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Versicherungen


Inhaltsübersicht
I. Grundlegendes
II. Versicherungsgeschichte
III.  Grundformen: Individual- und Sozialversicherung
IV. Versicherung als Wirtschaftsgut
V. Theorie der Versicherungsnachfrage
VI. Theorie des Versicherungsangebots
VII. Versicherungsmarkt

I. Grundlegendes


Versicherung ist ein Teilbereich des Risikomanagements, das die Identifikation, Messung, Bewertung und Handhabung der für eine Privatperson oder ein Unternehmen relevanten Risiken umfasst. Zur Risikohandhabung gehören Maßnahmen zur Risikokontrolle, bei der auf die Schadenverteilung Einfluss genommen wird, und Ansätze zur Risikofinanzierung, die die Kompensation eines eingetretenen Vermögensverlusts zum Inhalt hat. Der Risikofinanzierung sind Versicherung, Selbstversicherung über den Aufbau von Reserven, Diversifikation, Hedging und kapitalmarktorientierte Finanzierungsformen (z.B. Insurance Linked Securities) zuzuordnen.
Versicherung ist der Transfer einer Schadenverteilung von einem Versicherungsnehmer zu einem Versicherer (Risikotransfer) gegen Entgelt. Der Versicherer gibt dabei auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen und/oder gesetzlicher Regelungen gegen Entgelt der versicherten Wirtschaftseinheit (dem Versicherungsnehmer) gegenüber ein bedingtes Leistungsversprechen dahingehend ab, bei Eintritt eines definierten Schadenereignisses innerhalb des Vertragszeitraums (Versicherungsfall) eine den eingetretenen Schaden – eventuell partiell – kompensierende Geldzahlung oder Sachleistung (Versicherungsleistung) zu erbringen.
Versicherer sind typischerweise Unternehmen, deren Kerngeschäft der Abschluss und die Erfüllung von Versicherungsverträgen ist (Versicherungsunternehmen, „ Versicherungen “ ) und die ihrerseits ein angemessenes Risikomanagement betreiben, um die Erfüllbarkeit der Versicherungsleistung zu gewährleisten. Das Entgelt in Form einer Versicherungsprämie (auch Versicherungsbeitrag genannt) ist in der Regel zu Beginn des Vertragszeitraums zu leisten.
Versicherung umfasst grundsätzlich auch den Risikotransfer an ein Nicht-Versicherungsunternehmen, z.B. die Garantieabgabe eines Automobilherstellers oder das Eingehen einer Bankbürgschaft. Allerdings soll im Folgenden Versicherung in einem traditionell engeren Sinn betrachtet werden, nämlich als Risikotransfer hin zu einem Versicherungsunternehmen bzw. als Versicherungsunternehmen selbst.

II. Versicherungsgeschichte


Bereits im Altertum gibt es Versicherung dergestalt, dass sich Personen zu einer Gefahrengemeinschaft zusammenschließen, um beispielsweise gemeinsam den Schaden zu ersetzen, der dem einzelnen Teilnehmer an einer Karawane durch Überfall entsteht, oder um sich gegenseitig ein ehrenhaftes Begräbnis zu ermöglichen (Bernstein, Peter 1996)).
Gefahrengemeinschaften, in Nordeuropa meist in Form von Gilden (Vorläufer heutiger Berufsgenossenschaften), sind auch im Mittelalter zu beobachten (Koch, Peter 1998). Gildebrüder erhielten in der Regel gegen Zahlung regelmäßiger Beiträge das Versprechen der Gilde, ihnen in bestimmten Schadenfällen Hilfestellung zu gewähren. In den Gefahrengemeinschaften ist die Wurzel der heutigen Rechtsform „ Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit “ zu sehen.
Neben diesem genossenschaftlichen Ansatz finden sich im Mittelalter die historischen Wurzeln für auf kaufmännischer Grundlage arbeitende Versicherungsunternehmen, Vorläufer der heutigen Rechtsform „ Versicherungsaktiengesellschaft “ . So sind aus dem Italien des 14. Jahrhunderts erste Seeversicherungsverträge bekannt. Gewerbsmäßige Versicherer sind zu jener Zeit in der Regel Einzelpersonen; die erste Versicherungsaktiengesellschaft, ebenfalls zum Zweck der Seeversicherung, wird Ende des 17. Jahrhunderts in Paris gegründet. Die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Lebensversicherungsmathematik im 17. und 18. Jahrhundert erweist sich als Grundlage für auf solider aktuarieller Basis arbeitende Lebensversicherungsgesellschaften, die ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, beginnend in England, entstehen.
Großbrände im 17. Jahrhundert sind wiederum der Ausgangspunkt für die Entstehung von Feuerversicherungsgesellschaften, die teils mit erwerbswirtschaftlichen Zielen gegründet werden, teils staatliche Unternehmen sind, deren Ziel die Vermeidung der Armut breiter Bevölkerungsschichten durch Feuergefahr ist. Diese staatlichen Versicherungsunternehmen leben zum Teil noch heute in der Rechtsform der „ öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen “ fort.
Das 19. und beginnende 20. Jahrhundert sind gekennzeichnet durch das Entstehen unterschiedlicher Versicherungszweige wie der Unfall-, Haftpflicht- oder Kraftfahrzeugversicherung, die Gründung von Rückversicherungsunternehmen, die Einrichtung von Versicherungsaufsichtsbehörden in vielen Ländern (Deutschland: 1901) sowie die Einführung der Sozialversicherung (Deutschland: ab 1883).
Aktuell ist die Versicherungswirtschaft durch eine internationale Ausrichtung von Versicherungskonzernen gekennzeichnet, die sich zunehmend als Allfinanz-Konzerne sehen, also neben dem Versicherungsgeschäft auch Bank- und Investmentgeschäfte betreiben. In der Europäischen Union ist der Prozess der Deregulierung und Liberalisierung der Versicherungsmärkte weitgehend abgeschlossen, die endgültige Harmonisierung und Modernisierung eines europäischen Versicherungsaufsichtssystems steht noch aus.
Versicherung wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Bestandteil eines integrierten Risikomanagements gesehen, bei dem ein immer größer werdendes Instrumentarium von Risikomanagement-Maßnahmen eingesetzt werden kann, um eine gewünschte Risiko-Ertrags-Situation im betrieblichen wie im privaten Bereich zu erreichen.

III. Grundformen: Individual- und Sozialversicherung


Grundsätzlich kann die Versicherung in Individual- und Sozialversicherung eingeteilt werden (Schulenburg, J.-Matthias Graf von der 2005). Während die Individualversicherung (auch Privatversicherung genannt) individuelle Bedürfnisse auf der Grundlage freiwillig zustande kommender Versicherungsverträge befriedigt, stellt die Sozialversicherung eine auf Gesetzen basierende Zwangsversicherung zur Sicherung individueller, insbesondere aber öffentlicher Interessen dar.
Ziel der deutschen Sozialversicherung ist die Existenzsicherung breiter Bevölkerungsschichten – mit einem Schwerpunkt bei den Arbeitnehmern. Die Sozialversicherung gliedert sich in Deutschland in die Zweige der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Die Beitragsbemessung des einzelnen Versicherten orientiert sich (bis auf die gesetzliche Unfallversicherung) an dessen Bruttobezügen, wobei Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge in der Regel paritätisch aufbringen. Außer bei der gesetzlichen Rentenversicherung und – mit Einschränkungen – in der Arbeitslosenversicherung sind die individuellen Versicherungsleistungen nicht von der Höhe der gezahlten Beiträge des einzelnen Versicherten abhängig. Die Versicherungsleistungen werden im Umlageverfahren durch die aktuellen Beitragseinnahmen und eventuell nötige staatliche Zuschüsse gedeckt. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird das Umlageverfahren in den kommenden Jahrzehnten nur mehr sehr eingeschränkt in der Lage sein, die heutigen Leistungsstandards der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung aufrechtzuerhalten, weshalb grundlegende Reformen des deutschen Sozialversicherungssystems in den kommenden Jahren zu erwarten sind.
Während in der Sozialversicherung über die vorherrschende Gehaltsabhängigkeit der Beiträge ein sozialer Ausgleich zwischen einzelnen Bevölkerungsschichten intendiert ist und stattfindet, ist ein wichtiges Wesensmerkmal der Individualversicherung das individuelle Äquivalenzprinzip, also die Äquivalenz von Barwert der zu entrichtenden Versicherungsprämien und Barwert der Versicherungsleistungen für den einzelnen Versicherungsvertrag. Dies führt für länger laufende Versicherungsverträge zum Kapitaldeckungsverfahren, bei dem im Versicherungsunternehmen über Rückstellungsbildung und entsprechende Kapitalanlage Prämienbestandteile für Versicherungsleistungen in künftigen Perioden reserviert werden.
Individualversicherung ist in der Ausgestaltung der Erst- und Rückversicherung anzutreffen (Liebwein, Peter 2000). Die Erstversicherung bezieht sich auf den Transfer den Versicherungsnehmer bedrohender Risiken hin zu Versicherungsunternehmen, wohingegen die Rückversicherung ein Bestandteil des versicherungsbetrieblichen Risikomanagements ist, bei dem Teile des vom Erstversicherer gezeichneten versicherungstechnischen Risikos an ein Rückversicherungsunternehmen gegen Zahlung einer Rückversicherungsprämie transferiert werden. Im Zuge der Retrozession kann das Rückversicherungsunternehmen Teile des übernommenen Risikos an ein weiteres Rückversicherungsunternehmen abgeben. Weitere Gestaltungsformen der Individualversicherung sind die Mitversicherung, bei der mehrere Erst- bzw. Rückversicherer jeweils Anteile einzelner Risiken übernehmen, und der Pool, in den von Versicherungsunternehmen insbesondere Großrisiken (z.B. Atomrisiken) gegen Zahlung von Prämien eingebracht werden. Etwaige Überschüsse des Pools bzw. Nachschüsse an den Pool werden gemäß vertraglich vereinbarter Quoten auf die Poolmitglieder verteilt.
Für die Versicherungsleistungen in der Individualversicherung haben sich spezifische Versicherungsformen herausgebildet, zum einen die Summenversicherung und zum anderen die Schadenversicherung. Bei der Summenversicherung wird unabhängig von der tatsächlichen Schadenhöhe eine bestimmte Geldsumme als Versicherungsleistung vereinbart, wohingegen bei der Schadenversicherung die Versicherungsleistung in einem funktionalen Zusammenhang zur eingetretenen versicherten Schadenhöhe steht. Beispiele für die Schadenversicherung sind die Quotenversicherung oder eine Versicherung mit Abzugsfranchise.
In der Individualversicherung finden sich folgende Versicherungszweige und -arten:

-

Lebensversicherung, Pensionskassen und Pensionsfonds;

-

Private Krankenversicherung;

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Schaden- und Unfallversicherung (Kraftfahrzeugversicherung, Allemeine Haftpflichtversicherung, Private Unfallversicherung, Rechtsschutzversicherung, Sachversicherung, Transportversicherung, Kreditversicherung, Nuklearversicherung, Insolvenzversicherung).


IV. Versicherung als Wirtschaftsgut


Versicherungsprodukte weisen gegenüber anderen Wirtschaftsgütern grundsätzlich einige Besonderheiten auf: Als immaterielles Gut ist das Produkt „ Versicherungsschutz “ in besonderem Maße erklärungsbedürftig (Albrecht, Peter 1992). Die Leistungserfüllung ist zeitraumbezogen, wobei der Versicherte während der Vertragslaufzeit die Position eines Fremdkapitalgebers (Versicherungsaktiengesellschaft/staatliches Versicherungsunternehmen) beziehungsweise eines Fremd- und gleichzeitig Eigenkapitalgebers (Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit) des Versicherungsunternehmens einnimmt. Dies hat zur Konsequenz, dass das Sicherheitsniveau des Versicherers einen unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllungssicherheit des Vertrags und damit auf die Produktqualität ausübt (Doherty, Neil 2000). Da die zentrale Leistung des Versicherungsunternehmens – die Risikotransformation der übernommenen Risiken durch Instrumente der Risikofinanzierung – erst nach Abschluss des Vertrags vorgenommen werden kann, wird in Zusammenhang mit Versicherungsprodukten häufig auch von einem „ Absatz-vor-Produktion “ - Prinzip gesprochen, welches sich bei Nicht-Versicherungsprodukten nur selten finden lässt (Manes, Alfred 1930).
Versicherungsprodukte können nach Farny in drei Bestandteile gegliedert werden: das Risikogeschäft, das Spar- und Entspargeschäft und das Dienstleistungsgeschäft (Farny, Dieter 2000). Das Risikogeschäft beinhaltet die Übernahme von Risiken des Versicherungsnehmers auf das Versicherungsunternehmen (Risikotransfer). Spar- und Entspargeschäfte sind vor allem in Versicherungszweigen von Bedeutung, in denen es neben dem reinen Risikogeschäft zu planmäßigen Investitionen und Desinvestitionen kommt. Zu nennen sind hierbei insbesondere die Lebens- und Krankenversicherung sowie die Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr. Das Dienstleistungsgeschäft umfasst hingegen vor allem Beratungs- und Abwicklungsleistungen des Versicherungsunternehmens.
Volkswirtschaftlich besitzt das Wirtschaftsgut Versicherung eine große Bedeutung. Zweifel/Eisen führen hierzu u.a. die folgenden Punkte an: Eine effiziente Allokation der Risiken in der Volkswirtschaft durch Versicherung minimiert Transaktionskosten und reduziert Vermögensverluste durch schnelle Schadenregulierung und technische Kontrollen. Da Versicherung zu einem Vermögensschutz führt, ergeben sich für die Wirtschaftssubjekte der Volkswirtschaft verbesserte Planungsgrundlagen für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten. Durch risikoadäquate Tarifierung kann Versicherung darüber hinaus zu einer Kontrolle des Unternehmensverhaltens führen. Schließlich dient Versicherung auch dazu, die öffentliche Hand zu entlasten, da diese nicht für Schäden einzustehen hat, die einzelne Wirtschaftssubjekte erleiden und die diese nicht selbst tragen können (Zweifel, Peter/Eisen, Roland 2003).

V. Theorie der Versicherungsnachfrage


Die Nachfrage nach Versicherungsschutz steht in engem Zusammenhang mit der Risikoneigung des Versicherungsnehmers. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Versicherungsnachfrage durch risikoaverses Verhalten motiviert ist. Individuen werden dann als risikoavers bezeichnet, wenn für sie der Nutzen des Erwartungswerts einer unsicheren Vermögensverteilung größer ist als der erwartete Nutzen dieser Verteilung (konkave Nutzenfunktion). Das Individuum würde von daher ein sicheres Endvermögen in Höhe von x immer einer riskanten Vermögensverteilung y mit einem Erwartungswert in Höhe von x vorziehen. Bezogen auf die Theorie zur Versicherungsnachfrage (für einen Überblick vgl. Kromschröder, Bernhard 1994; Zweifel, Peter/Eisen, Roland 2003) fragt ein risikoaverser Versicherungsnehmer demzufolge immer dann eine Vollversicherung nach, wenn die zu zahlende Prämie dem Erwartungsschaden (so genannte aktuariell faire Prämie) entspricht. Ein risikoaverser Versicherungsnehmer ist aber auch bereit, eine unfaire Prämie, die sich aus dem erwarteten Schaden und einem fixen Zuschlag zusammensetzt, zu akzeptieren, solange nach einer Versicherungsnahme der Nutzenwert der unsicheren Vermögensverteilung ohne Versicherung nicht unterschritten wird (Arrow, Kenneth 1974). Bei einer aktuariell unfairen Versicherung mit einem zum Erwartungsschaden proportionalen Zuschlag wird in aller Regel ein Deckungsumfang kleiner als 100% (also Unterversicherung) gewählt.
Die Versicherungsnachfrage wird jedoch nicht nur durch den Preis für Versicherungsschutz, die Verteilung der Schäden, die Entschädigungsfunktion und die Risikoeinstellung bestimmt (Doherty, Neil 1984). So kann ein Zusammenhang zwischen der Versicherungsnachfrage und der Vermögensausstattung des Individuums bestehen (Kromschröder, Bernhard 1994). Insbesondere sind hierbei die Verteilung von Schäden und Vermögen sowie die Interrelationen zwischen diesen beiden Größen von Bedeutung. Des Weiteren können sowohl Sicherungsmaßnahmen, die die Höhe des Schadens verringern, als auch Schutzmaßnahmen, welche die Eintrittswahrscheinlichkeit der Schäden mindern, als Versicherungssubstitute wirken (Ehrlich, Isaac/Becker, Gary 1972). Schließlich wird die Nachfrage nach Versicherungsschutz durch das Vorliegen von Informationsasymmetrien (adverse Selektion und moralisches Risiko) beeinflusst.
Finanzierungstheoretisch motivierte Modellansätze wie z.B. das Capital-Asset-Pricing-Modell oder die Optionspreistheorie unterstellen einen friktionslosen und arbitragefreien Kapitalmarkt, auf dem lediglich systematische (d.h. auch nach planmäßiger Diversifikation verbleibende) Risiken bewertungsrelevant sind (Mossin, Jan 1968). Eine Anwendung dieser kapitalmarktorientierten Ansätze auf die Bewertung von Versicherungsrisiken (z.B. im Rahmen des Insurance-CAPM oder des Contingent Claims Approach) erscheint vor allem für betriebliche Versicherungen angezeigt und führt zu Grenzprämien, die dem Barwert der Entschädigungszahlung an den Versicherungsnehmer entsprechen. Sollte der Marktpreis kleiner als der Barwert der Entschädigungszahlung sein (es liegt also aus Sicht eines Versicherungsnehmers ein positiver Kapitalwert vor), stellt sich eine Versicherungsnachfrage ein, die nicht vom individuellen Grad der Risikoaversion des Marktteilnehmers abhängt. In einem sich im Gleichgewicht befindlichen, arbitragefreien Versicherungsmarkt tritt eine solche Situation nicht ein, da sich ein Marktpreis für Versicherungsrisiken in Höhe des Barwerts der Entschädigungszahlung einstellen müsste. In einem solchen Gleichgewicht, in dem keine Marktunvollkommenheiten vorliegen, kann dann kein Marktteilnehmer einen Vorteil durch den Abschluss oder Nicht-Abschluss eines Versicherungsvertrags erzielen. Von daher können in diesem Kontext die Risikoallokationsmöglichkeiten in der Volkswirtschaft nicht durch das Vorhandensein von Versicherungsmöglichkeiten verbessert werden.
In praxi sind vor allem auch Marktunvollkommenheiten dafür verantwortlich, dass Versicherungsnachfrage entsteht. Mayers und Smith führen die zentralen Gründe an, warum Unternehmen Versicherungsschutz nachfragen (Mayers, David/Smith, Clifford Jr. 1982). Zum einen besitzen Versicherungsunternehmen im Vergleich zu Nicht-Versicherungsunternehmen in aller Regel komparative Vorteile im Bereich der Bearbeitung und Abwicklung von Schäden sowie bei der Beurteilung und Kontrolle von Schutz- und Sicherungsmaßnahmen ( „ Monitoring “ ). Des Weiteren können durch Versicherung die Konkurswahrscheinlichkeit und die damit einhergehenden Konkurskosten (z.B. Reputationsverlust, Gerichts- und Abwicklungskosten) reduziert werden. Der Kauf von Versicherungsschutz ist insbesondere dann von Interesse, wenn die Kosten für Versicherung deutlich kleiner sind als die erwarteten Konkurskosten. Versicherung kann aber auch zur Milderung des Eigner-Gläubiger-Konflikts beitragen, da der Versicherer im Rahmen seiner „ Monitoring “ - Funktion Anreize setzt, Investitionsprogramme in der Form durchzuführen, wie sie ursprünglich mit den Fremdkapitalgebern vereinbart wurden. Schließlich sind auch steuerliche Motive zu nennen, die häufig darin begründet liegen, dass für Unternehmen Versicherungsprämien steuerlich abzugsfähig sind und es von daher Vorteile gegenüber einer Selbstversicherungslösung geben kann.

VI. Theorie des Versicherungsangebots


Versicherung kann dann erfolgreich angeboten werden, wenn nach gegen Prämienzahlung erfolgtem Risikotransfer an den Versicherer innerhalb des Versicherungsunternehmens eine Risikotransformation (Albrecht, Peter 1992) vorgenommen wird, die die Erfüllungssicherheit der Versicherungsverträge ausreichend sicherstellt. Fehlende Erfüllungssicherheit äußert sich im versicherungstechnischen Gesamtrisiko, also der Gefahr, dass in einem definierten Zeitraum der gesamte Aufwand für Versicherungsleistungen die vorhandene Summe aus Prämienertrag und Sicherheitskapital des Versicherers übersteigt (Albrecht, Peter 1992). Die Abweichung des tatsächlichen Gesamtschadens vom geschätzten Gesamtschaden kann durch unvollständige Informationen über die wahre Zufallsgesetzmäßigkeit der Schadenverteilung (Irrtumsrisiko) oder selbst bei vollständiger Information durch zufällige Schwankungen bedingt sein (Zufallsrisiko). Das Irrtumsrisiko kann weiterhin in das Diagnoserisiko (unvollständige Informationen über die wahren Schadengesetzmäßigkeiten) und das Prognose- oder Änderungsrisiko (unvollständige Informationen über die zukünftige Gültigkeit von in der Vergangenheit festgestellten Schadengesetzmäßigkeiten) unterteilt werden. Zwar kann das versicherungstechnische Gesamtrisiko in praxi nicht völlig eliminiert werden, jedoch sind zahlreiche Elemente des Risikotransfers und der Risikotransformation dazu bestimmt, eine Risikoreduktion herbeizuführen (Albrecht, Peter 1992). Zu nennen sind hierbei Formen der Risikoselektion im Rahmen der Zeichnungspolitik, die Bildung von ausgleichsfähigen Versicherungskollektiven (siehe unten), eine Prämienbemessung unter Berücksichtigung von Sicherheitszuschlägen (siehe unten) oder Beitragsanpassungsklauseln, die Eigenkapitalunterlegung, die Rückversicherungsnahme und das Asset-Liability-Management, also die Berücksichtigung versicherungstechnischer Risiken bei Kapitalanlageentscheidungen.
Durch Zusammenführen stochastisch nicht völlig abhängiger Risiken können im Rahmen der Risikotransformation Diversifikationseffekte (Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit) erzielt werden (Albrecht, Peter 1982). Dies bedeutet z.B., dass in einem bestimmten Zeitraum bei gegebener Eigenkapitalausstattung des Versicherers und gegebenen Prämieneinzahlungen pro Risiko, die größer als die erwarteten Schäden sind, sich die Insolvenzwahrscheinlichkeit des Versicherers durch Hinzunahme gleichartiger stochastisch unabhängiger Risiken sukzessive reduzieren lässt. Dies impliziert auch, dass bei stochastischer Unabhängigkeit der versicherten Risiken und gegebener Insolvenzwahrscheinlichkeit des Versicherers die notwendige Prämie (Grenzprämie) pro Risiko sinkt und sich dabei sukzessive dem erwarteten Schaden nähert (Albrecht, Peter 1982).
Im Rahmen der Prämienkalkulation für Versicherungsrisiken können zwei grundlegend unterschiedliche Konzepte voneinander unterschieden werden (Cummins, J. David 1991). In Zusammenhang mit der kapitalmarktorientierten Vorgehensweise (insbesondere Insurance-CAPM und Contingent Claims Approach; vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt V) ergibt sich der Grenzpreis für einen Versicherungsvertrag aus Sicht der Eigentümer des Versicherungsunternehmens als Barwert der Entschädigungszahlungen an den Versicherungsnehmer. In mehrjährigen Verträgen mit regelmäßigen Prämienzahlungen muss analog der Barwert der Prämieneinzahlungen dem Barwert der Entschädigungszahlungen entsprechen. Die Barwertbildung erfolgt auf Basis eines sicher diskontierten Sicherheitsäquivalents, wobei das Sicherheitsäquivalent sich aus den erwarteten Entschädigungszahlungen abzüglich einer (je nach Modellansatz unterschiedlich ausgestalteten) Risikoadjustierung ergibt. Bei Vernachlässigung von Transaktionskosten gewährt die Erzielung eines auf diese Weise kalkulierten Grenzpreises am Markt eine risikoadäquate Verzinsung des Eigenkapitals. Aktuarielle Prämienkalkulationsverfahren fußen auf versicherungsmathematischen Überlegungen und vernachlässigen zuweilen Diversifikations- und Kapitalanlageeffekte. Üblicherweise ergibt sich die Grenzprämie auf Basis der Summe aus Erwartungsschaden und einem Sicherheitszuschlag. Die Berechnung des Sicherheitszuschlags erfolgt typischerweise auf Basis des Produkts aus einer statistischen Kennziffer der Schadenverteilung (Erwartungswert, Varianz, Standardabweichung oder einem Quantilwert) und einem positiven Koeffizienten. Mitunter wird auch eine konkrete Risikonutzenfunktion für das Versicherungsunternehmen unterstellt (z.B. unter Verwendung des Erwartungsnutzen-Prinzips) und auf diese Weise bei gegebener Schadenverteilung eine Grenzprämie ermittelt.

VII. Versicherungsmarkt


Der Versicherungsmarkt, also der ökonomische Ort, an dem es zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer zum Abschluss von Versicherungsverträgen kommt, lässt sich, je nach Abgrenzung, in unterschiedliche Teilmärkte unterteilen: den Erst- und Rückversicherungsmarkt, die Märkte für Privat- und Firmenkunden, Märkte für unterschiedliche Versicherungszweige, regionale Märkte oder Märkte hinsichtlich unterschiedlicher Vertriebswege.
Probleme aus Informationsasymmetrien stehen im Mittelpunkt theoretischer Überlegungen zum Zustandekommen von Versicherungsmärkten. Der erste zentrale Problemkreis ist hierbei das „ moralische Risiko “ , also die vom Versicherer nicht oder nur partiell zu beobachtende Verhaltensänderung des Versicherungsnehmers aufgrund des Abschlusses von Versicherungsverträgen. Moralisches Risiko führt in der Regel zu höheren Versicherungsprämien und geringerem Versicherungsumfang als bei vollständiger Beobachtbarkeit des Verhaltens. Der zweite zentrale Problemkreis betrifft die „ adverse Selektion “ . Sie bezeichnet den Umstand, dass es für diejenigen Versicherungsnehmer besonders vorteilhaft sein kann Versicherungsverträge abzuschließen, die risikorelevante (und damit prämienerhöhende) Eigenschaften der zu versichernden Person oder Sache dem Versicherer gegenüber verheimlichen können. Der Versicherer erhielte dadurch einen Vertragsbestand mit einem bezogen auf die tatsächlich versicherten Risiken zu geringen Prämienvolumen. Erhöht er von daher die Prämie, bleibt der Versicherungsabschluss für besonders „ schlechte Risiken “ attraktiv, während „ gute Risiken “ sich nicht mehr versichern. Die Konsequenz hieraus ist ein so genanntes Marktversagen: Es werden weniger Versicherungsverträge abgeschlossen als es gesamtwirtschaftlich optimal wäre. Zu Einzelheiten vergleiche Zweifel, Peter/Eisen, Roland 2003.
Versicherungsprodukte werden über vielfältige Vertriebswege verkauft. Neben den eher neuen Vertriebswegen wie Banken, das Internet und besondere Finanzvertriebsorganisationen dominieren in der Versicherungswirtschaft spezialisierte Versicherungsvermittler. Zu unterscheiden sind Angestellte im Außendienst, Versicherungsvertreter in der Form des selbstständigen Handelsvertreters und Versicherungsmakler. Außendienstmitarbeiter sind unternehmenseigene Absatzorgane und ausschließlich für ein Versicherungsunternehmen tätig. Unternehmensgebundene Absatzorgane sind selbstständige Handelsvertreter, die ebenfalls nur für ein Versicherungsunternehmen tätig sind. Versicherungsmakler, aber auch Mehrfirmenversicherungsvertreter sind unternehmensfremde Absatzorgane und vertreiben grundsätzlich eine große Zahl verschiedener Versicherungsprodukte unterschiedlicher Versicherungsunternehmen. Versicherungsvertreter und Angestellte im Außendienst sind dabei überwiegend im Privatkundengeschäft tätig, Versicherungsmakler schwerpunktmäßig im Firmengeschäft.
Seit der Deregulierung des europäischen Versicherungsmarkts 1994 findet auch im Privatkundengeschäft ein verschärfter Wettbewerb über die Preis- und Produktpolitik statt. Die Kehrseite niedrigerer Versicherungsprämien stellen aus Sicht vieler Versicherungsnehmer seither intransparentere Versicherungsprodukte dar. Ein Beispiel hierfür ist die Vielzahl neuer Tarifierungsmerkmale in der Kraftfahrzeugversicherung.
Die Interessen vor allem der Privatkunden werden in Deutschland durch Verbraucherschutzverbände, die Gesetzgebung (Versicherungsaufsichtsgesetz, Versicherungsvertragsgesetz), insbesondere aber durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vertreten. Deren diesbezügliche Aktivitäten konzentrieren sich auf eine Missbrauchsaufsicht, was die Produkt- und Preisgestaltung betrifft, und die Finanzaufsicht, die die Solvabilität von Versicherungsunternehmen überwacht bzw. durch zum Teil sehr weitgehende Eingriffe in die Unternehmensautonomie wiederherstellt. Die Interessen der Versicherungswirtschaft wiederum werden in Deutschland durch ein ausgeprägtes Verbandswesen wahrgenommen, vor allem durch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Auch der Versicherungsvertrieb ist zum Teil verbandsmäßig organisiert.
Der deutsche Versicherungsmarkt wird in Teilen durch staatliche Zielsetzungen und Aktivitäten geprägt. So ist für Kraftfahrzeughalter der Abschluss einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung obligatorisch. Auch fördert der Staat über Steuersubventionierung bzw. staatliche Zulagen private Altersvorsorgeprodukte wie Kapitallebensversicherungsverträge bzw. Leibrentenversicherungsverträge, die bestimmten Anforderungen genügen müssen.
Literatur:
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Albrecht, Peter : Zur Risikotransformationstheorie der Versicherung. Grundlagen und ökonomische Konsequenzen, Karlsruhe 1992
Arrow, Kenneth : Optimal Insurance and Generalized Deductibles, in: Scandinavian Actuarial Journal, Bd. 57, 1974, S. 1 – 42
Bernstein, Peter : Against the Gods: The Remarkable Story of Risk, New York 1996
Cummins, J. David : Statistical and Financial Models of Insurance Pricing and the Insurance Firm, in: The Journal of Risk and Insurance, Bd. 58, 1991, S. 261 – 302
Doherty, Neil : Protfolio Efficient Insurance Buying Strategies, in: The Journal of Risk and Insurance, Bd. 51, 1984, S. 205 – 224
Doherty, Neil : Integrated Risk Management – Techniques and Strategies for Managing Corporate Risk, New York 2000
Ehrlich, Isaac/Becker, Gary : Market Insurance, Self-Insurance, and Self-Protection, in: The Journal of Political Economy, Bd. 80, 1972, S. 623 – 648
Farny, Dieter : Versicherungsbetriebslehre, 3. A., Karlsruhe 2000
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, : Jahrbuch 2005 – Die deutsche Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 2005
Koch, Peter : Versicherungswirtschaft. Ein einführender Überblick, 5. A., Karlsruhe 1998
Kromschröder, Bernhard : Zum Stand und Entwicklung der Versicherungsentscheidungstheorie, in: Risiko, Versicherung, Markt – Festschrift für Walter Karten, hrsg. v. Hesberg, Dieter/Nell, Martin/Schott, Winfried, Karlsruhe 1994, S. 69 – 94
Kromschröder, Bernhard/Lehmann, Matthias : Die Leistungswirtschaft des Versicherungsbetriebes, in: Information und Produktion – Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Waldemar Wittmann, hrsg. v. Stöppler, Siegmar, Stuttgart 1985, S. 171 – 209
Liebwein, Peter : Klassische und moderne Formen der Rückversicherung, Karlsruhe 2000
Manes, Alfred : Versicherungswesen – I: Allgemeine Versicherungslehre, 5. A., Leipzig – Berlin 1930
Mayers, David/Smith, Clifford Jr. : On the Corporate Demand for Insurance, in: The Journal of Business, Bd. 55, 1982, S. 281 – 296
Mossin, Jan : Aspects of Rational Insurance Purchasing, in: The Journal of Political Economy, Bd. 76, 1968, S. 553 – 568
Müller-Lutz, Heinz-Leo : Allgemeine Versicherungslehre (Teil I), in: Versicherungsenzyklopädie, hrsg. v. Große, Walter/Müller-Lutz, Heinz-Leo/Schmidt, Reimer, 4. A., Wiesbaden 1991, S. 409 – 491
Schulenburg, J.-Matthias Graf von der : Versicherungsökonomik. Ein Leitfaden für Studium und Praxis, Karlsruhe 2005
Smith, Vernon : Optimal Insurance Coverage, in: The Journal of Political Economy, Bd. 76, 1968, S. 68 – 77
Williams, C. Arthur Jr./Smith, Michael/Young, Peter : Risk Management and Insurance, 8. A., Boston et al. 1998
Zweifel, Peter/Eisen, Roland : Versicherungsökonomie, 2. A., Berlin et al. 2003

 

 


 

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