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Rückversicherer


Inhaltsübersicht
I. Anbieter am Rückversicherungsmarkt
II. Funktionen der Rückversicherung

I. Anbieter am Rückversicherungsmarkt


Rückversicherer sind Versicherungsunternehmen, die entweder ausschließlich oder zusätzlich zu einer Tätigkeit als Erstversicherer das Rückversicherungsgeschäft betreiben.
Unternehmen der ersten Art werden wegen ihrer Spezialisierung und ihrer auf Dauer angelegten Präsenz am Markt traditionell als professionelle Rückversicherer bezeichnet. Sie bilden mit kontinuierlich zunehmender Tendenz den wichtigsten Sektor unter den Angebotsträgern der Dienstleistung Rückversicherungsschutz. Allein die vier international größten Unternehmensgruppen vereinnahmten im Geschäftsjahr 2000 über ein Drittel der Weltrückversicherungsprämien.
Unternehmen der zweiten Art – Erstversicherer, die im Rahmen ihrer Gesamtaktivität begrenzt nach Art und Umfang auch Rückversicherungsgeschäft betreiben – werden in dieser Eigenschaft als gemischte Unternehmen bezeichnet. Wegen ihres teilweise diskontinuierlichen Auftretens am Rückversicherungsmarkt bzw. einer deutlich zyklusorientierten Preis-Mengen-Politik, die das Angebotsvolumen bei Bedarf auch substanziell und kurzfristig den Ertragsaussichten der jeweiligen zyklischen Phase anpasst, ist in der Praxis auch die Bezeichnung Gelegenheitsrückversicherer gebräuchlich.
In globaler Sicht kommen als weitere Rückversicherungsanbieter speziell strukturierte Körperschaften hinzu, insbesondere Lloyd\'s of London, sowie – in heute nur noch vereinzelt fortbestehenden Fällen – staatlich organisierte Rückversicherungseinrichtungen mit Monopolrechten oder gesetzlich privilegierter Wettbewerbsstellung.
Nach wie vor üblich sind in fast allen nationalen Märkten in überschaubarer Zahl bestehende Mitrückversicherungsvereinigungen, so genannte Rückversicherungspools. Sie dienen dazu, für besondere, auf der Ebene einzelner Risikoträger nur schwer platzierbare Gefahren, insbesondere Kumulgefahren (z.B. Atom-, Naturgefahren, Pharmarisiken), durch gemeinsame Übernahme des Geschäfts eine gesicherte Rückversicherungsmöglichkeit zu schaffen. Ihr Auftreten steht häufig im Zusammenhang mit der Einführung spezieller Haftungsnormen und/oder Versicherungsobligatorien durch den Gesetzgeber. Entsprechend ihrer Funktion, die Übernahme sonst nur beschränkt rückversicherbarer Risiken zu ermöglichen, bieten solche Pools Deckung zu weitgehend normierten Bedingungen und Tarifen und genießen in dem dafür gebotenen Rahmen Erleichterungen von den einschlägigen Wettbewerbsvorschriften.
Die wirtschaftliche Rolle des Rückversicherers wird in prägnanter Weise mit der Formel „ Versicherer des Versicherers “ beschrieben. Darin kommt zum Ausdruck, dass beide Seiten der Marktbeziehung, sowohl der Rückversicherer wie auch sein Kunde – der Erstversicherer, Direktversicherer oder Zedent – , als institutionelle Akteure dem Assekuranzsektor angehören und beide ihre wesentliche Marktleistung in Form von Versicherungsdeckungen erbringen. Soweit es sich um Unternehmen des privaten Rechts handelt, geschieht das zumeist auch in denselben Unternehmensformen, wie sie für die Versicherungstätigkeit allgemein zugelassen sind. Andererseits gilt Rückversicherung wegen der Spezialisierung des Angebots auf einen branchenmäßig eng umrissenen Kundenkreis – eben Versicherungsunternehmen – , der damit verbundenen typischen Bedarfslage der Nachfrager und daraus folgender Besonderheiten der Produktion von Rückversicherungsschutz seit je als Versicherungszweig eigener und einheitlicher Art, gleichgültig gegen welche Gefahrursachen (Feuer, Haftpflicht, Leben usw.) im Einzelnen Deckung geboten wird. Wegen der für eine großräumige Risikostreuung notwendig international ausgerichteten Tätigkeit der Rückversicherer ist es weltweit üblich, aufsichtsrechtliche Regulierungstatbestände primär auf Vorgaben zur Sicherung der finanziellen Leistungskraft der Unternehmen zu beschränken, um nicht durch zu detaillierte Auflagen den erforderlichen internationalen Rückversicherungsverkehr zu behindern (Prinzip der Rückversicherungsfreiheit). Ähnliches gilt für Verbraucherschutzbestimmungen der nationalen Versicherungsvertragsrechte. Für sie besteht in der Rückversicherung wegen der auf beiden Seiten der Geschäftsbeziehung gegebenen Kapazität, wirtschaftliche und rechtliche Interessen selbst wahrzunehmen und dafür Vereinbarungen zu treffen, in der Regel kein Anwendungsbedarf. Auch das in der Erstversicherung zum Teil noch praktizierte Prinzip der Spartentrennung ist in der Rückversicherung nicht sinnvoll einsetzbar und daher als marktregulierende Vorgabe weltweit nicht üblich.

II. Funktionen der Rückversicherung


Wie schon die begriffliche Bezeichnung andeutet, ist die Marktleistung des Rückversicherers losgelöst von der Erstversicherung nicht denkbar und ganz auf den speziellen Bedarf des Erstversicherers ausgerichtet. Andererseits ist für den Erstversicherer diese Leistung ein wichtiger und in seinem Produktionsprozess praktisch unverzichtbarer Einsatzfaktor. Das schlägt sich in der Tatsache nieder, dass die Rückversicherungsdichte weltweit nahezu 100 Prozent beträgt. So gibt es schon unter Produktivitätsgesichtspunkten – nicht nur unter Sicherheitsaspekten – kaum einen Erstversicherer, der nicht in der einen oder anderen Form Rückversicherungsschutz in Anspruch nehmen würde. Wegen dieses hohen Grades und zugleich exklusiven Charakters an wirtschaftlicher Komplementarität lassen sich – wie das insbesondere von Gerathewohl hervorgehoben wurde – Erst- und Rückversicherer auch als funktional aufeinander bezogene Teile eines gemeinsamen Systems der Risikotragung und Risikoverteilung verstehen (Gerathewohl, K. 1976; Gerathewohl, K. 1979). Auch Haller thematisiert diese Frage mit seinem Vorschlag, Rückversicherung jeweils nach der konkreten Bedarfsursache des Einzelfalls in einer – mehrere Stadien durchlaufenden – Bandbreite zwischen Produkt und Funktion einzuordnen (Haller, 1983).

1. Risikotransferfunktion der Rückversicherung


Aus Sicht des Erstversicherers stellt sich Rückversicherung zunächst als eigener Handlungsbedarf dar, der in einen entsprechenden Fremdleistungsbezug mündet: Der Versicherer rückversichert „ sich “ , indem er Rückversicherung bei Dritten nachfragt. Dieser Ansatz weist Rückversicherung als risikopolitische Maßnahme des Erstversicherers gegenüber einem Gefährdungsbild aus, wie es typischerweise mit seiner Tätigkeit verbunden ist, nämlich Schadenpotenziale von Versicherungsnehmern gegen ein regelmäßig festes Entgelt zu übernehmen, wobei die Realisierung dieser Potenziale in grundsätzlicher Hinsicht wie meist auch dem Umfang nach ungewiss ist.
Die technische Grundlage dafür, Risiko auf diese Weise nicht nur an sich zu ziehen, sondern auch zu verarbeiten – also Unsicherheit in Sicherheit zu transformieren – , bildet das traditionell als „ Versicherungsgedanke “ bezeichnete Basiskonzept der Assekuranz. Es werden unter spezieller Ausnutzung von Größenvorteilen Risiken in Portefeuilles zusammengefasst, die wegen der konsequenten Zeichnung dieser Risiken nach so genannten Versicherbarkeitskriterien Ausgleichseffekte erwarten lassen. Für jeden dieser Risikobestände wird ein Gesamtschaden auf der Grundlage von Gesetzmäßigkeiten der mathematischen Statistik prognostiziert und schließlich dieses Kalkül auf die Prämienberechnung des jeweils zu übernehmenden Einzelrisikos umgelegt.
Die Realisierung dieses hier in einfachster Form skizzierten Konzepts steht allerdings unter dem Vorbehalt von Voraussetzungen, die in der Realität kaum gegeben sind. Vor allem der für eine gesicherte Prognose nötigen „ Homogenität “ der Einzelwagnisse – also der Gleichartigkeit in Hinblick auf ihren quantitativen Risikogehalt – kann in der Praxis der meisten Versicherungszweige nur sehr unzureichend entsprochen werden, wenn nicht eine strikt selektive Zeichnungspolitik in Kauf genommen werden soll, die wiederum der Anwendung des Gesetzes der großen Zahlen enge Grenzen setzt. Ähnliche Restriktionen ergeben sich aus dem Erfordernis der „ Unabhängigkeit “ der im Bestand zusammenzufassenden Risiken untereinander, also der Vermeidung von Kumulbildungen im Portefeuille. Und schließlich geht die Zielvorstellung der Versicherungstechnik, ein Finanzierungsgleichgewicht im jeweiligen Bestand zwischen den vorschüssig eingenommenen Prämien und den zu bezahlenden Schäden herzustellen, davon aus, dass es dem Versicherer möglich sein sollte, die für jedes Risiko kalkulierte „ risikoadäquate Prämie “ auch tatsächlich am Markt durchzusetzen. Abgesehen von den in der Wirtschaft allgemein gegebenen Einflüssen des Wettbewerbs, lässt sich am Versicherungsmarkt mit seiner charakteristisch hohen Preiselastizität ein solches Gleichgewicht häufig erst mittelfristig, unter Umständen erst über die ganze Dauer eines mehrjährigen Prämienzyklus erzielen. Diese „ Unvollkommenheit “ der Realität in Hinblick auf ein an sich zweckmäßiges Konzept äußert sich beim Versicherer in einer substanziellen Erhöhung seines versicherungstechnischen Risikos, also der unter Umständen in seiner Dimension unternehmensbedrohenden Gefahr, dass der auf den Bestand anfallende Gesamtschaden nicht aus der Bestandsprämie finanziert werden kann.
Alternativ zu einer Bedeckung dieses Risikos durch Eigenkapital, das seiner Exponierung nach entsprechend hoch verzinst werden müsste, bietet sich die Rückversicherung als in der Regel deutlich kostengünstigeres Instrument der Risikofremdfinanzierung an. Methodisch wird dies durch einen weiteren Versicherungsvertrag (Rückversicherungsvertrag) hinsichtlich der vom Erstversicherer gezeichneten Originalrisiken erreicht. Mit ihm wird Geschäft oder werden Geschäftsteile nicht „ en bloc “ undifferenziert abgetreten. Ziel der Rückversicherungsnahme ist vielmehr, aus einem einzelnen Risiko – in Form einer so genannten fakultativen Rückversicherung – oder aus einem ganzen Risikobestand – in Form einer Portefeuille- oder Vertragsrückversicherung – gezielt jene Risikokomponenten zu selektieren und an den Rückversicherer zu übertragen, die das kalkulierte Finanzierungsgleichgewicht zwischen Prämien und Schäden gefährden und das versicherungstechnische Risiko über ein akzeptiertes Niveau hinaus ansteigen lassen würde. Dieses Risikoniveau wiederum steht in Korrelation mit dem in einer geschäftspolitischen Entscheidung bewusst exponierten Risikokapital, über das das Unternehmen in Form ausreichend liquider Eigenmittel verfügt.
Im Ergebnis kommt es damit bei jeder Rückversicherungsnahme zu einer wirtschaftlichen Aufspaltung des brutto gezeichneten Geschäfts in ein vom Erstversicherer netto – auf eigene Rechnung – gelaufenes Eigenbehaltsgeschäft und ein an den Rückversicherer abgetretenes Geschäftssegment. Abtretung ( „ Zession “ ) ist hier nicht nach juristischem Sprachgebrauch als Gläubigerwechsel zu verstehen, sondern in wirtschaftlicher Sicht als Refinanzierungsmöglichkeit im Schadenfall gegen ein vorweg vereinbartes, (prinzipiell) festes Entgelt. Zu einer rechtlichen Beziehung zwischen Versicherungsnehmer und Rückversicherer kommt es dabei ebenso wenig wie zu direkten Kontakten bei Policenabschluss, Risikobesichtigung und Schadenabwicklung, die sich – in aller Regel – der Erstversicherer im Rückversicherungsvertrag in Form alleiniger „ Geschäftsführungsbefugnis “ vorbehält. Ihr entspricht die „ Folgepflicht “ des Rückversicherers, innerhalb des vertraglichen Deckungsbereichs Geschäftsführungsmaßnahmen des Kunden als für seinen Anteil verpflichtend anzuerkennen.
Ähnlich wie bei vielen anderen Formen von Unternehmensversicherungen wird Rückversicherung – bis auf unwesentliche Ausnahmen – nicht erst nach Eröffnung der Risikoexponierung, sondern bereits im Vorfeld dazu genommen. Der Erstversicherer verfügt über die „ Option “ Rückversicherungsschutz bereits zu dem Zeitpunkt, in dem er ein Risiko, das ihm angeboten wird, übernimmt. Damit wird eine zweite Funktion der Rückversicherungsnahme deutlich, die mit dem gezielt herbeigeführten Risikotransfer unmittelbar zusammenhängt bzw. seine Implikation darstellt: die Bereitstellung zusätzlicher Zeichnungskapazität. In dem Maß, in dem sich der Erstversicherer die Möglichkeit verschafft, Risiken oder Risikokomponenten seines Geschäfts an den Rückversicherer abzutreten – einschließlich der darauf anfallenden Schäden – , erhöht sich bei unveränderter Ausstattung an Eigenmitteln seine Kapazität zur Zeichnung von Risiken, und dies sowohl summen- wie auch stückzahlmäßig: Er kann mehr, größere und auch schwerer zu verarbeitende Risiken übernehmen, als ihm dies nach seiner Kapitalausstattung bzw. seinem von ihm selbst vorgegebenen Risikoniveau möglich wäre. Über diesen Vorteil in einzelwirtschaftlicher Perspektive hinaus hat diese Bereitstellung von Kapazität durch Rückversicherung vor allem auch in marktpolitischer Hinsicht Bedeutung: Sie ermöglicht vielen kleineren Gesellschaften auch mit größeren Konkurrenten erfolgreich im Wettbewerb zu bestehen und trägt damit zur Marktvielfalt bei.
Rückversicherungsdeckungen sind niemals Standardprodukte. In allen Fällen ist bezweckt, einen gezielten, auf die individuellen Gegebenheiten des geschützten Portefeuilles zugeschnittenen Risikotransfer herbeizuführen. Dazu muss vor Abschluss des jeweiligen Vertrages das versicherungstechnische Risiko beim Erstversicherer qualitativ analysiert werden. Das setzt voraus, sein Gesamtportfeuille in rückversicherungstechnisch getrennt zu behandelnde Teilbestände zu zerlegen, um auf dieser Grundlage eine preis- und bedingungsmäßig optimale risikopolitische Effizienz der Deckungen zu erreichen. Für die Rückversicherungspraxis ergeben sich daraus folgende Konsequenzen:

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Rückversicherungsverträge werden in der Regel auf Marktbasis abgeschlossen. Ziel ist dabei, hinsichtlich Deckungskonzept und Tarifierungsgrundlagen möglichst nur gleichartige Risiken unter einem Rückversicherungsvertrag zu erfassen.

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Rückversicherungsverträge werden in der Regel auf Branchenbasis separiert nach Versicherungszweigen abgeschlossen. Der Grund dafür liegt in der fast in jeder Branche unterschiedlichen Ausprägung des versicherungstechnischen Risikos mit charakteristischem Schwergewicht auf einer seiner drei Erscheinungsformen: Zufallsrisiko (vor allem in Form des Großschaden- und Kumulrisikos), Änderungsrisiko (systematische Veränderung der risikotechnischen Grundwahrscheinlichkeiten während der Policenlaufzeiten), Irrtumsrisiko (ggf. fehlerhafte Risikoeinschätzung wegen mangelnder oder unzureichender Schadensdaten u.Ä.).

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Diesen Erscheinungsformen des versicherungstechnischen Risikos entsprechen die in der Praxis üblichen „ Rückversicherungsformen “ als quantitative Teilungsmodelle des gezeichneten Geschäfts zwischen Erst- und Rückversicherer. Mit dem jeweils gewählten Modell wird der selektive Risikotransfer bewirkt, den der Erstversicherer zur Optimierung seines Portefeuilles einsetzt. Da jedoch ein solches Portefeuille in der Praxis regelmäßig nicht nur durch eine dieser Erscheinungsformen exponiert ist, werden üblicherweise meist mehrere Rückversicherungsformen bzw. Rückversicherungsverträge zu einem so genannten Rückversicherungsprogramm kombiniert. Diese Maßnahme bezweckt, dem Erstversicherer Schutz gegen eine analytisch ermittelte Ursachenvielfalt des versicherungstechnischen Risikos zu verschaffen. Innerhalb eines solchen Programms werden häufig die Einzelverträge noch zusätzlich nach Versicherungssummen- oder Schadenbereichen in sogenannte Tranchen oder Layer zerlegt. Damit wird eine bessere Kalkulierbarkeit des Rückversicherungspreises bzw. eine preisadäquate Vergabe von Kapazität angestrebt. Mit der Portionierung des Risikos in grundsätzlich separiert handelbare Transfereinheiten bzw. Verträge wird zugleich die Platzierung und Streuung am Markt erleichtert.


Systematisch lassen sich alle Rückversicherungsformen einer der beiden grundsätzlichen Beteiligungsarten – der proportionalen (Summen-)Rückversicherung und der nichtproportionalen (Schadens-)Rückversicherung [Excess-of-Loss-Rückversicherung] – zuordnen, wobei allerdings hinsichtlich einzelner Deckungselemente in der Praxis Überschneidungen auftreten können. Bei der proportionalen Rückversicherung (Hauptformen: Quoten- und Summenexzedentenrückversicherung) nimmt der Rückversicherer im Verhältnis seiner Haftung auch an der Originalprämie des Risikos teil, von der eine vereinbarte Rückversicherungsprovision zugunsten des Zedenten abgesetzt wird. Auf der Leistungsseite trägt er damit neben dem Großschadenrisiko auch Ergebnisschwankungen mit, die aus dem kleinsummigen Geschäft oder aus Teilschäden großsummiger Risiken resultieren. Anders in der nichtproportionalen Rückversicherung (Hauptformen: Einzelschaden-, Kumulschaden- und Jahresüberschadenrückversicherung): Hier wird der Rückversicherungspreis in einer As-if-Projektion anhand der Schadenerfahrung der Vergangenheit und der Risikoexponierung unabhängig von der Originalprämie quotiert und um sogenannte Loadings zur Abdeckung des Schwankungsrisikos und anderer Kostenbestandteile adjustiert. Zweck dieser Beteiligungsart ist es, den Erstversicherer gezielt und ausschließlich gegen Großschäden auf Einzelrisiken und Risikokumule abzusichern, die einen bestimmten vertraglich festgesetzten Betrag – die sogenannte Priorität – übersteigen.
Der risikopolitische Effekt der Rückversicherungsnahme wird in jedem Fall auch von finanzwirtschaftlichen und bilanzpolitischen Effekten begleitet, ohne die eine wirksame Entlastung nicht erreichbar wäre. In der Regel handelt es sich dabei um Subziele, die die Bedingungsgestaltung des jeweiligen Vertrags zwar erheblich beeinflussen können, aber von der Bedarfsseite her nicht eigentlich das Motiv für seinen Abschluss bilden. In Einzelfällen kann sich dieses Verhältnis umkehren. Derartige Vertragsbeziehungen werden üblicherweise als Finanzrückversicherung (Financial Reinsurance) bezeichnet. Als eines der Innovationsfelder der Rückversicherung haben derartige Gestaltungen vor allem in den 1990er-Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Die wichtigste Position innerhalb der Produktpalette nehmen sogenannte Finite-Risk-Verträge ein, die neben einem substanziellen Risikotransfer der Deckung weiterer, speziell finanzwirtschaftlicher Bedürfnisse dienen. Ziel dieser Vertragsart ist es vor allem, den für die Ergebnisstabilität im Eigenbehaltsgeschäft nötigen „ Ausgleich in der Zeit “ durch Rückversicherung planmäßig zu strukturieren. Daneben sind eine überjährig angelegte Optimierung der Rückversicherungskosten, Verbesserungen der Bilanzstruktur und ein Abkoppeln vom Marktpreiszyklus weitere Zielsetzungen solcher stark individuell ausgestalteter Rückversicherungslösungen.
Seit nunmehr über zehn Jahren haben sich Deckungsformen entwickelt, bei denen versicherungstechnisches Risiko von Erst- oder Rückversicherern in Form von Verbriefungen unmittelbar am Kapitalmarkt platziert wird (Securitized Products Securitization). Hierbei wird Risiko z.B. in Form von Anleihen an Investoren abgegeben, die im Fall eines ex ante definierten Risikoereignisses mit ihrem Zins- und/oder Kapitalrückzahlungsanspruch im Risiko stehen. Diese Verbriefungen sind zunächst für Spitzenzenarien im Naturkatastrophensektor entwickelt worden, werden seit einigen Jahren aber auch zunehmend zum Risikotransfer und zur Finanzierung von Akquisitions- und Verwaltungskosten in der Lebensversicherung sowie in einer Vielzahl weiterer Branchen (etwa Kredit, Wetter, Restwert, Autohaftpflicht) angewandt. Auch wenn das Volumen an ausstehenden Verbriefungsrisiken derzeit erst etwa 10 Mrd. US-Dollar beträgt, sagen viele Experten voraus, dass der Kapitalmarkt in zehn Jahren eine Haftung im dreistelligen Milliardenbereich tragen wird. Zahlungsauslösemechanismen, Risikomanagement, Abwicklung und Transaktionskosten sind mittlerweile so optimiert worden, dass der Kapitalmarkt durchaus als kompetitive Ergänzung der traditionellen (Rück-)Versicherungsmärkte gelten kann. Anstelle der Verbriefung in Anleihen finden mittlerweile auch weitere Kapitalmarktinstrumente wie Derivate (Financial Futures; Optionsgeschäfte), Swaps und Contingent-Capital-Konstruktionen Anwendung.

2. Servicefunktion der Rückversicherung


Im Angebotssortiment großer professioneller Rückversicherer spielt zunehmend die Servicekomponente eine wichtige Rolle. Rückversicherungsgesellschaften, die auf internationaler Ebene arbeiten, werden durch ihre Kontakte oft erheblich früher mit neuen Entwicklungen konfrontiert als lokal oder national arbeitende Gesellschaften. Dies ermöglicht – auch durch Investitionen in sachlicher oder personeller Hinsicht – rechtzeitig „ Problemlösungs “ -Kapazität aufzubauen, entsprechende Erfahrungen zu erwerben und diese in Form von Beratungsleistungen an Kunden weiterzugeben.
Neben dieser Verwertung von Informationen, die sich für große Rückversicherer aus ihrer Position als „ Klammer “ einzelner nationaler Märkte anbietet, können sie durch Sachkompetenz dem Kunden auch Kostendegressionseffekte ermöglichen, die als Zusatznutzen die geschilderte Risikotransferfunktion der Rückversicherung ergänzen. Größere professionelle Gesellschaften beschäftigen in ihren Häusern Spezialisten vieler Grundlagendisziplinen nicht nur zur Deckung des eigenen Bedarfs. Sie versuchen damit auch eine Vorhaltefunktion bezüglich Arbeitskapazität und Know-how für die Bedürfnisse ihrer Zedenten zu erfüllen und sind darauf eingestellt, dass sich diese in Problemfällen an ihren Partner, den Rückversicherer, wenden.
Nach den Erfahrungen der Praxis sind die Bedürfnisse an zusätzlichen Serviceleistungen sehr vielfältig. „ Ausbildung – Information und Beratung – praktische Lebenshilfe “ sind die Kennworte, mit denen sich ein weiter Bereich an zusätzlichen Services noch am besten umschreiben lässt. Einen herausragenden Platz nehmen in den letzten Jahren Serviceleistungen im IT-Bereich ein. Neben der Beratung von Zedenten bei der Planung und dem Aufbau von Kommunikationssystemen bieten professionelle Rückversicherer auch fertige Systemlösungen als Serviceprodukte an. Dabei handelt es sich vor allem um Softwareprogramme zur Risikotarifierung und Risikobestandsführung. Als hilfreich für die Abwicklung von Rückversicherungsbeziehungen wirken sich insbesondere jene Programme aus, die darauf abzielen, die technische Durchführung der passiven Rückversicherung von Erstversicherern, zum Teil aber auch deren aktives Rückversicherungsgeschäft, EDV-technisch zu erfassen und zu steuern.
Literatur:
Arnoldussen, L. : Finanzwirtschaftliche Effekte von Rückversicherungsverträgen in der Schaden- und Unfallversicherung, Teil 1 u. 2, Bergisch Gladbach/Köln 1991
Gerathewohl, K. : Rückversicherung – Grundlagen und Praxis, Band I, Karlsruhe 1976
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Gerathewohl, K./Schinzler, H.-J. : Beiträge zur Rückversicherung, Karlsruhe 1988
Haller, M. : Rückversicherung – Produkt oder Funktion?, in ZfV 21/1983, S. 540 – 552
Jannott, H. K. : Rückversicherungspolitik, im Handwörterbuch der Versicherung (HdV), hrsg. v. Farny, D./Helten, E./Koch, P./Schmidt, R., Karlsruhe 1988, S. 715 – 719
Koch, P. : Rückversicherung, im Handwörterbuch der Versicherung (HdV), hrsg. v. Farny, D./Helten, E./Koch, P./Schmidt, R., Karlsruhe 1988, S.689 – 701
Labes, H. W. : Rückversicherungsformen, im Handwörterbuch der Versicherung (HdV), hrsg. v. Farny, D./Helten, E./Koch, P./Schmidt, R., Karlsruhe 1988, S.703 – 707
Schmidt, J. : Betriebswirtschaftliche Aspekte der Rückversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Absatzpolitik von Rückversicherungsunternehmen, Karlsruhe 1980
Schradin, H. R. : Finanzielle Steuerung der Rückversicherung, Karlsruhe 1998
Wagner, F. : Risk Management im Erstversicherungsunternehmen, Karlsruhe 2000

 

 


 

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