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Arbeitsmarkt und Beschäftigung


Inhaltsübersicht
I. Der Arbeitsmarkt als System von Angebot und Nachfrage
II. Makroökonomische Erklärungsansätze
III. Mikroökonomische Fundierungen
IV.  Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik

I. Der Arbeitsmarkt als System von Angebot und Nachfrage


Ein erster Schritt zur Darstellung der Arbeitsmarktentwicklung besteht in der Gegenüberstellung der Größen Arbeitskräftepotenzial und Arbeitskräftebedarf. Damit ist gemeint, wie viele Personen zum einen ihre Arbeitskraft am Arbeitsmarkt anbieten, zum anderen, wie viele Arbeitskräfte in einer Volkswirtschaft benötigt werden. Die Determinanten der beiden Marktseiten Arbeitsangebot und -nachfrage sollen im Folgenden näher betrachtet werden.

1. Determinanten des Arbeitsangebotes


Das zukünftige Angebot an Arbeitskräften in Deutschland wird vor allem durch die demographische Entwicklung, von Zuwanderungen und dem Erwerbsverhalten der Bevölkerung bestimmt. Als Folge der natürlichen Bevölkerungsentwicklung wird in den nächsten Jahrzehnten die Bevölkerung im Erwerbsalter deutlich abnehmen. So wird unter Status-quo-Bedingungen, d.h. bei einer Fortschreibung der Bevölkerungsentwicklung ohne Berücksichtigung der Veränderungen der Wanderungen und der Erwerbsbeteiligung, das Arbeitskräfteangebot bis zum Jahr 2040 um ein Viertel bis ein Drittel niedriger liegen als heute (vgl. Fuchs, /Thon,  1999). Zwei Faktoren bestimmen im Wesentlichen die natürliche Bevölkerungsentwicklung: Während die durchschnittliche Kinderzahl je Frau mittlerweile bei 1,3 liegt, erhöhte sich gleichzeitig die durchschnittliche Lebenserwartung eines neugeborenen Jungen auf 74,0 Jahre und diejenige eines gerade zur Welt gekommenen Mädchens auf 80,3 Jahre. Der demographische Wandel beeinflusst auch die zukünftige Qualifikationsstruktur der Erwerbspersonen. Die niedrigen Geburtenzahlen in Deutschland werden spätestens im nächsten Jahrzehnt einen Nachwuchsmangel bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen und an den Hochschulen auslösen. Zudem werden die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre mit hoch qualifizierten Erwerbspersonen zwischen 2020 und 2030 ihre Erwerbsphase beenden. Dies wird eine erhebliche Minderung an verfügbarem Humanvermögen bedeuten. Schon heute zeichnet sich ein Mangel an Fachkräften ab.
Der öffentlich artikulierte Bedarf an Fachkräften insbesondere im IT-Bereich führte zu einer gezielten Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Zuwanderung durch die Green Card-Initiative der Bundesregierung. Die Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte könnte zwar kurzfristig dazu beitragen, das partielle Stellenbesetzungsproblem im Bereich der Fachkräfte zu mildern, langfristig ist auch eine erhebliche Netto-Zuwanderung von ca. 500.000 Personen pro Jahr nicht im Stande, den Trend der Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung umzukehren (vgl. Fuchs, /Thon,  1999, S. 1).
Ein Abbremsen des Rückgangs des Arbeitskräfteangebotes ist durch die Erschließung heimischer Personalreserven möglich. Zu den möglichen Erschließungsansätzen zählen die Aktivierung von Erwerbslosen, die Verlängerung der individuellen Arbeitszeit, die Ausschöpfung des einheimischen Erwerbspersonenpotenzials sowie die Aus- und Weiterbildung (vgl. Walwei,  2001, S. 5 ff.). Das nicht erschlossene Beschäftigungspotenzial umfasst zum einen die Arbeitslosen, zum anderen die sogenannte stille Reserve, also jene Personen, die sich auf Grund der momentanen Arbeitsmarktlage aus der aktiven Arbeitsplatzsuche zurückgezogen haben. Zur Erschließung dieser Beschäftigungspotenziale sind Anreize zur Förderung der Beschäftigungsaufnahme beispielsweise durch Kombilöhne sowie die Förderung der Flexibilitäts- und Mobilitätsbereitschaft möglich. Daneben kommt ein ganzes Bündel von Möglichkeiten zur Erschließung von Beschäftigungspotenzialen durch die bessere Ausschöpfung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Frage. Denkbar sind eine höhere Frauenerwerbstätigkeit, eine Verkürzung der Bildungszeiten und eine Heraufsetzung des Rentenalters. Der prognostizierte steigende Bedarf an höher qualifizierten Arbeitskräften erfordert schließlich eine Mobilisierung der Bildungsreserven.

2. Determinanten der Arbeitsnachfrage


Die Arbeitsnachfrage lässt sich aus der Güternachfrage bzw. aus der zur Befriedigung dieser Nachfrage erforderlichen Produktion ableiten. Die Menge an Arbeit, die als Produktionsfaktor zur Erreichung des Produktionsziels eingesetzt werden muss, ergibt sich aus der Arbeitsproduktivität, definiert als Output pro Erwerbstätigem bzw. pro geleisteter Arbeitsstunde.
Neben den Erträgen der Arbeitskräfte bestimmen die Arbeitskosten die Arbeitsnachfrage. Unter Wettbewerb besitzt ein Unternehmen Anreize, die Beschäftigung auszuweiten, solange das Wertgrenzprodukt, also der mit dem Güterpreis bewertete zusätzliche Output eines weiteren Beschäftigten, den (Brutto-)Lohnsatz übersteigt.
Die Arbeitsproduktivität und ihre Entwicklung ist ihrerseits abhängig von der Kapitalausstattung des Arbeitsplatzes, der Qualifikation der Arbeitskräfte und dem Stand des technischen Wissens. Der technische Fortschritt erhöht die Produktivität der Produktionsfaktoren und erweitert damit sukzessive das Produktionspotenzial. Eine gegebene Gütermenge kann nach der Einführung neuer Produktionsverfahren mit geringeren Faktoreinsatzmengen hergestellt werden. Der Bedarf an Arbeit sinkt dann zunächst. Da aber die Stückkosten und in deren Folge die Güterpreise sinken, steigt die Güternachfrage in Abhängigkeit ihrer Preiselastizität. Unterstellt man eine Preiselastizität von größer als Eins, so erhöht sich das Wertgrenzprodukt. Bei gegebenem Lohnsatz wird daraufhin die Arbeitsnachfrage ausgeweitet.
Daneben sind Produktinnovationen, die Entwicklung neuer oder wesentlich verbesserter Produkte bis zur Marktreife mit einer Ausweitung des Produktionspotenzials verbunden. Sinkt die Arbeitsnachfrage in anderen Wirtschaftsbereichen, in denen die Entwicklung der Güternachfrage hinter dem Produktivitätswachstum zurückbleibt, können die freigesetzten Arbeitskräfte in der Produktion dieser Produkte eingesetzt werden.
Um das steigende Produktionspotenzial auszuschöpfen, muss sich die volkswirtschaftliche Produktionsstruktur flexibel anpassen können, was langfristig als gegeben angenommen werden kann. Inwieweit das Wachstum des Produktionspotenzials zu einer steigenden Arbeitsnachfrage führt, lässt sich dabei erst beantworten, wenn neben der kompensierenden Nachfrageerhöhung die Wirkung des technischen Fortschritts auf die partiellen Faktorproduktivitäten bekannt ist. Im Falle arbeitssparenden Fortschritts, bei dem die Produktivität der Arbeit stärker steigt als die Kapitalproduktivität, ist mit einem eher dämpfenden Effekt auf die Arbeitsnachfrage zu rechnen.
Neben der Veränderung der Produktivität ist die Veränderung der Faktorpreise, insbesondere des Lohnsatzes, für die Entwicklung der Arbeitsnachfrage im Zeitablauf maßgeblich. Dabei sind Komplementaritäts- und Substitutionsbeziehungen zwischen den Faktoren zu berücksichtigen, also ob die Einsatzmenge eines Faktors bei Verteuerung anderer Faktoren steigt oder fällt. Als empirisch gesichert kann gelten, dass Arbeit und Kapital Substitute darstellen. Eine Verteuerung des Faktors Arbeit führt damit generell zu kapitalintensiverer Produktion.
Die Wirkung einer Verteuerung des Faktors Arbeit auf die Arbeitsnachfrage verdeutlicht die Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage, die mit Hilfe ökonometrischer Verfahren geschätzt wird. Die Untersuchungen zur Elastizität der Arbeitsnachfrage in Bezug auf die Lohnkostenentwicklung sind vielfältig. Es seien lediglich exemplarisch Ergebnisse neuerer Untersuchungen vorgestellt. König/Buscher/Licht (König, /Buscher, /Licht,  1995, S. 71) ermitteln etwa eine Elastizität von – 0,73, d.h. steigen die Lohnkosten um 1%, so sinkt die Beschäftigung um 0,73%; Blechinger/Pfeiffer (Blechinger, /Pfeiffer,  1999, S. 143) ermitteln Werte zwischen – 0,3 und – 0,5 für das Verarbeitende Gewerbe. Allen Untersuchungen ist gemeinsam, dass die Arbeitskosten einen signifikant negativen Einfluss auf die Arbeitsnachfrage ausüben. Dabei sind die langfristigen Elastizitäten stets größer, da Unternehmen erst verzögert auf Lohnkosten reagieren.
Im Folgenden wird die Funktionsweise des Arbeitsmarktes aus verschiedenen Blickwinkeln genauer betrachtet.

II. Makroökonomische Erklärungsansätze


1. Das neoklassische Grundmodell


Der neoklassische Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er eine vollkommene Markträumung impliziert. Allein die Höhe des Reallohnes entscheidet darüber, welche Menge an Arbeit im Produktionsprozess Verwendung findet bzw. angeboten wird. Das Arbeitsangebot lässt sich im Modell der optimalen Zeitallokation eines Individuums ableiten. Ausgangspunkt ist das Ziel der Nutzenmaximierung des Individuums, das sein gegebenes Zeitbudget auf die verschiedenen Aktivitäten Marktarbeit, Freizeit, Kinderbetreuung oder schulische und berufliche Ausbildung optimal aufteilt. Die Arbeitsnachfrage der Unternehmen wird dagegen aus dem Gewinnmaximierungskalkül der Unternehmen abgeleitet, die sich einer gegebenen Produktionstechnologie sowie bestimmten Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt sowie den Absatzmärkten gegenüber sehen. Steigt das Angebot an Arbeit, sinkt der Reallohn, so dass die markträumende Menge zunimmt. Sinkt analog die Nachfrage, sinkt auch der Reallohn; die markträumende Menge an Arbeit muss ebenfalls sinken (vgl. Abb. 1).
Arbeitsmarkt und Beschäftigung
Abb. 1: Der neoklassische Arbeitsmarkt
Arbeitslosigkeit kann in einem solchen Szenario nicht entstehen, denn jeder, der bei dem herrschenden Lohnsatz Arbeit anbietet, findet auch Arbeit. Allein die Höhe des Lohnes entscheidet bei gegebener Lage der Angebots- und Nachfragekurve darüber, ob zu einem gegebenen Lohn zusätzliche Arbeit angeboten wird. Ist das nicht der Fall, dann ist die so entstehende Arbeitslosigkeit per definitionem freiwillig. Der Verzicht auf Arbeit bei gegebenem Marktlohn resultiert aus einem Rationalkalkül, das den Nutzen der gewonnenen Freizeit zusammen mit dem vermiedenen Arbeitsleid höher einschätzt als den Nutzen des angebotenen Lohnes. Die Opportunitätskosten der Arbeit liegen in diesem Fall zu hoch, um freiwillig Arbeit anzubieten.

2. Persistente Arbeitslosigkeit


Die bestehende und vor allem persistente Arbeitslosigkeit in vielen Volkswirtschaften weist aber darauf hin, dass der markträumende Ansatz der Neoklassik keine adäquate Beschreibung der real existierenden Arbeitsmärkte sein kann, denn das Phänomen einer dauerhaften Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau ist mit dem einfachen neoklassischen Ansatz nicht in Einklang zu bringen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die beobachtete Arbeitslosigkeit zu einem großen Teil unfreiwilliger Natur ist. Eine persistente unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist der Reflex stabiler Ungleichgewichte und Rigiditäten auf Arbeitsmärkten, die eine Rückkehr zu einem Vollbeschäftigungsgleichgewicht erschweren oder unmöglich machen (vgl. Abb. 2).
Arbeitsmarkt und Beschäftigung
Abb. 2: Die Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Im Folgenden sollen wesentliche Konzepte zur (grafischen) Aufbereitung der beschriebenen Arbeitsmarktzusammenhänge aufgezeigt werden:

a) Die Beveridge-Kurve


Die Beveridge-Kurve beschreibt einen inversen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote und der Quote der offenen Stellen (vgl. Henning,  1999). Entgegen dem neoklassischen Grundmodell können gleichzeitig Arbeitslosigkeit und offene Stellen auftreten. Gründe für diese Anpassungsmängel können Ineffizienzen des Suchprozesses, qualifikatorische Profildiskrepanzen sowie regionale Ungleichverteilung von Arbeitssuchenden und offenen Stellen bei gleichzeitigem Fehlen interregionaler Mobilität der Arbeitssuchenden sein. Stellt man sich die Beveridge-Kurve als eine Isoquante einer sog. Matchingfunktion vor, die mit Hilfe einer Kombination von Arbeitslosen und offenen Stellen eine gegebene Anzahl von Beschäftigungsverhältnissen generiert, so ist der negative Verlauf der Beveridge-Kurve vorgegeben (vgl. Abb. 3).
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Abb. 3: Stilisierte Beveridge-Kurve.
Der Schnittpunkt der Beveridge Kurve mit der 45°-Linie gibt das Ausmaß der sog. Mismatch-Arbeitslosigkeit an. Im Aggregat ist der Arbeitsmarkt ausgeglichen, dennoch existiert Arbeitslosigkeit aufgrund der beschriebenen Anpassungsmängel. Punkte auf der Beveridge Kurve jenseits der 45°-Linie geben an, dass neben der Mismatch-Arbeitslosigkeit gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit – über der Anzahl offener Stellen – herrscht. Eine Verschiebung der Beveridge-Kurve in nord-östliche Richtung bedeutet dagegen, dass sich der Matchingprozess verschlechtert hat, die Anpassungsmängel demnach zugenommen haben. In empirischen Befunden für Westdeutschland wurde festgestellt, dass sich die Beveridge-Kurve zum einen in nord-östliche Richtung verschoben hat, zum anderen ist eine Bewegung auf der neuen Beveridge-Kurve weg von der 45°-Linie zu beobachten. Neben der Zunahme gesamtwirtschaftlicher Arbeitslosigkeit lässt sich also auch eine Zunahme der Mismatch-Arbeitslosigkeit als wesentlicher Indikator für Persistenz am Arbeitsmarkt feststellen (vgl. Sesselmeier, /Blauermel,  1997, S. 27).

b) Die Phillips-Kurve


Die originäre Phillips-Kurve geht zurück auf einen von Phillips (Phillips,  1958) und Lipsey (Lipsey,  1960) für Großbritannien festgestellten empirischen Befund, nach dem ein negativer Zusammenhang zwischen Arbeitslosenrate und der Wachstumsrate der Nominallöhne besteht. Weitaus populärer wurde die sog. modifizierte Phillipskurve von Samuelson und Solow (Samuelson, /Solow,  1960), die die Nominallohninflation durch die Preisinflation ersetzen. Dieser negative Zusammenhang zwischen Arbeitslosenrate und Inflationsrate unterstellt einen Konflikt zwischen dem wirtschaftspolitischen Ziel Preisniveaustabilität und dem Ziel der Vollbeschäftigung. Der Wirtschaftspolitiker sieht sich demzufolge einem Menü gegenüber, aus dem er die von ihm präferierte Kombination von Inflation und Arbeitslosenrate wählen kann (vgl. Abb. 4).
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Abb. 4: Modifizierte Phillipskurve
Die modifizierte Phillips-Kurve schneidet die Abszisse bei dem sog. natürlichen Niveau der Arbeitslosigkeit. Bei diesem Niveau ist der Arbeitsmarkt nach Friedman (Friedman,  1968) im Aggregat ausgeglichen, weshalb kein Reallohndruck nach oben bzw. nach unten besteht. Es liegt wiederum Mismatch-Arbeitslosigkeit vor. Friedman (Friedman,  1968) kritisiert an diesem Phillips-Trade-off, dass allenfalls eine Überraschungsinflation zu einer kurzfristigen Abweichung vom natürlichen Niveau der Arbeitslosigkeit führen kann. Auf Grund eines ansteigenden Preisniveaus fallen die Reallöhne, die Arbeitgeber werden ihre Arbeitsnachfrage ausdehnen. Die Arbeitnehmer werden bei inflationsbedingt fallenden Reallöhnen ihr Arbeitsangebot nur ausdehnen, wenn sie auf Grund der erhöhten Güternachfrage mit steigenden Reallöhnen rechnen. Sobald die Arbeitnehmer jedoch diesen Erwartungsfehler realisieren, werden sie mit entsprechenden Nominallohnforderungen reagieren und es stellt sich langfristig wieder das natürliche Niveau der Arbeitslosigkeit ein.
Empirische Befunde für Westdeutschland zeigen, dass sich die Phillips-Kurve, die relativ steil verläuft, im Zeitablauf nach rechts verschoben hat, was auf eine Zunahme des natürlichen Niveaus der Arbeitslosigkeit hindeutet und ein weiteres Indiz für Persistenz am deutschen Arbeitsmarkt ist (vgl. Sesselmeier, /Blauermel,  1997, S. 30).

c) Die NAIRU (Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment)


Eine weitere Kritik an der Phillips-Kurve wurde von Phelps (Phelps,  1967) geübt. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass allenfalls eine Überraschungsinflation ein kurzfristiges Abweichen vom natürlichen Niveau der Arbeitslosigkeit ermöglicht. Allerdings ist in seiner Sichtweise das natürliche Niveau der Arbeitslosenrate nicht durch ein Arbeitsmarktgleichgewicht gekennzeichnet, sondern vielmehr durch die Übereinstimmung von Erwartungen und tatsächlicher Entwicklung. In dieser Version wird die natürliche Arbeitslosenrate auch als inflationsstabile Arbeitslosenrate (NAIRU) bezeichnet.
Lohnverhandlungen werden als Verteilungskampf zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebergruppen aufgefasst. Arbeitnehmer streben eine Erhöhung der Reallöhne an, während die Unternehmen ihrerseits Preiserhöhungen in Abhängigkeit von der Entwicklung der Lohnstückkosten und der Absatzlage vornehmen wollen (vgl. Franz,  1999, S. 362 ff.). Übersteigen die konkurrierenden Verteilungsansprüche das Sozialprodukt, so kommt es zu einer aufwärts gerichteten Lohn-Preis-Spirale, in der sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit immer höheren Lohn- bzw. Preisforderungen wechselseitig zu überbieten versuchen. Um dies zu verhindern, ist ein Mechanismus erforderlich, der ein Gleichgewicht der Verteilungsansprüche herstellt. Aus einer solchen Sicht erscheint die Arbeitslosigkeit als Ausgleichsmechanismus des makroökonomischen Verteilungsspiels: Je höher der Lohndruck der Arbeitnehmer, desto höher ist das Niveau der natürlichen Arbeitslosenrate, die notwendig ist, um die konkurrienden Verteilungsansprüche um das Sozialprodukt zum Ausgleich zu bringen. Das Spektrum der Bestimmungsfaktoren der Verhandlungsposition der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und damit auch der NAIRU reicht von Steuern und Abgaben bis zu Faktoren wie Kündigungsschutz und Arbeitslosenversicherung.
Empirische Befunde für Deutschland weisen seit den 1960er-Jahren bis Anfang der 1980er-Jahre einen stetigen Anstieg der NAIRU aus. Seitdem schwankt die NAIRU um einen Wert von ungefähr 6% (vgl. Borchert, /Fröhling,  2001, S. 457).

III. Mikroökonomische Fundierungen


Sowohl im Konzept der Beveridge-Kurve als auch in der Friedmanschen Auslegung des Phillips-Kurven-Zusammenhanges hat der Lohnanpassungsmechanismus des neoklassischen Grundmodells grundsätzlich Gültigkeit. Es kommt langfristig zur Markträumung im Aggregat. Aufgrund von Merkmalsdifferenzen von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage bzw. aufgrund von Marktintransparenz ist das Markträumungsgleichgewicht durch die natürliche Arbeitslosenrate bzw. Mismatch-Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. In der Phelpsschen Interpretation der Phillipskurve dagegen ist der Arbeitsmarkt nicht durch ein Markträumungsgleichgewicht, sondern durch ein Erwartungsgleichgewicht bei Unterbeschäftigung gekennzeichnet. Was hält aber die Arbeitslosen in diesem Erwartungsgleichgewicht bei Unterbeschäftigung davon ab, sich durch Lohnunterbietung in neue Beschäftigungsverhältnisse hinein zu konkurrieren? Zur Beantwortung dieser Frage werden im Folgenden zwei Theorie-Ansätze herangezogen: die Effizienzlohntheorie und die Insider-Outsider-Theorie.

1. Die Effizienzlohntheorie


Die Grundidee der Effizienzlohntheorien besteht darin, dass sich die Arbeitgeber mit Informationsasymmetrieproblemen bezüglich der Eigenschaften bzw. der Verhaltensweisen der Arbeitnehmer konfrontiert sehen (vgl. Wagner, /Jahn,  1997, S. 109 ff.). Der Lohn wird von der Unternehmung nicht nur als Kostenfaktor, sondern auch als Anreizinstrument betrachtet. Zu den Vorteilen höherer Lohnzahlungen auf Seiten der Unternehmungen zählen eine bessere Arbeitsmoral der Arbeitskräfte, eine höhere Durchschnittsqualität der Arbeitsplatzbewerber, geringere Fluktuationsraten qualifizierter Arbeitnehmer sowie reduziertes shirking wegen höherer Opportunitätskosten bei Entlassung (vgl. Sesselmeier, /Blauermel,  1997, S. 157). Ein Arbeitgeber wird den Effizienzlohn gerade so hoch setzen, bis die resultierenden marginalen Vorteile genau den marginalen Nachteilen der Kostenwirkung des Lohnes entsprechen.
Liegt nun der Effizienzlohnsatz über dem Markträumungsniveau, ist das sich einstellende Arbeitsmarktgleichgewicht durch die Existenz unfreiwilliger Arbeitslosigkeit charakterisiert. Denn die Unternehmung ist nicht bereit, den Effizienzlohn auf ein Vollbeschäftigungsniveau zu senken, weil sie damit eine Reduktion ihrer genannten Vorteile riskiert, die durch die gesunkenen Lohnkosten nicht wettgemacht wird. Der einzelne Arbeitslose kann sich nicht durch Lohnunterbietung in ein neues Beschäftigungsverhältnis hineinkonkurrieren, denn ein derartiges Angebot bedeutet für die Arbeitsnachfrageseite, dass die Produktivität dieses Arbeitnehmers geringer ist als die anderer Arbeitnehmer mit einem höheren Akzeptanzlohn.

2. Die Insider-Outsider-Theorie


Neben der Effizienzlohntheorie bietet die Insider-Outsider-Theorie eine zweite Option zur Mikrofundierung der neueren Makroökonomik und wurde maßgeblich von Lindbeck, / und Snower, in den 80er Jahren entwickelt. Mit Hilfe ihres Ansatzes ist es möglich, ein Rationierungsgleichgewicht bei gleichzeitiger Unterbeschäftigung mikroökonomisch zu erklären. Ausgangspunkt ihrer Überlegung ist die Frage, warum die Arbeitgeber in diesem Unterbeschäftigungsgleichgewicht kein Interesse haben, ihre Stammbelegschaft durch Arbeitslose auszuwechseln, die zu einem niedrigeren Lohn die gleiche Arbeit leisten würden.
Schuld daran sind die Fluktuationskosten, die sich in zwei Kostenarten unterteilen lassen, die Einstellungs- und die Entlassungskosten. Zu den Einstellungskosten zählen Such- und Screeningkosten, Verhandlungskosten sowie Einarbeitungskosten. Die Entlassungskosten umfassen Abstandszahlungen, Kündigungsfristen aber auch Kosten von Rechtsverfahren. Fluktuationskosten spalten das Arbeitsangebot in Insider, die einen Arbeitsplatz haben, und Outsider, die einen Arbeitsplatz suchen. Sie begründen die Macht der Insider, hohe Löhne durchzusetzen und einen Teil der Produzentenrente an sich zu ziehen und erklären, warum Outsider durch Unterbietung des herrschenden Insiderlohnes ihre Beschäftigungschancen nicht erhöhen, da kein Arbeitgeber bereit ist, die hierfür erforderlichen Entlassungs- und Einstellungskosten in Kauf zu nehmen.
Während die Effizienzlohntheorie das Phänomen natürlicher Arbeitslosigkeit durch ungleich verteilte Informationen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erklärt, ist in der Insider-Outsider-Theorie die ungleiche Verteilung von Verhandlungsmacht zweier Arbeitnehmergruppen verantwortlich. In der Effizienzlohntheorie kommt den Arbeitgebern eine aktive Rolle bei Setzung der Löhne zu, während die Arbeitnehmer lediglich eine passive Rolle einnehmen. In der Insider-Outsider-Theorie ist das Gegenteil der Fall. Damit kann die Insider-Outsider-Theorie einen Erklärungsansatz für die Existenz und die Aktivitäten von Gewerkschaften geben. Die Insider schließen sich zu Gewerkschaften zusammen, um im Lohnverhandlungsprozess einen möglichst großen Teil der Produzentenrente zu erbeuten und um Anstrengungen zu unternehmen, die Fluktuationskosten über das technologisch notwendige Maß hinaus zu erhöhen und damit die ausbeutbaren Renten zu erhöhen. Lindbeck, / und Snower, unterscheiden deshalb auch die technologischen Fluktuationskosten von den Kosten, die auf Rent-seeking-Aktivitäten der Insider zurückgehen und bemerken hierzu, dass Einstellungskosten überwiegend technologischer Natur sind, während Entlassungskosten hohe Anteile enthalten, die aus den Rent-seeking-Aktivitäten der organisierten Insider resultieren. Gerade diese rentenbedingten Fluktuationskosten sind Ursache unfreiwilliger Arbeitslosigkeit (vgl. Wagner, /Jahn,  1996, S. 312 f.).

IV. Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik


Während die Beschäftigungspolitik nach dem StabG die Sicherung eines hohen gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsstands zum Ziel hat, verfolgt die Arbeitsmarktpolitik den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf Teilarbeitsmärkten z.B. für Regionen, Qualifikationen oder Problemgruppen (vgl. Kleinhenz, /Bellmann,  2000, S. 40).
Die in den 1960/70er-Jahren etablierte Stabilisierungspolitik gemäß dem StabG beruht auf der keynesianischen Theorie und setzt im Wesentlichen auf fiskalpolitische Nachfragesteuerung über kreditfinanzierte Staatsausgaben, um einen hohen Beschäftigungsstand zu erzielen. Kurzfristig mag diese Politik Erfolg versprechend sein, langfristig werden allerdings Anpassungsprozesse bei den Tarifparteien und Marktteilnehmern sowie die Parteienkonkurrenz die Wirksamkeit mindern und den staatlichen Handlungsspielraum einengen. Im Konzept der NAIRU wird sich demzufolge der Verteilungskonflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebergruppen verschärfen. Die natürliche Arbeitslosigkeit als Regulativ im Verteilungskonflikt muss ansteigen, um eine Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden und die Verteilungsansprüche am Sozialprodukt von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Ausgleich zu bringen. Aus diesem Grunde kam die keynesianisch orientierte Stabilisierungspolitik zunehmend außer Anwendung und es setzten sich Vorstellungen durch, die auf eine längerfristige Konsolidierung der Staatsfinanzen durch Deregulierung und Dämpfung des Ausgabenwachstums abzielten (vgl. Kleinhenz,  2000, S. 780).
Nicht alle Arten der Arbeitslosigkeit werden als Regulativ im Verteilungskonflikt zwischen Arbeitnehmergruppen und Arbeitgebergruppen angesehen. So wird von verschiedenen schwer vermittelbaren Problemgruppen, insbesondere der der Langzeitarbeitslosen, angenommen, dass sie ihren Einfluss auf den Lohnsetzungsprozess verloren haben, da von ihnen kaum Wettbewerbsdruck am Arbeitsmarkt ausgeht. Dies spricht für eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die die Wiederbeschäftigungschancen der Problemgruppen erhöht und damit einen mäßigenden Effekt auf die Lohnforderungen der Beschäftigten hat. Exemplarisch sei das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Job-AQTIV-Gesetz (Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln) genannt, das als Versuch gewertet werden kann, insbesondere durch Intensivierung der Arbeitsvermittlung und Qualifizierung für Ungelernte und Geringqualifizierte den Wettbewerbsdruck der genannten Problemgruppen zu erhöhen (zur detaillierten Ausgestaltung des Job-AQTIV-Gesetzes siehe Buchheit,  2002).
Literatur:
Blechinger, D./Pfeiffer, F. : Qualifikation, Beschäftigung und technischer Fortschritt: empirische Evidenz mit den Daten des Mannheimer Innovationspanels, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1/2, Stuttgart 1999, S. 128 – 146
Borchert, M./Fröhling, A. : NAIRU, fiskalische Abgabenlast und Arbeitsproduktivität in Deutschland, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, H. 9/2001, S. 454 – 462
Buchheit, B. : Neue Impulse für die Arbeitsmarktpolitik, in: Bundesarbeitsblatt, H. 2/2002, S. 5 – 10
Franz, W. : Arbeitsmarktökonomik, 4. A., Berlin et al. 1999
Friedmann, M. : The Role of Monetary Policy, in: American Economic Review, Jg. 58, 1968, S. 1 – 17
Fuchs, J./Thon, M. : Potentialprojektion bis 2040. Nach 2010 sinkt das Angebot an Arbeitskräften, IAB-Kurzbericht 4/1999
Henning, A. : Die Beveridge-Kurve, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, H. 11/1999, S. 608 – 612
Kleinhenz, G. : Wirtschaftspolitik, in: Politiklexikon, hrsg. v. Holtmann, E., 3. A., München et al. 2000, S. 777 – 780
Kleinhenz, G./Bellmann, L. : Arbeitsmarktpolitik, in: Wirtschaftslexikon, hrsg. v. Woll, A., 9. A., München et al. 2000, S. 40 – 43
König, H./Buscher, H. S./Licht, G. : Employment, investment and innovation at the firm level, in: OECD jobs study: investment, productivity and employment, 1995, S. 67 – 84
Lindbeck, A./Snower, D. J. : The Insider-Outsider Theory of Employment and Unemployment, Cambridge et al. 1988
Lipsey, R. E. : The Relation between Unemployment and the Rate of Change of Money Wages in the United Kingdom, 1886 – 1957 – A Further Analysis, in: Economica, Jg. 27, 1960, S. 1 – 37
Phelps, E. S. : Phillips Curves, Expectations of Inflation and Optimal Unemployment Over Time, in: Economica, Jg. 34, 1967, S. 254 – 281
Phillips, A. W. : The Relation between Unemployment and the Rate of Change of Money Wages in the United Kingdom, 1886 – 1957, in: Economica, Jg. 25, 1958, S. 283 – 299
Samuelson, P. A./Solow, R. S. : Analytical Aspects of Anti-Inflation Policy, in: American Economic Review, Jg. 50, 1960, S. 177 – 194
Sesselmeier, W./Blauermel, G. : Arbeitsmarkttheorien, 2. A., Heidelberg et al. 1997
Wagner, T./Jahn, E. J. : Insider-Outsider-Theorie, in: Das Wirtschaftsstudium, H. 4/1996, S. 310 – 314
Wagner, T./Jahn, E. J. : Neue Arbeitsmarkttheorien, Düsseldorf 1997
Walwei, U. : Arbeitsmarktbedingte Zuwanderung und bedenkenswerte Alternativen – Strategien zur Erschließung von Personalreserven, IAB-Werkstattbericht 4/2001

 

 


 

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