kann.

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Die Theorie unvollständiger Verträge (Incomplete Contracts Theory), die auch als Vertragstheorie oder formale Governancekostentheorie bezeichnet wird, integriert und erweitert die verschiedenen Ansätze des Neoinstitutionalismus. Die Unterscheidung der neoklassischen von den relationalen Verträgen wird hier durch die Unterscheidung in umfassende (Comprehensive Contracts) und unvollständige, d.h. nicht umfassende Verträge (Incomplete Contracts) ersetzt. Umfassende Verträge sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zu keinem zukünftigen Zeitpunkt revidiert oder ergänzt werden müssen. Einen unvollständigen Vertrag müssen die Parteien dagegen zu einem späteren Zeitpunkt ergänzen oder revidieren und damit erneut verhandeln. Unvollständige Verträge resultieren daraus, dass es prohibitiv kostspielig und vielfach wegen mangelnder Informationen über zukünftige Entwicklungen sogar unmöglich sein kann, einen langfristigen Vertrag über zukünftiges Handeln abzuschließen und so exakt zu konditionieren, dass die Vertragsparteien und die bei einem Vertragsbruch eingreifende Instanz (z.B. ein Gericht) sie in gleichem Sinne interpretieren (Hart, O.D.  1995).
Im ursprünglichen Vertrag kann bereits vereinbart sein, in welcher Form und bei Eintritt welcher Umweltbedingungen nachverhandelt wird. Häufiger wird allerdings eine der Vertragsparteien die Funktion übernehmen, im Zeitablauf sichtbar werdende Vertragslücken „ dem Geist des Vertrages “ nach auszufüllen. Nachverhandlungen oder einseitige Vertragsmodifikationen verzerren allerdings die Investitionsanreize der Parteien und können dadurch die Effizienz der Vertragsbeziehung gegenüber einem ursprünglich abgeschlossenen Anreizvertrag mindern. Man spricht daher auch von einem Hold Up, d.h. einem räuberischen Überfall, der einen der Vertragspartner seiner Kompensation für vorab getätigte Investitionen beraubt (Aghion, P./Bolton, P.  1992).


IV. Finanzierungstitel


Finanzierungstitel sind Ausdruck von Finanzierungsverträgen und umfassen jeweils ein Bündel monetärer und nichtmonetärer Rechte und Pflichten der Kapitalgeber und Kapitalnehmer. Finanzierungstitel können in verbriefter und unverbriefter Form emittiert werden. Eine Verbriefung erleichtert die Weiterveräußerung des Titels während der Laufzeit des Vertrages. Dann gehen im Allgemeinen die Rechte des Kapitalgebers auf den Käufer des Finanzierungstitels über.

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Die Rechte der Kapitalgeber bzw. Käufer der Finanzierungstitel beinhalten die Anwartschaft auf zukünftige Zahlungen, Gestaltungsrechte wie z.B. die Kündigung oder auch die Prolongation des Vertrages sowie Einwirkungs-, Informations- und Kontrollrechte, wie z.B. die Aktionärsrechte in der Hauptversammlung der Gesellschaft. Zu den Pflichten der Kapitalgeber gehört die Überlassung der Finanzierungsmittel zum vereinbarten Termin in der vereinbarten Höhe. Der Übergang der Finanzierungstitel vom Kapitalgeber auf einen Dritten berührt in der Regel die Verfügbarkeit der Finanzierungsmittel beim Kapitalnehmer nicht.

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Zu den Rechten der Kapitalnehmer gehören die Verfügungsrechte über die erlangten Finanzierungsmittel, zu seinen Pflichten insbesondere Verhaltens- und Informationspflichten. Diese Pflichten können ganz allgemein oder nur gegenüber dem Inhaber der Finanzierungstitel bestehen.


Aus finanzierungstheoretischer Perspektive stellt sich die Frage nach der Rationalität der Konstruktion und des Einsatzes von Finanztiteln. Auf diese Frage versucht die Finanzierungstheorie auf unterschiedlichen Ebenen Antworten zu geben.

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Eine sehr abstrakte Forschungsrichtung hinterfragt die in der Realität beobachtbare asymmetrische Aufteilung der Finanzierungstitel in Forderungs- und Beteiligungstitel. Sie zeigt in abstrakten mikroökonomischen Modellen, unter welchen Bedingungen der Einsatz dieser Grundformen der Finanzierung optimal ist und in welchem Verhältnis zueinander diese zum Einsatz kommen sollten.

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Eine zweite, weniger abstrakte Forschungsrichtung nimmt die Grundformen der Finanzierung durch Eigen- bzw. Fremdkapital als gegeben und versucht, spezielle Anforderungen an die Vertragsgestaltung (Contract Design) dieser Finanzierungsverträge zu ermitteln. Daraus sollen auch Anregungen für vielfältige Ausgestaltungsmöglichkeiten von Finanzierungsverträgen abgeleitet werden. So wird beispielsweise untersucht, ob der Stimmrechtsanteil der Aktionäre auf der Hauptversammlung einer Gesellschaft sich notwendigerweise proportional zum Beteiligungsanteil verhalten sollte. Oder es wird gefragt, ob es sinnvoll ist, unterschiedliche Formen von Eigenkapitaltiteln (Stammaktien versus Vorzugsaktien) oder Fremdkapitaltitel (besichertes versus unbesichertes Fremdkapital, Anleihen versus Bankkredite) zu kreieren. Zur Frage der konkreten Ausgestaltung von Finanztiteln gehört auch die Konstruktion hybrider Finanztitel, die Forderungs- und zugleich Beteiligungscharakter aufweisen, wie Genussscheinkapital, partiarische Darlehen oder Dividendenvorzugsaktien.

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Schließlich befasst sich eine sehr praxisorientierte Forschungsrichtung, die häufig als Financial Engineering bezeichnet wird, mit der Ausgestaltung neuartiger Finanztitel. Ein typisches Beispiel sind Target Stocks, bei denen eine Gesellschaft mehrere Arten von Aktien emittiert, deren Zahlungsansprüche mit dem Ergebnis verschiedener Geschäftsbereiche korrespondieren. Ein anderes Beispiel sind strukturierte Anleihen, bei denen die Verzinsungs- oder Tilgungsmodalitäten der Anleihe an die Performance eines Aktienmarktes gebunden werden.


V. Finanzierungstheorie und Theorie der Unternehmung


Die Empfehlungen der Finanzierungstheorie sind zwangsläufig auf Prototypen von Unternehmen gerichtet, die bei der Entwicklung entsprechender Konzepte als repräsentativ für die Unternehmensentwicklung angesehen wurden, und nicht auf konkrete Einzelunternehmen. Wenn nun die Unternehmenslandschaft in eine Umbruchsituation gerät und mit den Veränderungen in den Unternehmen ein neuer Prototyp von Unternehmen entsteht, so wird dies auch zur Neuformulierung der Fragestellungen in der Finanzierungstheorie Anlass geben müssen. Einen solchen Umbruch kann man im Aufkommen der sog. „ New Economy “ sehen. Der hohe Abstraktionsgrad der heutigen, mikroökonomisch fundierten Finanzierungstheorie erlaubt es, viele der dabei auftretenden Fragestellungen im bestehenden finanzierungstheoretischen Rahmen, wenn auch mit neuer Schwerpunktsetzung, zu diskutieren.
Die Unternehmen der „ New Economy “ und der „ Old Economy “ lassen sich zwar nicht überschneidungsfrei voneinander abgrenzen. Es kristallisieren sich aber einige Merkmale heraus, von denen sich bei jungen wie bei etablierten Unternehmen die gewachsene Bedeutung des Humankapitals gegenüber dem Realkapital als besonders markant erweist. Als Beispiele kann auf Servicegesellschaften im IT-Bereich, auf Hochtechnologiefirmen in der Biotechnologie, auf Mediengesellschaften, auf Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Beratungsfirmen oder Venture-Capital-Gesellschaften verwiesen werden. Für solche Firmen sowie für Unternehmen, deren Grenzen zur Neuordnung der Wertschöpfungsketten fließend werden (Picot, A./Reichwald, R./Wigand, R.T.  1996), gelten andere Empfehlungen für die Governance-Struktur als für etablierte Unternehmen, bei denen die Realinvestitionen als wesentliche Quelle der positiven Kapitalwerte ausgemacht werden können. So muss bei der Wahl der Kapitalstruktur eines Unternehmens auch deren möglicher Einfluss auf die impliziten Verträge beachtet werden (Zingales, L.  2000). Die Bewertung von Unternehmen schließlich muss auch noch nicht zahlungs- und damit bilanzwirksames Organisationskapital einbeziehen und kann sich nicht mehr allein auf die herkömmlichen Bewertungsmethoden stützen. Damit ist auch die verfolgte Zielsetzung der Shareholder-Value-Maximierung grundsätzlich in Frage gestellt.
Literatur:
Aghion, Philippe/Bolton, Patrick : An Incomplete Contract Approach to Financial Contracting, in: Review of Economic Studies, Jg. 59,1992, S. 473 – 494
Breuer, Wolfgang : Finanzierungstheorie. Eine systematische Einführung, Wiesbaden 1998
Cornell, Bradford/Shapiro, Alan C. : Corporate Stakeholders and Corporate Finance, in: Financial Management, Jg. 16,1987, S. 5 – 14
Fischer, Christoph/Rudolph, Bernd : Grundformen von Finanzsystemen, in: Geld-, Bank- und Börsenwesen, hrsg. v. von Hagen, Jürgen/von Stein, Johann Heinrich, Stuttgart 2000, S. 371 – 446
Franke, Günter : Kreditgeschäft und Finanzmärkte, in: Geld-, Bank- und Börsenwesen, hrsg. v. von Hagen, Jürgen/von Stein, Johann Heinrich, Stuttgart 2000, S. 231 – 270
Hackethal, Andreas/Schmidt, Reinhard H. : Finanzsystem und Komplementarität, in: Beiheft zu Kredit und Kapital, Finanzmärkte im Umbruch, H. 15/2000, S. 53 – 102
Hart, Oliver D. : Firms, Contracts and Financial Structure, Oxford 1995
Jensen, Michael C./Meckling, William H. : Theory of the Firm: Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, Jg. 3, 1976, S. 305 – 360
Krahnen, Jan Pieter : Finanzierungstheorie: Ein selektiver Überblick, in: Die Theorie der Unternehmung in Forschung und Praxis, hrsg. v. Albach, Horst/Eymann, Egbert/Luhmer, Alfred, Berlin 1999, S. 93 – 124
Kürsten, Wolfgang : Die Beziehung zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer, in: Geld-, Bank- und Börsenwesen, hrsg. v. von Hagen, Jürgen/von Stein, Johann Heinrich, Stuttgart 2000, S. 160 – 186
Myers, Steward C./Majluf, Nicholas S. : Corporate Financing and Investment Decisions when Firms Have Information that Investors Do not Have, in: Journal of Financial Economics, Jg. 11, 1984, S. 187 – 221
Neus, Werner : Ökonomische Agency-Theorie und Kapitalmarktgleichgewicht, Wiesbaden 1989
Picot, Arnold/Reichwald, Ralf/Wigand, Rolf T. : Die grenzenlose Unternehmung. Information, Organisation und Management, Wiesbaden 1996
Rajan, Raghuram G./Zingales, Luigi : The Governance of the New Enterprise, in: Corporate Governance, hrsg. v. Vives, Xaver et al., Cambridge 2000, S. 201 – 227
Rudolph, Bernd : Zur Theorie des Kapitalmarktes. Grundlagen, Erweiterungen und Anwendungsbereiche des „ Capital Asset Pricing Model (CAPM) “ , in: ZfB, Jg. 49, 1979, S. 1034 – 1067
Schiereck, Dirk/Weber, Martin : Finanzaktivapreise: Theorie und Evidenz, in: Geld-, Bank- und Börsenwesen, hrsg. v. von Hagen, Jürgen/von Stein, Johann Heinrich, Stuttgart 2000, S. 270 – 298
Schmidt, Reinhard H./Terberger, Eva : Grundzüge der Investitions- und Finanzierungstheorie, Wiesbaden, 3. A., 1996
Zingales, Luigi : In Search of New Foundations, in: Journal of Finance, Jg. 55, 2000, S. 1623 – 1653

 

 


 

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