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Unternehmensführung (Management)


Inhaltsübersicht
I. Unternehmensführung als Disziplin
II. Institutionelle Managementlehre
III. Funktionale Managementlehre
IV. Neue Logik des Managementprozesses
V. Schluss

I. Unternehmensführung als Disziplin


Die Lehre von der Unternehmensführung hat in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre lange Zeit nicht den Stellenwert gehabt, der ihr heute zuerkannt wird und der ihr im angloamerikanischen Raum von Anfang an zukam. Unternehmensführung ist das Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre, das sich mit Steuerungsfragen und -funktionen beschäftigt. In den letzten Jahren bürgert es sich immer mehr ein, das Gebiet nicht mehr als Unternehmensführung, sondern als Management zu bezeichnen. Die Idee, Steuerungsfragen aus dem Kontext betrieblicher Problemstellungen isolierend herauszugreifen und zu einem eigenständigen wissenschaftlichen Teilgebiet zu verdichten, wurde im deutschsprachigen Raum wohl auch deshalb lange Zeit nicht so recht aufgegriffen, weil dort traditionell eine ganzheitliche Betrachtung von Betrieben ausgewählter Branchen im Vordergrund stand: Handelsbetriebslehre, Industriebetriebslehre, Bankbetriebslehre, Versicherungsbetriebslehre usw. Die im anglo-amerikanischen Raum bevorzugte Differenzierung nach betrieblichen Funktionen wurde erst später auch hier zur dominierenden Leitlinie. Heute stellt sich die Unternehmensführungs- bzw. Managementlehre als fest verankertes Forschungs- und Lehrgebiet in allen betriebswirtschaftlichen Ausbildungsgängen dar.
Die theoretischen Bemühungen um eine Unternehmensführungswissenschaft waren von Anfang an durch zwei unterschiedliche Perspektiven gekennzeichnet, und zwar einerseits die institutionelle und andererseits die funktional-prozessuale Perspektive (Fischer, Guido 1966; Steinmann, Horst 1981).
Mit „ Unternehmensführung als Institution “ wird, generell gesprochen, die Gesamtheit der Instanzen oder eben der konkrete Personenkreis fokussiert, der arbeitsteilig in Unternehmen – oder allgemeiner in Organisationen – mit Führungsaufgaben betraut ist.
Der funktional-prozessuale Ansatz der Unternehmensführung stellt dagegen ganz allgemein auf alle die Handlungen ab, die zur erfolgreichen Steuerung eines Betriebes erforderlich sind, und zwar unabhängig davon, auf welcher Führungsebene sie anfallen.

II. Institutionelle Managementlehre


Das Spektrum der institutionell ausgerichteten Managementforschung ist breit gesteckt. Es reicht von strukturellen Betrachtungen der speziellen Personengruppe (dem Management, den Unternehmern usw.) über Fragen der Rolle von Management und Unternehmern in der Gesellschaft bis zu Problemen der Unternehmensordnung oder spezieller der Corporate Governance.
Der erstgenannte Forschungsbereich interessiert sich für Herkunft, Erziehung, Einstellungen, Rekrutierungsmechanismen von Eliten, spezielle Arbeitsmärkte und/oder Wandel in der Gruppe des Managements (Pross, Helge 1965; Albach, Horst 1988; Staehle, Wolfgang H. 1999). Ausgangspunkt dieser Studien ist ein primär demographisches Interesse, das seit den 1970er Jahren auch kritisch überlagert wurde durch Fragen nach Herrschaftssicherung und sozialer Durchlässigkeit. Seit einiger Zeit erlebt diese Art der Forschung eine starke Renaissance unter dem Stichwort: Entrepreneurship und Fragen nach den Persönlichkeitsmerkmalen und Fähigkeitsprofilen von Entrepreneurs (u.a. Müller, Alfred/Glauner, Wolfgang 1999). Zu diesem Forschungskreis sind auch Studien zu zählen, die nach Macht und Einfluss von Unternehmen und Führungspersönlichkeiten in der modernen Gesellschaft fragen und eine institutionelle oder ethische Bindung dieser Macht fordern (Mason, Edward S. 1958; Steinmann, Horst 1969; Kaufmann, Allen/Zacharias, Lawrence/Karson, Marvin 1995).
Der zweite Kreis institutioneller Forschungsstudien rankt sich um Fragen der Unternehmensordnung, später ergänzt um Problemstellungen der sog. Corporate Governance sowie der Unternehmensethik. Studien zur Unternehmensordnung zentrieren sich im Wesentlichen um zwei Fragen (Steinmann, Horst 1969):

-

Welche Interessengruppen sollen die Unternehmenspolitik bestimmen?

-

Wie ist die Führungsorganisation auszugestalten, damit die Unternehmensinteressen zur dauerhaften Richtschnur des betrieblichen Handelns werden?


Die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion um die erste Frage ist immer wieder neu aufgeflammt (Gerum, Elmar 2000). Den interessenmonistischen Verfassungsentwürfen der liberalen Wirtschaftstheorie, die ausgerichtet auf das erwerbswirtschaftliche Prinzip eine Einheit von Kapitalrisiko, Verfügungsmacht und Gewinn postulieren, stehen interessenpluralistische Entwürfe in reformerischer Absicht gegenüber (Steinmann, Horst 1969; Ulrich, Peter 1977). Um diese – auch politisch brisanten – Fragestellungen ranken sich zahlreiche Anschlussthemen, die hier nur kurz aufgelistet werden sollen: Stakeholder Ansatz (Freeman, R. Edward 1984; Post, James E./Sachs, Sybille/Preston, Lee E. 2002), Shareholder Value als reformuliertes Unternehmensziel, oder Mitbestimmung (Osterloh, Margit 1993; Gerum, Elmar 2004).
Die Beantwortung der zweiten Grundfrage, also der interessengerechten institutionellen Ausgestaltung der obersten Unternehmensorgane, war in nach dem liberalen Grundprinzip geordneten Unternehmen so lange kein größeres Problem, wie sie von den Eigentümern geleitet wurden, die Träger des Unternehmensinteresses und die Leitung der Geschäfte also eine personelle Einheit bildeten. Zu einem organisatorischen Problem wurde die zweite Grundfrage erst dort, wo Eigentum und Geschäftsleitung auseinander fielen, also in der Aktiengesellschaft. Um (breit) gestreuten Anteilsbesitz zu ermöglichen, dennoch aber das Basisprinzip der Einheit von Eigentum und Verfügungsgewalt zu wahren, ersann der Gesetzgeber die Kapitalgesellschaft, insb. die Aktiengesellschaft.
Im Vordergrund der betriebswirtschaftlichen Diskussion der zweiten Frage der Unternehmensordnung steht die geeignete Organisationsform der Leitungsspitze sowie diejenigen Entscheidungen, die auf dieser Führungsebene zu fällen sind. Bei der Frage der Organisationsform gilt das vornehmliche Interesse den Alternativen: Trennungsmodell (Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat) oder Vereinigungsmodell (amerikanisches Boardmodell), sowie die Frage nach der Vorziehenswürdigkeit des Direktorial- oder des Kollegialprinzips.
Ordnungssoll und Wirklichkeit stehen im Zentrum der Studien zur Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt, die seit den 1930er-Jahren auf eine faktische verselbständigte Managerherrschaft verweisen (Berle, Adolf A./Means, Gardiner C. 1968; Beyer, Jürgen 1998; Schreyögg, Georg 1999). Die faktischen wahrgenommen Aufgaben und die Funktionstüchtigkeit des Aufsichtsrats bilden einen daran direkt anschließenden Diskussionsschwerpunkt (Schreyögg, Georg/Papenheim-Tockhorn, Heike 1995; Theisen, Manuel 2001). Ferner gilt – ebenfalls daran anschließend – das Interesse den Möglichkeiten, Kleinaktionäre zu aktivieren oder der Kontrollausübung durch Pensionsfonds, um die liberale Einheit von Eigentum und Verfügungsgewalt wieder herzustellen (Jensen, Michael C. 1989; Baums, Theodor/Fraune, Chistian 1995).
Gutenberg (Gutenberg, Erich 1962) hat früh die Frage der Entscheidungshierarchie zu einem Diskussionsschwerpunkt der institutionellen Forschung gemacht. Er ordnet der obersten Führungsgruppe die sog. echten Führungsentscheidungen zu, d.h. Entscheidungen mit existentieller Bedeutung für den Bestand und die Zukunft des Unternehmens, die aufgrund ihrer weitreichenden Konsequenzen nicht delegiert werden dürfen (vgl. auch v.Werder, Axel v. 1997). Als echte Führungsentscheidung in diesem Sinne gilt z.B. die Festlegung der Unternehmenspolitik, die Koordinierung der großen Teilbereiche oder die Besetzung der Führungsstellen. Es hat sich im Fortlauf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung allerdings gezeigt, dass die dahinter liegende Vorstellung hierarchisch und prozedural klar abtrennbarer Entscheidungsverläufe nicht haltbar ist. Empirische Entscheidungsstudien zeigen weit verzweigte, „ ordnungswidrige “ Entscheidungsverläufe, die nicht selten zu Ergebnissen führen, die so ursprünglich niemand angestrebt hat (Witte, Eberhard 1968; Burgelman, Robert A. 2002).

III. Funktionale Managementlehre


Versteht man Management im funktionalen Sinne, so sind alle Handlungen Gegenstand, die der Steuerung und Sicherstellung des organisatorischen Leistungsprozesses dienen. Im Zentrum des Interesses steht ein Bündel von Aufgaben, die erfüllt werden müssen, damit ein Unternehmen seine Ziele erreichen und seinen Bestand sichern kann. In der Managementlehre ist man schon früh daran gegangen, das Konglomerat aus faktisch anfallenden und/oder für die Erhaltung des Systembestandes erforderlichen Aufgaben systematisierend zu ordnen, mit dem Ziel, die Vielfalt der Einzelaufgaben zu sinnfälligen Aufgabenklassen – später: Managementfunktionen – zu verdichten.
Am meisten Akzeptanz hat dabei zweifellos der – fast schon klassisch zu nennende – Fünferkanon gefunden, wie ihn Koontz und O\'Donnell (Koontz, Harold/O\'Donnell, Cyril 1955) nach vielen Vorläuferstudien schließlich herausgeschält haben:

-

Planung (planning),

-

Organisation (organizing),

-

Personaleinsatz (staffing),

-

Führung (directing),

-

Kontrolle (controlling).


Für gewöhnlich werden diese Funktionen nicht als einfache Liste verschiedener Einzelaufgaben begriffen, sondern vielmehr im Sinne einer logischen Abfolge zueinander in Beziehung gesetzt, sodass die Vorstellung eines Prozesses entsteht: der Managementprozess (vgl. Abb. 1).
Unternehmensführung (Management)
Abb. 1: Der klassische Managementprozess (Quelle: In Anlehnung an Mackenzie, R. Alec 1969)
Den Ausgangspunkt bildet die Planung, d.h. das systematische Durchdenken der Handlungsfelder, die Festlegung des gewollten Zustandes und die Auswahl der zu seiner Erreichung geeigneten Maßnahmen. Die Planung entwirft eine gewollte Ordnung, sowohl für das gesamte System wie auch für die einzelnen Teile.
Der planerischen Willensbildung folgt die Willensdurchsetzung mit den drei Funktionen Organisation, Personaleinsatz und Führung. Ihnen fällt der Logik entsprechend die Aufgabe zu, das Geplante Wirklichkeit werden zu lassen.
Die letzte Phase des klassischen Managementprozesses ist schließlich die Kontrolle. Sie stellt in diesem Konzept insofern logisch den letzten Schritt dar, als sie die im Zuge der Durchführungsmaßnahmen schließlich erreichten Ergebnisse registrieren und mit den Plandaten vergleichen soll. Der Soll/Ist-Vergleich einschließlich der Informationen über Ursachen bei allfälligen Abweichungen bildet zugleich den Ausgangspunkt für die Neuplanung und die nächste neu beginnenden Managementprozessepisode. Angestrebt wird über die Zeit hinweg eine spiralförmige Fortentwicklung des Managementprozesses.
In diesem Modell fällt der Planung das Primat unter den Funktionen zu ( „ primacy of planning “ ). Alle anderen Managementfunktionen haben nachgeordneten Charakter, weil sie ihre Ausrichtung aus der Planung erfahren, aus diesem Grunde wird dieser Typ des Managementprozesses als plandeterminiert bezeichnet.
Kritik: Fragt man nach den Leitmaximen, die den gedanklichen Hintergrund für den plandeterminierten Managementprozess abgeben, so fällt die enge Anlehnung an das klassische Rationalaxiom auf, das zwischen Willensbildung und Willensumsetzung unterscheidet. Handeln wird hiernach immer als Willensumsetzung begriffen, der als entscheidende Phase die Willensbildung vorausgeht. Die strikte Befolgung der linearen Phasenabfolge im Managementprozess soll höchste Effektivität sicherstellen. Das Zentrum liegt folgerichtig – ähnlich wie in der Theorie der rationalen Wahl – in der planerischen Vorbereitung optimaler (Wahl-)Handlungen. Das betriebliche Leistungsgeschehen soll dementsprechend in eine in sich konsistente Planungsordnung gebracht werden, die – nach rationalen Prinzipien konstruiert – wie aus einem Guss erscheint und es erlaubt, alles unter Kontrolle zu behalten. Ziel der Unternehmensführung soll es also sein, ein quasi monolithisches Handlungsgefüge zu schaffen, in dem, transparent und in vollem Umfang erwartbar, ein an der Spitze gebildeter Plan über die verschiedenen Ebenen und Stellen reibungslos zur Ausführung gebracht wird. Die Dimensionen dieser Steuerungstheorie lauten somit: Linearität, Konsistenz und Transitivität. Sieht man es dynamisch, so drängt die plandeterminierte Unternehmensführung darauf, Unordnung durch Ordnung zu ersetzen.
Es ist nicht weiter verwunderlich, dass eine Managementtheorie, die auf solchen Annahmen aufbaut, in Schwierigkeiten gerät. Unübersehbar haben deshalb Wissenschaft ebenso wie Managementpraxis damit begonnen, alternative Führungsansätze zu entwickeln. Interessant genug ist es zu beobachten, dass in dieser Entwicklung die Handlungspraxis der Reflexion vorausgeeilt ist.

IV. Neue Logik des Managementprozesses


Der klassische Managementprozess und die dahinter liegende Steuerungsphilosophie gehen unausgesprochen von der Annahme einer klar durchdringbaren, erwartbaren inneren und äußeren Steuerungswelt aus. Diese Annahmen sind nicht (mehr) realistisch, die externe Umwelt eines Unternehmens ist weder eindeutig verstehbar noch in irgendeiner Weise sicher prognostizierbar. Auch ist die Idee einer klar abgegrenzten, sauber geordneten und von der Spitze sicher beherrschbaren internen Handlungswelt obsolet. Umwelt und System sind komplex, d.h. nur in Teilen beschreibbar und damit zwangsläufig unberechenbar, jedenfalls zu einem gewissen Grade. Überraschungen sind jederzeit möglich; Unsicherheit muss daher als konstitutives Merkmal jedes Managementprozesses gesehen werden (Malik, Fredmund F. 2003; Schreyögg, Georg 1991; Brown, Shona L./Eisenhardt, Kathleen M. 1998).
Was bedeutet dies konkret für die Steuerungslogik von Unternehmen?
(1) Am offenkundigsten und markantesten verliert die Stabilität als regulative Idee ihre Brauchbarkeit. Die Vorstellung, dass große Organisationen im Wesentlichen mit einer geplanten Ordnung und organisatorischer Erwartbarkeit gesteuert werden können, überzeugt nicht mehr. Zu offenkundig ist die Handlungssituation von Unternehmen durch permanente Veränderungen gekennzeichnet (D\'Aveni, Richard A. 1994; Schreyögg, Georg/Noss, Christian 2000). Dementsprechend sind auch die Zweifel groß geworden, ob man eine Unternehmung durch eine feste Input/Output-Beziehung, also eine Produktionsfunktion, treffend charakterisieren kann. Heinz von Foerster (v. Foerster, Heinz von 1984) hat schon früh darauf hingewiesen, dass die großen Organisationen keine „ trivialen Maschinen “ , d.h. keine deterministischen Systeme sind. Die Elemente der Systeme sind nicht starr aufeinander bezogen dergestalt, dass ein Input in einer festgeschriebenen Bahn zu einem einfach zu prognostizierenden Output führen würde. Es ist vielmehr so, dass die Elemente eines Systems fortwährend interagieren und dadurch permanent neue Anschlussmöglichkeiten untereinander aufbauen. Diese Eigendynamik der Systeme, die ja in vielfacher Hinsicht sehr wünschenswert ist – man denke nur an solche Aufgaben wie Innovativität und Flexibilität – , lässt jedoch das Planungs- und Ordnungsideal des klassischen Managementprozesses in den Hintergrund treten. Die zunehmende Loslösung aus traditionellen Rollenerwartungen und die im Zuge eines Wertewandels gewachsene Skepsis gegenüber generellen Regeln und strenger Planbestimmung steigert die Zahl der Handlungsoptionen. Sonderwege, Überraschungen, Eigensinnigkeiten usw. sind die ungeordneten Folgen.
(2) Die zweite allgemeine Entwicklungslinie verweist darauf, dass das Ziel der Klarheit nicht nur nicht mehr herzustellen, sondern der Versuch, sie herzustellen, sogar irreleitend ist. Schon vor Jahren zeigten die englischen Organisationstheoretiker Burns und Stalker (Burns, Tom/Stalker, George M. 1961), dass erfolgreiche flexible Unternehmen z.B. präzise Stellenbeschreibungen oder exakte Kompetenzabgrenzungen bewusst vermieden. Hauschildt (Hauschildt, Jürgen 1981) frappierte die Fachwelt, als er aus seinen empirischen Studien heraus forderte, bei Zielen nicht länger nach Klarheit, sondern nach dem Grad optimaler Unklarheit zu suchen.
(3) Die dritte Entwicklungslinie wendet sich hauptsächlich gegen das Kausalprinzip als methodischem Leitprinzip der plandeterministischen Unternehmensführungslehre. Dem entgegengestellt wird das Prinzip der Kontingenz, also die fundamentale Einsicht, dass im Grunde alles auch anders möglich ist (Luhmann, Niklas 1992). Das Ende der Sicherheit bedeutet in erster Linie, Praktiken für die erfolgreiche Handhabung von Unsicherheit zu finden.
Vorgehende Erörterungen könnten so verstanden werden, dass eine Neuausrichtung der Managementlehre entlang der skizzierten Entwicklungslinien einen vollständigen Wechsel in die Gegenpolaritäten als Leitmaxime zur notwendigen Folge habe. Eine solche Schlussfolgerung wäre indessen voreilig und kurzsichtig. Die Gegenpolaritäten alleine ergeben keine sinnvolle Basis für eine neue Steuerungslehre. Totale Unordnung führt letzten Endes zur Systemauflösung, totale Flexibilität erlaubt keine Effizienz und in vollständiger Ambiguität ist kein Handeln möglich. Jeder Lösungsansatz hat deshalb von dem Prinzip der Einheitlichkeit ( „ wie aus einem Guss “ ) Abschied zu nehmen und stattdessen anzuerkennen, dass jedes Management komplexer Systeme vor nicht endgültig lösbaren Zielkonflikten steht. Mit anderen Worten Antinomien und Dilemmata sind unumgänglich, der Umgang mit ihnen und nicht ihre Beseitigung bildet den Ausgangspunkt der neuen Lösung.
Konkret bedeutet dies für das Steuerungshandeln, dass das Management eine immer wieder neu zu findende Balance herstellen muss zwischen

-

Aktion und Reaktion,

-

Ordnung und Unordnung,

-

Kalkül und Spontaneität,

-

Sicherheit und Autonomie.


Es geht also darum, das Spannungsverhältnis zwischen den Polen und nicht schlicht den Gegenpol als Maxime in die Steuerungstheorie einzubringen. Unordnung ohne Ordnung ist nicht wegweisend, und Spontaneität erhält ihre Bedeutung erst vor dem Hintergrund des geordneten Kalküls.
Dies bedeutet zugleich den Übergang von einer linearen Handlungsrationalität, die sich an Einzelhandlung orientiert, zu einer komplexeren und umfassenderen Systemrationalität. Alle der bereits angesprochenen Steuerungsthemen setzen ein komplexeres Leitprinzip als das der Einzelhandlung voraus, um überhaupt sinnvoll Gegenstand einer theoretischen Rationalisierungsbemühung werden zu können.
Mit der Kritik an den Prämissen des plandeterministischen Managementprozessansatzes und den neuen bi-polaren Prinzipien der Steuerungsbalance wurde zugleich der Rahmen gezogen für eine Neukonzeptionalisierung des Managementprozesses im engeren Sinne. Dabei kann es zunächst einmal nicht um die Generierung neuer Managementtechniken und -instrumente gehen, sondern um die Schaffung eines komplexeren und problemoffeneren Bezugsrahmens.
Versucht man, aus der eben dargelegten Perspektive die Implikationen für einen neu zu fassenden Managementprozess herauszuarbeiten, so gilt es, die grundlegend veränderte Folie hervorzuheben, auf der die Systemsteuerung thematisiert wird. Im Unterschied zum plandeterminierten Steuerungsmodell, das bei fixen Plänen und Zielen seinen Ausgangspunkt findet, konzipiert die alternative Perspektive Systemsteuerung bei komplexer und wechselhafter, nur teilweise kontrollierter Umwelt.
Die Neu-Ausrichtung macht die Idee einer linearen Abfolge von Managementfunktionen unter dem Primat der Planung zu einem problematischen, tendenziell missleitenden Orientierungsmuster. Aus den dargelegten Gründen kann der Planung nicht mehr das unbedingte Primat eingeräumt werden, sie steht als Steuerungsinstrument vielmehr gleichberechtigt neben den anderen Funktionen. Für die Steuerung eines Unternehmens stehen grundsätzlich verschiedene alternative Möglichkeiten offen. Die Managementfunktionen treten als Steuerungspotenziale mit eigener Logik, d.h. mit eigenen Stärken und Schwächen, nebeneinander. Ihr Einsatz und ihr Verhältnis zueinander lässt sich variieren nach Maßgabe der aktuellen Erfordernisse. Der Einsatz von Führung konkurriert etwa mit dem Einsatz von Organisation oder die Verwendung von Planung mit der Einrichtung flexibler Organisationsstrukturen; Letzteren wird man v.a. dort den Vorrang geben, wo die Planung infolge der Unsicherheit einer fortwährenden Revisionsnotwendigkeit gegenübersteht.
Die Managementfunktionen Organisation, Personaleinsatz, Führung und Kontrolle treten in der neuen Logik dementsprechend auch aus ihrer bloßen Plandurchsetzungsfunktion heraus und stehen neben der Planung als prinzipiell eigenständige Steuerungspotenziale. Die Anschlussmöglichkeiten unter den Funktionen sind nicht mehr in der Linearkette zu suchen, sondern vielfältiger und in immer wieder neuen Varianten vorstellbar.

V. Schluss


Die hier nur in Umrissen aufgezeigte neue Sichtweise des Managementprozesses hat gegenüber dem klassischen Managementprozess einen großen Nachteil; sie ist nicht so klar und überschaubar darzustellen, die Eleganz der linearen Funktionsabfolge geht verloren. Dieser Nachteil bildet aber im Kern ihren entscheidenden Vorteil. Die Konzeption hat eine im Vergleich zum plandeterministischen Managementprozess wesentlich größere Fassungskraft für die Probleme der Systemsteuerung, ohne dabei zum konzeptionslosen Sammelbecken von Praxisproblemen zu werden.
Literatur:
Albach, Horst : Eliten in der Demokratie, in: Jahrbuch 1988, hrsg. v. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin et al. 1988, S. 219 – 252
Baums, Theodor/Fraune, Christian : Institutionelle Anleger und Publikumsgesellschaft, in: Die Aktiengesellschaft, Jg. 40, 1995, S. 97 – 144
Berle, Adolf A./Means, Gardiner C. : The modern corporation and private property, 2. A., New York 1968
Beyer, Jürgen : Managerherrschaft in Deutschland, Wiesbaden 1998
Brown, Shona L./Eisenhardt, Kathleen M. : Competing on the edge: Strategy as structural chaos, Boston 1998
Burgelman, Robert A. : Strategy is destiny: How strategy-making shapes a company\'s future, New York et al. 2002
Burns, Tom/Stalker, George M. : The Management of innovation, London 1961
D\'Aveni, Richard A. : Hypercompetition. Managing the dynamics of strategic maneuvering, New York et al. 1994
Fischer, Guido : Die Führung von Betrieben, 2. A., Stuttgart 1966
Foerster, Heinz von : Principles of self-organization – in a socio-managerial context, in: Self-Organization and Management of Social Systems, hrsg. v. Ulrich, Hans/Probst, Gilbert, 2. A., Heidelberg et al. 1984, S. 2 – 24
Freeman, R. Edward : Strategic management: A stakeholder approach, Boston MA 1984
Gerum, Elmar : Unternehmensordnung, in: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, hrsg. v. Bea, Franz X./Dichtl, Erwin/Schweitzer, Marcell, 9. A., Stuttgart 2004, S. 224 – 309
Gutenberg, Erich : UnternehmensführungOrganisation und Entscheidung, Wiesbaden 1962
Hauschildt, Jürgen : „ Ziel-Klarheit “ oder „ kontrollierte Ziel-Unklarheit “ in Entscheidungen, in: Der praktische Nutzen empirischer Forschung, hrsg. v. Witte, Eberhard, Tübingen 1981, S. 305 – 322
Jensen, Michael C. : Eclipse of the public corporation, in: HBR, Jg. 67, H. 5/1989, S. 61 – 74
Kaufmann, Allen/Zacharias, Lawrence/Karson, Marvin : Manager vs. Owners. The Struggle for Corporate Control in American Democracy, New York et al. 1995
Koontz, Harold/O\'Donnell, Cyril : The principles of management: An analysis of managerial functions, New York 1955
Luhmann, Niklas : Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992
Mackenzie, R. Alec : The management process in 3-D, in: HBR, Jg. 47, H. 6/1969, S. 83 – 86
Malik, Fredmund F. : Strategie des Managements komplexer Systeme, 8. A., Bern 2003
Mason, Edward S. : The apologetics of managerialism, in: JBus, Jg. 31, 1958, S. 1 – 11
Müller, Alfred/Glauner, Wolfgang : Die Unternehmer-Elite. Wachstumsstrategien erfolgreicher Entrepreneure, Wiesbaden 1999
Osterloh, Margit : Interpretative Organisations- und Mitbestimmungsforschung, Stuttgart 1993
Post, James E./Sachs, Sybille/Preston, Lee E. : Redefining the Corporation: Stakeholder Management and Organizational Wealth, Chicago 2002
Pross, Helge : Manager und Aktionäre in Deutschland, Untersuchungen zum Verhältnis von Eigentum und Verfügungsmacht, Frankfurt am Main 1965
Schreyögg, Georg : Noch einmal: Zur Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt, in: Unternehmensethik und die Transformation des Wettbewerbs, hrsg. v. Kumar, Brij N./Osterloh, Margit/Schreyögg, Georg, Stuttgart 1999, S. 159 – 182
Schreyögg, Georg : Der Managementprozess – neu gesehen, in: Managementforschung 1: Selbstorganisation und Systemische Führung, hrsg. v. Staehle, Wolfgang H./Sydow, Jörg, Berlin et al. 1991, S. 255 – 289
Schreyögg, Georg/Noss, Christian : Von der Episode zum fortwährenden Prozess – Wege jenseits der Gleichgewichtslogik im Organisatorischen Wandel, in: Managementforschung 10: Organisatorischer Wandel und Transformation, hrsg. v. Schreyögg, Georg/Conrad, Peter, Wiesbaden 2000, S. 33 – 62
Schreyögg, Georg/Papenheim-Tockhorn, Heike : Personelle Verflechtungen als Ressourcenmanagement – Eine Längsschnittstudie zur Kooptationspolitik deutscher Großunternehmen auf Basis der Broken-tie-Methode, in: Managementforschung 5: Empirische Studien, hrsg. v. Schreyögg, Georg/Sydow, Jörg, Berlin et al. 1995, S. 107 – 165
Staehle, Wolfgang H. : Management, 8. A., München 1999
Steinmann, Horst : Der Managementprozess und seine Problemschwerpunkte, in: Planung und Kontrolle, hrsg. v. Steinmann, Horst, München 1981, S. 1 – 22
Steinmann, Horst : Das Großunternehmen im Interessenkonflikt, Stuttgart 1969
Theisen, Manuel : Grundsätze einer ordnungsmäßigen Informationsversorgung des Aufsichtsrats, 2. A., Stuttgart 2001
Ulrich, Peter : Die Großunternehmung als quasi-öffentliche Institution, Stuttgart 1977
Werder, Axel von : Vorstandsentscheidungen auf der Grundlage „ sämtlicher relevanter Informationen “ ? Zur sachgerechten Konkretisierung der „ Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters “ durch Grundsätze ordnungsgemäßer Entscheidungsfundierung, in: ZfB, Jg. 67, 1997, S. 901 – 922
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