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Betriebsvereinbarung


Inhaltsübersicht
I. Charakteristik
II. Arbeitsrechtliche Einbettung
III. Betriebswirtschaftliche Funktion
IV. Bedingungsrahmen für Betriebsvereinbarungen

I. Charakteristik


Betriebsvereinbarungen sind privatrechtliche Verträge zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zur spezifischen Regelung von arbeitsorientierten Sachverhalten für die Belegschaft des Betriebes und damit ein Element kollektivrechtlicher Vereinbarungen (Hueck, /Nipperdey,  1970, S. 1256). Sie dienen dem harmonischen Ausgleich der Interessen der Belegschaft und des Betriebes und sind geeignet, konfliktäre Entwicklungen zu regulieren oder zu verhindern und damit das leistungsdeterminierende Betriebsklima positiv zu beeinflussen. Während Abreden zwischen Arbeitgeber und Belegschaft formlos und ohne inhaltliche Beschränkung – innerhalb der geltenden Gesetze – getroffen werden können, stellen Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 BetrVG (1972) Elemente der gesetzlich normierten Betriebsverfassung dar, die der Schriftform bedürfen und weiteren Bestimmungen unterliegen. Sie können als zentrales Element der betrieblichen Mitbestimmung bezeichnet werden. Sie gelten ausschließlich für den jeweiligen Betrieb und können damit die betriebsindividuellen Bedingungen sowie die aktuelle ökonomische Situation berücksichtigen und in verbindliche Normen fassen. Betriebsvereinbarungen wirken subsidiär, indem sie höherrangig geltende Regelungen ergänzen oder präzisieren sowie nicht geregelte Sachverhalte einer Regelung zuführen (Frey,  1992, S. 6 f.).
Im Bereich der öffentlichen Verwaltung gelten vergleichbare Regelungen in Form von Dienstvereinbarungen, bezogen auf und angepasst an die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes (vgl. bspw. §§ 73 ff. BpersVG); diese werden hier nicht berücksichtigt.
Betriebsvereinbarungen entstehen durch Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, wobei die Initiative von beiden Parteien ausgehen kann, auch wenn mehrheitlich der Betriebsrat – aufgrund der ihm zugewiesenen Aufgaben der Interessenwahrung der Arbeitnehmerbelange – auf den Abschluss von Betriebsvereinbarungen drängen wird (Hamel,  1982, S. 66), während der Arbeitgeber aufgrund seines generellen betrieblichen Direktionsrechts auch Maßnahmen anordnen kann, ohne hierfür die Zustimmung des Betriebsrats einholen zu müssen. Darüber hinaus entstehen Betriebsvereinbarungen durch Spruch der Einigungsstelle bezüglich streitiger Sachverhalte, die nicht von den Parteien selbst zu bewältigen sind und darob der Einigungsstelle zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
Die Geltung von Betriebsvereinbarungen ist unmittelbar und zwingend, sie erlangen dadurch quasi betriebsinternen Gesetzescharakter. Eine Veränderung – vor allem Verschlechterung – der getroffenen Regelungen kann nur mit Zustimmung des Betriebsrats erfolgen. Die Laufzeit von Betriebsvereinbarungen ist regelungsbedürftig, bei fehlender Regelung können sie mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden (§ 77 V BetrVG). Im Normalfall endet die Geltung mit Ablauf der Kündigungsfrist; sie gelten jedoch auch nach Kündigung bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung weiter, sofern der Regelungsinhalt Gegenstand eines Einigungsstellenverfahrens sein könnte (§ 77 VI BetrVG). So ist sichergestellt, dass erreichte Regelungen nicht einseitig oder willkürlich aufgehoben werden können.
Die Belegschaft wird über Betriebsvereinbarungen durch Auslage an geeigneter Stelle informiert. Die Durchführung der Betriebsvereinbarung obliegt dem Arbeitgeber, sofern nichts anderes vereinbart ist. In diesem Fall kann auch der Betriebsrat mit der Durchführung der Vereinbarung beauftragt werden, beispielsweise im Zusammenhang mit der Errichtung von freiwilligen Sozialeinrichtungen, die auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt sind (vgl. § 88 BetrVG).
Ihre Grenzen finden Betriebsvereinbarungen dort, wo höherrangiges Recht vorliegt, hier in erster Linie Tarifverträge. Insbesondere sind Betriebsvereinbarungen über Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen nicht zulässig, soweit diese von Tarifverträgen geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden können, es sei denn, die Tarifverträge lassen über eine sogenannte Öffnungsklausel diesbezügliche Betriebsvereinbarungen zu (§ 77 III BetrVG). Auf diese Weise ist gesichert, dass das Tarifprimat der Sozialpartner nicht gegen ihre ausdrückliche Zustimmung unterlaufen werden kann. Hierdurch ist der innerbetriebliche Regelungsumfang durch Betriebsvereinbarungen in dem Maße eingeschränkt, wie durch Tarifverträge verbindliche Festlegungen getroffen worden sind.
Neben Betriebsvereinbarungen können andere kollektivrechtliche Regelungen getroffen werden, die jedoch keine unmittelbare und zwingende Wirkung entfalten. Formlose Betriebsabsprachen sowie betriebliche Einigungen oder Regelungsabreden zwischen Belegschaft oder Betriebsrat auf der einen und Arbeitgeber auf der anderen Seite, vereinheitlichte arbeitsvertragliche Einzelregelungen, Gesamtzusagen des Arbeitgebers oder allgemeine Arbeitsbedingungen, die nicht gemeinsam mit dem Betriebsrat festgelegt werden, sondern als Bestandteil der Einzelarbeitsverträge oder nach den Grundsätzen der Vertrauenshaftung das jeweilige Arbeitsverhältnis determinieren, sind jederzeit möglich.
Als Besonderheit ist zu nennen, dass auf dem Wege einer Betriebsvereinbarung eine ständige Einigungsstelle errichtet werden kann (§ 76 I 2 BetrVG), die in Fällen der Meinungsverschiedenheit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat tätig wird und durch ihren Spruch Betriebsvereinbarungen ersetzt.

II. Arbeitsrechtliche Einbettung


Betriebsvereinbarungen weisen große Bedeutung für die Gestaltung des Arbeitssystems eines Betriebes, Unternehmens oder Konzerns auf (Weber,  1998, Rn. 1 – 13). Sie stellen auf betrieblicher Ebene das Kerninstrument der Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen durch den Betriebsrat dar; ein Mitdirektionsrecht oder gar eine Geschäftsführungsbefugnis wird dem Betriebsrat dadurch jedoch nicht zugeordnet: Der Betriebsrat kann Vereinbarungen nur innerhalb seines Vertretungsanspruchs für die Belegschaft abschließen, also lediglich innerhalb der ihm vom Gesetz zugeordneten Funktionen (VGL: §§ 80 ff. BetrVG), sofern nicht weitere Restriktionen durch höherrangiges Recht greifen (Fitting,  2000, § 80, Rn. 1 ff.).
Der Geltungsbereich von Betriebsvereinbarungen ist auf diejenigen Betriebe und Gruppen beschränkt, die dem Betriebsverfassungsrecht unterworfen sind. Da nur der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber abschließen kann, sind alle Betriebe von diesem Gestaltungsinstrument ausgeschlossen, die – mangels Wahl oder gemäß der Vorschriften über Tendenzbetriebe sowie Religionsgemeinschaften (§ 118 BetrVG) – über keinen Betriebsrat verfügen und die auch nicht von einem Gesamtbetriebsrat „ mitbetreut “ werden (Ilbertz,  2001, § 118 BetrVG, Rn. 1 – 3a). Darüber hinaus gelten Betriebsvereinbarungen nur für diejenigen Arbeitnehmer (gemäß § 5 BetrVG), die unter die Regelungstatbestände des Betriebsverfassungsgesetzes fallen (Richardi,  2002, § 5 BetrVG, Rn. 6 ff.). Ehemalige Arbeitnehmer, Leitende Angestellte, Organe und geschäftsführende Gesellschafter des Unternehmens sowie Ehepartner und Verwandte des Arbeitgebers in häuslicher Gemeinschaft mit ihm werden durch Betriebsvereinbarungen nicht berührt. Das schließt indessen nicht aus, dass in Betriebsvereinbarungen getroffene Regelungen auf die Nichtbetroffenen analog übertragen werden können, gleichgültig, welches Rechtsinstrument hierfür herangezogen wird. Ebenso steht es frei, auch mit diesen Gruppen andere Formen kollektiver Abreden mit ähnlichen Regelungen unter spezifischer Berücksichtigung der Individualität derartiger Gruppen zu vereinbaren.
Mittels Betriebsvereinbarungen als nachgeordnetem Recht können nur Regelungen getroffen werden, wenn das Gesetz entsprechende Freiräume belässt oder in die Disposition der Betriebsparteien überträgt. Innerhalb der Regelungsbereiche von Tarifverträgen können Betriebsvereinbarungen auch dann abgeschlossen werden, wenn sie für die Betriebsangehörigen günstiger sind (§ 4 III TVG) oder wenn der Tarifvertrag entsprechende Öffnungsklauseln enthält. Allerdings kann dabei die Betriebsvereinbarung in Konkurrenz zu den tarifvertraglichen Regelungen für andere Unternehmen treten und damit den vielfach postulierten Gleichheitsgrundsatz als konsensuelle Basis der Tarifgestaltung für den Tarifbezirk gefährden.
Grundsätzlich werden Betriebsvereinbarungen auf freiwilliger Basis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ausgehandelt, sie können unter bestimmten Bedingungen jedoch auch erzwungen werden. Erzwingbare Betriebsvereinbarungen liegen vor, wenn ein (echtes) Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gegeben ist, das der Arbeitgeber bei der Anordnung von Maßnahmen nicht folgenfrei ignorieren kann. In diesen Fällen kann die Betriebsvereinbarung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden und damit eine Betriebsvereinbarung zu Stande kommen. Eine solche (erzwungene) Betriebsvereinbarung weist gegenüber den freiwillig ausgehandelten die Besonderheit auf, ihre Geltung aufgrund einer Kündigung solange nicht zu verlieren (§ 77 VI BetrVG), bis eine ersetzende Betriebsvereinbarung geschlossen ist (Däubler,  2002, § 77 BetrVG, Rn. 45 – 57). Erzwungene Betriebsvereinbarungen sind damit gegenüber freiwilligen mit einer stärkeren Bindung ausgestattet. Erzwingbare Betriebsvereinbarung können gleichermaßen vom Betriebsrat wie auch vom Arbeitgeber initiiert werden, um einen – nach Meinung des Initiators regelungsbedürftigen – Sachverhalt einer materiellen Festlegung zuzuführen.

III. Betriebswirtschaftliche Funktion


Die betriebliche und damit auch betriebswirtschaftliche Funktion von Betriebsvereinbarungen – in erster Linie der freiwilligen – liegt in ihrem Ordnungscharakter für alternativ ausprägbare Betriebsstrukturen und -prozesse (Waltermann,  1995, S. 1178). Sie stellen ein flexibel einsetzbares Instrument der Gestaltung der betrieblichen Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Relation unter Einbezug der Interessen sowohl der Belegschaft als auch des Arbeitgebers dar. Aufgrund ihrer Offenheit für Kompromisse können Betriebsvereinbarungen situationsbezogen, aktuell, gruppenspezifisch, zeitnah und zeitraumbezogen für die jeweiligen Belange abgeschlossen werden. Durch die Vorgabe von Geltungsdauern oder Kündigungsregelungen lassen sich spezifische Ordnungselemente fixieren, die die jeweiligen, auch zeitlich begrenzten Arbeitsbedingungen innerhalb eines Betriebes einer Optimierung zuführen.
Daraus folgt, dass Betriebsvereinbarungen vornehmlich dann initiiert werden, wenn Sachverhalte neu auftreten, die für die Belegschaft oder den Betriebsablauf bedeutsam sind und einer Festlegung bedürfen (Wessmann,  1987, S. 127 f.). Hier sind etwa Einflüsse aus der wirtschaftlichen Umwelt zu nennen, die Anpassungen betrieblicher Prozesse und Strukturen nahelegen, um einer Entfernung vom Optimum entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise Änderungen der Arbeits- und Sozialgesetzgebung sowie Tarifabschlüsse relevant, die Veränderungen mit sich bringen, von denen insbesondere die Belegschaft betroffen wird. Dies betrifft Fragen im Zusammenhang mit der Entlohnung sowie der Arbeitszeit, später auch Aspekte sozialer und personeller Angelegenheiten bis hin zu sozialen Einrichtungen. Dabei wird nicht die Höhe der Entlohnung oder das (jährliche) Arbeitszeitkontingent per Betriebsvereinbarung geregelt, sondern eher operative Aspekte der Auszahlungsmodi oder der Arbeitszeitverteilungen; die tarifvertragliche Vorrangstellung wird durch derartige Betriebsvereinbarungen nicht berührt.
Durch die Ordnungsfunktion der Betriebsvereinbarung werden arbeitsbezogene Konflikte entschärft bzw. mögliche Konflikte von vornherein vermieden. Das Betriebsklima wird stabilisiert, in aller Regel auch auf ein höheres Niveau gehoben, als es ohne Betriebsvereinbarungen entsteht. Durch Betriebsvereinbarungen können innerbetriebliche Regelwerke ergänzt werden – etwa Stellenbeschreibungen – , so dass ansonsten erforderliche aufwendige Änderungen vermieden werden können. Die zwingende innerbetriebliche Bekanntmachung getroffener Betriebsvereinbarungen trägt zur Transparenz der betrieblichen Personalwirtschaft bei.

IV. Bedingungsrahmen für Betriebsvereinbarungen


Betriebsvereinbarungen als Element der Gestaltung betrieblicher Arbeitsbeziehungen stellen keinen Selbstzweck oder Wert an sich dar, sondern unterliegen förderlichen sowie hinderlichen Bedingungen. Von der betriebsindividuellen Ausgestaltung dieser Bedingungen hängt es ab, ob zusätzliche Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, bestehende beibehalten, verändert oder ersatzlos aufgelöst werden. Die dynamische Veränderung dieser Bedingungen führt gleichzeitig zur Veränderung der Betriebsvereinbarungs-Landschaft eines Betriebes sowie der Wirtschaftspraxis insgesamt.

1. Betriebsvereinbarungsförderliche Bedingungen

a) Errichtung von Betriebsräten


Die Errichtung von Betriebsräten ist Voraussetzung zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen. Folglich führt eine Ausdehnung von Betriebsratserrichtungen zur Ausdehnung von Betriebsvereinbarungen. Durch die 2001 verabschiedete Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, die u.a. eine Erleichterung und Vereinfachung der Errichtung von Betriebsräten vorsieht, wird sich eine entsprechende Ausdehnung der Betriebsräte ergeben und damit auch die Zahl der abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen wachsen.

b) Bedeutungswandel des Betriebsrats im sozialpartnerschaftlichen Kontext


Betriebsvereinbarungen als subsidiäre Regelungselemente treten erst dann in Aktion, wenn die Sozialpartner nicht über Tarifvereinbarungen entsprechende Vorgaben erarbeitet haben. Daraus ist zu schließen, dass das Ausmaß der Anerkennung der Vertretungsmacht der Gewerkschaften innerhalb der Belegschaften mit dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen negativ korreliert: Je mehr sich die Arbeitnehmer durch die gewerkschaftliche Arbeit vertreten fühlen, um so weniger notwendig erscheinen Betriebsvereinbarungen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass mit abnehmender Akzeptanz gewerkschaftlicher Kollektivregelungen der Bedarf an Betriebsvereinbarungen steigt. In der aktuellen Situation zeigt sich, dass bei der Zusammensetzung von Betriebsräten die gewerkschaftliche Mitgliedschaft nachlässt, so dass unterstellt werden kann, dass auch die Akzeptanz gewerkschaftlichen Einflusses in den Betrieben nachlässt. Daraus folgt ein höherer Bedarf an Betriebsvereinbarungen, die an die Stelle übergreifender Kollektivregelungen treten.

c) Veränderungen der sozialpartnerschaftlichen Struktur


Aufgrund tiefgreifender Veränderungen im deutschen Wirtschaftssystem – nicht zuletzt aufgrund zunehmender Globalisierung – verändert sich auch die sozialpartnerschaftliche Struktur (Zachert,  1997, S 11). Der Organisationsgrad der Belegschaften sinkt, ebenso derjenige der Arbeitgeber, die sich zunehmend weniger von ihren Arbeitgeberverbänden vertreten empfinden und häufig die Mitgliedschaft in ihrem Verband kündigen. Damit unterliegen sie regelmäßig auch nicht mehr den zwischen den Verbänden getroffenen Tarifvereinbarungen, sondern haben eigenständige Gestaltungen der Arbeitsbeziehungen in ihren Unternehmen zu vollziehen. Da dann zahlreiche tarifliche Regelungen nicht mehr anwendbar sind, wird der Bedarf an Betriebsvereinbarungen entsprechend erhöht.

d) Komplexitätsgrad des Systems Arbeit


Das System Arbeit verkompliziert sich beständig, teils durch rechtliche Veränderungen, teils durch technisch-organisatorische Möglichkeiten – , vor allem durch die Nutzung leistungsfähiger Kommunikationssysteme. Damit geht eine höhere Ausdifferenzierung der Betriebe einher, die sich an die situativen Gegebenheiten und Möglichkeiten anpassen müssen, wenn sie nicht komparative Nachteile erleiden wollen. Eine stärkere Ausdifferenzierung von Arbeitsorganisationen ist jedoch nicht durch übergreifende kollektive (tarifliche) Regelungen zu bewältigen, sondern erfordert spezifische Gestaltungen, die vornehmlich über Betriebsvereinbarungen erreicht werden können.

e) Professionalisierung der Betriebsräte


Eine zunehmende Komplexität arbeitsorganisatorischer wie -rechtlicher Gegebenheit verlangt hohe Professionalität der Betriebsräte, wenn diese als ernsthafte Verhandlungspartner der Unternehmensleitung fungieren sollen. Hohe Professionalität ist nur über langfristige Funktionswahrnehmung zu erlangen, so dass mehrfache Wiederwahl sinnvoll erscheint – mit der Konsequenz, dass die betroffenen Personen nach einiger Zeit kaum noch in ihre ursprüngliche Sachposition zurückkehren können. Unter dieser Annahme werden sie versuchen, ihre Wiederwahl zu fördern. Hierzu benötigen sie Erfolgsnachweise, die insbesondere durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen erbracht werden können. Daraus ist zu schließen, dass im Sinne eines Quasiautomatismus die Zahl von Betriebsvereinbarungen steigt. Hierzu trägt auch ein steigendes Selbstwertgefühl der Betriebsräte bei, wenn sie ihre fachliche Kompetenz einbringen können, die häufig diejenige von externen Tariffunktionären angesichts der Spezifika des Betriebs übersteigt.

f) Betriebliche Vorteilhaftigkeit


Sofern gilt, dass durch Betriebsvereinbarungen betriebliche Vorteile erwachsen, wird der Abschluss von Betriebsvereinbarungen auch im Sinne des Arbeitgebers liegen und gefördert werden. Durch Betriebsvereinbarungen lassen sich positive Wirkungen erzielen, die auf einer Verbesserung des Betriebsklimas, auf einer höheren Transparenz der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Positionen, auf einer Vermeidung von konfliktären Auseinandersetzungen, auf der Vermeidung von Missverständnissen, auf dem Abbau von Informationsasymmetrien etc. beruhen. Je mehr die betrieblichen Sozialpartner davon überzeugt sind, derartige Wirkungen hervorrufen zu können, desto mehr werden sie den Abschluss von Betriebsvereinbarungen anstreben.

2. Betriebsvereinbarungshinderliche Bedingungen

a) Vereinbarungskosten


Betriebsvereinbarungen verlangen zeitaufwendige Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, eventuell darüber hinaus unter Einschaltung der Einigungsstelle. Es besteht damit aus finanz- und informationsökonomischen Gründen eine Barriere gegen den Abschluss von Betriebsvereinbarungen, die nur dann überwunden wird, wenn Konsens darüber herbeigeführt werden kann, dass die Vorteile aus der Betriebsvereinbarung deren Vereinbarungskosten übersteigen. Da es häufig schwierig sein wird, die positiven Wirkungen einer Betriebsvereinbarung mit hinreichender Eindeutigkeit zu bestimmen, besteht eine systematische Gefahr der Vereinbarungsverhinderung.

b) Durchführungskosten


Die Durchführung von Betriebsvereinbarungen kann zu erheblichen Belastungen für das Unternehmen führen. Sie werden schließlich nicht nur formal abgeschlossen, sondern weisen inhaltliche Merkmale auf, die regelmäßig nicht kostenneutral sind. Sofern das Unternehmen die mit einer Betriebsvereinbarung verbundenen Belastungen nicht zu tragen bereit ist, wird es versuchen, den Abschluss einer derartigen Vereinbarung zu verhindern und nach Möglichkeit auch nicht der Einigungsstelle zur Beschlussfassung zuzuleiten.

c) Kontrollkosten


Betriebsvereinbarungen sind durchzuführen, sowohl das Durchführungsprocedere als auch die Durchführungsergebnisse verlangen nach einer Kontrolle, zu der insbesondere der Betriebsrat aufgefordert ist. Eventuell sind bei Aufdecken unzulänglicher Durchführung neue Verhandlungen einzuleiten, um sicherzustellen, dass die angestrebten Ergebnisse auch buchstabengerecht und sinnentsprechend erreicht werden. Dabei sollten die Kontrollkosten die Kontrollergebnisse nicht übersteigen – auch Kontrollen unterliegen dem ökonomischen Postulat.

d) Vereinbarungsabstinenz


Es ist nicht generell ausschließbar, dass Arbeitgeber oder Betriebsrat dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen kritisch gegenüberstehen. Schließlich werden durch Vereinbarungen Sachverhalte festgelegt, die weiteres Handeln einschränken können. Darüber hinaus können sich Rechtfertigungszwänge ergeben, denen die Verhandlungspartner ausweichen möchten und folglich einer Vereinbarung nicht zustimmen. Insbesondere kann damit gerechnet werden, wenn Gefahr besteht, in einen Gegensatz zum übergreifenden Kontext tariflicher oder gesellschaftlicher Vorstellungen zu geraten, der nicht an die Öffentlichkeit – auch nicht an die betriebliche – gelangen soll.

e) Sozialpartnerschaftlicher Widerstand


Das Primat der sozialpartnerschaftlichen Gestaltung von Arbeitssystemen gilt nach wie vor und wird von Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbänden nachdrücklich verteidigt – bis hin zur Inanspruchnahme der Arbeitsgerichtsbarkeit über alle Instanzen. Diese haben vielfach kein Interesse daran, Teile ihrer Regelungskompetenz an die Betriebe abzugeben und damit den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zu erleichtern oder gar zu fördern. Eine großzügige Öffnung von Tarifverträgen zu Gunsten des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen ist dann nicht zu erwarten; vielmehr kann eine aktive Bekämpfung einzelner Betriebsvereinbarungen stattfinden. In solchen Fällen wird der Abschluss von Betriebsvereinbarungen schwierig oder gar unmöglich – bisweilen auch im Nachhinein zurückgeführt.
Betriebsvereinbarungen stellen einen integralen Bestandteil des Zusammenlebens von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Betrieben mit Betriebsräten dar. Es ist zu vermuten, dass zukünftig von diesem Instrument verstärkt Gebrauch gemacht wird, und zwar im Sinne partnerschaftlicher Kooperation zwischen allen Unternehmensbeteiligten.
Literatur:
Däubler, W. : Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung-Kommentar für die Praxis, Frankfurt 2002
Fitting, K. : Handkommentar Betriebsverfassungsgesetz, 20. A., München 2000
Frey, H. : Betriebsvereinbarungen in der Praxis, München 1992
Hamel, W. : Bilanzierung unter Mitbestimmungs-Einfluß, Stuttgart 1982
Hueck, A./Nipperdey, H.C. : Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. A., Berlin et al. 1970
Ilbertz, W. : Handkommentar Betriebsverfassungsgesetz, Berlin 2001
Richardi, R. : Betriebsverfassungsgesetz: Basiskommentar mit Wahlordnung, 8. A., München 2002
Waltermann, R. : 75 Jahre Betriebsvereinbarung, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, H. 23/1995, S. 1177 – 1184
Weber, U. : Handbuch zum Betriebsverfassungsgesetz, Köln 1998
Wessmann, P.K. : Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarungen, Köln 1987
Zachert, U. : Betriebsvereinbarung, in: Arbeit und Recht, H. 1/1997, S. 11 – 13

 

 


 

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