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Familienunternehmen


Inhaltsübersicht
I. Zur Abgrenzung des Begriffs
II. Zum wirtschaftlichen Stellenwert von Familienunternehmen
III.  Die Besonderheiten von Familienunternehmen
IV. Die spezifischen Risiken von Familienunternehmen
V. Die besondere Problematik der Unternehmensnachfolge

I. Zur Abgrenzung des Begriffs


Der Begriff „ Familienunternehmen “ bezeichnet einen besonderen Typus von Wirtschaftsorganisationen. Es handelt sich um Unternehmen, auf deren Entwicklung eine Familie oder eine Konstellation mehrerer Familien, die miteinander verwandtschaftlich verbunden sind, aber nicht sein müssen, aus ihrer Eigentümerrolle heraus einen bestimmenden Einfluss ausüben (zu dieser Definition Wimmer, Rudolf et al. 2005, S. 18). Dieser Einfluss impliziert nicht notwendigerweise, dass ausschließlich jemand aus der Familie die Führungsrolle an der Unternehmensspitze bekleidet. Er kann auch gegenüber einem Fremdmanagement aus der Position eines Beirates oder eines Gesellschafterrates wahrgenommen werden. Diesen Fällen liegt i.d.R. bereits eine längere Firmengeschichte zugrunde, die zu einer Ausdifferenzierung der Management- und Eigentümerrollen geführt hat und in der die Familie über ihre Eigentümerfunktion dafür sorgt, dass der Charakter des Familienunternehmens erhalten bleibt.
Dieser definitorische Zugang zeigt, dass dieser Unternehmenstypus fließende Übergänge aufweist. Wann beginnt ein Unternehmen, ein Familienunternehmen zu sein? Es hat wohl etwas damit zu tun, dass der Gründer, der Pionier mit dem neu geschaffenen Unternehmen für sich und seine Familie eine längerfristige Perspektive der Existenzsicherung, der persönlichen Identitätsstiftung im Auge hat. Das persönliche Schicksal des Unternehmers, das seiner Familie wie das des Unternehmens wachsen zu einer intensiven fast untrennbaren Einheit zusammen. Wann hört eine Firma auf, ein Familienunternehmen zu sein? Auch diese Grenze lässt sich nicht scharf ziehen. Man wird wohl immer dann diesen Begriff zu vermeiden beginnen, wenn auf der Seite der Eigentümer auch nicht mehr i.w.S. von Familie als einheits- und identitätsstiftender Größe die Rede sein kann.
Dieser schwer fassbaren Verzahnung von familiären Aspekten mit den Eigenheiten von Wirtschaftsorganisationen (die Vorläufer liegen ja in den Wirtschaftsstrukturen der vormodernen Zeit) verdankt sich wohl die große Schwierigkeit, die die wissenschaftliche Forschung, insb. die Betriebswirtschaftslehre und das Wirtschaftsrecht, mit diesem Unternehmenstypus bislang hatten. Dieser Typus lässt sich schwer mit den üblichen zweckrationalen Kategorien fassen. Das Phänomen „ Familienunternehmen “ verlangt per se einen interdisziplinären Zugang: ein sozialwissenschaftliches Verständnis für die charakteristischen Eigenheiten von Familien und Organisationen, einen wirtschaftswissenschaftlichen Zugang zu Unternehmen in einer globalisierten Weltwirtschaft sowie einen Begriff für die enorme Bedeutung rechtlicher Rahmensetzungen sowohl für die Entwicklungsperspektiven der beteiligten Familien als auch für die Entfaltungsmöglichkeiten des Unternehmens. Diese hohen interdisziplinären Anforderungen sind verantwortlich dafür, dass die wissenschaftliche Forschung in der Auseinandersetzung mit diesem besonderen Typus von Unternehmen de facto erst am Beginn steht.
In der medialen Öffentlichkeit ebenso wie in den eingespielten wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen tritt der Begriff „ Familienunternehmen “ allerdings deutlich in den Hintergrund. An seiner Stelle spricht man von Mittelstand (zumindest im deutschsprachigen Raum dominiert dieser emotional hoch aufgeladene Terminus). Der Begriff „ Mittelstand “ ist eindeutig eine politische Formel. Sein Adressat sind die Entscheidungsträger im politischen System, die im Sinne einer adäquaten Mittelstandspolitik dazu bewogen werden sollen, für die Ertragsentwicklung der Unternehmen günstige Rahmenbedingungen bereitzustellen. Für diese primär politische Funktion benötigt der Begriff in jeder Hinsicht unscharfe Grenzen und die Fähigkeit, Kampfgeist, Gegnerschaft einerseits und Wir-Gefühl andererseits relativ situationsunabhängig zu mobilisieren. Aufgrund dieses spezifischen Verwendungszusammenhanges präferieren wir im wissenschaftlichen Kontext den Begriff „ Familienunternehmen “ , gleichwohl wissend, dass es mit dem Begriff „ Mittelstand “ in der Bezeichnung dieses spezifischen Unternehmenstypus\' große Überlappungen gibt. Obwohl es vom Bedeutungshintergrund her nahe liegend wäre, mit dem Mittelstand eine bestimmte Größe zu verbinden, ist dies de facto nicht der Fall. Auch große Familienunternehmen wie Oetker, Freudenberg, Haniel oder auch Bertelsmann ordnen sich in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung gerne dem Mittelstand zu. Dieser begreift sich als primär wirtschaftspolitisch motivierte Bewegung, die in Abgrenzung zu den börsennotierten Publikumsgesellschaften für sich selbst um günstige gesetzliche Rahmenbedingungen kämpft.

II. Zum wirtschaftlichen Stellenwert von Familienunternehmen


In ihrer überwiegenden Mehrzahl verbindet Familienunternehmen ein gerade in der heutigen Zeit auffälliges Merkmal: Sie drängen sich nicht ins Scheinwerferlicht der medialen Berichterstattung. Sie wirken konzentriert auf ihren spezifischen Markt und ihr regionales Umfeld. Das Interesse an einer darüber hinausgehenden medialen Selbstdarstellung ist i.d.R. gering. Viele der gerade besonders erfolgreichen Familienunternehmen operieren bewusst im Schatten der Wirtschaftsberichterstattung. Nicht zuletzt wegen dieser Eigenheit wird die enorme wirtschaftliche, letztlich auch gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieses Unternehmenstyps weithin unterschätzt (zu diesem Phänomen vgl. auch Simon, Hermann 1996, S. 11 ff.). Dazu einige Daten:
Da es kein allgemein akzeptiertes Abgrenzungskriterium für Familienunternehmen gibt, schwanken die Zahlen, die von unterschiedlichen Autoren zur Verfügung gestellt werden. Selbst konservative Schätzungen gehen weltweit von einem Anteil von 65 – 80% an Unternehmen in Familienhand aus (Gersick, Kelin E. et al. 1997, S. 25 FN 1). In den USA werden 90% der Unternehmen diesem Typus zugezählt (Grant Thornton, 2000, S. 7). Diese erwirtschaften etwa 50% des amerikanischen Bruttoinlandsproduktes. In Asien spielen mächtige familiale Netzwerke seit jeher eine zentrale Rolle, und auch in China wird die sprunghafte Wachstumsentwicklung der letzten Jahre vornehmlich von privatwirtschaftlichen Neugründungen getragen. In Mittel- und Westeuropa dürften ca. 75% aller Betriebe zu dieser Kategorie gezählt werden können. In den ehemaligen Ostblockstaaten treffen wir geschichtlich bedingt allerdings auf ganz andere Wirtschaftsstrukturen. Doch auch hier ist ein klarer Aufwärtstrend zu erkennen. In Polen waren es 1998 25%, im Jahre 2002 bereits 41%. Für Deutschland errechnete das Bonner Institut für Mittelstandsforschung 1999, dass von den gut 2 Millionen Unternehmen 1.875.000 als Familienunternehmen zu werten sind, das sind stolze 92,8%. Natürlich ist das Gros davon Klein- und Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten (Schröder, Evelyn/Freund, Werner 1999, S. 13). Mit wachsender Umsatzgröße nimmt der Prozentsatz der Familienunternehmen deutlich ab. Aber immerhin sind von den Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro noch 48,8% familiengeführt (ebenda). Mehr als 60% aller Arbeitnehmer in Deutschland sind in Familienunternehmen beschäftigt. Während die großen Publikumsgesellschaften z.Zt. wiederum verstärkt Personal abbauen, werden in vielen Familienunternehmen kleinerer und mittlerer Größe immer noch neue Arbeitsplätze geschaffen. Familienunternehmen sind auch in der deutschen Industrie stark verankert. Fast 85% in diesem nach wie vor sehr bedeutenden Wirtschaftssektor sind Familienunternehmen mit 40% der Beschäftigten dieses Bereiches (BDI, /Ernst & Young, 2002).
Blickt man auf diese Zahlen, so ist die große volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Unternehmenstyps evident. Selbstverständlich sieht es in den einzelnen Branchen unterschiedlich aus, und der aktuelle Strukturwandel in der Unternehmenslandschaft bringt zweifelsohne auch hier Verschiebungen mit sich. Aber insgesamt bleibt der Befund aufrecht, dass es sich hier entgegen der schon sehr früh angestimmten Abgesänge auf das traditionelle Familienunternehmen um einen sehr vitalen Unternehmenstyp handelt, um dessen Zukunftsfähigkeit man sich letztlich keine großen Sorgen machen muss (dazu ausführlicher Wimmer, Rudolf et al. 2005). Woraus zieht dieser Typ seine besondere Kraft?

III. Die Besonderheiten von Familienunternehmen


Wie gesagt, wir sprechen von Familienunternehmen, wenn sich im Zuge ihrer Entstehungsgeschichte eine enge Verzahnung zweier an sich sehr gegensätzlich strukturierter Typen sozialer Systeme beobachten lässt: Das Unternehmen auf der einen Seite und die Familie der Eigentümer auf der anderen Seite. Diese enge Koevolution von Unternehmen und Familie besitzt für beide Seiten eine strukturprägende Wirkung ganz besonderer Art. Vieles im Unternehmen – für Außenstehende oft schwer verständlich – erinnert zutiefst an familiale Muster und Gewohnheiten (wie bspw. die eingespielten Kommunikationsmuster, der Führungsstil, die Konfliktkultur, der Umgang mit dem Personal wie mit den Finanzen, die hohe Loyalität gegenüber Stammkunden und Lieferanten etc.). Sie sind in ihrer besonderen Ausprägung für „ normale “ Organisationen eher untypisch. Im Gegenzug lässt so ein Unternehmen auch die Eigentümerfamilie nicht unberührt. Fragen des Unternehmens sind im Alltag der Familie üblicherweise allgegenwärtig, es sei denn, die Familie schützt sich bewusst vor dieser Aufmerksamkeitsokkupation durch das Unternehmen. Die Existenz dieses allgegenwärtigen Dritten in der Familie verknappt automatisch jene Kommunikationszeit, die ansonsten für das beziehungsmäßige Miteinander in der Familie zur Verfügung steht. Unternehmerfamilien erzeugen auf diese Weise ganz charakteristische Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern, für die Bewältigung ihrer Reifungskrisen etc. (zur Familie des Familienunternehmens vgl. insb. Simon, Fritz B. 2002). Betrachtet man den außergewöhnlichen Erfolg vieler Familienunternehmen, so muss man in dieser eigentümlichen Koevolution, die stets ganz unvergleichliche Firmenkulturen hervorbringt, eine besondere Ressource sehen. Tatsächlich weisen Familienunternehmen bei genauerer Betrachtung Strukturmerkmale auf, die gerade angesichts der vielfältigen Herausforderungen unserer aktuellen Wirtschaftsentwicklung markante Wettbewerbsvorteile hervorbringen. Dazu einige kurze Hinweise:

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Im Familienunternehmen entfaltet sich der Unternehmer im Schumpeter, Joseph A.\'schen Sinne. Hier stehen Persönlichkeiten an der Spitze, die ihr Geschäft von Grund auf verstehen, die selbst ganz nah am Marktgeschehen operieren, neue Chancen frühzeitig erkennen, Risiken aus ihrer Erfahrung heraus abschätzen und strategische Weichenstellungen aus ihrer Intuition heraus vornehmen können (zu diesem Grundmuster der Strategieentwicklung vgl. Nagel, Reinhart/Wimmer, Rudolf 2002). Ihre fraglos akzeptierte Autorität im Unternehmen erleichtert die innerbetriebliche Umsetzung solcher Weichenstellungen. Hierfür sind keine aufwändigen Strategieentwicklungsprozesse erforderlich. Kurze Entscheidungswege und eine hohe Identifikation mit der unternehmerischen Verantwortung der Spitze beschleunigen die Implementierung von strategischen Entscheidungen.

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Der Kunde spielt in Familienunternehmen eine ganz zentrale Rolle. Ihn zufrieden zu stellen besitzt erste Priorität. Eine der Begleiterscheinungen dieser Aufmerksamkeitsfokussierung ist eine hohe Innovationsfähigkeit solcher Unternehmen bezogen auf ihre Produkte und Dienstleistungen (ausführlicher dazu Simon, Hermann 1996, S. 81 ff.). Die enge Zusammenarbeit mit herausfordernden Kunden stimuliert den eigenen Erfindergeist und sorgt für eine ständige Erneuerung der eigenen Innovationskraft. Gleichzeitig schaffen es solche Unternehmen, in Bezug auf charakteristische Werte und Kulturmerkmale Kontinuität über sehr lange Zeiträume sicherzustellen.

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Familienunternehmen wachsen vornehmlich aus eigener Kraft. Unternehmerische Autonomie und finanzielle Unabhängigkeit besitzen einen ganz hohen Wert. Diese Prinzipien in Verbindung mit bestimmten Bedingungen des mitteleuropäischen Finanzsektors haben bei diesem Firmentyp eine klare Präferenz für die Finanzierungsform durch den klassischen Bankkredit wachsen lassen. Dieser Neigung korrespondiert in Deutschland eine im Durchschnitt niedrige Eigenkapitalquote (unter 20%) und damit eine entsprechend hohe Abhängigkeit vieler Familienunternehmen von den klassischen Kreditgebern (vgl. im Detail dazu Keiner, Thomas 2001, S. 57 ff.). Basel II stellt die Ausleihungspolitik der Banken gegenüber ihren Firmenkunden auf eine neue regulatorische Basis. Die individualisierte Bonitätsprüfung, das bankinterne Rating zur Feststellung der künftigen Schuldendienstfähigkeit der Firmen bringt insb. für Familienunternehmen ganz neue Herausforderungen. Vor allem die Umstellung von sicherheits- auf zukunftsbezogene Aspekte in der Einschätzung der Ertragskraft der Unternehmen erzwingt einen geänderten Umgang mit strategischen Fragen, mit der eigenen Transparenz und insb. auch mit der Vorsorge für eine ausreichende Managementqualität (näheres dazu bei Kolbeck, Christoph/Wimmer, Rudolf 2001 sowie Everling, Oliver 2001).

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In ihren Organisationsverhältnissen prägen Familienunternehmen ganz charakteristische Strukturen aus. Sie vermeiden formale aufbauorganisatorische Festlegungen. Die Binnendifferenzierung ist primär um Personen herum gebaut. Die Aufgabenprofile der Stelleninhaber sind geschichtlich gewachsen und werden von den Funktionsträgern während ihrer unternehmensinternen Laufbahn vielfach auch mitgenommen (vgl. Wimmer, Rudolf et al. 2005, S. 135 ff.). Offizielle Schaubilder und Organigramme existieren vielfach nicht. Man kann sich wechselseitig nicht auf formell beschlossene Kompetenzen und Zuständigkeiten berufen. Die Orientierung bzgl. der organisationsinternen Abstimmungsprozesse entsteht über langjährige Erfahrung und Zugehörigkeit, ein Umstand, der es Neueinsteigern oder Außenstehenden zunächst sehr erschwert, sich rasch zurecht zu finden. Familienunternehmen achten in der Entwicklung ihrer Gemeinkosten sehr auf schlanke Verhältnisse. Sie investieren äußerst vorsichtig in den Aufbau ihrer Infrastrukturen, was bei schnellem Wachstum zu einer chronischen Unterversorgung auf diesem Gebiet führt. Dies gilt insb. für den Aufbau geeigneter Führungsstrukturen unterhalb der Unternehmensspitze (vgl. auch Albach, Horst/Freund, Werner 1989).

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Es ist nicht überraschend, dass Familienunternehmen in ihrer Personalpolitik ganz unverwechselbare, familienähnliche Merkmale ausbilden. Sie haben eine Präferenz, Mitarbeiter in sehr jungen Jahren unmittelbar nach der Ausbildung ins Unternehmen zu holen und emotional stark an die Firma zu binden. So entstehen wechselseitig feste Loyalitätserwartungen, die sich einerseits in einer außergewöhnlichen Leistungsbereitschaft der Beschäftigten zeigen, die aber andererseits auch eine gewisse Fürsorgepflicht des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern begründen. Familienunternehmen trennen sich schwer von ihren Leuten, auch dann, wenn es aus ökonomischen Gründen längst angesagt wäre. Die erforderlichen Qualifikationen entstehen durch das engagierte Mitarbeiten, durch die zupackende Übernahme von Verantwortung im alltäglichen Geschäft. Gezielte Investitionen in die Personalentwicklung, in den vorausschauenden Aufbau von Managementpotenzialen etc. sind in solchen Unternehmen noch eher selten anzutreffen, hat doch die kulturelle Passung des Einzelnen tendenziell Vorrang vor dem Kriterium der Qualifikation (vgl. Wimmer, Rudolf et al. 1996, S. 163 ff.).


IV. Die spezifischen Risiken von Familienunternehmen


Werden die hier angesprochenen Merkmale gezielt gepflegt, so lassen sie in ihrem Zusammenwirken zweifelsohne eine außergewöhnliche Leistungsfähigkeit entstehen, die die vielen „ hidden champions “ unter den Familienunternehmen Tag für Tag unter Beweis stellen. Diese besonderen Chancenpotenziale haben allerdings auch ihren Preis. Denn in der engen Koppelung familialer Verhältnisse mit den internen Organisationszuständen eines Unternehmens steckt nicht nur eine außergewöhnliche Ressource, sondern in ihr liegen auch schwer beherrschbare Risiken. Die hohe emotionale Bedeutung des Geschehens in der Familie kann ungeahnte Energien freisetzen. Dieselben familialen Muster können aber auch – sowohl im Unternehmen als auch in der Familie – eine Konfliktdynamik anheizen, die, einmal in Gang gesetzt, sehr leicht außer Kontrolle gerät (Genaueres dazu bei Kets de Vries, Manfred F. R. 1999). „ Der Streit in Familienunternehmen ist der größte Wertvernichter in der deutschen Wirtschaft “ (Prof. Brun-Hagen Hennerkes in einem persönlichen Gespräch). Strukturmerkmale, die in bestimmten Phasen des Lebenszyklus\' von Familienunternehmen enorme Wettbewerbsvorteile gebracht haben, können in anderen zur tödlichen Falle mutieren (zum Lebenszykluskonzept vgl. ausführlicher Klein, Sabine 2000, S. 269 ff.). Diese in Familienunternehmen fast wesensnotwendig eingebaute Ambivalenz macht die bekannte Janusköpfigkeit dieses Unternehmenstyps verständlich. Familienunternehmen zählen entweder zu den Besten ihrer Branche oder haben ernsthaft ums Überleben zu kämpfen. Sie sind selten einfach blasser Durchschnitt.

V. Die besondere Problematik der Unternehmensnachfolge


Es gibt eine Phase im Lebenszyklus von Familienunternehmen, in der dieses systematisch eingebaute Gefährdungspotenzial besonders zum Tragen kommt. Es ist dies die Phase des Generationswechsels. Die hohe Scheiternsquote von Familienunternehmen in dieser Phase deutet darauf hin, dass sich in diesem Zeitraum des Übergangs eine Reihe von Problemen verdichten, die die Nachfolge in Familienunternehmen nicht mit dem üblichen Führungswechsel in Unternehmen vergleichbar macht (vgl. die Arbeit von Stephan, Petra 2002). Schließlich geht es vielfach darum, einerseits für die weichende Generation eine für sie noch anstrebenswerte persönliche Zukunftsperspektive zu finden, die es ihnen ermöglicht, ihr Lebenswerk loszulassen und das Ruder tatsächlich in jüngere Hände zu legen. Gleichzeitig stehen die Nachfolger unter einem gewaltigen Erwartungsdruck seitens der anderen Familienmitglieder, seitens der Belegschaft, der Kunden und Lieferanten; es ist dies ein Druck, der stets die schwer zu bewältigende Spannung zwischen Kontinuitätshoffnungen und grundlegenden Veränderungserwartungen aufbaut. Zwischen diesen Polen einen eigenständigen Weg zu finden, ist für Nachfolger eine ganz besondere Herausforderung (zum adäquaten Entwicklungskonzept für Nachfolger vgl. Lansberg, Ivan 1999, S. 149 ff.). Zum anderen löst der Nachfolgeprozess auch auf der Seite des Unternehmens tief greifende Irritationen aus, nicht zuletzt deshalb, weil v.a. in eignergeführten Unternehmen das gesamte alltägliche Führungsgeschehen total an der Spitze konzentriert ist. Ihr Abgang bewirkt deshalb im System eine Fülle von schweren Verunsicherungen und Erschütterungen, die von der nachrückenden Generation auch bei bester Qualifikation nicht so ohne weiteres bewältigt werden kann. Der Führungswechsel in Familienunternehmen ist deshalb regelmäßig von einem tief gehenden Wandel der Führungsstrukturen und vielfach auch mit einer strategischen Repositionierung des Unternehmens verbunden. Bei jenen Familienunternehmen, die es erfolgreich in die dritte bzw. vierte Generation geschafft haben, zeigt sich, dass sie es im Laufe ihrer Geschichte nicht zuletzt durch das erfolgreiche Bewältigen charakteristischer Entwicklungskrisen geschafft haben, Routinen auszuprägen, die einen zukunftssichernden Umgang mit den charakteristischen Gefährdungspotenzialen dieses Unternehmenstyps dauerhaft ermöglichen. Deshalb sind diese besonders langlebigen Unternehmen für die Frage so interessant, welche Evolutionsmuster Familienunternehmen in die Lage versetzen, die charakteristischen Chancenpotenziale dieses Unternehmenstyps auch und gerade in seiner Konkurrenz mit kapitalmarktorientierten Publikumsgesellschaften dauerhaft abzusichern (vgl. dazu die immer noch lesenswerte Studie von Collins, James C./Porras, Jerry I. 1994).
Literatur:
Albach, Horst/Freund, Werner : Generationswechsel und Unternehmenskontinuität – Chancen, Risiken, Maßnahmen, Gütersloh 1989
BDI, /Ernst & Young, : Das industrielle Familienunternehmen. Kontinuität im Wandel, 2. A., Berlin 2002
Carlock, Randel S./Ward, John L. : Strategic Planning for the Family Business, New York 2001
Collins, James C./Porras, Jerry I. : Built to Last. Successful Habits of Visionary Companies, New York 1994
Everling, Oliver : Rating – Chance für den Mittelstand nach Basel II. Konzepte zur Bonitätsbeurteilung, Schlüssel zur Finanzierung, Wiesbaden 2001
Gersick, Kelin E. : Generation to Generation, Boston 1997
Grant Thornton, : Family Businesses in Europe, London 2000
Hennerkes, Brun-Hagen : Die Familie und ihr Unternehmen, Frankfurt am Main 2004
Keiner, Thomas : Rating für den Mittelstand, Frankfurt am Main et al. 2001
Kets de Vries, Manfred F. R. : Family business: human dilemmas in the family firm, text and cases, London 1999
Klein, Sabine : Familienunternehmen. Theoretische und empirische Grundlagen, Wiesbaden 2000
Kolbeck, Christoph/Wimmer, Rudolf : Finanzierung für den Mittelstand, Wiesbaden 2001
Lansberg, Ivan : Succeeding Generations. Realizing the dream of families in business, Boston 1999
Nagel, Reinhart/Wimmer, Rudolf : Systemische Strategieentwicklung, Stuttgart 2002
Scherer, Stephan : Familienunternehmen. Erfolgsstrategien zur Unternehmenssicherung, Frankfurt am Main 2005
Schröder, Evelyn/Freund, Werner : Neue Entwicklungen auf dem Markt für die Übertragung mittelständischer Unternehmen, Bonn 1999
Simon, Fritz B. : Die Familie des Familienunternehmens. Ein System zwischen Gefühl und Geschäft, Heidelberg 2002
Simon, Fritz B./Wimmer, Rudolf/Groth, Torsten : Mehrgenerationenfamilienunternehmen, Heidelberg 2005
Simon, Hermann : Die heimlichen Gewinner (Hidden Champions). Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer, Frankfurt am Main et al. 1996
Stephan, Petra : Nachfolge in mittelständischen Familienunternehmen. Handlungsempfehlungen aus Sicht der Unternehmensführung, Wiesbaden 2002
Ward, John L. : Perpetuating the Family Business, New York 2004
Wimmer, Rudolf : Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp?, Wiesbaden 1996

 

 


 

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