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Warenwirtschaftssysteme


Inhaltsübersicht
I. Grundlagen
II. Der Aufbau von Warenwirtschaftssystemen
III. Der aktuelle Entwicklungsstand in den Handelsbetrieben
IV. Technologische Aspekte
V. Trends der weiteren Entwicklung
VI. Resümee

I. Grundlagen


1. Definition und Elemente


Es gibt heute zahlreiche, teils ähnliche, teils durchaus kontroverse Definitionen des Begriffs »Warenwirtschaftssystem« (WWS). Eine systematische Aufarbeitung und Abgrenzung dieser Definitionen findet sich bei Ebert (Ebert, K. 1986). In den letzten Jahren hat allerdings, bedingt durch den vermehrten Einsatz von Hardware- und Softwaresystemen, eine deutliche Ausweitung und zumindest teilweise auch eine Schwerpunktverschiebung der Begriffsinhalte stattgefunden, weshalb hier zunächst eine Definition vorgestellt wird, die der Tatsache Rechnung trägt, dass WWS heute primär eine Modellierung der Handelsaktivitäten in einem EDV-System darstellen. Eine WWS besteht aus vier Ebenen:
Warenprozessmodell: Auf der untersten Ebene ist das WWS ein Modell der Warenprozesse (Tietz, B. 1993), also der physischen Warenflüsse; die Warenprozesse wie Entladen, Einlagern, Kommissionieren, Transport usw. werden dabei i.d.R. in einem EDV-System abgebildet. Einige Diskussionen bzw. gegensätzliche Standpunkte werden durch diese Definition aufgelöst, z.B. die Frage, ob der physische Warenfluss Bestandteil des WWS ist: Er ist es nicht, weil das WWS nur ein Modell des physischen Warenflusses ist; oder die Frage, ob der EDV-Einsatz ein unverzichtbarer Bestandteil eines WWS ist: Er ist es nicht, weil die Abbildung des physischen Warenflusses ebenso auf Karteikarten oder sonstige Weise erfolgen kann – lediglich das Mengenvolumen der Warenflüsse lässt heute für die meisten Handelsbetriebe ihre Modellierung nur noch in entsprechende Softwaresysteme zu.
Dispositionsprozessmodell: Die zweite Ebene ist ein Modell der Dispositionsprozesse eines Handelsbetriebs. Dispositionsprozesse sind solche Prozesse, die nicht direkt mit der Ware zu tun haben, die aber durch Warenprozesse ausgelöst werden oder die ihrerseits Warenprozesse auslösen, also z.B. Warenbestellung, Auftragseingang, Rechnungseingang, Rechnungsprüfung, Rechnungsschreibung, Lieferscheinschreibung, Inventur usw.
Abrechnungsprozessmodell: Das Abrechnungsprozessmodell stellt die 3. Ebene eines WWS dar und bildet unter Verwendung von Einkaufs- und Verkaufsreisen und -konditionen die Vorgänge des Warenprozessmodells und des Dispositionsprozessmodells wertmäßig ab (Hertel, J. 1992). Die warenwirtschaftlichen Elementarfunktionen \'Wareneingang\' und \'Warenausgang\' werden dabei abgebildet auf Belastung und Entlastung von Leistungsstellen. Die Modellierung der Preispolitik wird hier eindeutig als Aufgabenstellung für das WWS gesehen, da Waren- und insb. Dispositionsprozesse nachhaltig durch die Preispolitik beeinflusst werden und umgekehrt, sodass das WWS eine integrierte Betrachtungsweise dieser Themenschwerpunkte zulassen muss.
Informations- und Planungsprozessebene: In dieser 4. Ebene werden alle Informationen über sämtliche Waren-, Dispositions- und Abrechnungsprozesse gesammelt und den Steuerungs-, Kontroll-, Optimierungs- und Planungsprozessen dieser Ebene zur Verfügung gestellt. Die Informations- und Planungsprozessebene des WWS steuert, kontrolliert, optimiert und plant Sortimente, Preise, Bestände und alle damit in Verbindung stehenden Waren-, Dispositions- und Abrechungsprozesse dieses Modells.

2. Einige Anmerkungen zur Definition


Ein WWS ist also ein Modell der Warenwirtschaft. In der Regel erfolgt dabei heute diese Modellierung in einem EDV-System; und da die Fähigkeiten dieser EDV-Systeme, große Informationsmengen in kurzer Zeit zu verarbeiten, weit über die des Menschen hinausgehen, haben sie in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, das Einsatzspektrum von WWS wesentlich zu vergrößern. In diesem Sinn wachsen sie zunehmend aus dem Charakter der Modellierung der realen Welt heraus und gewinnen eine eigene Realität.
Warenwirtschaftssysteme
Abb. 1: Die 4 Ebenen eines WWS und ihre Wechselwirkungen

3. Geschlossene Warenwirtschaftssysteme


Ein WWS heißt geschlossen, wenn die Warenbestände in allen Unternehmenseinheiten artikelgenau geführt und kurzfristig fortgeschrieben werden. Geschlossene WWS sind nach wie vor eines der wesentlichen Entwicklungsziele in den Org/DV-Abteilungen der Handelsbetriebe; das Erreichen dieses Ziels ist durch den inzwischen wesentlich kostengünstigeren Einsatz von Scannerkassen näher gerückt, wenngleich eine artikelgenaue Wareneingangs- und Warenausgangserfassung zwar eine notwendige, aber keineswegs eine hinreichende Voraussetzung für ein geschlossenes WWS ist – entscheidend ist die artikelgenaue Bestandsführung, die neben dem Einsatz von EDV-Technik auch eine Reihe organisatorischer Maßnahmen erfordert, z.B. Erfassung von Wareneingängen, Bruch, Verderb, Inventurdifferenzen usw. Der Begriff »geschlossenes WWS« wird in der Literatur auch kritisch kommentiert (Ebert, K. 1986). Anknüpfungspunkt dabei ist vor allem die »kurzfristige« artikelgenaue Bestandsführung. Während früher das WWS durch die Erfassung der Inventurdifferenz »geschlossen« wurde, erfolgt das heute in der Regel einmal pro Tag durch Übernahme der Abverkaufsdaten aus den Scannerkassen.

4. Mehrstufige Warenwirtschaftssysteme


Ein WWS heißt mehrstufig, wenn die warenwirtschaftlichen Anforderungen eines filialisierenden Handelsbetriebs, also alle Stufen möglicher Unternehmenshierarchien abgedeckt werden, von der Zentrale über regionale Niederlassungen und Läger bis hin zu verschiedenen Vertriebsschienen und den Filialen (Hertel, J. 1992). Insbesondere decken damit mehrstufige WWS sowohl Großhandels- als auch Einzelhandelsfunktionalitäten ab, da z.B. eine regionale Niederlassung gegenüber ihren Filialen wie ein Großhändler auftritt.

II. Der Aufbau von Warenwirtschaftssystemen


1. Unterschiedliche Komplexitätsdimensionen


WWS unterscheiden sich in Anspruch, Zielgruppe und Leistungsumfang beträchtlich; das WWS eines internationalen Handelskonzerns ist nicht vergleichbar mit dem eines kleinen »Tante-Emma-Ladens« an der Ecke. WWS für den Großhandel unterscheiden sich von denen für den Einzelhandel; innerhalb einer Handelsstufe gibt es Unterschiede bzw. Speziallösungen für bestimmte Segmente wie Textilien, Sportartikel, Baustoffe usw. Vom einfachen Karteikartensystem über die Standardlösung für den Personal Computer bis zur mit einem Kostenaufwand im dreistelligen Millionenbereich betriebenen Eigenentwicklung reicht das Spektrum. Der entscheidende qualitative Unterschied im Leistungsumfang von WWS bzw. des Aufwandes zu dessen Realisierung kommt aus der Mehrstufigkeit, die durch die Verwaltung und Steuerung unterschiedlicher Unternehmenseinheiten sowie der Waren- und Dispositionsprozesse zwischen diesen Einheiten mehrere neue Komplexitätsstufen mit sich bringt.

2. Module von Warenwirtschaftssystemen


Trotz der genannten unterschiedlichen Komplexitätsgrade von WWS ist es möglich, die verschiedenen Funktionsmodule solcher Systeme in einem einheitlichen Konzept darzustellen. Dazu werden warenwirtschaftliche Funktionen getrennt von den Unternehmenseinheiten, in denen sie gebraucht werden oder ablaufen sollen; außerdem müssen diese warenwirtschaftlichen Funktionen mandantenfähig, d.h. auf mehrere Unternehmenseinheiten anwendbar, sein.
Ein WWS besteht aus den folgenden Funktionsmodulen:
Warenwirtschaftssysteme
Vergleicht man diese Aufteilung mit anderen Ansätzen (Ebert, K. 1986; Zentes, J./Exner, R. 1989; Köckeritz, W. 1991; Gerling, M. 1993), so stellt man weitgehend ähnliche Strukturierungen fest; Abweichungen sind primär durch stärkere Einschränkungen des Untersuchungsgegenstandes bedingt, wie WWS für die Großhandelsstufe, insbesondere mit Lagerfunktionalitäten, oder für Einzelhandelsstufe oder für die einzelne Verkaufsstelle.

III. Der aktuelle Entwicklungsstand in den Handelsbetrieben


Wenn man sich auf die komplexen WWS der Großbetriebe des Einzelhandels konzentriert, so lässt sich feststellen, dass es noch erhebliche Defizite zwischen dem heute technisch Möglichen und der Realität in den Handelsbetrieben gibt. Als Beispiel hierfür sei die artikelgenaue Bestandsführung und damit das geschlossene WWS genannt. Die artikelgenaue Bestandsführung ist zwar auf der Großhandelsstufe bzw. in den Lägern weitgehend realisiert, in den Filialen ist sie aber – insbesondere im Handel mit Konsumgütern – nach wie vor die Ausnahme; die überwiegende Mehrheit der Unternehmen ist allenfalls in der Testphase. Aber auch viel elementarere Defizite lassen sich anführen: Die großen Handelskonzerne haben ihre Sortimente teilweise nicht im Griff, es gibt keine unternehmenseinheitlichen Artikelnummern; teilweise kennt das WWS noch nicht einmal die wertmäßigen Einkaufsvolumen pro Region oder Vertriebsschiene, die der Handelsbetrieb mit einem bestimmten Lieferanten pro Jahr abwickelt.
Die Hauptgründe für vorhandene Defizite liegen i.d.R. nicht in fehlenden Ideen oder einer Unterschätzung des Stellenwertes der WWS für den Handelsbetrieb, sie liegen vielmehr primär in der EDV-technischen Realisierung solcher Systeme, die mit dem Tempo, in dem immer neue Anforderungen entwickelt wurden, nicht hat Schritt halten können. Als wesentliche Gründe sind zu nennen (Hertel, J. 1992):

-

Fehlende Gesamtkonzeption

-

Unzureichende Datenmodellierung

-

Zu lange Entwicklungsdauer

-

Überalterung

-

Fehlende Dokumentation

-

Mangelhafte Integration der einzelnen Teilsysteme.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zumindest in den Großbetrieben des Einzelhandels der Zustand der WWS weit hinter den Anforderungen der Anwender zurücksteht und dass viele Handelsbetriebe über neue Konzepte nachdenken.

IV. Technologische Aspekte


1. Entwicklungstendenzen im Hardware- und Softwarebereich


Das Potenzial für eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der WWS ist durch die rasante Entwicklung im Hardwarebereich wesentlich vergrößert worden. Zu nennen ist hier an erster Stelle – inzwischen quasi ein Symbol für geschlossene WWS – die Scannerkasse, die die artikelgenaue Bestandsführung für viele Handelsbetriebe erst möglich gemacht hat. Aber hier ist auch eine Vielzahl weiterer Geräte zu nennen: Waagen für den Bedienungs- und den Selbstbedienungsverkauf, Waagen im Checkout-Bereich, elektronische Regalanzeige, mobile Datenerfassungsgeräte usw. Ganz wesentlich für die Weiterentwicklung der WWS ist natürlich auch die permanente Steigerung des Preis-/Leistungsverhältnisses der eigentlichen Computersysteme.
Die Anforderungen an WWS steigen aber auch im softwaretechnischen Bereich. Als Beispiel dafür seien die Einführung relationaler Datenbanken, Client/Server-Architekturen und grafische Benutzeroberflächen genannt. Diese Techniken bringen dem Anwender mehr Benutzerkomfort und werden deshalb unter ergonomischen Gesichtspunkten bevorzugt.
Die neuen Techniken bedeuten aber auch immer mehr Komplexität in der Entwicklung von WWS; bei Systemen für den filialisierenden Handel muss mit Aufwendungen von weit über hundert Mannjahren für die Softwareentwicklung gerechnet werden. Deshalb gibt es inzwischen eine Reihe von Ansätzen, diese Komplexität besser zu beherrschen, z.B. das Konzept der  operativen Einheiten, mit dem versucht wird, das komplexe, umfassende WWS aufzubrechen in ein Netzwerk kleiner, kompakter und möglichst einfacher WWS (Hertel, J. 1992). Die einzelnen WWS sollen dabei soweit möglich mit identischen Grundfunktionalitäten auskommen, d.h. der Wareneingang in einer Filiale wird mit derselben Grundfunktion abgebildet wie der im Lager, ebenso die Disposition usw.
Einen weiteren interessanten Ansatz stellt die Retail Application Architecture (RAA) von IBM dar, einem Unternehmensmodell für Handelsbetriebe, auf dessen Basis dann die eigentlichen Anwendungen entwickelt werden können (Stecher, P. 1993). Ähnlich dem Konzept der operativen Einheiten unterscheidet auch das RAA-Modell zwischen den warenwirtschaftlichen Funktionen und den Lokationen oder Unternehmenseinheiten, in denen sie gebraucht werden, d.h. die Funktionen können den Lokationen frei zugeordnet werden. Damit wird eine feste »Verdrahtung« der Unternehmenshierarchie im Unternehmensmodell vermieden und Flexibilität und Änderungsfreundlichkeit der darauf aufbauenden WWS gewonnen.

2. Standard-Warenwirtschaftssysteme


Während noch bis Ende der 1980er-Jahre vor allem in den Großbetrieben des Handels die Meinung vertreten wurde, WWS seien von so entscheidender Bedeutung zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen, dass nur Eigenentwicklungen infrage kamen, beginnt sich diese Einstellung seit Beginn der 1990er-Jahre zu verändern. Viele Unternehmen planen heute die Umstellung ihrer selbst entwickelten Systeme auf Standardsoftware. Als wesentliche Gründe hierfür sind zu nennen:

-

Die selbst entwickelten Systeme sind veraltet und kaum noch mit vertretbarem Kosten- und Zeitaufwand wartbar.

-

Die Einführungs- und Wartungskosten für Standardsoftware sind geringer.

-

Der Hersteller gewährleistet die ständige Weiterentwicklung des Produkts.

-

Standardsoftware ist sofort verfügbar und damit innerhalb wesentlich kürzerer Zeit einsetzbar als ein neu zu entwickelndes individuelles System.

-

Die Kosten für eine Eigenentwicklung übersteigen die für den Kauf eines Standardprodukts um ein Vielfaches.


Selbst der vermeintliche Hauptvorteil der Eigenentwicklung, dass sie exakt auf die eigenen Anforderungen zugeschnitten ist und deshalb besser »passt«, ist fraglich, da ein solches System in der Regel wesentlich weniger änderungsfreundlich ist als ein Standardprodukt, das von Anfang an so konzipiert wurde, dass es an die unterschiedlichsten Kundenanforderungen und neue Entwicklungen anpassbar ist. Inzwischen gibt es leistungsfähige Standard-WWS. Das Deutsche Handelsinstitut führt in seiner Studie »WWS für den Einzelhandel« (Gerling, M. 1993) insgesamt 50 verschiedene Systeme auf, von denen die meisten auf die Anforderungen mittelständischer Handelsbetriebe oder auf die einer bestimmten Branche zugeschnitten sind; der WWS-Report von Ploenzke (Ploenzke AG, 1993) untersucht 12 Produkte im mittleren und oberen Leistungsbereich und stellt Kriterien für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit solcher Produkte auf.
Auch die oben erwähnte Skepsis gegenüber den Standardsystemen wegen der Bedeutung der WWS zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen wird in den Hintergrund treten. Es gibt heute Standard-Produkte, die über sehr flexible Konzeptionen alle Informationen über Waren-, Dispositions- und Abrechnungsprozesse in beliebigem Detaillierungsgrad bereitstellen; wie das Handelsunternehmen auf diesem Instrumentarium spielt – darin besteht der mögliche Wettbewerbsvorteil.

V. Trends der weiteren Entwicklung


Die weitere Entwicklung der WWS wird von den gesamten zukünftigen Strategien der Handelsbetriebe und der Marktpartner beeinflusst, insbesondere können hier die Betriebstypenstrategien, die Systemtypenstrategien, die Wachstumsstrategien, die Managementstrategien sowie die Informationsstrategien selbst genannt werden.

1. Die Automatisierung


Die weitergehende Automatisierung von Abläufen innerhalb und außerhalb des Unternehmens wirkt sich zunehmend auf den Leistungsumfang von WWS aus. Automatische Bestellverfahren für Läger und Filialen sind hier zu nennen, automatische Rechnungsprüfung, automatische Regalauszeichnung und vor allem der Trend zu höhere Automatisierung in der Logistik. Neben der Automatisierung dieser innerbetrieblichen Waren- und Dispositionsprozesse liegt weiteres Rationalisierungspotenzial auch in der Automatisierung der zwischenbetrieblichen Dispositionsprozesse bez. Wareninformationen, Bestellungen, Lieferavis, Lieferscheinen und Rechnungen. Diese Dispositionsprozesse zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen werden heute zunehmend durch direkte Kommunikation zwischen den Materialwirtschaftssystemen der Herstellerunternehmen und den WWS der Handelsunternehmen realisiert. Entsprechende Verfahren und Normen für den Austausch dieser Daten sind definiert; als nationale Normen haben sich dabei SEDAS und SINFOS durchgesetzt, die internationale Norm ist EDIFACT und verschiedene Subsets dazu (Gerling, M. 1993).

2. Kooperationen zwischen Hersteller und Handel


Es gibt völlig neue Kooperationsformen zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen, die alle das Ziel verfolgen, durch gemeinsame, unternehmensübergreifende Maßnahmen die Kosten zu minimieren und den Kundennutzen zu maximieren. Beispiele dazu sind aus der Textilwirtschaft Quick Response (Hensche, H. H. 1989) oder Efficient Customer Response (ECR) aus dem Lebensmittelbereich.
All diese Ansätze erfordern eine stärkere Verzahnung des Informationsflusses zwischen den beteiligten Unternehmen; »präzise Informationen und qualitativ hochstehende Produkte laufen durch ein papierloses System zwischen der Fertigungsstraße und den Checkout-Zonen mit einem Minimum an Zwischenstationen oder Unterbrechungen, sowohl innerhalb als auch zwischen den Handelspartnern« (Golub, J. 1993, S. 9). Aufgaben, die bisher klar dem Hersteller oder dem Händler zugeordnet waren, sollen jetzt gemeinsam koordiniert werden; so betrifft ECR z.B. die Bereiche Promotions, Nachbestellung, Sortimentsgestaltung und Produkteinführung. Diese Entwicklungen werden massiven Einfluss auf die WWS haben (Freedman, D. 1992).

3. Entscheidungsunterstützung/Controlling


Während die meisten WWS heute eindeutig »technisch« orientiert sind, sich also im Wesentlichen mit der Abbildung der Waren- und Dispositionsprozesse beschäftigen, sind in den 1990er-Jahren vermehrt marketing- und controllingrelevante Funktionalitäten in den Mittelpunkt der Neuentwicklungen getreten.
Die Informationsbasis wird durch die Integration von Konsumenten- und Konkurrentendaten erweitert, Datenanalyseinstrumente werden implementiert, Visualisierung der Daten erfolgt durch leistungsfähige Grafiksysteme, Entscheidungsunterstützungssysteme werden realisiert (Zentes, J./Exner, R. 1989).
Beispielhaft seien nur die Möglichkeiten computergestützter Sortimentssteuerung erwähnt, die sich aus der Integration der Einzelinstrumente Scanningauswertungen, Regalplatzoptimierung und direkter Produktrentabilität ergeben (Lorbach, C./Keß, R. 1993). Zu weiteren neuen Einsatzgebieten werden Entscheidungsunterstützung in den Bereichen Standortauswahl, Lieferantenpolitik und Preispolitik gehören.

VI. Resümee


WWS sind heute als ein unabdingbarer Faktor zur Steuerung eines Handelsunternehmens allgemein akzeptiert; der qualitative Nutzen ist unbestritten (Zentes, J./Exner, R. 1989). Starke Defizite gibt es aber nach wie vor bei der Quantifizierung dieses Nutzens; Analysen dazu beschränken sich in der Regel auf Teilbereiche. Das Handelsunternehmen Metro hat vor einigen Jahren eine zusammenfassende Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ihres WWS durchgeführt (Conradi, E. 1989), bezogen auf die C&C-Großmärkte in Deutschland; danach standen den jährlich durch das WWS verursachten Kosten von 80 Mio. DM (ca. 40 Mio. € ) zusätzliche Erträge in Höhe von 165 Mio. DM (ca. 82,5 Mio. € ) gegenüber.
Sehr interessant ist auch die Einschätzung des amerikanischen Lebensmittelhandels über die Nutzenpotenziale der Einführung von Efficient Customer Response im US-Lebensmittelmarkt, die von Einsparungsmöglichkeiten von 10 – 12% vom Umsatz ausgeht, wovon jeweils etwas über 4% auf effiziente Promotions und effiziente Nachbestellungen, 2% auf effiziente Sortimentsgestaltung und knapp 1% auf effiziente Produkteinführung entfallen.
WWS werden in den nächsten Jahren in neue Leistungsbereiche vordringen und den Menschen von immer weiteren Steuerungs-, Controlling- und Planungsaufgaben entlasten. Erweckten in den 1970er-Jahren noch die Fähigkeiten von automatischen Prognose- und Dispositionssystemen Erstaunen und ungläubige Skepsis, so sind das heute Entscheidungsunterstützungssysteme oder Expertensysteme in Bereichen wie Standortwahl, Lieferantenauswahl, Sortimentsgestaltung oder Warenpräsentation.
Nachdem die Modellierung der Waren- und Abrechnungsprozesse weitgehend gelöst ist, wird sich daher in den nächsten Jahren insbesondere die Modellierung und damit die Leistungsfähigkeit der Dispositions-, Informations- und Planungsprozesse weiter verbessern, d.h. die Marketing- und Controllinginstrumente stehen zunehmend im Blickpunkt der Weiterentwicklung der WWS.
Literatur:
Conradi, E. : Nur an der Warenwirtschaft resultieren Gewinne, in: Lebensmittelzeitung, Nr. 21/26. Mai 1989, S. 74 – 81
DACOS Software, : DISPOS II, Das Warenwirtschaftssystem – Grundkonzeptionen, St. Ingbert 1992
Ebert, K. : Warenwirtschaftssysteme und Warenwirtschafts-Controlling, Frankfurt a.M. 1986
Gerling, M. : Warenwirtschaftssysteme für den Einzelhandel, Köln 1993
Golub, J. : The Customer Drives the Store, the Store Drives Efficient Customer Response, in: Integrating the Supply Chain, hrsg. v. CIES, , 1993
Hammer, M./Champy, J. : Business Reengineering, Frankfurt a.M. et al. 1994
Hensche, H. H. : Quick Response in der Textilwirtschaft, in: Moderne Warenwirtschaftssysteme im Handel, hrsg. v. Zentes, J./Schwarz-Zanetti, W., Rüschlikon 1989, S. 165 – 194
Hertel, J. : Deisgn mehrstufiger Warenwirtschaftssysteme, Heidelberg 1992
Köckeritz, W. : EDV-gestützte Warenwirtschaft in Großbetrieben des Einzelhandels, Bern 1991
Lorbach, C./Keß, R. : Integrierte Informationen fehlen, in: Lebensmittelzeitung, Nr. 11/19. März 1993, S. 83 – 85
Microsoft Corporation, : Die Grundlage für den Einsatz des Personal Computers in den 90er Jahren, München 1989
Ploenzke AG, : WWS-Report, Wiesbaden 1993
Stecher, P. : Building business and application systems with the Retail Application Architecture, in: IBM Systems Journal, 1993, S. 278 – 306
Tietz, B. : Der Handelsbetrieb, München 1985
Tietz, B. : Zukunftsstrategien für Handelsunternehmen, Frankfurt a.M. 1993
Witt, F.-J. : Handelscontrolling, München 1992
Zellekens, H.-J. : Warenwirtschaftssysteme, in: Der Verbraucher, H. 17/1981, S. 8 – 10
Zentes, J./Exner, R. : Warenwirtschaftssysteme im Handel, Essen 1989
Zentes, J./Anderer, M. : Warenwirtschaftssysteme, in: Handbuch Informationsmanagement, hrsg. v. Scheer, A.-W., Wiesbaden 1993, S. 347 – 363

 

 


 

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