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Marktabgrenzung


Inhaltsübersicht
I. Problemstellung der Marktabgrenzung
II. Verfahren der Marktabgrenzung
III. Anwendungsempfehlungen

I. Problemstellung der Marktabgrenzung


1. Der Begriff der Marktabgrenzung


In Theorie und Praxis der Wirtschaft wird oft mit einem stillschweigenden Einverständnis darüber gesprochen, was man im konkreten Fall unter einem Markt zu verstehen hat. Häufig geht aus dem Zusammenhang hervor, ob als Elemente des Marktes Unternehmen, Produkte oder Nachfrager anzusehen sind. Welche Produkte, welche Wettbewerber und welche Kundengruppen zu bestimmten Märkten gehören sollen, wird bestenfalls kasuistisch angedeutet. Meist wird jedoch nicht einmal erkannt, dass Aussagen über Marktgegebenheiten eine Bestimmung des Marktes voraussetzen. Diese Bestimmung des Marktes für Zwecke der Unternehmenspolitik oder zur Entwicklung von Markttheorien kann im weitesten Sinne als Marktabgrenzung bezeichnet werden (Bauer, H. H. 1989).
Nach verbreiteter Ansicht gibt es keine allgemein gültige Antwort auf die Frage, wie ein Markt abzugrenzen sei. Eine absolute Einteilung von Märkten ist nicht möglich. Vielmehr geht es darum, für bestimmte Anliegen Teilmärkte eines globalen Marktes nach zweckmäßigen Kriterien und mithilfe geeigneter Methoden zu finden, d.h. eine Marktabgrenzung in Bezug auf kleinere Märkte durch Strukturierung globalerer Märkte vorzunehmen. In diesem Sinne sind Begriffe wie Marktabgrenzung, Marktaufspaltung und Marktstrukturierung dem gleichen Anliegen gewidmet, nämlich einem besseren Verständnis von Marktrelationen.
So verstanden sind diese Begriffe lediglich technische Ausdrücke, die sagen, was mit den einzelnen Märkten zugehörigen Elementen geschieht. Es geht im Kern um einen einzigen Vorgang, wobei man die Marktabgrenzung als eine um eine Grenzziehung erweiterte Marktstrukturierung verstehen könnte. Strukturierung bedeutet das Aufdecken eines Gefüges bzw. das Herausarbeiten der Konturen von Teilmengen. Abgrenzen heißt dann, bestimmte Konturen hervorzuheben und als Grenzen zwischen Teilmengen zu betrachten. Die Teilung der Elemente entlang dieser Grenzen ist die Aufspaltung.
In den verschiedenen Literaturbereichen sind ohne Rücksicht auf begriffliche Reinheit Vorlieben für bestimmte Termini entstanden. So wird in der juristischen Literatur gerne von der Abgrenzung des relevanten Marktes gesprochen, in der Marketing-Literatur von der Marktstrukturanalyse und in der volkswirtschaftlichen Literatur von der Marktaufspaltung.

2. Zwecke der Marktabgrenzung


In der Wirtschaftspraxis lässt sich eine Reihe von Bereichen feststellen, in denen die Bestimmung von Märkten eine Bedeutung hat. Für die Wirtschaftspolitik muss die Marktabgrenzung an deren Ziel der Wirtschaftsgestaltung anknüpfen, die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen zu beeinflussen. Unternehmen sind daher in Industriezweige oder Branchen nach Merkmalen einzuteilen, die einen engen Bezug zu den wirtschaftspolitischen Gestaltungsmaßnahmen und Gestaltungsvoraussetzungen aufweisen. Dies sind z.B. die Art des Produktionsprozesses, die Art des verwendeten Materials, die Kapital- oder Arbeitsintensität der Produktion, die Größe der Unternehmen oder das Marktareal.
In der Wettbewerbspolitik erfordert Marktabgrenzung, Unternehmen zusammenzufassen, die im Wettbewerb zueinander stehen. Wettbewerb wird konstituiert durch Güter, die aus der Sicht von Nachfragern alternativ kaufbar sind. Die Intensität des Wettbewerbs wird darüber hinaus durch alle das Güterangebot begleitenden Maßnahmen des Absatzes und mittelbar der Unternehmenspolitik bestimmt. In diesem Sinne sind alle Wettbewerbsparameter von Unternehmen mögliche Kriterien der Marktbildung.
Der Zweck der wettbewerbsrechtlichen Marktabgrenzung besteht darin, die Marktgleichwertigkeit von Waren oder Leistungen festzustellen, und zwar sowohl als Ziel an sich als auch zu dem Zweck, damit den wettbewerblichen Handlungsspielraum von Nachfragern gegenüber Anbietern und umgekehrt sowie zwischen Anbietern auszuloten.
Der Natur der Rechtsanwendung folgend bilden die in diversen Vorschriften des GWB als Kartell- oder Vertragspartei, als Inhaber starker Marktstellung oder als fusionsgewillte Firmen bezeichneten Unternehmen die Bezugsunternehmen der Marktabgrenzung. Die rechtliche Marktabgrenzung ist vor allem am Ergebnis als Grundlage der Rechtsprechung interessiert. Die Kriterien der Abgrenzung dienen lediglich der Begründung, einen relevanten Markt so und nicht anders abzugrenzen. Sie selbst sind kein Anknüpfungspunkt von Maßnahmen, ganz im Gegensatz zur Marktabgrenzung etwa im Marketing, wo es sich umgekehrt verhält. Für die sachliche Marktabgrenzung im Rahmen des Wettbewerbsrechts hat sich in der Praxis das produktbezogene Bedarfsmarktkonzept durchgesetzt. Dabei wird auf die Austauschbarkeit von Produkten aus der Sicht der Abnehmer abgestellt und sämtliche Erzeugnisse, die sich nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahe stehen, dass der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet ansieht, werden als marktgleichwertig eingestuft.
In der strategischen Unternehmenspolitik erfordert die Bildung von strategischen Gruppen eine Marktabgrenzung, bei der Unternehmen zusammengefasst werden, die einheitliche strategische Optionen verfolgen. Dies können Integrationstiefe, Absatzkanalwahl, Produktdifferenzierung, Forschungs- und Entwicklungsintensität und dgl. mehr sein.
In der Marketing-Politik liegt sicherlich der größte und wichtigste Anwendungsbereich von Verfahren der Marktbestimmung. Die Offenlegung von Produktmarktgrenzen ist sowohl ein wichtiges Hilfsmittel zur Analyse des Marktgeschehens als auch Voraussetzung nahezu aller strategischen und taktischen Entscheidungen im Marketing. Die Wahrnehmung der am Markt befindlichen Güter und ihrer Anbieter durch die Nachfrager sowie die Ermittlung nicht befriedigter Bedürfnisse von Nachfragern sind bekanntlich der Kern der Marketing-Konzeption schlechthin.
Insbesondere für die Zwecke der Produktpolitik benötigt eine Unternehmung eine genaue Kenntnis der Wettbewerbsbeziehungen und der Substitutionalität von Gütern. Dahinter stehen im Einzelnen Aufgaben wie die Entdeckung von Bedarfsnischen, die Entwicklung neuer Produkte oder die Modifikation von Produkten, die Aufdeckung von Kannibalisierung im eigenen Produktprogramm bei einer Mehr-Markenstrategie oder einer Produktlinienstrategie, die Optimierung der Programmpolitik, die Erklärung von Marken-, Produkt-, Gattungs- und Variantenwahlverhalten der Konsumenten und die Entwicklung von Strategien zum Eintritt in andere Märkte.
Wie immer die Verfahren zur Marktstrukturierung und Marktabgrenzung auch heißen, alle zielen darauf ab, dem Management das Verständnis des Konsumentenverhaltens zu erleichtern, d.h. aufzuzeigen, wie viele und welche Produkte im Wettbewerb zum eigenen Produkt stehen, wie stark dieser Wettbewerb ist, welche Faktoren den Wettbewerb begründen und welche dieser Faktoren mit welcher Bedeutung von den Nachfragern bei ihrer Kaufentscheidung herangezogen werden.
Folglich sind Methoden der Marktabgrenzung und Strukturierung nicht nur für die Marketing-Manager von Interesse. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass in der Entwicklung der Konstruktion und beim Design neuer Produkte der komplementäre Einsatz dieser Methoden Nutzen bringt. Hier sei nur an die Verfahren des »Quality Function Deployment« erinnert. Sogar das Top-Management beschäftigt sich mit Marktstrukturierungsanalysen zur Fundierung von strategischen Überlegungen.

3. Teilaufgaben der Marktabgrenzung im Überblick


Eine Marktstrukturanalyse erfordert im Wesentlichen drei Schritte. Zum einen bedarf es einer Festlegung, ob die auf einem Markt gehandelten Güter oder deren Anbieter oder deren Nachfrager bzw. Kombinationen dieser Objektmengen zum Bezugspunkt der Marktabgrenzung gewählt werden sollen. Zweitens muss bestimmt werden, anhand welcher Kriterien die Relationen zwischen den Marktelementen zweckmäßigerweise darzustellen sind, d.h. wie die Wettbewerbsbeziehung zwischen Produkten zu operationalisieren ist. Und drittens gilt es, mit geeigneten Klassifikations- und Strukturierungsverfahren die Struktur bzw. die Grenzen von Märkten aufzudecken und darzustellen.

a) Die Bestimmung der abzugrenzenden Marktobjekte


Die objektbezogenen Ansatzpunkte einer Marktabgrenzung sind in Abb. 1 dargestellt.
Marktabgrenzung
Abb. 1: Objektbezogene Ansatzpunkte der Marktabgrenzung
Es zeigt sich, dass man je nach Marktobjekt zu einem unterschiedlichen Marktverständnis kommt. Der Schwerpunkt liegt in allen praktischen Anwendungsbereichen allerdings in der Strukturierung von Produktmärkten, also in der produktbezogenen Marktabgrenzung. Dabei sind für die Strukturierung von Märkten nach dem Gesichtspunkt des Produktwettbewerbs häufig ganz unterschiedliche Produkte zu berücksichtigen.
So können Sachgüter durchaus zu Dienstleistungen im Wettbewerb stehen (Überwachung von Häusern durch Personen oder Geräte). Am Markt erworbene Güter befinden sich im Wettbewerb zu haushalts- oder produktionswirtschaftlich selbst erzeugten Produkten. Von besonderer Bedeutung ist, zwischen verschiedenen denkbaren Abstraktionsstufen des Begriffes »Gut« zu unterscheiden. Das »Gut« an sich (z.B. Kaffee) kann als Produktgattung durchaus Gegenstand einer Marktabgrenzung sein, etwa wenn der Produktgattungsmarkt für Frühstücksgetränke bestimmt werden soll (Kaffee, Tee, Milch, Fruchtsaft etc.). Sehr konkret hingegen ist das »Gut am Markt«, z.B. Jacobs Kaffee Krönung, gemahlen, 500 Gramm zu 4,99 Euro, angeboten im Edeka Markt, das ebenfalls Element einer Marktstrukturierung sein kann; etwa wenn untersucht werden soll, wie die Verbraucher Marken oder Sorten im Marktfeld wahrnehmen. Schließlich sind für das sehr wichtige Gebiet der Neuproduktplanung rein fiktive Produktkonzepte (evtl. auch Prototypen) als Elemente einer Marktstrukturierung denkbar.
Die Marktabgrenzung in Bezug auf Unternehmen oder Geschäftseinheiten ist Thema der Bildung strategischer Gruppen. Wettbewerbsbeziehungen zwischen Unternehmen oder strategischen Einheiten werden zwar durch die am Markt angebotenen Produkte konstituiert und auch in dieser ersten Stufe bereits entfaltet, aber auf einer weiteren Ebene durch Wettbewerbsparameter, die letztlich nur noch als Eigenschaften oder Verhaltensweisen der Unternehmen beschreibbar sind, in ihrer Art verändert und vor allem in der Intensität verstärkt. Eine Marktstrukturierung mit dem Ziel, Wettbewerb in diesem Sinne abzubilden, erfordert also Unternehmen als Strukturierungsobjekte (Bauer, H. H. 1992).
Eine Interdependenz liegt zwischen der produktbezogenen und der nachfragerbezogenen Marktabgrenzung vor. Letztere ist das weite Feld der Marktsegmentierung, worauf hier nur verwiesen werden soll. Der Zusammenhang besteht darin, dass die Beurteilung der Austauschbarkeit oder auch das faktische Wechselverhalten zwischen Produkten eben in Abhängigkeit von segmentspezifischen Gegebenheiten und Bedürfnissen erfolgt. Insofern ist eine produktbezogene Marktabgrenzung häufig zwingend mit einem Marktsegmentierungsansatz verbunden.

b) Die Bestimmung der Abgrenzungs- bzw. Strukturierungskriterien


Das richtige Verständnis der zwischen den Produkten herrschenden Wettbewerbsbeziehungen ergibt sich aus der Analyse der Determinanten des Kaufverhaltens (vgl. Abb. 2).
Marktabgrenzung
Abb. 2: Determinanten des Kaufverhaltens als Marktabgrenzungskriterien
Die unmittelbarste Form des Wettbewerbs ist das Streben von Unternehmen, bei Entscheidungen der Nachfrager über den Kauf von Gütern den Vorzug zu bekommen. Dieses wiederum hängt wesentlich von den Erwartungen der Käufer darüber ab, welchen Nutzen Produkte zu stiften vermögen. Daraus entwickeln die Nachfrager unter Einbeziehung von Preis und anderen Marktleistungen wie Werbung und Distribution unterschiedliche Präferenzen für verschiedene Kaufalternativen. Die Stärke dieser Präferenzunterschiede reflektiert die Austauschbarkeit der Güter. Seitens der Nachfrager bestimmen allgemeine Bedürfnisse vor dem Hintergrund spezifischer Verwendungszwecke die Suche nach der Erfüllung spezifischer Nutzenkomponenten. Diese wiederum werden von den Produkten aufgrund ihrer Eigenschaften und der für sie möglichen Verwendungszwecke bereitgestellt. Beziehungen und damit auch Wettbewerbsbeziehungen zwischen Gütern werden folglich auf der Ebene der Eigenschaften, des Nutzens, der Präferenz, der Austauschbarkeit und des Kaufes erfasst. Wettbewerb besteht zwischen Gütern, wenn zumindest partiell gleiche Nutzenerfüllung geboten wird. Damit wird klar, dass Wettbewerb ein gradueller und nicht ein kategorialer Begriff ist. Dies ergibt sich aus der häufig nur partiell gegebenen Überschneidung der Nutzenstiftungen der Verwendungszwecke zweier Güter. Die Abb. 3 fasst die bisherigen Erörterungen zusammen.
Marktabgrenzung
Abb. 3: Arten und Kriterien der Marktabgrenzung

c) Die Abgrenzungs- bzw. Strukturierungsmethoden


Analog zu den beiden Begriffen Abgrenzung und Strukturierung lassen sich zwei Methodengruppen unterscheiden. Abgrenzen heißt Dinge voneinander trennen, indem man Ähnlichkeiten bzw. Unähnlichkeiten zwischen ihnen feststellt. Als Ergebnis erhält man Grenzen zwischen Elementen, mithin Mengen oder Klasen. Der Einteilungsvorgang selbst lässt die Beziehung zwischen diesen Klassen erkennen. Folglich sind klassifikatorische Methoden zur Aufspaltung der Marktobjekte in Teilmärkte heranzuziehen. Man unterscheidet dabei eine disjunkte Teilmarktbildung, in der sich die Klassen nicht überschneiden, z.B. mithilfe der Clusteranalyse und eine nicht disjunkte Teilmarktbildung, in der eine Überlappung der Teilmärkte möglich ist (überlappende Clusteranalyse). Will man gleichzeitig die mögliche Über- und Unterordnung der Teilmärkte rekonstruieren, so bedarf es der hierarchischen Teilmarktbildung, die sich mithilfe sog. Baumstrukturen darstellen lässt. All diese Verfahren werden mitunter zur Gruppe der nicht räumlichen Abgrenzungsverfahren zusammengefasst.
Eine Strukturierung liegt dann vor, wenn aus Elementemengen und -beziehungen ein Formgefüge mit Gestaltcharakter rekonstruiert wird. Dies gelingt mithilfe der Raummethoden, bei denen die Relationen zwischen Produkten in Form räumlicher Distanzen dargestellt und als Ergebnis die Marktstruktur in einem beispielsweise zweidimensionalen Raum rekonstruiert wird.

II. Verfahren der Marktabgrenzung


1. Die Operationalisierung von Wettbewerb


Grundlage wirtschaftlichen Handelns sind Markttheorien. In Markttheorien wird beschrieben, wie die Marktakteure zur Erreichung ihrer Ziele ihre Pläne aneinander anpassen. Die Anbieter stehen dabei zueinander im Wettbewerb. Der Kern jeder Marktabgrenzung oder Marktstrukturierung ist deshalb die Operationalisierung von Wettbewerb. Eine Marktstruktur erweist sich somit als theoretisches Konstrukt, das es real nicht zu beobachten gibt.
Im weitesten Sinne konkurrieren alle angebotenen Güter miteinander um die Kaufkraft der Nachfrage. Dieses Totalmarktkonzept bietet bereits eine erste, allerdings äußerst globale Marktstrukturierung. Im Rahmen des Sektorenwettbewerbs werden bereits globale Kaufkraftströme sichtbar. So steht der Sektor der Möbelbranche in einem sektoralen Wettbewerb zum Pkw-Sektor oder zum Wohneigentumsbau. Kaufkraftwanderungen ergeben sich hier z.B. bei meist nur vorübergehenden Einschränkungen in einem Sektor (z.B. Katalysator-Regelung im Pkw-Bereich) insofern, als sich sofort verstärkte Nachfrage in den anderen Sektoren einstellt. Obwohl solche sektoralen Verschiebungen auch für einzelne Unternehmen von Bedeutung sind und somit ein wichtiger Tatbestand für die Abgrenzung strategischer Märkte sein können, sind sie doch von einem einzelnen Anbieter nicht beeinflussbar.
Nur von theoretischem Interesse ist hingegen das gedankliche andere Extrem, wonach jedes einzelne Produkt einen eigenen Elementarmarkt verkörpert. Obwohl in der wirtschaftlichen Realität durch Markenbildung und Produktdifferenzierung eine Eigenständigkeit vieler Produkte häufig gegeben ist, kann man sie als nicht so weitgehend und so wirksam verstehen, dass keinerlei Substitutionsbeziehungen zwischen solchen Produkten bestehen. Das Elementarmarktkonzept verlangt Substituierbarkeit als kategorialen Begriff. Dies ist jedoch insofern der Realität nicht angemessen, als dort wohl unterschiedliche Präferenzen für Güter bei den Nachfragern vorhanden sind, diese aber z.B. nicht für jeden Preis erhalten bleiben.
Dies führte zum Gedanken der Substitution von Robinson, wonach sich die wettbewerbliche Struktur eines Produktfeldes aus der graduellen Substituierbarkeit der Güter ergibt (Robinson, J. 1933). Diese bilden eine Substitutionskette mit unterschiedlich »dünnen« Verbindungen. Damit liegt ein erstes theoretisches Konzept für die Rekonstruktion von Marktstrukturen vor, nämlich die aus der Sicht von Nachfragern gegebene Substituierbarkeit von Gütern (Thomas, U. 1989).
Daneben wurde von der Wirtschaftstheorie eine zweite Operationalisierung für Wettbewerb entwickelt, das Impact-Konzept. Danach ergibt sich Wettbewerb zwischen Gütern aus den Wirkungen, die das Verhalten der Anbieter dieser Güter hervorrufen. Das wichtigste Konzept ist hierbei das der Kreuzelastizität der absatzpolitischen Instrumente, also des Preises, der Werbung, der Qualitätsverbesserung etc. Die Austauschbarkeit der Güter ergibt sich nach diesem Konzept als Ausmaß der Absatzveränderung infolge von Maßnahmen eines Konkurrenten. Insbesondere die Kreuzpreiselastizität wird als die ökonomisch fundierteste Operationalisierung von Substitution angesehen.
Für praktische Zwecke ist dieses Konzept jedoch aus zwei Gründen nicht brauchbar. Erstens beruhen die Absatzmengenveränderungen, die Anbieter bei einem Konkurrenten durch eine eigene Preisbildung hervorrufen können, auch auf den Mengenwirkungen der anderen absatzpolitischen Instrumente. Zweitens können Preis- und Absatzmengenänderungen zweier beliebiger Produkte rein rechnerisch immer zu einer Kreuzpreiselastizität führen (z.B. die von Haarspray und Margarine). Ob damit Austauschbarkeit der beiden Produkte gegeben ist, muss jedoch sinnvollerweise vorher geprüft werden. Damit ergibt sich für die Kreuzpreiselastizität, dass sie eher ein Instrument der Messung als eine Operationalisierung von Substitutionalität darstellt. Ein dritter wichtiger Grund liegt ebenfalls auf der Hand. Kreuzpreiselastizitäten können Substitutionalität nicht messen, wenn keine entsprechenden Parameterveränderungen vorliegen. Selbstverständlich ist jedoch auch in diesem Fall die grundsätzliche Substitutionalität von Produkten gegeben. Sie hängt ja nicht davon ab, ob Unternehmen aufeinander konkret reagieren.
Damit halten wir als Ergebnis fest: Das einzig sinnvolle Konzept zur Marktabgrenzung und Marktstrukturierung ist das der Substitutionalität oder Austauschbarkeit aus der Sicht des Nachfragers. Grundsätzlich lässt sich Substituierbarkeit auf zwei Ebenen erfassen. Einerseits auf der Ebene des Kaufverhaltens durch die Erfassung des Wechsels der Nachfrager von einem Produkt zum anderen, und andererseits auf der Ebene der Indikatoren des Kaufverhaltens, der sog. Urteilsebene. Als Indikatoren kommen z.B. die Präferenz, die bekundete Austauschbarkeit oder auch die wahrgenommene Ähnlichkeit infrage (vgl. Abb. 2). Dabei kann sich Ähnlichkeit auf Produkteigenschaften beziehen, aber auch auf den durch die Produkte bereitgestellten Nutzen oder auf die Eignung der Produkte für bestimmte Verwendungszwecke. Die Kaufverhaltensindikatoren haben gegenüber dem tatsächlichen Kaufverhalten den grundsätzlichen Nachteil, nur mit einer Wahrscheinlichkeit < 1 das tatsächliche Kaufverhalten prognostizieren zu können. In methodischer Hinsicht sind die zwei Arten der Marktabgrenzungskriterien dadurch gekennzeichnet, dass die z.T. nur in Verbindung mit bestimmten Methoden der Rekonstruktion von Marktstrukturen oder von Marktgrenzen eingesetzt werden können.

2. Die Bestimmung der zu strukturierenden Startmenge


Nach dem Konzept der oben bereits erläuterten totalen Konkurrenz steht grundsätzlich jedes Gut mit jedem anderen im Wettbewerb um die knappe Kaufkraft der Nachfrager. Eine von dieser Überlegung ausgehende, sehr weit gefasste und daher viele Produkte einbeziehende Marktstrukturierung mit anschließender Abgrenzung wäre jedoch nicht machbar und auch nicht sinnvoll. Die Startmenge muss also pragmatisch bestimmt werden. Hierzu können drei Gruppen von Kriterien hilfreich sein. Zunächst bieten sich solche Kriterien an, die in der Eigenart von Produkten begründet sind, insbesondere der Komplexitätsgrad, die Verwendungszweckvielfalt und der Stand im Lebenszyklus der Produkte. Dazu kommen Überlegungen, die aus dem Verhalten der Beurteiler abzuleiten sind; und schließlich sind Kriterien tauglich, die sich aus dem Zweck der Abgrenzung ergeben.
Komplexe Güter, d.h. solche mit einer Vielzahl von Merkmalen (z.B. Schmuck), stehen in umfangreicheren Wettbewerbsbeziehungen als einfache Güter (z.B. Kochsalz). Gleiches gilt für Produkte, die vielseitig einsetzbar sind (z.B. Butter), da mit der Verwendungszweckvielfalt auch die relevante Konkurrenz-Produktmenge steigt. Ferner ist der Stand im Lebenszyklus eines Produktes zu berücksichtigen. Für ein junges Produkt, dessen Tauglichkeit zur Substitution anderer Güter noch nicht bekannt ist, muss ein weiter gefasstes Wettbewerbsfeld betrachtet werden, als dies für etablierte Produkte mit bereits bekannten Austauschbeziehungen der Fall ist. Somit wird auch ein Problem hinsichtlich der zeitlichen Stabilität der relevanten Gütermenge sichtbar.
Das zweite Problem betrifft die Sichtweise, aus der die Abgrenzung der Startmenge vorgenommen wird. Mitarbeiter einer Marketing-Abteilung beurteilen die relevante Produktmenge eher auf der Grundlage objektiver, d.h. physikalisch-chemisch-technischer Eigenschaften. Nachfrager hingegen wählen Güter nach subjektiv wahrgenommenen Merkmalen aus, sodass der aus Anbietersicht abgesteckte Markt möglicherweise zu eng oder nicht geeignet ist.
Schließlich wird die Startmenge vom Zweck der Marktabgrenzung bestimmt. Sollen lediglich Güter einer bestimmten Produktart strukturiert werden, führt die Abgrenzung des relevanten Produktfeldes kaum zu Problemen. Für Neuproduktentscheidungen hingegen muss der Wettbewerb zwischen Produktarten untersucht werden, weswegen übergeordnete Produktklassifizierungen in die Betrachtung einbezogen werden.
Eine häufig verwendete Methode zur Bestimmung einer geeigneten Ausgangsmenge ist die freie Nennung bekannter Güter und möglicher Substitutionsprodukte einer bestimmten Produktgattung im Rahmen einer Konsumentenbefragung. Dieser »Evoked Set«-Ansatz ist für Erzeugnisse gleicher Art unproblematisch, kann jedoch bei der Berücksichtigung von Gütern unterschiedlicher Produktarten, die möglicherweise noch in verschiedenen Kaufsituationen erworben werden, zu einer verzerrten Startmenge führen. Daher wurde der Ansatz des »bedingten Evoked Set« entwickelt, der mittels wechselweise sukzessiver Nennung von Produkten und Verwendungszwecken eine vollständig strukturierte Ausgangsmenge zu generieren erlaubt (Dichtl, E./Andritzky, K./Schobert, R. 1977).

3. Methoden der Rekonstruktion von Marktstrukturen


Die vielfältigen Methoden, Märkte zu strukturieren und Marktgrenzen zu ermitteln, können hier auch nicht einmal annähernd skizziert werden. Hierzu sei auf die Überblicke in der Literatur verwiesen (Elrod, T. 1991; Shocker, A. D./Stewart, D. W./Zahorik, A. J. 1990; Bauer, H. H. 1989). Inzwischen existieren nahezu dreißig verschiedene Modelle zur räumlichen und nicht räumlichen Marktstrukturierung.
Als ein Beispiel für ein nicht räumliches Verfahren sei hier das Prodegy-Modell erwähnt, und zwar aus mehreren Gründen (Bauer, H. H./Herrmann, A. 1992). Erstens verkörpert Prodegy ein Verfahren der hierarchischen Marktaufspaltung mit einer Baumstruktur als Ergebnis. Dies ist das geeignete Verfahren dann, wenn es um die Strukturierung von Substitution zwischen Produktarten oder Produktgattungen geht. Zweitens kann das Modell sowohl Kaufverhaltensdaten als auch Präferenz- und Austauschbarkeitsurteile verarbeiten. Drittens ist in dem Modell eine statistische Prüfroutine enthalten, wodurch für die gefundenen Marktabgrenzungen Irrtumswahrscheinlichkeiten angegeben werden können. Dies ist nach den Grundsätzen der forensischen Marktforschung ein wichtiger Punkt für die Gerichtsverwertbarkeit von Verfahren zur Abgrenzung des relevanten Marktes. Viertens liegen für Prodegy eigene Anwendungserfahrungen des Verf. vor.
Methodisch betrachtet baut dieses Modell auf den folgenden Annahmen auf: Ein Produkt A soll am Markt nicht mehr erhältlich sein. Wird daraufhin festgestellt, dass sich der gegenwärtige Marktanteil dieses Gutes nicht entsprechend den gegenwärtigen Marktanteilen der anderen Produkte auf jene verteilt, vermuten wir die Existenz von Teilmärkten. Die Nachfrager des am Markt nicht mehr verfügbaren Gutes neigen dazu, ersatzweise ein Produkt dieses Teilmarktes zu kaufen. Damit kann sich der Marktanteil von A nicht mehr proportional auf die anderen Produkte verteilen. Findet jedoch eine Verteilung des Marktanteils von Gut A auf die anderen Produkte entsprechend deren Marktanteilen statt, sprechen wir von einem unstrukturierten Gesamtmarkt.
Ein besonderer Vorteil des Prodegy-Verfahrens liegt in seiner Flexibilität hinsichtlich der Gewinnung des notwendigen Dateninputs, also der Werte für die Marktanteile und für die Anzahl jener Nachfrager, die Gut j kaufen, wenn das von ihnen am liebsten gekaufte Produkt i (im Beispiel: A) nicht mehr verfügbar ist. Statt des nach dem »Forced Switching«-Konzept erfassten Wechselverhaltens können nämlich auch Präferenzurteile in Form von Präferenzrangreihung, Präferenzwahrscheinlichkeiten und Evoked Set-Verteilungen zugrunde gelegt werden.
Das Ziel, Produkte nach dem Grad ihrer Substituierbarkeit zu Klassen (d.h. Teilmärkten) zusammenzufassen, lässt sich auch mit der Multidimensionalen Skalierung und der Clusteranalyse erreichen. Da beide Verfahren an anderer Stelle umfassend erläutert werden, genügt an dieser Stelle ein Verweis darauf (Nieschlag, R./Dichtl, E./Hörschgen, H. 1991).

III. Anwendungsempfehlungen


Aufgrund der vielfältigen Methoden und Abgrenzungskriterien erfordert die Durchführung einer Marktstrukturanalyse viel Erfahrung. Die Güte des Ergebnisses hängt vom sorgfältigen Umgang mit folgenden Fragestellungen ab: Da ist zunächst das Problem der Aggregation. Manche Verfahren benötigen die Annahme eines homogenen Nachfragerverhaltens, sofern sie auf aggregiertem Datenniveau aufbauen. Ergibt eine Inspektion der Datenstruktur gravierende Störungen dieser Annahme, so muss mit geeigneten Methoden segmentspezifisch unterteilt werden, und für die entstehenden Segmente sind die Märkte einzeln zu strukturieren. Die zweite wichtige Frage ist die der Validität des Ergebnisses. Nachdem die Marktstruktur lediglich ein theoretisches Konstrukt verkörpert, das in bestimmter Weise operationalisiert wird, kann die Validität nur überprüft werden, indem man feststellt, inwieweit die auf der Basis der Analyse aufbauenden Marketing-Entscheidungen zum gewünschten Erfolg führen.
Ferner existiert das Problem der  Dynamik von Marktstrukturen. Jede Marktstrukturanalyse oder jede Marktabgrenzung verkörpert lediglich eine Momentaufnahme. Es ist ja geradezu der Sinn dieser Analysen, darauf aufbauend Marketing-Programme zu entwickeln. In deren Gefolge werden sich neue Marktstrukturen in aller Regel ergeben. Eine irgendwie geartete Dynamisierung von Marktstrukturanalysen ist folglich unabdingbar, zumindest in Form von Wiederholungen (Schobert, R. 1979).
Des Weiteren muss jeder Analyse die Bestimmung ihres Zweckes vorangehen. Soll beispielsweise die Grundlage für die Einführung einer neuen Marke gelegt werden, so empfiehlt sich eher ein räumliches Marktstrukturierungsmodell. Geht es hingegen um die Produktkonzeption einer neuen Produktgattung, so leisten hierarchische Clusteranalysen eine bessere Abbildung des Produktauswahlverhaltens. Sie bilden nämlich eine nicht kompensatorische Entscheidungsfindung ab, während räumliche Modelle zur Erfassung kompensatorischer Entscheidungsprozesse geeignet sind.
Schließlich ist angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten und der Einsicht, dass es eine absolut wahre Marktabgrenzung nicht gibt, immer angeraten, mehrere Verfahren komplementär zur Analyse der Marktstrukturen einzusetzen. Dies ermöglicht nicht nur eine Kreuzvalidierung, sondern verbessert mit jeder angewandten Methode auch die Interpretationsmöglichkeit der bestehenden Marktstruktur und der sie prägenden Substitutionsbeziehungen zwischen Produkten. Trotz aller mathematischen Raffinesse bleibt die Marktstrukturanalyse als Operationalisierung einer nicht beobachtbaren Realität letztendlich eine analytische Kunst.
Literatur:
Bauer, H. H. : Marktabgrenzung, Belin 1989
Bauer, H. H. : Unternehmensstrategie und Strategische Gruppen, in: Unternehmensdynamik, hrsg. v. Kistner, K. P./Schmidt, R., Wiesbaden 1992, S. 389 – 416
Bauer, H. H./Herrmann, A. : Eine Methode zur Abgrenzung von Märkten, in: ZfB, 1992, S. 1341 – 1360
Dichtl, E./Andritzky, K./Schobert, R. : Ein Verfahren zur Abgrenzung des »relevanten Marktes« auf der Basis von Produktperzeptionen und Präferenzurteilen, in: WiSt, 1977, S. 290 – 301
Elrod, T. : Internal Analysis of Market Structure: Recent Developments and Future Prospects, in: Marketing Letters, 1991, S. 253 – 266
Nieschlag, R./Dichtl, E./Hörschgen, H. : Marketing, 16. A., Berlin 1991
Robinson, J. : The Economics of Imperfect Competition, London 1933
Schobert, R. : Die Dynamisierung komplexer Marktmodelle mit Hilfe von Verfahren der mehrdimensionalen Skalierung, Berlin 1979
Shocker, A. D./Stewart, D. W./Zahorik, A. J. : Determining The Competitive Structure of Product-Markets: Practices, Issues, and Suggestions, in: Journal of Managerial Issues, No. 2/1990, S. 127 – 159
Thomas, U. : Die Substitutionskonkurrenz als Herausforderung für das Marketing, Berlin 1989

 

 


 

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