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Betriebsrat


Inhaltsübersicht
I. Das Leitbild betriebliche Mitbestimmung
II. Die Empirie betrieblicher Mitbestimmung: BR-Typen
III. Wandel der betrieblichen Mitbestimmung zum Erfolgsmodell
IV. Das Verhältnis zwischen BR und Belegschaft
V. BR und Gewerkschaft
VI. BR im Zeichen von Flexibilisierung und shareholder value
VII.  „ Mitbestimmungsfreie Zonen “ : Kleinbetriebe und Dienstleistungsbetriebe
VIII. BR in Ostdeutschland
IX. Ausblick

I. Das Leitbild betriebliche Mitbestimmung


Das übergeordnete Leitbild der betrieblichen Mitbestimmung ist für ihre Praxis nicht minder wichtig als die Paragraphen des BetrVG. Dieses Leitbild lässt sich auf die Formel bringen: Befriedung und Kanalisierung der Konfliktaustragung durch eine kooperative Arbeitnehmervertretung. Konflikte sollen in kontinuierlicher Kommunikation und in vertrauensvoller Zusammenarbeit kleingearbeitet werden. Die kooperative Konfliktverarbeitung (Weltz,  1977) legt dem Betriebsrat (BR) eine auf den ersten Blick widersprüchliche Handlungslogik nahe. Diese Konstruktion bezeichnete F. Fürstenberg schon früh zutreffend als „ Pufferstellung “ und „ Grenzsituation “ (Fürstenberg,  1958).
Das integrationistische Leitbild der betrieblichen Mitbestimmung wird in drei regulativen Prinzipien konkretisiert. Das erste Prinzip ist die korporative Konstruktion des BR. Er wird nicht als ein Delegiertenkomitee von pressure groups (wie z.B. die englischen shop stewards) definiert, sondern er ist der Repräsentant der Belegschaft als Gesamtheit. Er steht somit unter einem hohen sozialintegrativen Anspruch.
Das zweite regulative Prinzip ist die Aufforderung zum Perspektivenwechsel. Der BR soll auch das Betriebswohl im Auge haben und sich konstruktiv einmischen. Er ist von Anfang an auch als „ Produktionsfaktor “ und „ Optimierer “ gedacht. Seine heutige, oft als Co-Manager bezeichnete Rolle ist durch dieses Prinzip vorgeprägt. Und umgekehrt soll sich der Arbeitgeber in allen Fragen, die mit dem Umgang mit Menschen zu tun haben, der Einmischung durch den Betriebsrat öffnen. Beides wird durch den bekanntermaßen hohen Grad der Verrechtlichung der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland zu ereichen versucht. Es ist ein Lernen von Kooperation mit dem knöchernen Lineal akribischer Rechtsvorschriften im Hintergrund.
Das dritte regulative Prinzip ist die Erwartung der Langfristigkeit der Beziehung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Sie ist die Voraussetzung für Annäherungen und Vertrauen. Das Lernen von Vertrauen auf dem schwankenden Boden unterschiedlicher Interessen ist das „ hidden curriculum “ der deutschen Betriebsverfassung. Müller-Jentsch (Müller-Jentsch,  1995a) deutet die Geschichte der Mitbestimmung deshalb als einen kollektiven Lernprozess.

II. Die Empirie betrieblicher Mitbestimmung: BR-Typen


Das Leitbild der betrieblichen Mitbestimmung wird in der Praxis immer nur annäherungsweise verwirklicht. Die Praxis ist sehr heterogen, so dass man nicht von dem Betriebsrat sprechen kann, sondern nur von bestimmten Varianten. Ende der 1970er-Jahre führte eine empirische Untersuchung zur Entdeckung von sechs verschiedenen Typen (Kotthoff,  1981). Die großen Divergenzen zwischen den Typen hängen eng zusammen mit unterschiedlichen Formen der Kontroll- und Autoritätsstruktur und der Sozialordnung in den Betrieben.
Von den sechs Typen sind drei Variationen einer defizienten Praxis, d.h. das Leitbild der betrieblichen Mitbestimmung wird nicht erreicht, sondern teilweise sogar pervertiert. Mitbestimmung scheitert hier an der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Unternehmers und an der mangelnden Fähigkeit der Belegschaft zur Organisation von Interessenvertretungsprozessen. Die defizienten Typen sind:
(1) Der ignorierte Betriebsrat. Er erscheint hier als eine systemfremde Randfigur, die von beiden Seiten nicht in Anspruch genommen und daher ignoriert wird.
(2) Der isolierte Betriebsrat. Die Betriebsleitung zeichnet sich durch ein repressiv-autoritäres Regiment aus, dessen prominentestes Opfer der Betriebsrat ist. Er wird in seinen Handlungsmöglichkeiten behindert. Das Ohnmachtbewusstsein ( „ Der Chef macht was er will “ ) ist seine prägende Erfahrung.
(3) Der Betriebsrat als Organ der Geschäftsleitung. Der patriarchalisch-fürsorgliche Chef instrumentalisiert ihn als nützliches Hilfsorgan der betrieblichen Herrschaft. Für eine autonome Interessenvertretung durch den Betriebsrat ist hier jedoch wenig Platz.
Die drei folgenden Typen sind Varianten einer vertretungswirksamen Praxis von Mitbestimmung, die den Zielen des BetrVG und dem Leitbild betrieblicher Mitbestimmung auf unterschiedliche Art näherkommen.
(4) Der standfeste Betriebsrat. Er hat seine Anerkennung als autonomer Interessenvertreter erkämpft, aber es entsteht keine „ Partnerschaftskultur “ . Man kommt sich nicht leichten Herzens entgegen, sondern beide Seiten „ mauern “ in defensiven Machtspielen. Es ist eine berührungsscheue Vernunftehe, die sich an den Planken des BetrVG festhält, aber noch kein volles Vertrauen für Mitbestimmung als Positivsummenspiel entwickelt hat.
(5) Der Betriebsrat als Ordnungsmacht. Hier besteht eine belastungsfähige Partnerschaftskultur. Beide Seiten arbeiten Hand in Hand und versprechen sich Vorteile davon. Er wird weitgehend in die Entscheidungsprozesse inkorporiert, er wächst faktisch in die Rolle einer Führungskraft hinein und wird zu einem „ Co-Manager “
(6) Der Betriebsrat als kooperative Gegenmacht. Er versteht sich in der Tradition der Arbeiterbewegung als Gegenmacht und verhält sich dennoch kooperativ. Dies ist eine Kampfpartnerschaft, d.h. es besteht eine ausgeprägte Streitkultur, die aber alles andere als destruktiv ist.
Das betriebspolitische Gewicht und der Einfluss des Betriebsrats sind bei den Typen (5) und (6) am größten. Mitte der 1970er-Jahre hatten zwei Drittel der Untersuchungsbetriebe eine defiziente Vertretungspraxis und nur ein Drittel eine wirksame.

III. Wandel der betrieblichen Mitbestimmung zum Erfolgsmodell


Fünfzehn Jahre nach der Erstuntersuchung wurde in denselben Betrieben eine Wiederholungsuntersuchung durchgeführt (Kotthoff,  1994). Das Zahlenverhältnis zwischen den defizienten und den vertretungswirksamen hat sich umgedreht. Statt vorher nur einem Drittel haben jetzt zwei Drittel eine wirksame Mitbestimmung. Dieser Wandel geht fast vollständig auf das Konto der Betriebe, die vorher einen Betriebsrat des Typs „ Organ der Geschäftsleitung “ hatten, also auf die Betriebe mit einer patriarchalisch-fürsorglichen Sozialordnung. Hier wurde nicht nur die Interessenvertretung verändert, sondern es wurde der Patriarchalismus abgeschafft und an seine Stelle in einem Kampf um Anerkennung die liberale Betriebsbürgerschaft gesetzt. Die rasante Auflösung des Patriarchats – die historisch bedeutsamste Form der betrieblichen Sozialordnung in Deutschland – ist das wichtigste Merkmal des Wandels in den späten 1970er- und den 1980er-Jahren.
Andere Studien zu den Interaktionsmustern der betrieblichen Interessenvertretung kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen (Bosch,  1997; Osterloh,  1993). Die gemeinsame Botschaft lautet: die betriebliche Mitbestimmung hat an Konturen gewonnen. Sie wird von der Mehrzahl der Arbeitgeber heute akzeptiert. Sie ist in weiten Bereichen der Wirtschaft zu einer Selbstverständlichkeit und zu einem Eckpfeiler im deutschen System der industriellen Beziehungen geworden. Es hat ein tiefgreifender Wandel der Interaktionskulturen stattgefunden, den Bosch als Kultur der Versachlichung, der Ent-Ideologisierung und der Professionalisierung beschreibt (Bosch,  1997)
Dieser Wandel hat entgegen allen Erwartungen in einer Zeit andauernd hoher Arbeitslosigkeit stattgefunden. Unter den vielen Faktoren, die dazu geführt haben, sind drei besonders wichtig: die große Schubkraft des epochalen BetrVG 72, das als Beispiel für den Erfolg eines gesellschaftspolitischen Reformgesetzes gelten kann; die auf dem Hintergrund der veränderten wirtschaftlichen Herausforderungen entstehenden Beteiligungsstrategien des Managements; und die rasante De-Legitimierung patriarchalischer und autoritärer Orientierungs- und Verhaltensmuster in der Gesellschaft, insb. bei der jüngeren Generation.

IV. Das Verhältnis zwischen BR und Belegschaft


Die Betriebsrat-Rolle tendiert dazu, eine spezialisierte Berufstätigkeit (Professionalisierung) zu werden, deren interne Arbeitsregeln und Verbindlichkeiten vielen Arbeitnehmern undurchsichtig sind. Die Feststellung einer Entfremdung zwischen ihm und der Belegschaft ist ein fester Bestandteil der Mitbestimmungsforschung seit den frühen 1950er-Jahren bis auf den heutigen Tag. Eine Ursache dafür ist die widersprüchliche Rollenanforderung an den Betriebsrat, der einerseits als auf Zeit gewählter Mandatsträger mit dem Arbeits- und Lebenszusammenhang seiner Wähler eng verbunden bleiben soll, der aber auf der anderen Seite dem Management argumentativ das Wasser reichen können soll, und ihm damit auch ein Stück ähnlich wird.
Vielfach wurde befürchtet, dass durch die Einführung von Gruppen- und Teamarbeit, also durch mehr Selbstvertretung anstelle von Stellvertretung, das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Belegschaft in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Praxis zeigt jedoch, dass er durch die Beteiligungskonzepte nicht an Bedeutung für die Beschäftigten verloren hat (Dörre,  1996).

V. BR und Gewerkschaft


Das Verhältnis zwischen beiden ist durch das Dualitätsprinzip bestimmt: der Betriebsrat ist formal unabhängig von der Gewerkschaft, aber zwischen beiden besteht faktisch eine weitgehende gegenseitige Durchdringung, oft sogar eine enge Symbiose, auf der Grundlage einer arbeitsteiligen Ergänzung. Ca. 75% der Betriebsrat-Mitglieder sind Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft. Die führenden Leute der Gewerkschaft im Betrieb sind in der Regel auch im Betriebsrat. Umgekehrt durchdringen die Betriebsräte die gewerkschaftlichen Willensbildungsgremien. So sind ca. 70% der Mitglieder der Tarifkommissionen und der Verwaltungsstellenvorstände Betriebsrat-Mitglieder. Ihre Schlüsselstellung hängt damit zusammen, dass sie wesentliche Bestandsfunktionen für die Gewerkschaft erfüllen: sie führen ihnen die meisten Mitglieder zu und sie spielen eine herausragende Rolle im Tarifgeschehen, indem sie über die Mobilisierungsbereitschaft der Mitglieder informieren und die Einhaltung der Tarife überwachen. Die Gewerkschaften vermitteln den Betriebsräten das für die Mitbestimmungspraxis nötige Sachwissen durch Schulung und Beratung.
Durch die zunehmende Verbetrieblichung der Tarifpolitik ist das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft in den letzten Jahren neuen Belastungen ausgesetzt. Die Betriebsräte haben einen relativen Bedeutungszuwachs und die Gewerkschaften einen Bedeutungsverlust erfahren (Schmidt, /Trinczek,  1991; Bispinck, /Schulten,  1999).

VI. BR im Zeichen von Flexibilisierung und shareholder value


Seit Ende der 1980er-Jahre ist die Welt der Unternehmen gravierenden Wandlungen unterworfen, die auch die betriebliche Mitbestimmung nicht unberührt lassen. Die Stichworte sind Dezentralisierung, Flexibilisierung, Globalisierung. Die Shareholder-value-Philosophie wird zum Ausdruck einer gesteigerten Ökonomisierung der Arbeits- und Sozialbeziehungen innerhalb der Unternehmen unter dem Regime von Kapitalmarktstrategien, die bis dahin in Deutschland unbekannte Profitraten vorgeben. Dies hat zahlreiche Autoren zu düsteren Prognosen hinsichtlich des Fortbestands der Mitbestimmung veranlasst. Die Rede ist vom „ Auslaufmodell “ (Streeck,  1999), bzw. vom Ende des „ Rheinischen Kapitalismus “ . Autoren, die institutionentheoretischen Konzepten folgen, gehen dagegen von einer Pfadabhängigkeit der Entwicklung aus, die unterschiedliche Spielarten von Kapitalismus auch in einer globalisierten Welt zulassen.
Als neue Problemzonen der betrieblichen Mitbestimmung sind u.a. zu nennen:

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Durch die Zentralisierung wirtschaftlicher Macht infolge von Unternehmensfusionen und -aufkäufen werden die strategischen Entscheidungen auf eine Ebene verlagert, die für die lokal operierenden Betriebsräte nicht mehr erreichbar ist.

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Durch die Verbetrieblichung der Tarifpolitik, insbesondere durch die in den letzten Jahren stark verbreiteten Standortsicherungsverträge, breitet sich eine Aufweichung kollektiver Normen aus.

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Gleichzeitig findet als Folge von Unternehmensaufsplitterungen, Auslagerung und Netzwerkbildung eine Ent-Betrieblichung statt. Die durchschnittliche Betriebsgröße wird kleiner, der Betriebsrat verliert an Substanz.

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Durch die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und die voranschreitende Individualisierung der Belegschaften geht die soziale Basis verloren.

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Die Shareholder-value-Philosophie marginalisiert die Mitbestimmung grundsätzlich als systemfremd und störend.

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Der subjektivistische Paradigmenwechsel in der Kontrolle der Arbeit, der sich in den Begriffen wie Selbstmanagement, Intrapreneur und Arbeitskraftunternehmer ausdrückt, verändert nachhaltig den traditionellen Interessenbegriff und damit das Verständnis von Mitbestimmung.

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Durch das Wachstum des Dienstleistungssektors und der New Economy breiten sich die mitbestimmungsfreien Zonen aus.


Für einige dieser Bedrohungsszenarien lassen sich aber auch mildernde empirische Beobachtungen ins Feld führen. So wirkte der Auseinanderentwicklung von Unternehmens- und Mitbestimmungsstruktur das BetrVG 2001 entgegen. Die Standortsicherungsvereinbarungen stellen nach entsprechenden Erkenntnissen (Bahnmüller,  2001) keine „ wilde “ , sondern eine kontrollierte Dezentralisierung des Normierungsniveaus unter Beteiligung der Gewerkschaften dar. Ein bemerkenswertes Untersuchungsergebnis war, dass die Einführung der betrieblichen Mitbestimmung in den besonders stark am shareholder value orientierten Unternehmen von der Börse und ihren Analysten nicht abgestraft wurden (Hauser-Ditz, /Höpner,  2001). Der shareholder value hat bisher nicht zu einem Kreuzzug gegen die Mitbestimmung geführt, er hat jedoch über die forcierte Ökonomisierung der Arbeit sehr wohl Auswirkungen auf den Typus der Mitbestimmung. Eine größere Herausforderung stellt allerdings die zunehmende Auflösung des sozialen Zusammenhalts der Belegschaften innerhalb von Unternehmens- und strategischen Netzwerken dar (Sydow, /Wirth,  1999).
Insgesamt ist festzustellen, dass sich das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Management in den 1990er-Jahren nicht verschlechtert hat. Von einer generellen De-Stabilsierung kann keine Rede sein. Es spricht vieles dafür, dass die betriebliche Mitbestimmung zu einem tief verankerten kulturellen Allgemeingut in Deutschland geworden ist, das sich erfolgreich behauptet gegenüber schwankenden Umgebungseinflüssen.
Der Wandel der Betriebsrat-Rolle wird häufig in die Formel gefasst: weg von der reaktiven Arbeitnehmerschutzpolitik und hin zu einer strategisch orientierten Gestaltungspolitik. Tatsächlich trifft diese anspruchsvolle Charakterisierung nur für wenige besonders professionalisierte Betriebsräte in großen Konzernen zu. Viele bewegen sich dagegen noch weitgehend in der Spur reaktiver Schutzpolitik. Sie haben deutliche Vorbehalte gegenüber einem allzu forcierten Co-Management (Bergmann,  2001; Seitz,  2001).
Die Betriebsräte stehen unter der Herausforderung, die neuen Organisationsprinzipien und Arbeitsformen auch auf sich selbst anzuwenden. Projektmanagement im Betriebsrat-Gremium und beteiligungsorientierte Arbeit sind die Meilensteine eines Umdenkungs- und Modernisierungsprozesses, dessen Erfolg nach vorliegenden Erkenntnissen (Frerichs, /Martens,  1999) durch eine externe professionelle Beratung erheblich gesteigert werden kann.

VII.  „ Mitbestimmungsfreie Zonen “ : Kleinbetriebe und Dienstleistungsbetriebe


Das Vorhandensein von Betriebsräten ist ebenso wie die Höhe des gewerkschaftlichen Organisationsgrades stark von der Betriebsgröße abhängig. Von den Kleinstbetrieben (5 – 20 Beschäftigte) haben nur 4% einen Betriebsrat (der hier nur aus einem Betriebsobmann besteht), von den kleinen Betrieben mit 21 – 50 Beschäftigten 16% (Wassermann,  2000) und von den kleinen Mittelbetrieben mit 51 – 100 Beschäftigten ca. 50%. Jedoch ab einer Größe von 150 – 300 Beschäftigten (Mittelbetriebe) ist seit etwa zwei Jahrzehnten in Industriebetrieben ein Betriebsrat üblich. Entgegen der leichtgängigen Wortverknüpfung „ Klein- und Mittelbetrieb “ besteht zwischen beiden ein deutlicher Unterschied. Die geringe Verbreitung der institutionalisierten Mitbestimmung in Kleinst- und Kleinbetrieben wird von einigen Autoren, die die Anforderungen aus gewerkschaftlicher Sicht einheitlich über alle Betriebsgrößenklassen legen, als Mitbestimmungsdiaspora kritisiert. Andere Autoren betonen dagegen mehr die Besonderheiten dieser Betriebe, in denen in vielen Fällen auch ohne Rückgriff auf die Institutionen des BetrVG Mitbestimmung stattfindet (Schattenpartizipation; vgl. Hilbert, /Sperling, /Fretschner,  1999).
In Dienstleistungsbetrieben kumulieren sich zwei Faktoren, die die Bildung von Betriebsräten erschweren. Sie sind zu einem noch höheren Anteil als in der Industrie Klein- und Kleinstbetriebe. Hinzu kommt, dass die Angestelltenkultur eine große Distanz zur Gewerkschaft aufweist. Dennoch sind in den größeren Angestelltenbetrieben, auch solchen mit einem hohen Anteil an hochqualifizierten (akademisch ausgebildeten) Angestellten, Betriebsräte immer mehr eine Selbstverständlichkeit geworden. Diese unterscheiden sich aber von den Betriebsräten in der Industrie: sie stehen in keiner Symbiose mit der Gewerkschaft, für sie ist der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ein fremdes Bezugsfeld, sie repräsentieren vielmehr den individualistischen unternehmerisch orientierten Leistungsträger. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass sich dieses hochqualifizierten-typische gewerkschaftsferne Verhaltensmuster auch auf andere Bereiche mit einer mittleren Qualifikationsstruktur ausbreitet. Hier liegt möglicherweise eine der größten für die nächste Zeit zu erwartenden Veränderung der betrieblichen Mitbestimmung.

VIII. BR in Ostdeutschland


In Ostdeutschland war die Einführung von Betriebsräten geprägt durch die Restriktionen einer Privatisierung unter Schock. Die wirtschaftliche Dauerkrise ließ keine Phantasie aufkommen für mitbestimmungspolitische Spielräume, es ging unentwegt ums Überleben. Auf diesem kargen Boden wuchs ein notgedrungenes Co-Management heran, das noch ökonomischer ist als in westdeutschen Betrieben (Schmidt,  1998; Kädtler, et al. 1997). Die Distanz zur Gewerkschaft ist groß und die Unterstützung durch die verängstigte Belegschaft gering. Die Tarifbindung der Arbeitgeber ist schwach, und auch diejenigen, die im Arbeitgeberverband sind, unterlaufen nicht selten mit stillschweigender Billigung der Betriebsräte geltende Tarifnormen.

IX. Ausblick


Die Mitbestimmung durch den Betriebsrat ist in Deutschland vor allem durch die Initiative des Staates zu einem industriellen Bürgerrecht geworden, das in einem jahrzehntelangen Kampf um Anerkennung in der betrieblichen Praxis Gestalt angenommen hat. Sie ist zu einem Modell der Gestaltung von Interessenvertretung in Organisationen geworden, das nicht mehr allein auf die Arbeitswelt beschränkt ist, sondern das auf das Handeln in anderen Organisationsfeldern, von den Schulen bis zu den Kirchen, beispielgebend ausstrahlt. Diese jüngere Erfolgsgeschichte der betrieblichen Mitbestimmung ereignete sich vor dem Hintergrund von „ skandalös “ hoher Arbeitslosigkeit, eines tiefgreifenden Wandels von Arbeit und Organisation, und eines häufig beschworenen Wertewandels. Insbesondere die Konkurrenz mit anderen weniger mitbestimmten Systemen der industriellen Beziehungen, denen das deutsche Modell infolge der Globalisierung der Wirtschaft ausgesetzt ist, ließ seinen Niedergang befürchten. Diese Prognosen haben sich als falsch erwiesen. Die betriebliche Mitbestimmung und die in ihrem Rahmen praktizierte kooperative Konfliktverarbeitung erfreuen sich einer recht hohen Stabilität. Das schließt – auch weitreichende – Veränderungen für die Zukunft nicht aus. Diese sind in folgenden Richtungen zu erwarten:
Die betriebliche Mitbestimmung wird sich mehr und mehr aus ihren Praxis- und Symbolformen in der industriellen Fertigung herauslösen und Formen entwickeln, die mehr den Arbeitswelten in den alten und neuen Dienstleistungsbereichen angepasst sind. Die Betriebsräte werden distanzierter gegenüber der Gewerkschaft. Das beiderseitige Verhältnis wird mehr den Charakter einer „ neutralen “ Dienstleistungsbeziehung annehmen. Die Arbeitsbedingungen werden weniger einheitlich und damit weniger zugänglich für kollektive Regelungen sein. Das wird zu einer noch stärkeren Pluralisierung der Handlungsbedingungen der BR führen.
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