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Prozesskostenrechnung


Inhaltsübersicht
I. Anwendungsgebiet und Zielsetzungen
II. Abgrenzung zum Activity Based Costing
III. Der Prozessansatz
IV.  Prozesskosten und deren Beeinflussung
V. Prozessanalyse, Ressourcen- und Kostenzuordnung
VI.  Prozesskostenorientierte Kalkulation
VII. Ergebnisrechung als mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung mit Prozesskosten
VIII. Prozesskostenorientierte Budgetplanung und Bereichssteuerung
IX. Vermeidung nicht verursachungsgerechter Verrechnungen

I. Anwendungsgebiet und Zielsetzungen


Bei der Prozesskostenrechnung handelt es sich um eine spezielle, die vorhandene Kostenrechnung ergänzende Methode zur Planung, Steuerung und Verrechnung der Kosten indirekter Leistungsbereiche von Industrieunternehmen (z.B. Beschaffung, Logistik, Produktionsplanung und -steuerung, Instandhaltung, Qualitätssicherung, Auftragsabwicklung, Vertrieb, Rechnungswesen etc.) sowie für alle Verwaltungs- und Logistiktätigkeiten in Handels- und Dienstleistungsunternehmen, Betriebs- und Verwaltungsbereichen von Banken und Versicherungen sowie Behörden und öffentlichen Einrichtungen.
Die Notwendigkeit, Prozesskostenrechnung auch als ein Instrument für direkte Produktionsprozesse von Industrieunternehmen zu entwickeln, war aus dem Entwicklungsstand des Rechnungswesens im deutschsprachigen Raum heraus nicht gegeben, denn Produktionsprozesse lassen sich in Arbeitsplänen abbilden und mit den Methoden der Plankostenrechnung bewerten (vgl. Horváth, P./Mayer, R.  1993, S.17).
Die Zielsetzung der Prozesskostenrechnung ist eine dreifache:

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Zunächst sollen mittels der Prozesskostenrechnung die Leistungen bzw. Aktivitäten indirekter Bereiche definiert und deren Ressourceninanspruchnahme bewertet werden. Damit entsteht Transparenz hinsichtlich der aufwandsbezogenen Bedeutung der Prozesse.

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Über so genannte Cost Driver sollen die mittel- und langfristigen Einflussgrößen auf die Kosten- bzw. Ressourcenveränderung sichtbar gemacht werden. Auf Grundlage definierter Prozesse, zugeordneter Ressourcen und der Kosteneinflussgrößen (Cost Driver) soll ein permanentes Gemeinkostenmanagement zur gezielten Kostenbeeinflussung der Gemeinkostenbereiche ermöglicht werden.

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Sofern Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge bestehen, sind die Prozesskosten in einem weiteren Schritt auf Produkte, Aufträge, Kunden oder Marktsegmente zurechenbar, um deren Inanspruchnahme von Ressourcen aus dem indirekten Bereich aufzuzeigen.


II. Abgrenzung zum Activity Based Costing


Prozesskostenrechnung und Activity-Based Costing (ABC) sind keine synonymen Begriffe, sondern zwei Varianten einer Grundidee. ABC hat sich in den USA als Antwort auf das Fehlen von Steuerungssystemen für Gemeinkosten generell, d.h. im direkten wie auch im indirekten Bereich, entwickelt (vgl. Johnson, H.T./Kaplan, R.S.  1987). Die Verrechnung von Fertigungsgemeinkosten über Maschinenstundensätze und der Einsatz differenzierter Bezugsgrößen waren in der amerikanischen Unternehmenspraxis kaum bekannt. ABC umfasste vom ersten konzeptionellen Entwurf (vgl. Cooper, R./Kaplan, R.S.  1988, S. 96 – 103) die Planung und Verrechnung von direkten Gemeinkosten der Fertigungsbereiche (als „ Ersatz “ von Lohnzuschlägen) und in indirekten Gemeinkostenbereichen, z.B. Beschaffung, Logistik und Vertrieb, gleichermaßen.
Mit ABC wurde in den USA einerseits ein methodischer Mangel beseitigt, der im deutschsprachigen Raum durch das Vorhandensein der Plankostenrechnung für den Fertigungsbereich nicht bestand, und gleichzeitig ein weiterer Schritt hin zur Planung, Steuerung und Verrechnung indirekter Bereiche gemacht, dem Einsatzfeld der Prozesskostenrechnung.
ABC kann allerdings nicht als Kopie der Grenzplankostenrechnung verstanden werden. Durch das Fehlen der Kostenspaltung ist die Methodik am ehesten mit der „ starren Plankostenrechnung “ bzw. einer Maschinenstundensatzrechnung auf Vollkostenebene vergleichbar.
ABC unterscheidet sich aber auch von seinen methodischen Ausprägungen her deutlich von der Prozesskostenrechnung:

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Während die Prozesskostenrechnung zwischen (kostenstellenbezogenen) Teilprozessen und übergreifenden (Haupt-) Prozessen unterscheidet, kennt ABC in der Regel nur „ Activities “ (vgl. Cooper, R./Kaplan, R.S.  1991, S. 85)

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Die Prozesskostenrechnung „ sammelt “ aus feingliedrigen Kostenstellen Aktivitäten, um sie zunächst übergeordneten Prozessen zuzuordnen, die dann weiter verrechnet werden, während ABC (große) Cost Center in Activity Pools aufteilt und diese über Bezugsgrößen (Cost Driver) verrechnet.


III.  Der Prozessansatz


Kern des Ansatzes ist die Neustrukturierung der Gemeinkostenbereiche in sachlich zusammengehörige, kostenstellenübergreifende Prozessketten. Es findet eine Fokussierung auf die Geschäftsprozesse als Ursache und Begründung des Kostenanfalls statt. Über die Wirkungskette zwischen Kunden – Produkten – Prozessen – Ressourcen (vgl. Franz, K.P.  1997, S. 106) sollen mit der Prozesskostenrechnung strategische Impulse gegeben werden, indem die Wirkungszusammenhänge zwischen markt- und produktbezogenen Entscheidungen und den dadurch (mittelfristig) veränderbaren Kapazitäten (Potenzialfaktoren) in den indirekten Bereichen transparent werden.
Unter einem Prozess wollen wir eine auf die Erbringung eines Leistungsoutputs gerichtete Kette von Aktivitäten verstehen. In der Regel geht man von einem mehrstufigen, hierarchischen Prozessmodell aus (vgl. Mayer, R.  1998, S. 136 – 139):

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Geschäftsprozesse sind die aggregierteste Form der Prozessbetrachtung. Unter einem Geschäftsprozess verstehen wir umfassende Aufgabenfelder eines Unternehmens, die ablauforientiert betrachtet werden, z.B. der Beschaffungsprozess oder Kundenauftragsabwicklungsprozess.

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Hauptprozesse sind Abschnitte oder Varianten von Geschäftsprozessen. Unter einem Hauptprozess verstehen wir eine Kette homogener Aktivitäten, die demselben Kosteneinflussfaktor unterliegen und für die Prozesskosten ermittelt werden sollen. Homogenität bedeutet, nur solche Aktivitätsbündel in einem Hauptprozess zusammenzufassen, die sich in Struktur, Ablauf, Arbeitsaufwand und der damit verbundenen Ressourceninanspruchnahme nicht grundsätzlich unterscheiden.
Geschäftsprozesse lassen sich vertikal und horizontal in Hauptprozesse differenzieren. Bei einer vertikalen Differenzierung bezieht sich der Hauptprozess auf klar abgegrenzte Sequenzen einer Prozesskette. So kann z.B. der Geschäftsprozess „ Kundenauftragsabwicklung “ in drei Hauptprozesse zerlegt werden; diese sind allgemeine Kundenbetreuungsaktivitäten ( „ Kunden betreuen “ ) mit dem Cost-Driver \'Anzahl Kunden\', vertriebs- und verwaltungsseitige Abwicklung ( „ Kundenauftragsabwicklung “ ) mit dem Cost-Driver \'Anzahl Aufträge\' und logistische Abwicklung ( „ Kundenauftragskommissionierung “ ) mit dem Cost-Driver \'Anzahl Positionen\'.
Von einer horizontalen Differenzierung sprechen wir, wenn unterschiedlich aufwendige Abwicklungsformen eines Prozesses kostenseitig gesondert ausgewiesen werden sollen und damit auch als eigene Hauptprozesse zu definieren sind. Bei der Kundenauftragsabwicklung könnte beispielsweise zwischen Inlands- und Auslandsabwicklung unterschieden werden, wenn die Auslandsauftragsabwicklung den mehrfachen Aufwand verursacht.

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Unter einem Teilprozess verstehen wir schließlich eine Kette homogener Aktivitäten einer Kostenstelle, die einem oder mehreren Hauptprozessen zugeordnet werden können, und für die Prozesskosten ermittelt werden sollen. Ein Teilprozess ist immer kostenstellenbezogen zu definieren, da dieser als Bindeglied zwischen den Kostenstellenkosten, die kostenstellenindividuell auf Teilprozesse zugeordnet werden, und den kostenstellenübergreifenden Hauptprozessen fungiert. Ein Hauptprozess ist formal als Zusammenfassung verschiedener Teilprozesse einer oder mehrerer Kostenstellen zu verstehen.

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Aktivitäten werden teilweise zur weiteren Detaillierung und zur besseren inhaltlichen Beschreibung von Teilprozessen aufgeführt. Aus Praktikabilitätsgründen hat sich allerdings eine kostenseitige Bewertung auf diesem Detaillierungsniveau als nicht sinnvoll herausgestellt, denn daraus ergäbe sich eine enorme Komplexitätsausweitung des Modells. Der notwendige Pflegeaufwand würde mit hoher Wahrscheinlichkeit die permanente Nutzung des Systems gefährden.


IV. Prozesskosten und deren Beeinflussung


Grundsätzlich werden bei der Prozesskostenrechnung die Kosten für alle in Anspruch genommenen Ressourcen des Anwendungsbereiches einbezogen und gemäß dem Verursachungsprinzip (der Kostenanfall entspricht den Prozessmengen) bzw. dem Beanspruchungs- oder Einwirkungsprinzip (die Prozesse beanspruchen Kapazitätsteile von intervallfixen Kosten) auf die Prozesse verrechnet.
Alle Ressourcen, die zur Durchführung der Prozesse in Anspruch genommen werden, führen zu Kostenarten im Rahmen der Prozesskostenrechnung. Dabei handelt es sich sowohl um „ proportionale Kosten “ wie z.B. Personal- und Personalnebenkosten (bis zu 70%), Bürokosten und Reisekosten. Aber auch als „ Fixkosten “ deklarierte Positionen zählen dazu, wie z.B. Abschreibung/Leasing von IT-Anlagen, Softwarelizenzkosten, Abschreibung/Leasing von logistischen Einrichtungen, Raumkosten sowie eventuell kalkulatorische Zinsen von Beständen. Nicht einbezogen werden i.d.R. klassische Werks- und Unternehmensumlagen.
Dem Cost Driver kommt, wie auch der Bezugsgröße der Plankostenrechnung, eine Doppelfunktion zu: Er ist sowohl Messgröße für die Kostenverursachung oder besser die Ressourceninanspruchnahme, als auch Messgröße für den Leistungsoutput (vgl. Horváth, P./Mayer, R.  1993, S. 18f). Dies bedeutet konkret: Bei Verdoppelung der Hauptprozessdurchführungen (gemessen durch den hierfür geeigneten Cost-Driver) ist von einer Verdoppelung der Ressourcenbeanspruchung und damit von einer Verdoppelung des Kostenanfalls auszugehen und umgekehrt.
Da bei der Prozesskostenrechnung auf eine Trennung der Kosten in proportionale und fixe Kosten verzichtet wird, kann der Cost-Driver nicht zu einer unterjährigen Sollkostenermittlung im Sinne der flexiblen Plankostenrechnung herangezogen werden. Sollkosten im Rahmen der Prozesskostenrechnung (Ist-Cost-Driver-Mengen Prozesskostensatz) sind ein Maßstab für die Auslastung der Kapazität, Abweichungen zu den Kostenstellenbudgets stellen Leerkosten bzw. in Anspruch genommene Zusatzkapazitäten dar.

V. Prozessanalyse, Ressourcen- und Kostenzuordnung


Voraussetzung für den Aufbau einer Prozesskostenrechnung ist eine Analyse und Strukturierung aller in den einbezogenen Unternehmensbereichen durchgeführten Tätigkeiten (Prozesskostenmanagement). Die Analyse erfolgt i.d.R. kostenstellenbezogen, da die Planung von Personalkapazität und Kosten in einem gegebenen Kostenrechnungsumfeld auf Kostenstellenebene erfolgt und auch die Istkosten auf Kostenstellenebene abgreifbar sind. Teilprozesse sind als Aktivitätsbündel aufzufassen, die in einer Kostenstelle zur Abwicklung eines übergreifenden Hauptprozesses erbracht werden.
Zur Klassifizierung der Teilprozesse haben wir die Begriffe

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leistungsmengeninduziert (lmi),

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leistungsmengenneutral (lmn)


geprägt (vgl. Horváth, P./Mayer, R.  1989, S. 216). Bei leistungsmengeninduzierten (lmi) Teilprozessen verhalten sich Zeitaufwand und damit die zugeordneten Kosten mengenproportional zum erbrachten Output. Für alle leistungsmengeninduzierten Prozesse sind geeignete Maßgrößen zu finden, mit deren Hilfe die Prozesse mengenmäßig quantifizierbar sind. Leistungsmengenneutrale (lmn) Tätigkeiten stellen eine „ Grundlast “ der Kostenstelle selbst dar. Sie sind notwendig zur Mitarbeiterführung, zur eigenen Verwaltung und Weiterbildung. lmn-Teilprozesse werden nicht unmittelbar auf Hauptprozesse zugeordnet, sondern in einem zweiten Schritt auf die Imi-Teilprozesse der jeweiligen Kostenstelle verrechnet.
Entscheidend ist, dass die gesamte Personalkapazität einer Kostenstelle auf Teilprozesse zugeordnet wird. Dies ist erforderlich, um eine fundierte Plausibilisierung der zugeordneten Kapazitäten bzw. Zeiten vornehmen zu können.
Die Zuordnung von Kapazitäten und Zeiten kann grundsätzlich auf zwei Wegen erfolgen:

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Bottom-up (vgl. Mayer, R.  1996, S. 55) über die Zeitdauer zur Durchführung einzelner Bearbeitungsvorgänge (meist in Minuten). Die Menge der in der Abteilung abgearbeiteten Vorgänge (Maßgrößenmenge) multipliziert mit den Minutenwerten der Teilprozesse muss bei kompletter Abbildung der Kostenstelle durch Teilprozesse die Gesamtjahresarbeitsminuten der Mitarbeiter der Kostenstelle ergeben.

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Top-down (vgl. Mayer, R.  1998, S. 13) lässt sich die gesamte Mitarbeiterkapazität (in Mitarbeiterjahren, MJ) auf einzelne Teilprozesse aufteilen. Dividiert man die Kapazitäten (in MJ) je Teilprozess durch die Maßgrößenmengen je Teilprozess, ergeben sich die Kapazitätsanteile je Durchführung.


In der Regel können – wie eben dargestellt – die Kostenstellenkosten über die Mitarbeiterkapazität in Mitarbeiterjahren oder über Minutenwerte auf die Teilprozesse zugeordnet werden. In Ausnahmefällen kann es notwendig sein, für bestimmte Kostenarten (z.B. IT-Kosten oder Lagerraumkosten) andere Kostenzuordnungsalgorithmen zu finden. Für verschiedene Rechenzwecke kann es sinnvoll sein, die leistungsmengenneutralen Kosten (z.B. „ Abteilung leiten “ ) auf die leistungsmengeninduzierten Prozesse zu verrechnen, z.B. um die Weiterverrechnung der gesamten Kosten für die Kalkulation sicherzustellen. Üblicherweise erfolgt die lmn-Umlage proportional zur Kostenhöhe der Imi-Prozesse. Addiert man lmi-Kosten und verrechnete lmn-Kosten, erhält man die gesamten Prozesskosten.
Um den Vorwurf der Proportionalisierung von lmn-Kosten abzumildern, werden Prozesskostensätze auf Teilprozess- und Hauptprozessebene getrennt nach (reinen) lmi-Kosten und Gesamtkosten ausgewiesen, sodass je nach Entscheidungssituation immer die jeweils relevanten Kosten bereitstehen. Des Weiteren werden bei Cost-Driver-Simulationen (wieviel Kapazität und Kosten können z.B. in Kostenstelle X wegfallen, wenn sich die Hauptprozesse 1 und 2 mengenmäßig um 30% reduzieren) lmn-Teilprozesse nicht proportionalisiert, da deren Höhe eigenständigen Entscheidungen vorbehalten bleibt.
Durch einfache Division der lmi-Prozesskosten bzw. Gesamtprozesskosten durch die Menge der entsprechenden Maßgröße können die (lmi- bzw. Gesamt-) Prozesskostensätze ermittelt werden. Der Prozesskostensatz stellt die durchschnittlichen Kosten für die einmalige Durchführung eines Prozesses dar.

VI. Prozesskostenorientierte Kalkulation


Eine prozessorientierte Ergänzung des Kalkulationsschemas von Industrieunternehmen ist insbesondere für solche Unternehmen relevant, deren Produkte oder Aufträge inhomogen sind bzw. die Ressourcen im Gemeinkostenbereich in unterschiedlichem Maße in Anspruch nehmen (vgl. Mayer, R.  1998, S. 16).
Durch die Ergänzung der Kalkulation um Prozesskosten lässt sich – wie bereits dargestellt – nur ein Teil der (Gemeinkosten-)Prozesse verursachungsgerecht dem Produkt bzw. dem Kundenauftrag zuordnen. In die Herstellkostenkalkulation gehen z.B. Beschaffungs-, Fertigungssteuerungs- und Fertigungslogistikprozesse ein.
Eine prozessorientierte Ergänzung der Kalkulation erfolgt auf jeder Kalkulationsstufe bzw. Stücklistenstufe vom Material bzw. der fremdbezogenen Komponente über Hausteile und Baugruppen bis zum Endprodukt. Über die Stückliste und die auf jeder Ebene zugeordneten Prozesskosten werden diese bis zum Endprodukt akkumuliert.
Aussagen über die „ vollen “ Kosten incl. der in Anspruch genommenen Gemeinkostenressourcen können auf jeder Artikelnummerebene (vom Fremdbezugsteil bis zum Endprodukt) getroffen werden. Damit sind vielfältige Entscheidungen, nicht nur auf Produktebene, besser kostenmäßig transparent zu machen. Zum Beispiel lassen sich auch Make-or-Buy-Entscheidungen auf Hausteile- bzw. Baugruppenebene unter Einbezug der Prozesskosten in Beschaffung und Logistik (Komplexitätskosten!) fundierter treffen.
Der prozessorientierten Herstellkostenkalkulation kann sich eine kundenauftragsbezogene Kalkulation mit Prozesskosten anschließen, die zusätzlich Kundenauftragsabwicklung und Versandprozesse beinhaltet.
Solche Kalkulationen können entweder einzelfallbezogen als Nebenrechnung oder integriert im Rahmen der Kalkulationssoftware die heutige Herstellkosten- bzw. Auftragskalkulation ergänzen bzw. ersetzen.

VII. Ergebnisrechung als mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung mit Prozesskosten


Durch Einbezug von Prozesskosten kann der Informationsgehalt einer mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung ausgebaut werden. In der traditionellen mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung werden Fixkosten stufenweise den Produkten, Produktgruppen, Bereichen bzw. dem gesamten Unternehmen zugeordnet. Dies erfolgt, indem Kostenstellen oder Kostenstellenblöcke (z.B. Fixkosten der Produktionsanlage für Produkt A oder Kosten der Vertriebsniederlassung in Frankreich) auf die Produkte oder Regionen zugeordnet werden, mit der sie in ursächlichem Zusammenhang stehen (vgl. Horváth, P./Mayer, R.  1993, S. 27; Mayer, R.  1996, S. 64).
Diese Vorgehensweise ist häufig viel zu grob, um die Kosten auf Ebene einzelner Kunden oder Produkte zuzuordnen. Wollen wir aber beispielsweise einem Produkt oder einer Produktgruppe seine Änderungskosten zuordnen, müssen wir den Änderungsprozess durch alle Kostenstellen des Unternehmens verfolgen und die Kosten über Teilprozesse zusammenfassen. Gleiches gilt für Beschaffungs-, Fertigungssteuerungs- und Auftragsabwicklungsprozesse. Erst durch die Kenntnis dieser Prozesse und deren Kosten lässt sich eine mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung aufbauen, bei der alle für den Kunden entstandenen Gemeinkosten berücksichtigt sind – Informationen, die ohne eine Prozesskostenrechnung im Unternehmen gar nicht verfügbar wären.
Aus solchen erweiterten Deckungsbeitragsrechnungen lassen sich wichtige Managementkonsequenzen ableiten, z.B.

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Preis-, Rabatt- und Provisionspolitik,

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Markt- und Kundenbetreuungskonzepte,

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Kunden- und Sortimentsstraffung im Rahmen eines Komplexitätsmanagements.


Deckungsbeitragsrechnungen können auch mehrdimensional über verschiedene Schnittflächen eines gedanklichen Würfels aufgebaut werden, wenn die Zuordnungsbeziehungen der einzubeziehenden Hauptprozesse zu den Zuordnungsobjekten definiert und alle Verrechnungsalgorithmen hinterlegt sind (vgl. Mayer, R./Weich, Martin  2005, S. 146 f).

VIII. Prozesskostenorientierte Budgetplanung und Bereichssteuerung


Als permanentes (im Jahresrhythmus eingesetztes) Planungs- und Steuerungssystem hilft die Prozesskostenrechnung, die Gemeinkosten mengenorientiert als Sollkosten (Anzahl der Prozesse Kostensatz) zu planen. Bei Gegenüberstellung der Istkapazität und der Istkosten werden Unterauslastungen oder fehlende Kapazitäten sichtbar.
Prozesskostenorientierte Budgetplanung erlaubt es, Rationalisierungsziele und mengenmäßige Veränderungen des Arbeitsvolumens und deren Konsequenzen für Kapazitätsveränderungen und Kostenveränderbarkeit aufzuzeigen. Damit wird die Planung in den Gemeinkostenbereichen versachlicht, weil ein objektives Mengen- und Preisgerüst zugrunde liegt.
Bezüglich des Soll-Ist-Vergleichs ist zu beachten, dass kurzfristige Kostenveränderungen in den Gemeinkostenbereichen aufgrund des Fixkostencharakters nur sehr eingeschränkt möglich sind.
Im Sinne eines mittel- und langfristigen Gemeinkostenmanagements müssen die gemeinkostentreibenden Prozesse mengenmäßig beeinflusst werden. Dies geht nur unter Einbeziehung von Produktmanagement, Vertrieb und Entwicklung. Den Planern ist ein handhabbares Instrument zur Verfügung zu stellen, mit Hilfe dessen sie die Gemeinkostenkonsequenzen konstruktiver, fertigungstechnischer sowie vertriebsseitiger Alternativen ermitteln und in eine Kostenbewertung einbeziehen können. Sieht der Planer die Kostenkonsequenzen der Teilevielfalt, vieler Fertigungsstufen, häufiger Produktänderungen, etc., können frühzeitig gezielte Maßnahmen zur mengenmäßigen Senkung kostentreibender Prozesse vereinbart und verfolgt werden.

IX. Vermeidung nicht verursachungsgerechter Verrechnungen


Die Prozesskostenrechnung weist zwar Elemente einer Vollkostenrechnung auf, ist aber weit davon entfernt, die vollen Kosten oder gar die vollen Istkosten auf den Kostenträger zu verrechnen. Deshalb ist beim Aufbau einer Prozesskostenrechnung besonders darauf zu achten, dass

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nur solche Kostenstellen einbezogen werden, wo vorwiegend repetitive Tätigkeiten durchgeführt werden. Den Prozessen sollen nur die Ressourcen zugerechnet werden, die zu ihrer unmittelbaren Erstellung anfallen. Die Kosten von Abteilungen mit Stabs- und Projektaufgaben dürfen nicht repetitiven Prozessen belastet werden.

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in der Kostenrechnung sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Erstens die Verrechnung von Kosten auf die Prozesse und zweitens die teilweise Verrechnung von Prozesskosten auf Kostenträger (Produkte/Dienstleistungen) oder in Segmente einer Ergebnisrechnung.

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nur ein Teil der Prozesse wird auf den Kostenträger verrechnet, z.B. die Kosten der Hauptprozesse „ Materialbeschaffung “ , „ Fertigungsauftragssteuerung “ , „ Fertigungslogistik “ , etc.

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die auf den Kostenträger (Produkt/Dienstleistung) verrechneten Prozesskosten werden in gesonderten Kalkulationszielen, z.B. Beschaffungskosten, Produktionssteuerungskosten, Logistikkosten etc. ausgewiesen, sodass für Entscheidungsrechnungen die jeweils relevanten Kosten ersichtlich sind.

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ein zweiter Teil der Prozesskosten ist nicht dem individuellen Produkt zurechenbar, sondern wird in verschiedenen Segmenten einer Ergebnisrechnung in Form einer mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung zugeordnet.

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ein letzter Teil tangiert den Wertefluss der Kalkulation und Ergebnisrechnung nicht, sondern dient nur dazu, die Kosten bestimmter unternehmerischer Aktivitäten transparent und steuerbar zu machen, z.B. die Kosten der Hauptprozesse „ Personalabrechnung “ oder „ Kostenbericht erstellen “ .

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schließlich ist noch sicherzustellen, dass die über ein Jahr hinweg verrechneten Prozesskosten Plankosten darstellen. Wie bei der Leistungsverrechnung mit Plankosten oder der Bezugsgrößenkalkulation der Plankostenrechnung sollen auch bei der Prozesskostenrechnung keine Leerkosten in die Weiterverrechnung eingehen.


Literatur:
Cooper, Robin/Kaplan, Robert S. : Activity-Based Costing: Ressourcenmanagement at its best, in: Harvard Manager, 1991, Bd. 4, S. 87 – 94
Cooper, Robin/Kaplan, Robert S. : Measure Costs Right: Make the right Decisions, in: HBR, Jg. 66, 1988, Bd. 5, S. 96 – 103
Franz, Klaus Peter : Unterstützung des Strategischen Kostenmanagements als Aufgabe des Controllers, in: Das neue Steuerungssystem des Controllers, hrsg. v. Horváth, Péter, Stuttgart 1997, S. 101 – 112
Horváth, Péter/Mayer, Reinhold : Prozesskostenrechnung. Der neue Weg zu mehr Kostentransparenz und wirkungsvolleren Unternehmensstrategien, in: Controlling, H. 4/1989, S. 214 – 219
Horváth, Péter/Mayer, Reinhold : Prozesskostenrechnung – Konzeption und Entwicklungen, in: KRP/Sonderheft, H. 2/1993, S. 15 – 28
Johnson, H. Thomas/Kaplan, Robert S. : Relevance Lost – The Rise and Fall of Management Accounting, Boston, Massachussets 1987
Mayer, Reinhold : Prozesskostenrechnung und Prozess(kosten)optimierung als integrierter Ansatz – Methodik und Anwendungsempfehlung, in: Kostenorientiertes Geschäftsprozeßmanagement, hrsg. v. Berkau, C./Hirschmann, P., München 1996, S. 43 – 67
Mayer, Reinhold : Neukonzeption einer Kapazitäts- und prozessorientierten Kostenrechnung, München 1998
Mayer, Reinhold : Prozesskostenrechnung – State of the Art, in: Prozesskostenmanagement, hrsg. v. Horváth & Partner, , München, 2. A., 1998, S. 1 – 27
Mayer, Reinhold/Weich, Martin : Steuerung der Kunden- und Produktprofitabilität, in: Prozesskostenmanagement umsetzen, hrsg. v. Horváth & Partner, , Stuttgart, 2005, S. 141 – 158

 

 


 

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