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Betriebsverfassung


Inhaltsübersicht
I. Begriff und Funktion
II. Historische Entwicklung
III. Recht und Organisation der Betriebsverfassung
IV. Wirkungen der Betriebsverfassung
V. Internationaler Vergleich

I. Begriff und Funktion


Die Betriebsverfassung regelt für den Betrieb als dem administrativen und operativen System der Unternehmung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern die Verteilung der Verfügungsrechte (Legitimationsproblem) und die Informations- und Entscheidungsprozesse (Organisationsproblem). Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Begründung und Gestaltung der Betriebsverfassung ist der Arbeitsvertrag. Aus juristischer Sicht handelt es sich hierbei um ein Dauerschuldverhältnis. Wegen der Unmöglichkeit, insb. die Gegenleistung des Arbeitnehmers ex ante abschließend zu regeln (unvollständiger Vertrag), ist dem Arbeitgeber die Direktionsbefugnis gegenüber dem Arbeitnehmer eingeräumt (§ 315 BGB). Zweck der Betriebsverfassung ist es, die Möglichkeit des Arbeitgebers zu nachvertraglichem Opportunismus durch die Zuweisung von Informationsrechten und Mitentscheidungskompetenzen an Arbeitnehmer zu beschränken.

II. Historische Entwicklung


Die Idee einer betrieblichen Mitbestimmung ist „ im Grunde so alt wie das Fabrikwesen in Deutschland “ (Teuteberg,  1961, S. XIII). Sozialreformer im Bürgertum und in der preußischen Ministerialbürokratie entwickelten aus sozialethischen, ökonomischen und politischen Gründen und als Teil einer Integrationsstrategie zur Lösung der sozialen Frage das Konzept der konstitutionellen Fabrik. In der Frankfurter Nationalversammlung (1848/49) diskutierte man den Entwurf einer Gewerbeordnung, der die Bildung von Fabrikausschüssen vorsah. Mit der Gewerbeordnungsnovelle 1891 wurde die Errichtung von fakultativen Arbeiterausschüssen erstmals vom Gesetzgeber institutionalisiert. Obligatorisch wurden diese dann durch das Berggesetz für das Königreich Bayern (1900) und das preußische allgemeine Berggesetz (1905) nach einem großen Streik. Die Einstellung gegenüber den Arbeitsausschüssen war nicht nur auf Seiten der Unternehmer, sondern auch bei den Gewerkschaften und in der Sozialdemokratie negativ. Eine für das Verständnis der deutschen Betriebsverfassung bedeutsame Wende vollzog sich 1916 mit dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst, das für gewerbliche Betriebe mit mindestens 50 Beschäftigten obligatorische Arbeiterausschüsse postulierte. Die Gewerkschaften wurden vom Staat anerkannt und akzeptierten ihrerseits die obligatorischen Arbeiterausschüsse in der gesamten Industrie. Diese Kooperation fand ihre Fortsetzung mit dem Betriebsrätegesetz von 1920. Hierdurch wurden die Institutionen des Betriebsrates und weitere zentrale Elemente der heutigen Betriebsverfassung kodifiziert. Der Betriebsrat sollte nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer wahrnehmen, sondern auch den Arbeitgeber bei der Erfüllung des Betriebszweckes unterstützen. Weiter hatte er die Gesamtbelegschaft zu repräsentieren und war an die betriebliche Friedenspflicht gebunden. Ferner wurde der Vorrang des Tarifvertrages gegenüber der Betriebsvereinbarung festgeschrieben, was in der Praxis zu einer „ Vergewerkschaftlichung des Betriebsrätewesens “ (Brigl-Matthiaß,  1978, S. 30) führte.
Ein Bruch in der Entwicklung der Betriebsverfassung bedeutete 1934 das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit. Es beseitigte die Betriebsräte und die betriebliche Mitbestimmung und ersetzte sie durch eine autoritäre Betriebsverfassung, die den Unternehmer als „ Führer des Betriebes “ einsetzte. Nach dem Krieg wurde durch das Kontrollratsgesetz Nr. 22 von 1946 die Errichtung von Betriebsräten wieder zugelassen; nach Ländergesetzen (1948 – 1950) folgte 1952 eine bundeseinheitliche Regelung. Das BetrVG 1952 stand in der Tradition des Betriebsrätegesetzes 1920, versuchte jedoch den gewerkschaftlichen Einfluss in den Betrieben zurückzudrängen. Das BetrVG 1972 behielt die grundlegenden Strukturen der Betriebsverfassung bei und baute die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aus. Es erleichterte auch wieder die Kooperation zwischen Gewerkschaften und Betriebsrat unter Beibehaltung der formalen Trennung. Durch den Erlass neuer bzw. die Änderung anderer arbeitsrechtlicher Gesetze mit mittelbarer Auswirkung wurde das BetrVG weiterentwickelt (Fitting, et al. 2006). Hierbei nimmt das Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (1988) eine Sonderstellung ein. 1990 wurde durch den Einigungsvertrag das BetrVG, wie das gesamte Arbeitsrecht, auf die neuen Bundesländer übertragen.
1994 wurde nach 20jähriger Diskussion die EG-Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen verabschiedet. Die strategische Bedeutung dieser Richtlinie liegt darin, dass hier erstmals die Möglichkeit eröffnet wurde, durch Kollektivvereinbarungen situationsgerechte Mitbestimmungsstrukturen herzustellen. Diese Öffnung der gesetzlichen Betriebsverfassung für eine verhandelte Mitbestimmung ist ein zentrales Element der Reform des BetrVG im Jahre 2001.

III. Recht und Organisation der Betriebsverfassung


1. Rechtliche Rahmenbedingungen


Rechtliche Grundlage der deutschen Betriebsverfassung ist das BetrVG 1972, zuletzt geändert durch das BetrV-ReformG vom 28.7.02001. Das BetrVG ist Teil des kollektiven Arbeitsrechts. Es erfasst alle Betriebe mit in der Regel mindestens 5 ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern. Das BetrVG konstituiert jedoch keine Zwangsordnung. In einem betriebsratsfähigen, aber betriebsratslosen Betrieb sind allein die §§ 81 – 84 (Individualrechte der Arbeitnehmer) anzuwenden. Den Schutz des Gesetzes genießen nur diejenigen Arbeitnehmer, die nicht Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer anderer juristischer Personen und Personengesellschaften sind oder eine Stellung als Leitende Angestellte innehaben (§ 5). Der Ausschluss der genannten Personen ergibt sich aus ihrer Arbeitgeberrolle im Unternehmen.
Die Betriebsverfassung ist Teil eines Systems der Beteiligung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Entscheidungen. Die Möglichkeit hierzu bietet zum einen der erstreikbare Kollektivvertrag und zum anderen die institutionalisierte Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und durch den Betriebsrat. Die betriebliche Mitbestimmung ist hier in doppelter Hinsicht nachgeordnet. Während die Aufsichtsratsmitbestimmung sich auf die unternehmenspolitischen Entscheidungen bezieht, hat die betriebliche Mitbestimmung die daraus resultierenden Folgeentscheidungen zum Gegenstand. Ferner gilt der Vorrang des Tarifvertrages vor der zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ausgehandelten Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 3).

2. Organisation der Betriebsverfassung

a) Das gesetzliche Basismodell


Das Organisationsmodell der Betriebsverfassung ergibt sich aus der Interaktion der Gremien der Arbeitgeberseite (Betriebsleitung) und der Arbeitnehmerseite (Betriebsrat, Wirtschaftsausschuss, Betriebsversammlung) sowie der (gemeinsamen) Einigungsstelle.
Entscheidungsgremien: Der Betriebsrat wird von der Gesamtheit der Belegschaft auf 4 Jahre gewählt. Zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen sind dem Betriebsrat variierende Beteiligungsrechte (Mitwirkung, Mitbestimmung) eingeräumt in sozialen Angelegenheiten (§§ 87 – 89 sowie §§ 90, 91), in personellen Angelegenheiten (§§ 92 – 105) und in sogenannten wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 106 – 113). Um die Koordination zwischen den Betrieben eines Unternehmens bzw. eines Konzerns zu ermöglichen, ist die Einrichtung eines obligatorischen Gesamtbetriebsrates (§ 47 ff.) und eines fakultativen Konzernbetriebsrates (§§ 54 ff.) vorgesehen. In allen Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern ist ein Wirtschaftsausschuss zu bilden, dessen Aufgabe es ist, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten (§ 106). Der Interaktion zwischen Betriebsrat und Arbeitnehmern des Betriebes dient die Betriebs- bzw. Abteilungsversammlung (§ 42), in der jedoch keine Entscheidungen getroffen werden. Um im Konfliktfall zu einer Entscheidung zu kommen, können Betriebsleitung und Betriebsrat eine Einigungsstelle errichten (§ 76).
Entscheidungsprozess: Die Beschlussfassung im Betriebsrat erfolgt mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder (§ 33). Bei Beschlüssen ist der Betriebsrat weder von der Belegschaft noch von den Gewerkschaften weisungsabhängig. Der Entscheidungsprozess zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat ist durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers und die jeweiligen Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates determiniert. In diesem Rahmen sollen Betriebsrat und Arbeitgeber vertrauensvoll zusammenarbeiten und bei ihren Entscheidungen sowohl das Wohl der Arbeitnehmer wie auch des Betriebes verfolgen (§ 2 Abs. 1). Den betrieblichen Parteien sind ferner Maßnahmen des Arbeitskampfes (Streik, Aussperrung) untersagt (§ 74 Abs. 2). Wird keine Einigung erzielt, kommt bei den Mitbestimmungsrechten die Einigungsstelle als Konfliktlösungsmechanismus zum Zuge. Eine Pattsituation wird dort durch die Stimme des neutralen Vorsitzenden aufgelöst.
Informationssystem: Der Betriebsrat erhält die zur Durchführung seiner Aufgaben und Rechte notwendigen Informationen vom Arbeitgeber (§ 80 Abs. 2). Von besonderer Bedeutung ist hier der Wirtschaftsausschuss, in dem der Betriebsrat die erforderlichen Rahmeninformationen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen für die Personalplanung erhalten soll. Diese sowie alle sonstigen Planungs- und Kontrollinformationen müssen vom Arbeitgeber rechtzeitig und umfassend gegeben werden. Er hat jedoch bei wirtschaftlichen Angelegenheiten aus Wettbewerbsgründen ein Informationszurückbehaltungsrecht, wenn er Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gefährdet sieht (§ 106 Abs. 2). Wird der Betriebsrat über solches unterrichtet, so ist er zu Geheimhaltung verpflichtet (§ 79).

b) Verhandelte Betriebsverfassung


Das gesetzliche Organisationsmodell der Betriebsverfassung geht implizit von einer funktionalen Organisationsstruktur aus und wird so der Vielfalt der intra- und interorganisationalen Organisationsformen in der Unternehmenspraxis nicht gerecht (Gerum,  1997, S. 185 ff.). Die Varianz der Organisationsstrukturen und Betriebstypen wird weiter durch die Konzerndimension überlagert und gesteigert. Aus Effizienzgründen werden ferner zunehmend prozessorientierte Produktionsstrukturen mit teamorientierter Arbeitsorganisation realisiert, wodurch die Forderung nach Mitbestimmung am Arbeitsplatz und damit die Ausdifferenzierung der Arbeitsbeziehungen im Betrieb zur Debatte steht. Ausdruck der Prozessorientierung sind ferner die sich an der Wertschöpfungskette orientierenden interorganisationalen Kooperationen in Form von „ logistischen Ketten “ (Nagel, /Riess, /Theis,  1990), die den Rahmen der gesetzlich organisierten Betriebsverfassung sprengen (Sydow,  1997; Gerum, /Achenbach, /Opelt,  1998).
Um die Betriebsratsorganisation an die Entscheidungsstrukturen in Unternehmen, Konzern und Netzwerk flexibel anpassen zu können, ist es erforderlich, die zwingende Verbindung von Betrieb und Betriebsrat zur Disposition zu stellen und Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern nach dem schwedischen Modell der verhandelten Mitbestimmung (Gerum, /Steinmann,  1984) das Recht zur Vereinbarung alternativer Betriebsratsorganisationen einzuräumen. Diese Problemlösung hat der Gesetzgeber mit dem BetrV – ReformG 2001 realisiert. Nach § 3 können durch Tarifvertrag, subsidär durch Betriebsvereinbarung, vom Gesetz abweichende Regelungen vereinbart werden. Dadurch ergeben sich als Gestaltungsoptionen etwa: 1 Unternehmen = 1 Betriebsrat, Regionalbetriebsräte, Spartenbetriebsräte (betriebs-, unternehmens-, konzernübergreifend), vereinfachte Betriebsratsorganisation im Mittelstandskonzern, Konzernbetriebsrat im Gleichordnungskonzern oder übergreifende Betriebsräte und Arbeitsgemeinschaften bei Netzwerkstrukturen (just-in-time, fraktale Fabrik, Shop-in-Shop). Ferner können nach § 28a durch eine „ Rahmenvereinbarung “ mit dem Arbeitgeber Aufgaben des Betriebsrates an Arbeitsgruppen in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern delegiert werden. Eine Übertragung kommt insbesondere bei Gruppenarbeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 13 in Frage, aber auch bei sonstiger Team- und Projektarbeit.
Diese organisatorischen Öffnungsklauseln bieten Personalmanagement und Betriebsrat die Möglichkeit zu einer effektiven und effizienten Ausgestaltung der Betriebsverfassung und Handhabung der betrieblichen Entscheidungsprozesse.

IV. Wirkungen der Betriebsverfassung


1. Soziale Effektivität


Nach einer Längsschnittsuntersuchung existierten 1975 nur in 1/3 der Betriebe eine wirksame, d.h. der Leitidee des BetrVG 1972 entsprechende betriebliche Interessenvertretung. 1990 dagegen verfügten 2/3 der Betriebe über sowohl konflikt- als auch kooperationsfähige Betriebsräte (Kotthoff,  1994). Als Grund für diesen Wandel werden nicht primär Konflikte um materielle Arbeitsbedingungen gesehen, sondern ein Kampf um die moralische Anerkennung der Arbeitnehmer als Vollmitglieder im Betrieb (betriebliches Bürgerrecht). Deuten diese Befunde auf eine gesteigerte Effektivität des BetrVG hin, so erlitt es andererseits durch die massiven Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation von Unternehmen einen gravierenden „ Realitätsverlust “ . Dem will das BetrV-ReformG 2001 abhelfen.

2. Ökonomische Wirkungen


Die Errichtung der Institutionen des BetrVG (Betriebsräte, Betriebsversammlungen, Wirtschaftsausschuss, Einigungsstelle) und deren Arbeit (Infrastruktur, Freistellung, Weiterbildung, Verfahrenskosten) verursachen Kosten (Niedenhoff,  1999). Diese gesetzlich induzierten Kosten können nur vermieden werden, wenn kein Betriebsrat existiert oder seine Einrichtung verhindert wird. Eine solche Verhinderungsstrategie verursacht jedoch ebenfalls Kosten, die durch den offenen oder versteckten Widerstand der Arbeitnehmer entstehen und durch die Verhandlungen und Anreize, um die Belegschaft zum Verzicht auf einen Betriebsrat zu bewegen. Produktive Arbeitsbeziehungen sind in keinem Fall kostenlos.
Zum Einfluss der Betriebsratsmitbestimmung auf Produktivität, Profitabiliät und Investitionsverhalten bieten die empirischen Studien zum BetrVG 1972 nur schwach signifikante und widersprüchliche Ergebnisse (Sadowski,  1997, S. 53 ff.). Unabhängig davon werden der Mitbestimmung als Collective-Voice-Institution aufgrund theoretischer Überlegungen und empirischer Befunde als Wirkung zugesprochen: Verbesserung des Kommunikationsflusses und der Entscheidungsqualität, erleichterte Durchsetzung getroffener Entscheidungen, Human-Resource-Management und Verlängerung des Planungshorizonts, Verringerung von Fehlzeiten und arbeitnehmerseitigen Beschwerden sowie eine optimierte Implementation von regulativen Gesetzen. Ob diese Kooperationsrenten erzielt werden, hängt jedoch von der von den Unternehmen verfolgten Produktionsstrategie und der Existenz und dem Verhalten der Betriebsräte als situativen Einflussgrößen ab (Sadowski,  1997, S. 72 ff.). Hängt die Höhe des Outputs insbesondere von der Einsatzbereitschaft und Flexibilität der Arbeitnehmer ab (Produktionsstrategie), existiert ein Betriebsrat und verfolgt dieser eine aktive, auf Kooperation zielende Strategie, dann werden die für beide Seiten vorteilhaften Kooperationsrenten entstehen. Bei einer Konfliktstrategie dagegen ist dies nicht zu erwarten.

V. Internationaler Vergleich


Für den Vergleich der Formen der Arbeitnehmerbeteiligung, insbesondere in Europa, ist es sinnvoll, sich auf Strukturfragen zu konzentrieren, um Trends deutlich werden zu lassen (Junker,  2001). Bei der Frage, ob die Arbeitnehmerbeteiligung auf einem Gesetz (legalistisches System) oder Tarifverträgen beruht (korporatistisches System) geht der Trend klar zur gesetzlichen Regelung. Dies belegen nicht nur die Regelungen in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Schweden, sondern auch in Frankreich, Belgien und zuletzt in Spanien. Die Rechte der gewerkschaftlichen Shop Stewards in Großbritannien beruhen dagegen auf Tarifverträgen. Betriebstarifverträge füllen in Italien die rudimentären gesetzlichen Regelungen aus. Zur Frage, ob die Arbeitnehmervertretung allein von den Gewerkschaften getragen wird (Identitätsprinzip) oder rechtlich selbstständig neben der Gewerkschaftsorganisation besteht (Trennungsprinzip), geht der Trend zur Loslösung von den Gewerkschaften. Das Trennungsprinzip findet sich in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Frankreich und Spanien. Die Ausnahme bilden wieder Großbritannien und Italien. Bei der Frage, ob die Arbeitnehmervertretung interessenhomogen (monistisches System) zusammengesetzt ist oder der Arbeitgeber Mitglied diese Gremiums ist (dualistisches System), geht der europäische Trend mit Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden sowie Spanien zum monistischen System. Ein gemischtes Gremium findet sich dagegen in Belgien und Frankreich. Im amerikanischen Arbeitsrecht existieren keine Betriebsräte und keine anderen formalen Mechanismen der Arbeitnehmervertretung. Auch die Gewerkschaften sind in den meisten amerikanischen Unternehmen nicht repräsentiert. Ferner existieren in Japan keine Betriebsräte. Eine parallele, wenn auch wesentlich weniger unabhängige Rolle bei der Interessenvertretung spielen in großen Unternehmen die Betriebsgewerkschaften.
Im Ergebnis besteht eine erhebliche Vielfalt der Arbeitsbeziehungen auf betrieblicher Ebene, trotz Konvergenzbestrebungen in Europa. Unabhängig davon lassen sich in den entwickelten Industrienationen zwei Trends feststellen (Thelen, /Turner,  1997): Zum einen besteht ein starkes und zunehmendes Interesse der Arbeitgeber an stabilen, zuverlässigen und einheitlichen Verhandlungspartnern, um die Anpassungsprobleme infolge hoher marktlicher Umweltdynamik besser bewältigen zu können. Zum anderen wird das Verhältnis zwischen betrieblicher und überbetrieblicher Interessenvertretung der Arbeitnehmer neu zu bestimmen versucht. Der Trend geht hier zu Dezentralisierung der Tarifverhandlungen, insbesondere für betriebsspezifische Fragen. Im Ergebnis wird damit die Problemverarbeitungskapazität auch der deutschen Betriebsverfassung getestet werden.
Literatur:
Brigl-Matthiaß, K. : Das Betriebsräteproblem in der Weimarer Republik, 2. A., Berlin et al. 1978
Däubler, W./Kittner, M./Klebe, T. : Betriebsverfassungsgesetz – Kommentar für die Praxis, 9. A., Frankfurt 2004
Fitting, K. : Betriebsverfassungsgesetz – Handkommentar, 22. A., München 2006
Gerum, E. : Betriebsverfassung im Wandel – Strukturprobleme und Reformansätze, in: Zeitschrift für Personalforschung, Jg. 11, 1997, S. 183 – 194
Gerum, E./Achenbach, W./Opelt, F. : Zur Regulierung der Binnenbeziehungen von Unternehmensnetzwerken, in: Zeitschrift Führung + Organisation, Jg. 67, 1998, S. 266 – 270
Gerum, E./Steinmann, H. : Unternehmensordnung und tarifvertragliche Mitbestimmung, Berlin 1984
Junker, A. : Betriebsverfassung im europäischen Vergleich, in: Zeitschrift für Arbeitsrecht, Jg. 32, 2001, S. 225 – 243
Kotthoff, H. : Betriebsräte und Bürgerstatus, München 1994
Nagel, B./Riess, B./Theis, G. : Der Lieferant on line – Just-in-time-Produktion und Mitbestimmung in der Automobilindustrie, Baden-Baden 1990
Niedenhoff, H. U. : Die Praxis der betrieblichen Mitbestimmung, Köln 1999
Sadowski, D. : MitbestimmungGewinne und Investitionen, Gütersloh 1997
Sydow, J. : Mitbestimmung und neue Unternehmungsnetzwerke, Gütersloh 1997
Teuteberg, H. J. : Geschichte der industriellen Mitbestimmung in Deutschland, Tübingen 1961
Thelen, K./Turner, L. : German Codetermination in Comparative Perspective, Gütersloh 1997

 

 


 

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