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Regulierung


Inhaltsübersicht
I. Einführung
II. Effiziente Preisregulierung von Monopolen
III. Von der Rate of Return-Regulierung zur Anreizregulierung
IV. Praxis der Regulierung: Ausgleich zwischen ökonomischem Ideal und praktischen Gestaltungsüberlegungen
V. Regulierter Wettbewerb, Preise für den Netzzugang und Universaldienstverpflichtungen
VI. Kosten- und Risikoermittlung für Zwecke der Entgeltregulierung

I. Einführung


Regulierung tritt in einer Vielzahl verschiedener Formen auf. Dazu gehören insbesondere Preis- und Gewinnregulierung sowie Regulierungsformen, die sich auf spezielle Aspekte wirtschaftlichen Handelns, wie z.B. Sicherheit, Umweltschutz, Arbeitsverträge oder Rechnungslegung, beziehen. Der Zweck ökonomischer Regulierung besteht allgemein darin, wirtschaftlichen Akteuren, insbesondere Unternehmen, Beschränkungen aufzuerlegen und Anreize zu geben, um die disziplinierende Wirkung der Märkte zu ergänzen, auf denen sie tätig sind. Eine derartige Regulierung zielt darauf ab, die Folgen wirtschaftlichen Handelns zu korrigieren, welches ansonsten zu unerwünschten Konsequenzen für einzelne Personen führen könnte, die auch mit angemessener Umsicht und Sorgfalt nicht in der Lage wären, sich selbst vor diesen Konsequenzen zu schützen.
Der Beitrag beschränkt sich aus Platzgründen auf Preis- und Gewinnregulierung in Branchen, in denen ein derartiges Eingreifen wichtig ist, um den Missbrauch von Marktmacht zu verhindern. In diesem Zusammenhang beschränkt sich der Beitrag weiterhin auf Unternehmen in Infrastrukturbereichen, wie z.B. Gas, Strom, Wasser, Telekommunikation und Post. Die dabei herausgearbeiteten allgemeinen Prinzipien haben jedoch einen deutlich weiteren Anwendungsbereich.
Die Analyse der Regulierung umfasst sowohl Themen, die bereits lange Zeit im Blickpunkt des Interesses sind, als auch neuere Themen, die in erster Linie durch die in den 1980er- und 1990er-Jahren initiierte Restrukturierung und Liberalisierung von Netzwerkindustrien relevant geworden sind. Dabei wurde Wettbewerb in Branchen zugelassen, die bis dahin von vertikal integrierten Monopolisten kontrolliert wurden. Die Zulassung von Wettbewerb führte zu neuen Problemen der Regulierung von Zugangsentgelten, des Bypasses von Infrastruktur sowie der Errichtung technischer Markteintrittsbarrieren durch etablierte Unternehmen (so genannte Sabotage). Infolgedessen konzentrierte sich eine Reihe von Neuerungen der Regulierungsökonomie darauf, Quersubventionierungen aufzudecken sowie die Entwicklung effizienter Kostenallokationsmethoden und damit verbundener Preisstrukturen voranzutreiben. Ziel des Beitrages ist es, sowohl für reine Monopolsituationen als auch für Situationen des regulierten Wettbewerbs einen Überblick über die wesentlichen Fragestellungen der Preis- und Gewinnregulierung zu geben. Dabei beschäftigen wir uns in erster Linie mit angestammten Instrumenten der Preis- und Gewinnregulierung, nicht mit Instrumenten der Wettbewerbspolitik und speziell der Kartellregulierung. In dem Maße, in dem die betrachteten Branchen sich dem Wettbewerb nähern, werden jedoch die Gesetze des Marktes und speziell die Kartellregulierung schrittweise den Regulierer ersetzen, wenn es darum geht, Preise und Gewinne zu kontrollieren.

II. Effiziente Preisregulierung von Monopolen


Die grundlegende neoklassische Theorie zeigt, dass ein Monopolunternehmen, das sich selbst überlassen wird, den Output beschränkt und den Gewinn maximiert, indem Grenzerlöse (GE) und Grenzkosten (GK) zur Deckung gebracht werden. Infolgedessen wird es in der Regel Monopolgewinne erwirtschaften, die als Renten bezeichnet werden. Der Konsument bezahlt einen höheren Preis (P) als im Wettbewerbsfall, in dem der Preis gleich den Grenzkosten ist. Andererseits kann es kostengünstiger sein, wenn es nur einen Anbieter gibt. Der traditionelle Ansatz der Regulierung öffentlicher Versorger ging von dem Problem aus, diese Economies of Scale gegen die Preisineffizienzen eines Monopols abzuwägen. In Abb. 1 wird der Effizienzverlust durch ein Monopol wie üblich als das Marshall\'sche Dreieck ABC gezeigt (DK bzw. DE bezeichnet die Durchschnittskosten bzw. die Durchschnittserlöse). Das Rechteck EAB′′F gibt den Verlust an Konsumentenrente durch die Ausnutzung der Monopolmacht wieder. Es ist gleichzeitig die Monopolrente und stellt einen Transfer von den Konsumenten zum Monopolisten dar. An sich ist es zwar kein Effizienzverlust, aufbauend auf den Erkenntnissen von Tullock, Gordon 1967 über Rent Seeking ist es jedoch für den Prozess der Monopolregulierung von erheblicher Bedeutung. In der Regel wird es deutlich größer als das Dreieck ABC und der Hauptzankapfel im Regulierungsprozess sein.
Regulierung
Abb. 1: Monopolregulierung
Traditionell verfolgte die Preisregulierung einen Ansatz der Effizienzmaximierung. Wie von Crew und Kleindorfer gezeigt, wird die Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente durch Grenzkostenpreise maximiert, vorausgesetzt, diese Renten werden gleich gewichtet (vgl. Crew, Michael A./Kleindorfer, Paul R. 1986). Werden Konsumenten- und Produzentenrente unterschiedlich gewichtet, verschiebt sich der Wohlfahrtsvergleich entsprechend der relativen Gewichte. Die Konsequenzen einer derartigen ungleichen Gewichtung für die Preissetzung sind intuitiv klar und werden z.B. von Feldstein, Martin S. 1972, Baron, David P./Myerson, Roger B. 1982 sowie Bös, Dieter 1994 analysiert. In Abb. 1 erfolgt die Maximierung im Punkt C, in dem die gesamten Effizienzverluste ABC eliminiert werden. Das Problem dieser Lösung besteht darin, dass die Unternehmung ihre Fixkosten nicht decken würde und sie daher entweder ihre Geschäftstätigkeit einstellen oder die Fixkosten durch irgendeine Form pauschaler Subventionierung decken müsste. Regulierung muss einen Weg finden, die Fixkosten der Unternehmung zu decken. Traditionell würde sie das Second Best-Optimum C′ anstreben, welches einen Effizienzgewinn von AB′C′ liefert, wobei die Monopolrente vollständig an die Konsumenten geht. Dabei wird akzeptiert, dass der maximale Effizienzgewinn ABC nicht realisierbar ist. Der Second Best-Preis wird bekanntlich weder wie bei Wettbewerb auf der First Best-Höhe der Grenzkosten (P=GK; OH in Abb. 1) noch auf der Monopolhöhe ( Regulierung; OE in Abb. 1), sondern auf der so genannten Ramsey-Höhe ( ; OG in Abb. 1) gesetzt, wobei η die Nachfrageelastizität und k die Ramsey-Zahl ist (vgl. Ramsey, Frank Plumpton 1927). Im Mehrproduktfall ist das Ramsey-Problem anspruchsvoller; es wurde von Boiteux analysiert und führt zur bekannten Struktur optimaler Preise entsprechend den inversen Nachfrageelastizitäten (vgl. Boiteux, Marcel 1956). Vogelsang, Ingo/Finsinger, Jorg 1979 entwickelten einen Anreizmechanismus zur Erreichung dieser Struktur bei Informationsasymmetrie. Die weitere Entwicklung und Verallgemeinerung der Ramsey-Preissetzung für Mehrproduktunternehmen finden sich bei Crew, Michael A./Kleindorfer, Paul R. 1986 sowie in dem Überblicksbeitrag von Crew, Michael A./Fernando, Chitru S./Kleindorfer, Paul R. 1995.
Obwohl effiziente Preissetzung von Regulierungsökonomen praktisch einmütig anerkannt wird, hat sie in regulierten Branchen keine weite Anwendung gefunden. Bei der Festlegung regulierter Entgelte sind offensichtlich andere Ziele am Werk.

III. Von der Rate of Return-Regulierung zur Anreizregulierung


Regulierung hat im Allgemeinen zwei Ansätze verfolgt, um Monopolpreise zu kontrollieren, Rate of Return-Regulierung (ROR) und Price Cap-Regulierung (PCR). Beide Ansätze zielen darauf ab, den Idealpunkt der Effizienz des Wettbewerbs oder die ökonomisch effizienten Second Best-Preise zu erreichen. ROR geht den direkten Weg und strebt danach, das Wettbewerbsergebnis, bei dem der Preis den Kosten entspricht, nachzubilden, indem sie die Kosten kalkuliert und die Preise gleich den Kosten setzt, d.h., die Gewinne werden direkt reguliert. PCR nimmt einen anderen Weg und versucht, den Wettbewerb nachzuahmen, indem sie den Preis festsetzt und dem Unternehmen erlaubt, seine Gewinne durch Kostensenkungen zu maximieren. ROR schwächt die Möglichkeit ab, residuale Ansprüche auf ökonomische Renten zu erwerben, während PCR versucht, residuale Ansprüche zu nutzen, um auf die gleiche Weise wie der Wettbewerb Effizienz zu erreichen. Beide Ansätze haben ihre Ziele nur mit begrenztem Erfolg erreicht. Regulierung kann nicht in der gleichen Weise wie ein Wettbewerbsmarkt wirken. Der Regulierer verfügt nicht über die erforderlichen Informationen, um die Kosten bei ROR bzw. den Price Cap bei PCR so festzulegen, dass das erwünschte Wettbewerbsergebnis realisiert wird.
ROR bestimmt zunächst die Kosten einer Leistung, daher wird sie auch Cost of Service-Regulierung genannt. Danach setzt sie die Preise so, dass daraus ein Erlösbudget resultiert, welches die gesamten laufenden Kosten abdeckt und dazu eine angemessene Rendite auf das Kapital gewährt. Diese Preise entsprechen im Idealfall den ökonomisch effizienten Preisen (OG in Abb. 1), vorausgesetzt, die gesetzte angemessene Rendite entspricht den Opportunitätskosten des Kapitals. Die Bestimmung der normalen risikoäquivalenten Rendite hat sich als keine einfache Aufgabe herausgestellt. Der Prozess der ROR kann erhebliche Transaktionskosten für Anhörungen verursachen, um die erlaubte Rendite zu bestimmen, welche der Regulierer für kostendeckend hält.
Zusätzlich zu diesen Informationsproblemen sind mit ROR Anreizprobleme verbunden. Selbst wenn die Preise den Kosten einer Leistung entsprechen, tritt das Problem auf, dass die Kosten möglicherweise nicht minimiert werden. Werden die Kosten faktisch gedeckt, so nimmt der Druck auf das Unternehmen ab, seine Kosten zu senken. Dies führt dazu, dass das Unternehmen sich einen Teil der Monopolrente in Form höherer Kosten aneignen kann. In diesem Sinne haben Averch, Harvey/Johnson, Leland L. 1962 in ihrem klassischen Beitrag bereits früh argumentiert, dass ROR dem regulierten Unternehmen Anreize gibt, im Vergleich mit anderen Produktionsfaktoren zuviel Kapital einzusetzen, gerade weil seine Gewinne von der erlaubten Rendite auf seine Kapitalbasis begrenzt werden. Diese interne Ineffizienz oder X-Ineffizienz ist die Wurzel dafür, dass die meisten Ökonomen wenig Sympathie für ROR haben.
Ein anderer Punkt, für den ROR von Ökonomen kritisiert wurde, ist die Verteilung von Renten. Es stellte sich als außerordentlich schwierig heraus zu verhindern, dass in regulierten Branchen Renten an die organisierte Arbeiterschaft gehen. Anders als bei unregulierten Unternehmen, die starke residuale Ansprüche haben und bei denen sich niedrigere Arbeitskosten in einem höheren Gewinn niederschlagen, führen Einsparungen durch niedrigere Arbeitskosten bei regulierten Unternehmen zu einem entsprechend niedrigeren Erlösbudget und niedrigeren Preisen.
Aus diesen Gründen strebten Ökonomen danach, Regulierungssysteme zu entwickeln, die bessere Anreize für Kosteneffizienz geben und mit denen sich eher ökonomisch effiziente Preise erreichen lassen. PCR war die Hauptalternative. Ihre erste umfassende praktische Anwendung fand im Zuge der Privatisierung im Vereinigten Königreich basierend auf den Vorschlägen von Littlechild statt (vgl. Littlechild, Stephen C. 1983 und Littlechild, Stephen C. 1986). Ökonomen, insbesondere Laffont, Jean-Jacques/Tirole, Jean 1993, entwickelten eine elegante Theorie, welche die Bedingungen aufzeigt, unter denen PCR zu Effizienz führt. PCR zielte darauf ab, residuale Ansprüche zu nutzen, um wie im Wettbewerb Kosteneffizienz zu erreichen. Die Grundidee war einfach und bestand darin, anders als ROR, die auf Gewinnregulierung bei Deckung der erhobenen Kosten einer Leistung hinausläuft, den Preis selbst zu regulieren. PCR begrenzt Steigerungen des Preisindexes eines Warenkorbes von Produkten und Dienstleistungen gemäß folgender Gleichung:
INDEX[P(t+1)] ≤ (RPI(t) – X) INDEX [P(t)]
INDEX (P) ist dabei ein Preisindex (üblicherweise ein mengengewichteter Laspeyeres-Index) der Preisvektoren der regulierten Produkte, RPI steht für Retail Price Index und misst die Inflationsrate der Wirtschaft insgesamt oder des Wirtschaftszweiges, und X ist der Faktor, mit dem der Regulierer entsprechend seiner Einschätzung für das Unternehmen oder die Branche ein Ziel für erwartete Produktivitätsfortschritte setzt.
Die direkte Abhängigkeit der Erlöse von den Kosten war die Eigenschaft der ROR, an der Ökonomen den meisten Anstoß nahmen. PCR brach diesen Zusammenhang durch Deckelung der Preise auf und schuf Anreize für Kosteneffizienz, die unter ROR nicht gegeben waren. In dem von Laffont, Jean-Jacques/Tirole, Jean 1993 entwickelten Modellrahmen kann gezeigt werden, dass das Unternehmen seine Kosten minimiert. Wie bereits beim Vogelsang-Finsinger-Mechanismus ist Voraussetzung dafür, dass das Unternehmen sich die zu seinem Informationsvorsprung gehörenden Renten aneignen kann und dass der Regulierer es zulässt, dass es diese Renten behalten kann. Kann das Unternehmen jedoch nicht davon ausgehen, dass der Regulierer sich an diese Absprache hält, dann hat es keinen Anreiz mehr zur Kostenminimierung. Anders ausgedrückt liegt hier ein Versagen regulatorischer Bindung vor. Wie die Geschichte gezeigt hat, sind Regulierer nicht in der Lage, glaubwürdig zu versprechen, Renten nicht einzukassieren, unabhängig davon ob dies theoretisch gerechtfertigt ist oder nicht. Wenn ein reguliertes Unternehmen erhebliche Gewinne erwirtschaftet, schöpfen Regulierer diese durch Anpassung von Parametern der PCR ab. Zeigt ein reguliertes Unternehmen Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten, dann lockern Regulierer die Price Cap-Auflagen. Die theoretisch erforderliche Bindung des Regulierers an feste Regulierungsregeln ist in der Realität nicht gegeben, wodurch letztlich eine reine PCR schwerlich implementiert werden kann.

IV. Praxis der Regulierung: Ausgleich zwischen ökonomischem Ideal und praktischen Gestaltungsüberlegungen


Das Potenzial für Effizienzsteigerungen ist wie gezeigt sowohl bei PCR als auch bei ROR begrenzt, was auf die Umverteilung von Renten, Informationsasymmetrien und die daraus resultierenden Anreize zurückzuführen ist. Aufgrund des besseren Verständnisses von Ökonomen sowie Regulierern und Unternehmen für diese Probleme wurden praktische Kompromisse zur Effizienzverbesserung entwickelt, die allerdings die Second Best-Benchmark von Ramsey-Preisen nicht erreichen.
Anstelle von ROR und PCR sind Mischformen entstanden, um Erreichbares (Reduzierung von X-Ineffizienz und ein gewisser Grad an Preisstabilität) gegen Unerreichbares (Eliminierung von Rent Seeking und Übergewinnen des regulierten Unternehmens) abzuwägen. Die Performance-basierte Regulierung (PBR), die allmählich ROR und PCR ablöst, ist letztlich nichts anderes als eine Mischform der beiden. Ihre Hauptmerkmale sind Bandbreiten und Gewinnbeteiligung. Der Regulierer setzt weiterhin eine erlaubte Rendite fest. Innerhalb einer schmalen Bandbreite von z.B. plus oder minus hundert Basispunkten wird keine Anpassung der Entgelte ausgelöst. Überschüsse außerhalb der Bandbreite werden zwischen dem Unternehmen und seinen Abnehmern aufgeteilt. Fällt die Rendite sehr stark, kann das Unternehmen jederzeit eine Überprüfung der Entgelte beantragen, so wie der Regulierer eine Überprüfung einleiten kann, wenn sie sehr stark steigt. Dieses Verfahren gibt Effizienzanreize – wenn auch in abgeschwächter Form – und liefert gleichzeitig Ergebnisse, die beiden Seiten ein Stück weit entgegenkommen. Es bietet größere Anreize für Kosteneinsparungen als ROR und vermeidet die Fallstricke, welchen beide Seiten durch PCR ausgesetzt waren. Bei PBR erkennen sowohl das Unternehmen als auch der Regulierer die Tatsache an, dass es für den Regulierer unmöglich ist, sich so zu binden, wie es bei reiner PCR erforderlich wäre. Diese Art von praktischem Ansatz ist das Resultat des Experimentierens mit ROR, PCR und PBR in den letzten fünfzig Jahren und gibt die voraussichtliche Entwicklungsrichtung regulatorischer Innovationen an.

V. Regulierter Wettbewerb, Preise für den Netzzugang und Universaldienstverpflichtungen


Weil nahezu jeder Restrukturierungsvorschlag für Netzwerkbranchen eine Form von Wettbewerb und Markteintritt vorsieht, sind der Zugang zum Netzwerk der etablierten Unternehmung und sein Preis zu einem Schlüsselelement in der Debatte um Deregulierung geworden, wie von Laffont, Jean-Jacques/Tirole, Jean 1996 und dem hervorragenden Überblicksbeitrag von Armstrong, Mark 2002 über Zugangspreise und Zusammenschaltung veranschaulicht wird. Zugang ermöglicht den schrittweisen Eintritt in Netzwerkbranchen, indem das vorhandene Netzwerk der etablierten Unternehmung als Plattform genutzt wird und es neuen Wettbewerbern erlaubt wird, ihr Geschäft basierend auf teilweisem Markteintritt zu entwickeln, anstatt den deutlich anspruchsvolleren Weg des vollständigen Markteintritts mit eigener Infrastruktur bewältigen zu müssen. In der Anfangsphase des Wettbewerbs ist es vorgesehen, dass alle Wettbewerber das Endverteilernetz der etablierten Unternehmung nutzen, das ein reguliertes Monopol bleibt. Das Problem wird erschwert, wenn der Eigentümer des Verteilernetzes (einer wesentlichen Einrichtung der End-zu-End-Leistung) auch mit den neu in den Markt eingetretenen Unternehmen im Wettbewerb um Endkunden steht.
Die Efficient Component Pricing Rule (ECPR), die auf Willig, Robert B. 1979 zurückgeht, war einer der ersten Versuche von Ökonomen, die Frage effizienter Zugangspreise anzugehen. Die Grundidee der ECPR kann nach Baumol, William J./Sidak, Gregory J. 1982 wie folgt zusammengefasst werden:
optimaler Inputpreis = inkrementelle Kosten der Netznutzung je Inputeinheit +
Opportunitätskosten der etablierten Unternehmung je Inputeinheit
Intuitiver ausgedrückt wird der Zugangspreis gleich dem End-zu-End-Preis des Monopolisten gesetzt, der die wesentliche Einrichtung (z.B. die Teilnehmeranschlussleitung) kontrolliert, abzüglich der Kosten sämtlicher Leistungen, die vom Marktneuling erbracht werden, d.h. der durchschnittlichen vermiedenen Kosten aller Teilleistungen, die nicht in den Kosten der wesentlichen Einrichtung enthalten sind. Das Problem der ECPR wird vom zweiten Term auf der rechten Seite der Gleichung verursacht. Könnte dieser auf Basis eines direkt beobachtbaren Preises auf einem Wettbewerbsmarkt bestimmt werden, dann wäre die ECPR zumindest für ein homogenes Produkt eine effiziente Regel. Ein solcher Wettbewerbspreis kann jedoch gerade wegen der Engpasseinrichtung nicht bestimmt werden. Die ECPR läuft dann darauf hinaus, dem Engpassanbieter die Monopolrente zuzugestehen, die er erwirtschaftet hat, solange er ein vertikal integrierter Monopolist war.
Die meisten Probleme mit Zugangspreisen, die in der Realität auftreten, sind deutlich komplizierter. Z.B. können Produkte differenziert sein und Marktneulinge den Zugang zur Leistung der etablierten Unternehmung nutzen, um auf dem Markt Fuß zu fassen, die etablierte Unternehmung auf dem Monopolmarkt schließlich zu unterbieten und so ihre finanzielle Lebensfähigkeit zu unterminieren. Dies ist der Kern der Diskussion um Zugangspreise im Postbereich, in dem Marktneulinge das Netzwerk des etablierten Postbetreibers nutzen könnten, um in Gegenden zuzustellen, welche sie nicht selbst bedienen wollen (etwa weil es sich um Gegenden mit hohen Zustellkosten handelt). Das Ergebnis einer liberalisierten Zugangspolitik könnte sein, dass Marktneulinge End-zu-End-Leistungen in städtischen Zustellgebieten mit niedrigen Kosten erbringen, während sie dem etablierten Postbetreiber zu einem vorab veröffentlichten Zugangspreis alle andere Post zur Zustellung andienen (vgl. Crew, Michael A./Kleindorfer, Paul R. 2006). Das Problem, Effizienz und ökonomische Lebensfähigkeit etablierter Unternehmungen gegen das Erfordernis einer einfachen und transparenten Zugangspreissetzung abzuwägen, bleibt für alle Netzwerkbranchen ein Gebiet intensiver Forschung.
Ein weiteres kritisches Problem, das bei reguliertem Wettbewerb auftaucht, ist die Sicherstellung von Universaldiensten. Wenn eine derartige Versorgung nicht garantiert wird, dann kann Wettbewerb dazu führen, dass bestimmte Bevölkerungsteile nur zu einem sehr hohen Preis bedient werden. Die etablierten Unternehmen hatten als regulierte Monopolisten traditionell Universaldienstverpflichtungen (UDV), die dazu genutzt wurden, zahlreiche Subventionierungen aufzubauen. Auch wenn derartige UDV Gegenstand einiger Studien waren, z.B. im Postsektor bei Crew, Michael A./Kleindorfer, Paul R. 2005, ist das Gesamtbild ihres Einflusses auf die Deregulierung noch unterentwickelt.

VI. Kosten- und Risikoermittlung für Zwecke der Entgeltregulierung


Kosteninformationen spielen de facto sowohl bei der Rate of Return-Regulierung als auch bei der Price Cap-Regulierung eine zentrale Rolle. Während sich bei ROR die tatsächlichen Kosten prinzipiell direkt in den Entgelten niederschlagen, wirken sich diese bei PCR innerhalb der Laufzeit grundsätzlich nicht auf die festgesetzten Entgelte aus. Bei der Festlegung des Ausgangsniveaus eines Price Cap sowie neuer Effizienzziele am Ende der Laufzeit benötigt der Regulierer jedoch ebenfalls Kosteninformationen.
Im Zentrum der Kostenermittlung bei Entgeltfestsetzungsverfahren stehen Zinsen und Abschreibungen, die in den betroffenen Branchen den mit Abstand größten Kostenblock ausmachen. Die Zinsen ergeben sich durch Multiplikation der regulatorischen Kapitalkostenbasis mit dem Kapitalkostensatz bzw. mit der vom Regulierer erlaubten Rendite. Die regulatorische Kapitalkostenbasis enthält grundsätzlich die Investitionen, die getätigt wurden, um die regulierte Leistung zu erbringen. Uneinheitlich beantwortet wird die Frage, ob dabei der Marktwert des investierten Kapitals oder der Buchwert des Vermögens heranzuziehen ist (vgl. Busse von Colbe, Walther 2002, S. 15 f.). Der Marktwert des Kapitals hängt von den zukünftigen Entgelten ab, die ihrerseits auf Basis der Kapitalkosten festgelegt werden. Aufgrund dieser Zirkularität der Entgeltregulierung ist die Verwendung von Marktwerten nicht praktikabel. Durch den Rückgriff auf Buchwerte wird die Zirkularität durchbrochen. Bei einer konsistenten Regulierung auf Basis von Buchwerten dürften die Markwerte im Ergebnis nicht systematisch von den Buchwerten abweichen (vgl. Pedell, Burkhard 2006, S. 119 ff.).
Die erlaubte Rendite wird auf Basis des risikoangepassten Kapitalkostensatzes bestimmt (zum Überblick über in der Regulierungspraxis angewandte Methoden der Kapitalkostenbestimmung vgl. Pedell, Burkhard 2004). Das Risiko, dem eine regulierte Unternehmung unterliegt, hängt maßgeblich von der Ausgestaltung und der Handhabung der Regulierung selbst ab (vgl. Pedell, Burkhard 2006).
Aus Anreizgesichtspunkten kann ein Regulierer bei der Ermittlung der regulatorischen Kapitalkostenbasis von den tatsächlich getätigten Investitionen abweichen, indem er einzelne Investitionen, die er nicht für effizient hält, nicht in die Kapitalkostenbasis aufnimmt oder diese auf Basis von Kostenvergleichen oder ingenieurswissenschaftlichen Kostenmodellen festlegt. Dies setzt die Unternehmung einem asymmetrischen Regulierungsrisiko aus (vgl. Kolbe, A. Lawrence/Tye, William B./Myers, Stewart C. 1993). Im besten Fall akzeptiert der Regulierer sämtliche Investitionen in der Kapitalkostenbasis, in allen anderen Fällen setzt er eine niedrigere Kapitalkostenbasis an. Dies erfordert eine entsprechende Anpassung der erlaubten Rendite auf die verbleibende regulatorische Kapitalkostenbasis, sodass die Kapitalgeber erwarten können, im Durchschnitt ihre Kapitalkosten zu verdienen; ansonsten werden die Investitionsanreize reduziert.
Bei einer kostenorientierten Entgeltregulierung ist das regulatorische Abschreibungsverfahren so zu wählen, dass der Barwert der Zinsen und Abschreibungen über den gesamten Investitionszyklus der Anschaffungsauszahlung entspricht. Dieses Kriterium der Kapitalwertneutralität erfüllt eine Vielzahl von Kombinationen aus Abschreibungsverfahren und Zinssatz, unter anderem die Anschaffungswertabschreibung in Verbindung mit dem Nominalzinssatz, die Tagesneuwertabschreibung (TNA) in Verbindung mit dem spezifischen Realzinssatz unter Verwendung der für die Anlagenwertänderung maßgeblichen Preisänderungsrate (vgl. Swoboda, Peter 1973, S. 363 f.) sowie die Tagesgebrauchtwertabschreibung (TGA) in Verbindung mit dem Nominalzinssatz (vgl. Knieps, Günter/Küpper, Hans-Ulrich/Langen, René 2001). Die Methode der TGA ermittelt die periodischen Abschreibungen vom Anschaffungswert als Differenz der Tagesgebrauchtwerte zum Periodenbeginn und Periodenende.
Anschaffungswertabschreibung auf der einen sowie TNA und TGA auf der anderen Seite führen zu einer unterschiedlichen Verteilung der Kapitalkosten über die Nutzungsdauer. Im Fall sinkender Beschaffungspreise sind diese in den ersten Perioden der Nutzungsdauer bei der Anschaffungswertabschreibung niedriger, in den letzten Perioden höher als diejenigen bei tageswertabhängiger Abschreibung. Dies ist unerheblich, wenn (a) die Kapitalkosten tatsächlich in unterschiedlichen zeitlichen Verläufen erwirtschaftet werden können und (b) der gesamte Investitionszyklus durchlaufen wird. In einem geschützten Monopol sind unterschiedliche zeitliche Verläufe der Entgelte durchsetzbar. Wird dagegen Wettbewerb zugelassen und können (potenzielle) Wettbewerber zu einem späteren Zeitpunkt zu niedrigeren Beschaffungspreisen in den Markt eintreten, so ermöglicht nur ein Verlauf der Entgelte die Deckung der Kosten, der sich an der zeitlichen Entwicklung der Beschaffungspreise orientiert, wie dies bei der TNA und der TGA der Fall ist (vgl. Crew, Michael A./Kleindorfer, Paul R. 1992; zum vorzeitigen Verkauf von Anlagen vgl. Küpper, Hans-Ulrich/Pedell, Burkhard 2005).
Die Autoren danken Michael Crew für seine freundliche Erlaubnis, für Teile des Beitrags auf frühere Veröffentlichungen mit Paul Kleindorfer zurückzugreifen.
Literatur:
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