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Social Marketing


Inhaltsübersicht
I. Einführung
II. Aufgabenbereiche des Social Marketing
III. Gestaltungsperspektiven des Social Marketing
IV. Social Marketing in der Makro-Perspektive
V. Kritische Würdigung

I. Einführung


Das Konzept des Social Marketing (= SM) ist vor dem Hintergrund der Ende der 1960er- bzw. Anfang der 1970er-Jahre eingeleiteten »Broadening- und Deepening-Diskussion« zu sehen, bei der es um die Weiterentwicklung des klassischen, allein auf die kommerzielle Vermarktung von Konsumgütern ausgerichteten Marketing-Ansatzes geht (zum Überblick Fischer-Winkelmann, W. F./Rock, R. 1976). Obwohl sich dieses Forschungsfeld – zumindest vorübergehend – einer nicht unbeträchtlichen Aufmerksamkeit erfreute, ist bis heute noch nicht ausreichend geklärt, welche Erscheinungsformen bzw. Anwendungsbereiche des Marketing dem SM-Begriff subsumiert werden sollen. So wird SM etwa generell mit dem Marketing nicht kommerzieller Organisationen gleichgesetzt (Bruhn, M./Tilmes, J. 1994), auf spezielle Formen eines nicht kommerziellen Marketing (z.B. auf das Marketing bestimmter Sozio-Institutionen; Holscher, C. 1977) oder auf das »Kontra-Marketing« von Verbrauchern und/oder Verbraucherorganisationen (Specht, G. 1974; Biervert, B. 1974; Biervert, B. 1980) begrenzt oder mit einem sozial verantwortlichen Marketing privatwirtschaftlicher Unternehmen in Verbindung gebracht (Feldman, L. P. 1971; Lazer, W./Kelley, E. 1973; Takas, A. 1974).
Ausgehend von den zahlreichen, recht unterschiedlichen und teilweise noch eher unklaren Vorstellungen, die mit dem SM-Begriff verbunden werden, sollte sich u.E. – gleichsam als gemeinsamer Nenner – eine übergreifende, problemorientierte Sichtweise durchsetzen, nach der SM zunächst ganz allgemein als Marketing für aktuelle soziale Ziele und Ideen betrachtet wird. Die zuvor angesprochenen SM-Varianten können dann jeweils als spezielle Ausprägungen bzw. Ansatzpunkte einer umfassenden SM-Forschungskonzeption interpretiert werden, bei der die Planung, Realisation und Kontrolle von Marketing-Programmen der unterschiedlichsten Institutionen unter dem Blickwinkel der Verwirklichung (Handhabung) aktueller sozialer Ziele (Probleme) systematisch erforscht und gestaltet werden sollen (Raffée, H./Wiedmann, K.-P./Abel, B. 1983; Wiedmann, K.-P. 1982). »Aktuelle soziale Ziele« beziehen sich jeweils auf gesellschaftliche Tatbestände, die als veränderungsbedürftig angesehen werden und in die Arena gesellschaftlicher Diskussion treten sollen oder bereits getreten sind (z.B. Umweltverschmutzung, Situation der Behinderten).

II. Aufgabenbereiche des Social Marketing


1. Social Marketing in problemorientierter Perspektive


Als Ausgangspunkt zur Strukturierung der heterogenen Problemfelder des SM bietet es sich zunächst an, zwei grundlegende Ziel- bzw. Problembereiche – und im Anschluss daran – Grundvarianten des SM zu unterscheiden:

(a)

Probleme, die im (sozialen) Verhalten der Gesellschaftsmitglieder begründet liegen, wie Umweltverschmutzung, Rassismus, Drogenkonsum, Verkehrsunfälle etc. Sie sind Gegenstand eines verhaltensorientierten SM.

(b)

Probleme in Gestalt einer Unterversorgung von Gesellschaftsmitgliedern mit Gütern (z.B. Mangel an Hilfsgütern für Kranke, Behinderte, Obdachlose usw.). Sie führen zur Variante des versorgungsorientierten SM.


Die genannten Grundvarianten des SM stellen lediglich auf die jeweils primäre Zielsetzung ab. Im Blick auf konkrete SM-Programme ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass verhaltens- und versorgungsorientierte Komponenten immer systematisch kombiniert zum Einsatz gelangen sollten. Soll z.B. im Rahmen eines verhaltensorientierten SM das Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern verringert werden, so stellt die Versorgung mit Verhütungsmitteln ein zentrales Problem dar. Soll umgekehrt in unserer Gesellschaft die rückläufige Geburtenrate bekämpft werden, so bildet das Angebot bestimmter Leistungen (finanzielle Hilfen, Kindergeld, Kindertagesstätten und sonstige Einrichtungen) ein wichtiges (Versorgungs-)Problem. Ebenso sind auch – z.B. im Rahmen der Versorgung von Menschen in materiellen Notlagen – oftmals verhaltensorientierte Aktivitäten erforderlich. Dies ist etwa immer dann der Fall, wenn die Adressaten mit der Nutzung von Hilfsgütern erst vertraut gemacht, wenn bei ihnen negative Einstellungen abgebaut werden müssen oder wenn eine Stigmatisierung der Hilfsgüterempfänger durch deren soziale Umwelt zu beseitigen ist.
Die beiden Grundvarianten des SM werden ferner durch die spezielle Perspektive der Wahrnehmung einer Korrekturfunktion überlagert. Sie war mit eine wesentliche Triebfeder für die Entwicklung des SM-Konzepts (Kotler, P./Zaltman, G. 1971; Fox, K.F. A./Kotler, P. 1980). Die Korrekturfunktion konkretisiert sich vor allem in folgenden Ansätzen:

-

Ergänzung des einseitig an Markterfolgen und bestimmten Konsumnormen ausgerichteten und insofern defizitären Güterangebots seitens privater Unternehmen (Ergänzungsfunktion). Als Gegengewicht sollen hierbei verschiedene kulturelle Werte wie z.B. Kunst, Bildung, Verständnis und Hilfsbereitschaft für Dritte nachhaltiger gefördert sowie bestehende Marktungleichgewichte (z.B. infolge von Informationsdefiziten) abgebaut werden (Raffée, H. 1979).

-

Kontra-Marketing im Sinne von Maßnahmen, die gezielt auf die Eindämmung oder Verhinderung des Angebots und/oder der Nachfrage gesellschaftlich als problembehaftet eingestufter Güter ausgerichtet sind (z.B. Aufruf zum Boykott von umweltschädigenden Produkten und Unternehmen) (Korrekturfunktion im engeren Sinne; Raffée, H. 1979).

-

Societal ausgerichtetes bzw. Gesellschaftsorientiertes  Marketing kommerzieller Anbieter, in dessen Rahmen Unternehmen bei der Planung und Realisation ihrer Marketing-Aktivitäten einen sozialen Kurs verfolgen und bspw. auf umweltschädliche Produkte, Obsoleszenzstrategien etc. verzichten (»Selbstkorrektur«, Wiedmann, K.-P. 1989).


2. Social Marketing in institutioneller Perspektive


Die vorgenommene Kennzeichnung des SM-Konzepts als problemorientierter Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, dass es zunächst bestimmte aktuelle soziale Probleme bzw. Ziele sind, die die Frage nach einem SM-Konzept aufwerfen. Indessen kann die konkrete Umsetzung eines SM nicht unabhängig von den jeweiligen institutionellen Trägern und deren Besonderheiten gesehen werden. Die problemorientierte Perspektive ist insofern in einem zweiten Schritt um eine institutionelle Perspektive zu ergänzen.
Die institutionelle Perspektive des SM führt unmittelbar zu der Frage, wie weit der Kreis der Institutionen zu ziehen ist, die als Träger eines SM anzusehen sind. Aus der konsequenten Verfolgung des problemorientierten Ansatzes resultiert notwendigerweise eine weit gefasste Institutionsperspektive. So ist es u.E. weder konsequent noch zweckmäßig, nur nicht kommerzielle Institutionen als Träger des SM gelten zu lassen (Bruhn, M. 1989). Zu den SM-treibenden Institutionen sollten –  dies klang eingangs schon an – vielmehr auch kommerzielle Unternehmen gezählt werden. Über die Korrektur gesellschaftlich problematischer Verhaltensmuster hinaus (»Selbstkorrektur«) vermögen Unternehmen sowohl im Rahmen ihrer Angebotsprogramme (z.B. Innovationen im Bereich gesundheits- und umweltfreundlicher Produkte) als auch in Gestalt zusätzlicher Sozio-Programme (vgl. z.B. die Beteiligung verschiedener Unternehmen an Anti-Drogenkampagnen, Maßnahmen der Kunstförderung u.Ä.) wichtige Beiträge zur Handhabung aktueller sozialer Probleme zu leisten.
Unternehmen, deren Sachziel in der Herstellung und/oder Vermarktung von Leistungen besteht, die im Kontext aktueller sozialer Probleme einen wesentlichen Problemlösungsbeitrag bieten (Anbieter von Solaranlagen, besonders gesunden Nahrungsmitteln usw.), lassen sich durchaus in jene Gruppe von Institutionen einordnen, die nicht nur einen akzidentiellen, sondern einen dominanten Soziobezug aufweisen und als Sozio-Institutionen bezeichnet werden können. Im nicht kommerziellen Sektor zählen hierzu – je nach akzentuiertem Sozialziel – etwa so verschiedenartige Institutionen wie karitative Organisationen (Deutscher Caritas-Verband), verbraucher- und umweltpolitische Institutionen (Stiftung Warentest, Umweltbundesamt, Greenpeace); Hilfsorganisationen (Welthungerhilfe, Rotes Kreuz), gesundheitsfördernde Institutionen und Initiativen wie die Deutsche Krebshilfe oder die Anti-AIDS-Kampagne.
Neben der Unterscheidung in »Sozio-Institutionen« und »Institutionen mit akzidentiellem Soziobezug« sind zur Kennzeichnung möglicher SM-Träger weitere Merkmale zu berücksichtigen. Differenziert werden kann hier etwa in öffentliche und private, kommerzielle und nicht kommerzielle Institutionen. Anknüpfend an den Partizipationsgrad der Betroffenen sind ferner Selbsthilfeorganisationen (Bürgerinitiativen), Mitgliedervertretungen (Gewerkschaften, eingetragene Vereine etc.) und Fremdorganisationen (z.B. Hilfsorganisationen) zu berücksichtigen. Kombiniert man die verschiedenen Einteilungen, so erhält man eine Typologie relevanter SM-Träger (Raffée, H./Wiedmann, K.-P./Abel, B. 1983), vor deren Hintergrund dann im Rahmen eines SM-Forschungsprogramms folgende Fragen zu beantworten sind:

(a)

Welche Bezüge ergeben sich aus dem Verhalten einzelner Institutionengruppen für die Verwirklichung aktueller sozialer Ziele; wie werden konkrete SM-Aktionen durchgeführt, und warum engagieren sich einzelne Institutionen in einer bestimmten Weise für die Handhabung aktueller sozialer Probleme?

(b)

Wie können SM-Konzepte bei einzelnen Institutionen ausgestaltet werden? Welche Voraussetzungen sind hierfür zu schaffen, und welche Probleme sind dabei zu beachten?

(c)

Welche Institutionen sind für die Verwirklichung bestimmter sozialer Ziele besonders geeignet (vergleichende Stärken-/Schwächen-Analyse)?

(d)

Wie kann die Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen zur Verwirklichung eines bestimmten sozialen Ziels ausgestaltet werden? Welche Kooperationsprobleme sind dabei zu bewältigen?


Greifen wir mit Bezug auf den ersten Fragenkomplex noch einmal die Berücksichtigung privater kommerzieller Organisationen als SM-Träger auf, so dürften bei diesen Institutionen in aller Regel die Triebfeder des sozialen Engagements nicht in erster Linie soziale Zielsetzungen bilden, sondern vor allem Unternehmensinteressen und hier nicht zuletzt die Verwirklichung von Image-, Wachstums- und Gewinnzielen. Die zuvor erwähnten Sozio-Programme sind zumeist weniger als Ausdruck eines philanthropen Mäzenatentums als vielmehr eines auf die Verwirklichung klassischer PR- und  Marketing-Ziele ausgerichteten Sponsoring zu werten. Und bei Unternehmen, die in ihrem Hauptprogramm bzw. in ihrer Sachzielkonzeption einen dominanten Soziobezug aufweisen, ist davon auszugehen, dass es im Kern häufig nur um das Gewinn bringende Ausschöpfen neuartiger Marktchancen geht. Ganz abgesehen davon, dass auch bei nicht kommerziellen SM-Trägern gelegentlich Organisationsinteressen eine verhaltensprägende Rolle spielen, plädieren wir prinzipiell für eine funktions- bzw. wirkungsorientierte Betrachtungsweise und damit auch für einen verantwortungsethischen Blickwinkel. Im Gegensatz zu einer rein gesinnungsethischen Perspektive interessiert hier die Frage nach den Motiven, die zu wirkungsvollen Beiträgen im Kontext der Verwirklichung aktueller sozialer Ziele geführt haben, erst in zweiter Linie: Vielleicht ist es sogar besonders effektiv, wenn sich das Gewinnstreben als Motor der Handhabung gesellschaftlicher Probleme nutzen lässt.

III. Gestaltungsperspektiven des Social Marketing


So unterschiedlich die jeweils vom SM aufgegriffenen sozialen Probleme, die Strukturen und Programme der SM-treibenden Institutionen auch sein mögen: Es hat jeweils um die Nutzung der gesamten Marketing-Technologie zu gehen, die sich aus grundlegenden Marketing-Leitideen (z.B. Bedürfnis- bzw. Gratifikationsorientierung), Informations- und  Planungskonzepten, strategischen Handlungsprogrammen, Aktionsinstrumenten und last but not least aus Implementierungskonzepten (z.B. Konzepte zur Verankerung einer Marketing-Konzeption innerhalb der Organisations-Struktur und -Kultur eines SM-Trägers) rekrutiert. Allein der Einsatz einzelner Kommunikationstechniken durch nicht kommerzielle SM-Träger oder ein oberflächlich angelegtes Aufspringen auf die Sponsoring-Welle oder auf die Öko- und Bio-Welle im Rahmen unternehmerischer Kommunikationspolitik und z.T. vielleicht noch Produktpolitik vermögen den erhofften Erfolg nicht zu erbringen.
Den Ausgangspunkt bei der Verwirklichung einer SM-Konzeption hat die kritische Überprüfung und ggf. Revision der Philosophie sowie generell der Kultur der jeweiligen Organisation zu bilden. Dies gilt zum einen für kommerzielle SM-Träger, die vielfach in höherem Maße als bisher ein langfristiges und ganzheitliches, durch soziale Verantwortung und Weitsicht geprägtes Denken zu entwickeln und innerhalb des Unternehmens zu kultivieren haben, um nicht dem Risiko einer Konzentration auf »Sozio-Mätzchen« zu erliegen, die zumindest mittelfristig von der Öffentlichkeit kaum akzeptiert werden. Entsprechende Umdenkungsprozesse sowie Prozesse einer Neuausrichtung der Organisationskultur sind zum anderen häufig gerade auch bei nicht kommerziellen SM-Trägern dringend erforderlich. Zu denken ist etwa an verbraucherpolitische Institutionen (Verbraucherverbände, Stiftung Warentest), die sich erst in jüngerer Zeit z.B. dem Problemfeld der Ökologie und der Hilfsmaßnahmen für osteuropäische Länder zugewandt haben und in diesem Kontext ihr Selbstverständnis kritisch überprüfen mussten bzw. noch weiter überprüfen müssen. Ferner stellen im Sektor nicht kommerzieller SM-Träger die Internalisierung und Umsetzung grundlegender Marketing-Leitideen noch vielfach eine zentrale Herausforderung dar: z.B. konsequente Orientierung an den  Bedürfnissen der Klientel, wenn im Rahmen eines versorgungsorientierten SM geeignete Bedarfsdeckungskonzepte oder im Sinne eines verhaltensorientierten SM entsprechende Beeinflussungskonzepte zu entwickeln sind. Insbesondere dann, wenn festgefügte Verhaltensstrukturen zu überwinden sind, müssen der persönliche Nutzen für die SM-Adressaten sowie attraktive Verhaltensalternativen verdeutlicht werden.
Die im Zeitraum des Marketing-Konzepts stehende Leitidee der Bedürfnis- oder allgemein Gratifikationsorientierung erschöpft sich keineswegs allein in der Forderung, die Bedürfnisse, Einstellungen etc. einzelner Austauschpartner systematisch zu erforschen und dann gezielt wirksame Gratifikationskonzepte zu erarbeiten. Aufgrund des engen Bezugs zu allgemeinen Erkenntnissen und Annahmen über das Verhalten von Individuen und Organisationen (Raffée, H./Wiedmann, K.-P./Abel, B. 1983) handelt es sich bei dieser Leitidee vielmehr zugleich um einen gedanklichen Schlüssel, mit dessen Hilfe man sich das weite Feld verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse zugänglich machen kann, um so konkrete Hinweise auf relevante Faktoren zu erhalten, die im Rahmen der Marktforschung erfasst und bei der Gestaltung einzelner SM-Maßnahmenprogramme beachtet werden müssen. Exemplarisch hinzuweisen ist etwa auf Erkenntnisse aus dem Bereich der Aktivierungsforschung, die darauf aufmerksam machen, wie wichtig stimulierende Reize im Rahmen der Werbung oder des Einsatzes anderer Marketing-Instrumente sind: Kommunikationsbotschaften im SM dürfen demnach also nicht nur sachlich aufgemacht sein, sondern müssen –  etwa durch verschiedene emotionale Appelle – aktivieren. Gleichzeitig ist aber etwa im Lichte der Reaktanz- sowie der Dissonanztheorie zu beachten, dass er Beeinflussungserfolg eines Gratifikationskonzepts durch subjektiv empfundene Zwänge (z.B. Wahrnehmung einer Einschränkung der Entscheidungsfreiheit, Überdosierung moralischer oder Angst erregender Appelle) reduziert bzw. sogar ins Gegenteil umschlagen kann (»Bumerang-Effekt«). Vor diesem Hintergrund wäre etwa zu prüfen, ob sehr massive und massierte Maßnahmen für die Akzeptanz und Unterstützung sozialer Randgruppen eben aufgrund ihrer Massivität und Massiertheit nicht mit einem hohen Risiko des Scheiterns behaftet sind.
Bilden verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse eine wichtige Basis zur inhaltlichen Ausrichtung der Marktforschung und darüber hinaus der gesamten Marketing-Planung, so bieten die im Bereich des klassischen Marketing erprobten Informations- und Planungstechniken (z.B. Szenario-Analysen, multivariate Verfahren der Marktforschung, Stärken-Schwächen-Analysen) eine wichtige handwerkliche Grundlage für die Konzipierung von SM-Programmen.
Die innerhalb der Organisationskultur verankerte SM-Philosophie und die systematisch gewonnenen Informationen über die vorliegende Situation, deren Hintergründe und zukünftige Entwicklung bilden die Basis für den Einsatz der weiteren Elemente der Marketing-Technologie – analog zum traditionellen kommerziellen Marketing. So sind Strategien zur Beeinflussung und/oder Bedarfsdeckung zu entwickeln und durch den planmäßigen Einsatz der Marketing-Aktionsinstrumente zu verwirklichen. Im Bereich der Basisstrategien spielen etwa Strategien der Marktsegmentierung, der Kooperation bzw. Strategische Allianzen und teilweise auch der Internationalisierung eine ähnlich große Rolle wie im klassischen kommerziellen Marketing.
Nicht zu vernachlässigen ist schließlich auch das Aufgabenfeld des Beschaffungsmarketing. Im Sektor des versorgungsorientierten Marketing kommt dem Beschaffungsmarketing etwa in Gestalt des Spendenmarketing eine herausragende Bedeutung zu, sei es, dass es sich um Spendenaufrufe von Sozio-Institutionen (z.B. der Welthungerhilfe) oder kommerzieller Unternehmungen handelt (vgl. z.B. die seinerzeitige Aktion der Illustrierten »Stern« – Raffée, H./Abel, B./Wiedmann, K.-P. 1983 – und die Eigenbeiträge der Deutschen Bank zur Steigerung des privaten Spendenaufkommens für Ruanda im Jahre 1994). In solchen Fällen sind Beschaffungs- und Absatzmarketing in Richtung auf ein Gleichgewichtsmarketing hin zu integrieren (Raffée, H. 1979).

IV. Social Marketing in der Makro-Perspektive


Das SM-Forschungskonzept umschließt, neben der bislang unterstellten Perspektive eines Marketing für einzelne aktuelle soziale Ziele bzw. eines SM einzelner Institutionen (Mikroperspektive), auch die Analyse von SM-Handeln aus gesamtgesellschaftlicher Sicht (Makroperspektive). Damit wird u.a. dem Umstand Rechnung getragen, dass SM nicht nur eine effiziente, sondern auch eine äußerst problembehaftete Sozialtechnologie sein kann. Dies beispielsweise dann, wenn SM für »negative« soziale Ziele (wie z.B. Akzeptanz von Ausländerfeindlichkeit) eingesetzt wird oder dazu beiträgt, die Machtposition einzelner Institutionen (z.B. privatwirtschaftlicher Unternehmen) oder gesellschaftlicher Gruppen auszubauen. Zu problematisieren sind ferner SM-Programme, die einseitig auf die Verwirklichung einzelner aktueller sozialer Ziele ausgerichtet sind und dabei zur Problemverschärfung in anderen gesellschaftlichen Bereichen beitragen (z.B. Verwirklichung ökologischer Ziele ohne Rücksicht auf ökonomische Belange).
Im vorliegenden Zusammenhang ergibt sich die Notwendigkeit sowohl der Diskussion  ethischer Normen als auch umfassender, empirisch fundierter Wirkungsanalysen. Auf dieser Basis sind dann Vorschläge zur gesellschaftsorientierten Steuerung der SM-Aktivitäten einzelner Institutionen zu entwickeln und in die Arena öffentlicher und politischer Diskussion einzubringen.

V. Kritische Würdigung


Das SM-Konzept löste innerhalb der (Marketing-)Wissenschaft zunächst heftige und z.T. äußerst kontroverse Diskussionen aus (zum Überblick Fischer-Winkelmann, W. F./Rock, R. 1976). Bezweifelt wurde z.B. generell, dass sich die im Konsumgütersektor entwickelte Marketing-Technologie auf soziale Problemstellungen übertragen lässt. Und speziell im Blick auf die Idee eines kommerziellen SM wurde etwa ein unrealistisches Harmoniedenken moniert. Die kritische Auseinandersetzung mit dem SM-Forschungskonzept ist inzwischen jedoch weitgehend verstummt. Dies allerdings weniger, weil alle Kritikpunkte ausdiskutieret wurden, sondern in erster Linie deshalb, weil sich zum einen das SM vielfach in der Praxis durchaus bewährt und zum anderen sich die Marketing-Wissenschaft anderen Problemstellungen zugewandt hat. Zwar spielen hierbei u.a. einzelne Spielarten des SM eine gewisse Rolle. Zu denken ist etwa an die Themenbereiche Gesundheitsmarketing und vor allem Öko-Marketing. Abgesehen davon, dass auch diese Themenfelder aufs Ganze gesehen nicht entsprechend ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung eine Gewichtung erfahren, sind jedoch insbesondere hinsichtlich der Verwirklichung einer umfassenden SM-Forschungskonzeption erhebliche Defizite zu konstatieren. Diese Forschungsdefizite wiegen insofern besonders schwer, als dem SM gerade in einer Zeit des Legitimationsbedarfs der herkömmlichen Marketing-Aktivitäten und des klassischen Marketing ein besonderer Stellenwert zukommt. Eine Rekonstruktion des Marketing in Richtung auf ein Gesellschaftsorientiertes Marketing hin könnte hier einen weiterführenden Ansatz darstellen (Wiedmann, K.-P. 1993).
Literatur:
Biervert, B. : Soziomarketing und Qualität des Lebens, in: Konsum und Qualität des Lebens, hrsg. v. Biervert, B./Schaffartzik, K. H./Schmölders, G., Opladen 1974, S. 305 – 342
Biervert, B. : Erweiterte Marketingkonzepte, in: Grundbegriffe der Wirtschaftspsychologie, hrsg. v. Hoyos, C. Graf/Kroeber-Riel, W./Rosenstiel, L. v. et al., München 1980, S. 270 – 281
Bruhn, M. : Social Marketing, in: Handbuch des Marketing, hrsg. v. Bruhn, M., München 1989, S. 777 – 810
Bruhn, M./Tilmes, J. : Social Marketing, 2. A., Stuttgart et al. 1994
Dichtl, E. : Marketing als Sozialtechnik, in: WiSt, 1981, S. 249 – 255
Feldman, L. P. : Societal Adaption: A New Challenge for Marketing, in: JM, No. 3, 1971, S. 54 – 60
Fischer-Winkelmann, W. F./Rock, R. : Markt und Konsument, Bd. 2: Kritik der Marketing-Theorie, München 1976
Fox, K.F. A./Kotler, P. : The Marketing of Social Causes: The first 10 Years, in: JM, No. 4, 1980, S. 24 – 33
Holscher, C. : Sozio-Marketing, Essen 1977
Kotler, P./Roberto, E. : Social Marketing, Düsseldorf et al. 1991
Kotler, P./Zaltman, G. : Social Marketing: An Approach to Planned Social Change, in: JM, No. 3, 1971, S. 3 – 12
Lazer, W./Kelley, E. : Social Marketing, Homewood, Ill. 1973
Luck, D. J. : Social Marketing: Confusion Compounded, in: JM, No. 4, 1974, S. 70 – 72
Raffée, H. : Marketing und Umwelt, Stuttgart 1979
Raffée, H./Wiedmann, K.-P./Abel, B. : Sozio-Marketing, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 12; Marktpsychologie, hrsg. v. Irle, M., Göttingen et al. 1983, S. 675 – 768
Specht, G. : Marketing-Management und Qualität des Lebens, Stuttgart 1974
Takas, A. : Societal Marketing: A Businessman\'s Perspective, in: JM, No. 4, 1974, S. 2 – 7
Wiedmann, K.-P. : Ansatzpunkte einer empirischen und theoretischen Erforschung des Problemfeldes Sozio-Marketing, Arbeitspapier Nr. 18 des Instituts für Marketing, Universität Mannheim, Mannheim 1982
Wiedmann, K.-P. : Gesellschaft und Marketing – Zur Neuorientierung der Marketingkonzeption im Zeichen des gesellschaftlichen Wandels, in: Marketing-Schnittstellen, hrsg. v. Specht, G./Silberer, G./Engelhardt, W. H., Stuttgart 1989, S. 227 – 246
Wiedmann, K.-P. : Rekonstruktion des Marketingansatzes und Grundlagen einer erweiterten Marketingkonzeption, Stuttgart 1993

 

 


 

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