A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
wirtschaftslexikon wirtschaftslexikon
 
Wirtschaftslexikon Wirtschaftslexikon

 

wirtschaftslexikon online lexikon wirtschaftslexikon
   
 
     
wirtschaftslexikon    
   
    betriebswirtschaft
     
 
x

Hierarchie


Inhaltsübersicht
I. Hierarchie als Ordnungsprinzip sozialer Systeme
II. Grundtypen der Hierarchie
III. Funktionen und Dysfunktionen der Hierarchie
IV. Alternativen zur Hierarchie

I. Hierarchie als Ordnungsprinzip sozialer Systeme


Der Begriff Hierarchie (griech: Heilige Ordnung) bezeichnete ursprünglich die religiöse bzw. kirchliche Herrschaftsordnung. Mit Webers Analyse der Bürokratie und der Übertragung auf die Ämterhierarchie wurde die Hierarchie zum zentralen Bezugspunkt für die Organisatorische Gestaltung (Organization Design) (Schwarz, Gerhard 1985, S. 166). Neben der Begriffsdeutung von Hierarchie als Ordnungsprinzip sozialer Systeme wird mit ihr auch ein Weltbild in Verbindung gebracht, welches die menschliche Natur- und Gesellschaftsordnung als stratifiziertes Ebenensystem charakterisiert (Bunge, Mario 2001, S. 31; Pattee, Howard 1973, S. 73; Simon, Herbert 1967).
Im Allgemeinen lässt sich eine Hierarchie als eine Gesamtheit von Elementen charakterisieren, die durch Über- und Unterordnungsbeziehungen miteinander verbunden sind (Krüger, Wilfried 1985). In der Betriebswirtschaftslehre hat man sich neben Organisationshierarchien insb. mit Ziel- und Planungshierarchien beschäftigt. Hierarchische Organisationen zeichnen sich durch folgende Merkmale aus (Weber, Max 1976; Mayntz, Renate 1963, S. 81 – 111; Luhmann, Niklas 1964; Wild, Jürgen 1973; Krüger, Wilfried 1985):

-

Rollenstruktur der  Über- und Unterordnung
Das Grundgerüst jeder hierarchischen Organisation ist ein komplexes Rollengefüge – den Rollen der Über- und Unterordnung – von Führungsstellen mit sachlich abgegrenzten Kompetenzen und sozial eindeutig zugeordneten Untergebenen. Die verschiedenen Stellen sind über eine skalare Befehlskette von der Spitze bis zur Basis der Organisation verbunden, die ein- oder mehrdimensional angelegt sein kann (Fayol, Henri 1916; Kosiol, Erich 1976). Im Allgemeinen geben hierarchische Rollenbeziehungen dem Vorgesetzten das Recht, auch wenn es so nicht ausgeübt werden muss, Entscheidungen durch autoritäre Weisung zu treffen; die Untergebenen haben eine arbeitsvertraglich geregelte Gehorsamspflicht. Diese ungleiche Machtverteilung geht zumeist einher mit einer hierarchisch gestaffelten relativen Zumessung an Status, Privilegien und Anreizen sowie hierarchisch angelegten Karrieren und Laufbahnen.

-

Monistische  Autoritätsstruktur
Kennzeichnend für die Hierarchie ist eine monistische Autoritätsstruktur, d.h. „ alle Autorität kommt von oben und stürzt durch fortschreitende Übertragungen kaskadenförmig herab, während Verantwortlichkeit von unten kommt und dem nächsten Vorgesetzten und niemandem sonst schuldet. “ (Thompson, Victor A. 1971, S. 218). Im Zuge der Delegation (Zentralisation und Dezentralisation) werden zwar Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung an nachgelagerte Stellen abgegeben, jedoch ist diese Entscheidungsdezentralisation immer innerhalb einer prinzipiell monistischen Autoritätsstruktur gedacht. Gleichzeitig werden durch diese Struktur auch die Konfliktlösungsprozesse kanalisiert.

-

Formalisierte  Koordinationsstruktur
Die Hierarchie schafft durch generalisierte Verhaltenserwartungen bei ihren Mitgliedern die Institutionalisierung einer komplexen Aufbau- und Ablauforganisation. Diese Verhaltenserwartungen sind vom Einzelergebnis unabhängig und bleiben auch bei Störungen, Widersprüchen und Umweltveränderungen bestehen, es sei denn, die Struktur wird verändert und schafft dadurch neue Verhaltenserwartungen. Die formale Struktur stellt das Rückgrat aller Koordinationsbestrebungen in Hierarchien dar. Damit wird der Weg einer strukturellen Lösung des Koordinationsproblems beschritten (Schreyögg, Georg/Noss, Christian 1994).

-

Kanalisierte  Kommunikationsstruktur
Die Kommunikationsstruktur in Hierarchien ist sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung klar geregelt (Frese, Erich 2000); um lange Dienstwege zu vermeiden, können auch Querverbindungen (sog. Fayolsche Brücken) zwischen organisatorischen Einheiten ohne Einschaltung des Vorgesetzten zugelassen sein. Die Ungleichheit in der Machtverteilung spiegelt sich auch in einer Ungleichheit in den Kommunikationschancen wider. Entsprechend der hierarchischen Position haben höhere Stellen i.d.R. umfangreichere Informationsrechte und organisatorisch abgesichertere Kommunikationsmöglichkeiten als dies unteren Ebenen eingeräumt wird.


II. Grundtypen der Hierarchie


Hierarchische Herrschaft beruht in erster Line auf Amtsinhaberschaft. Hierarchietypen können im Hinblick auf zwei Dimensionen unterschieden werden (siehe Abb. 1): (1) inwieweit sind die Amtsinhaber aus einem freien Wettbewerb um Führungspositionen hervorgegangen; (2) inwieweit fördert die Struktur die aktive Partizipation an Entscheidungsprozessen (Dahl, Robert 1971).
Hierarchie
Abb. 1: Grundtypen von Hierarchien

-

Autokratische Hierarchien repräsentieren die übliche Vorstellung einer Hierarchie als autoritäres und repressives Herrschaftsgefüge. Sie werden von Eliten geführt, die auch ohne Zustimmung oder Mitwirkung der Untergebenen eingesetzt oder entfernt werden. Die Entscheidungsmacht liegt bei der Organisationsspitze, die ggf. problembezogene Entscheidungskompetenzen an funktional spezialisierte Stellen delegiert. Die hierarchische Struktur ist darauf ausgelegt, die Arbeit unterer Ebenen einer straffen Überwachung und Kontrolle zu unterziehen. Von den Untergebenen wird primär Gehorsam und strukturkonformes Verhalten erwartet (Weber, Max 1976; Wild, Jürgen 1973; Mayntz, Renate 1971).

-

Kompetitive Hierarchien werden ähnlich wie autoritäre Hierarchien von Eliten geführt, die berechtigt sind, ihre Entscheidungen auch durch autoritären Zwang umzusetzen. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, dass die Führungsämter wie in repräsentativen Demokratien im freien Wettbewerb um Unterstützung der Organisationsmitglieder und entscheidender Anspruchsgruppen erlangt werden. Damit schaffen kompetitive Hierarchien eine Organisationsverfassung, die Konkurrenz um Führungspositionen und die Auswahl geeigneter Kandidaten ermöglicht. Auch wenn die Organisationsmitglieder nicht an den Entscheidungsprozessen aktiv mitwirken, so werden sie doch an der Bestellung und Abwahl ihrer Führung beteiligt (Schumpeter, Joseph A. 1946).

-

Partizipative Hierarchien unterscheiden sich grundlegend von ihren autokratischen Gegenstücken, da die Beteilung von Mitarbeitern an der Willensbildung explizit gefördert wird. Dabei verzichtet die Organisationsleitung weitestgehend auf direkte Anweisungen zugunsten einer Koordination durch Rahmenvorgaben (Kontextsteuerung). Durch eine solche Kontextsteuerung werden bewusst Freiräume geschaffen, in denen die Mitarbeiter im Zuge der Selbstorganisation kollaborieren, Lernprozesse entfalten und aktiv die Organisatorische Gestaltung (Organization Design) mitprägen. Durch die Kontextsteuerung wird der monistische Steuerungsanspruch nicht grundsätzlich aufgegeben. Vielmehr sollen durch ein begrenztes Maß an Selbstorganisation innerhalb eines hierarchischen Aufbaugefüges strukturelle und motivationale Defizite autokratischer Systeme abgebaut werden (Bower, Joseph L. 1972; Adler, Paul S./Borys, Bryan 1996; Adler, Paul S. 1999).

-

In fluktuierenden Hierarchien werden Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Mitwirkungen situationsbezogen unter den Organisationsmitgliedern immer wieder neu ausgehandelt. Damit sind die Bedingungen, unter denen Entscheidungen getroffen und vollzogen werden, Ergebnis dezentraler Abstimmungen und Entscheidungen. Mit anderen Worten: Die Organisationsmitglieder handeln selbst die hierarchische Struktur mit ihren Rollen, Regeln und Zuständigkeiten für ihre Problemlösungsprozesse aus. Die fluktuierende Hierarchie ist darauf ausgelegt, veränderten Anforderungen einer Organisation durch flexible und temporäre Strukturen zu begegnen. Der wesentliche Unterschied zu den drei anderen Hierarchietypen besteht in den Anwendungsvoraussetzungen: fluktuierende Hierarchien sind letztlich Verhandlungssysteme und setzen damit eine heterarchische statt einer hierarchischen Grundstruktur voraus (Schreyögg, Georg/Noss, Christian 1994; Reihlen, Markus 1997, S. 253 – 295). Heterarchien weisen ähnlich wie neuronale Netzwerke eine „ Nebenordnung “ statt einer Über- und Unterordnung auf, die polyzentrische und partizipative Ordnungsmuster begünstigen.


III. Funktionen und Dysfunktionen der Hierarchie


Funktionen und Dysfunktionen der Hierarchie sind seit Aufkommen der Bürokratie Gegenstand der Organisationstheorie. Der Hierarchie können vier Funktionen zugeordnet werden. Erstens stellt die Hierarchie eine Lösung für das „ Problem der großen Zahl “ dar. Danach sind multilaterale Verhandlungsprozesse faktisch und ökonomisch nicht praktikabel, wenn die Anzahl an unabhängigen Entscheidungsträgern derart groß ist, dass gruppenbezogene Konfliktlösungsmechanismen und kognitive Verarbeitungsfähigkeiten überfordert sind. Zweitens schafft die Hierarchie mit ihrer formalen Aufbau- und Ablaufstruktur eine stabile Ordnung mit generalisierten Verhaltenserwartungen, durch die der Bestand auch bei häufigem Wechsel der Mitglieder gewährleistet werden kann. Drittens ergänzt die Hierarchie durch die Autorität, die ein Inhaber aufgrund seines Amtes besitzt, individuelle Machtgrundlagen, die in Interaktionsprozessen nicht immer wieder aufs neue legitimiert werden müssen. Viertens ermöglicht sie aufgrund hierarchischer Weisungsrechte opportunistisches Verhalten besser zu kontrollieren als der Markt (Luhmann, Niklas 1964; Weber, Max 1976; Ochsenbauer, Christian 1989; Casson, Mark 1994).
Gegen das Hierarchiemodell sind zahlreiche Einwände vorgebracht worden. Das spezialisierte, teilweise implizite Expertenwissen von Untergebenen, die Förderung ihrer Lernfähigkeit, ihre selbstständigen Beziehungen zu Externen, horizontale Kooperation, offene Kommunikation und die Notwendigkeit zum selbstständigen Handeln sind nur einige Gründe, die gegen die universelle Realisierbarkeit und Effizienz hierarchischer Strukturen eingewendet wurden (Ochsenbauer, Christian 1989). Von der Organisationspsychologie sind die dysfunktionalen Wirkungen auf die intrinsische Motivation (Evan, William M. 1976), die mangelnde Ausnutzung des intellektuellen Potenzials (Argyris, Chris 1957; Argyris, Chris 1990) und die Folgen eines autoritären Führungsstils (Jago, Arthur G./Vroom, Victor H. 1977) diskutiert worden. Unterschiedliche Pathologien der Hierarchie mit ihren Konsequenzen für organisatorische Kommunikations- und Lernprozesse sind Gegenstand der organisationssoziologischen Debatte gewesen (Gouldner, Alvin W. 1964; Merton, Robert K. 1971). Nicht zuletzt hat die Institutionenökonomie Gründe für Marktversagen und Organisationsversagen eingebracht.
Ein Problem der Diskussion um Funktionen bzw. Dysfunktionen von Hierarchien besteht allerdings darin, dass die meisten Beiträge nicht zwischen unterschiedlichen Typen von Hierarchien differenzieren. Genau genommen hat sich die Literatur vornehmlich mit dem Typus der autokratischen Hierarchie auseinander gesetzt. Erst in jüngerer Zeit sind vereinzelte Beiträge erschienen, die zu einer wertvollen Differenzierung der Diskussion beigetragen haben (Adler, Paul S./Borys, Bryan 1996; Adler, Paul S. 1999).

IV. Alternativen zur Hierarchie


Die Suche nach Alternativen zur Hierarchie ist nahezu so alt wie das Konzept selbst. Die Vorschläge reichen von einer stärkeren Verbindung marktlicher und hierarchischer Koordinationsformen durch Interne Märkte über Selbstorganisation, Teamorganisation und Netzwerke bis hin zu Heterarchien (Hedlund, Gunnar 1986; Reihlen, Markus 1999).
Literatur:
Adler, Paul S. : Building Better Bureaucracies, in: AME, Jg. 13, H. 4/1999, S. 36 – 49
Adler, Paul S./Borys, Bryan : Two Types of Bureaucracy: Enabling and Coercive, in: ASQ, Jg. 41, 1996, S. 61 – 89
Argyris, Chris : Overcoming Organizational Defenses, Boston 1990
Argyris, Chris : Personality and Organization, New York 1957
Bower, Joseph L. : Managing the Resource Allocation Process, Homewood, Ill. et al. 1972
Bunge, Mario : Philosophy in Crisis, Amherst 2001
Casson, Mark : Why Are Firms Hierarchical?, in: Journal of the Economics in Business, Jg. 1, H. 1/1994, S. 47 – 77
Dahl, Robert : Polyarchy, New Haven et al. 1971
Evan, William M. : Hierarchy, Alienation, Commitment and Organizational Effectiveness, in: HR, Jg. 30, 1976, S. 77 – 94
Fayol, Henri : Administration industrielle et generale, Paris 1916
Frese, Erich : Grundlagen der Organisation, 8. A., Wiesbaden 2000
Gouldner, Alvin W. : Patterns of Industrial Bureaucracy, Glencoe, Ill. 1964
Hedlund, Gunnar : The Hypermodern MNC – A Heterarchy?, in: Human Resource Management, Jg. 21, H. 1/1986, S. 9 – 35
Jago, Arthur G./Vroom, Victor H. : Hierarchical Level and Leadership Style, in: OBHP, Jg. 18, 1977, S. 131 – 145
Kosiol, Erich : Organisation der Unternehmung, 2. A., Wiesbaden 1976
Krüger, Wilfried : Bedeutung und Formen der Hierarchie, in: DBW, Jg. 45, 1985, S. 292 – 307
Luhmann, Niklas : Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964
Mayntz, Renate : Bürokratische Organisation, Köln et al. 1971
Mayntz, Renate : Soziologie der Organisation, Reinbek 1963
Merton, Robert K. : Bürokratische Struktur und Persönlichkeit, in: Bürokratische Organisation, hrsg. v. Mayntz, Renate, Köln et al. 1971, S. 265 – 276
Ochsenbauer, Christian : Organisatorische Alternativen zur Hierarchie, München et al. 1989
Pattee, Howard : Physical Basis and Origin of Control, in: Hierarchy Theory: The Challenge of Complex Systems, hrsg. v. Pattee, Howard, New York 1973, S. 72 – 108
Reihlen, Markus : Moderne, Postmoderne und heterarchische Organisation, in: Organisation und Postmoderne, hrsg. v. Schreyögg, Georg, Wiesbaden 1999, S. 265 – 303
Reihlen, Markus : Entwicklungsfähige Planungssysteme, Wiesbaden 1997
Schreyögg, Georg/Noss, Christian : Hat sich das Organisieren überlebt?, in: DU, Jg. 48, 1994, S. 17 – 33
Schumpeter, Joseph A. : Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1946
Schwarz, Gerhard : Die \'Heilige Ordnung\' der Männer, Opladen 1985
Simon, Herbert A. : Die Architektur der Komplexität, in: Kommunikation, Jg. 3, H. 3/1967, S. 55 – 83
Thompson, Victor A. : Hierarchie, Spezialisierung und organisationsinterner Konflikt, in: Bürokratische Organisation, hrsg. v. Mayntz, Renate, Köln et al. 1971, S. 217 – 227
Weber, Max : Wirtschaft und Gesellschaft, 5. A., Tübingen 1976
Wild, Jürgen : Organisation und Hierarchie, in: ZFO, Jg. 42, 1973, S. 45 – 54

 

 


 

<< vorhergehender Begriff
nächster Begriff >>
hidden information
 
Hifo-Verfahren