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Börsenkursbildung


Inhaltsübersicht
I. Einführung
II. Kursbildungsmodelle
III. Verfahren der börslichen Kursermittlung
IV. Die Börse als Zwei-Güter-Markt

I. Einführung


1. Börsen


An einer Börse werden vertretbare Güter gehandelt. Die Börse ist ein Finanzdienstleister. Unmittelbar dient sie Effektenhandelsfirmen als gemeinschaftlicher Hilfsbetrieb oder – emanzipiert – als eigenständiges Unternehmen. Mittelbar dient sie auch anderen Betrieben und den Haushalten, die an einem Handel vertretbarer Güter interessiert sind. Börsen verbessern die Markttransparenz und erleichtern den Abschluss von Geschäften, indem sie Angebot und Nachfrage konzentrieren und den Handel ausgefeilt organisieren. Hierzu dienen auch Musterverträge oder Kontrakte. Das sind standardisierte Bedingungen für Kassa- oder Termingeschäfte, die allen Abschlüssen zugrunde liegen. Bei einem Kassageschäft entspricht die Frist zwischen Abschluss des Geschäfts und seiner beidseitigen Erfüllung grundsätzlich dem Zeitraum, der für die Vorbereitung und Durchführung der Erfüllung erforderlich ist, während bei einem Termingeschäft die Erfüllungsfrist erheblich länger als erforderlich ist. Der Handel kann auf dem Börsenparkett (Parketthandel), per Telefon (Telefonhandel) oder über ein Computersystem (elektronischer Handel) erfolgen. Inwieweit der elektronische Handel die Mittlerfunktion der Effektenhandelsfirmen entbehrlich macht, kann hier offen bleiben.

2. Kurse und Werte


An der Börse werden Kurse für die gehandelten Güter ermittelt. Kurse sind Mengenrelationen in tatsächlich zwischen selbständig vertragsfähigen Partnern abgeschlossenen Verträgen über den Austausch von Gütern. Von diesen Preisen ist der dimensionsgleiche Wert zu unterscheiden. Unter dem Wert versteht man den Grad der Brauchbarkeit eines Gutes für die Erfüllung eines Zweckes, ausgedrückt als Beschaffungspreisobergrenze des potentiellen Käufers oder als Abgabepreisuntergrenze des potentiellen Verkäufers (Stützel, W. 1976). Die Determinanten des Wertes sind: 1) Das Ziel des Marktteilnehmers. 2) Das konkrete Entscheidungsfeld des Marktteilnehmers, das seine Alternativen enthält und von seiner konkreten Sozialsituation abhängt. 3) Die Zieltauglichkeit der im konkreten Entscheidungsfeld enthaltenen Alternativen, also die Eigenschaften der Güter.
Der Wert ist weder objektiv noch subjektiv, sondern gerundiv, da er das Ergebnis eines Alternativkalküls ist, das vom Entscheidungssubjekt durchgeführt wird. Es kommt nur dann zu Transaktionen, wenn aus Sicht des Verkäufers (Käufers) der Wert unter (über) dem Preis liegt. Nachfrage und Angebot der einzelnen Marktteilnehmer ergeben sich aus ihrem individuell ermittelten Wert für das in Rede stehende Gut.

II. Kursbildungsmodelle


Im Zeitablauf werden neue bewertungsrelevante Informationen bekannt und zu Veränderungen der von den Marktteilnehmern ermittelten Werte führen. Damit ändern sich Angebots- und Nachfragefunktionen und letztendlich auch der Kurs. Die Beziehung zwischen Änderungen des bewertungsrelevanten Informationsstandes und Kursänderungen ist Gegenstand der Theorie der effizienten Informationsverarbeitung (Efficient Market Theory, EMT). Den aktuellen Stand der empirischen Überprüfung der EMT kann der Leser z.B. bei Fama (Fama, E.F. 1991) und Sapusek (Sapusek, A. 1998) finden.
An einem informationseffizienten Markt reflektieren die Kurse ständig alle verfügbaren bewertungsrelevanten Informationen (Fama, E.F. 1970); einen Überblick über verschiedene Definitionen eines informationseffizienten Marktes gibt Ball (Ball, R. 1989). Informationen sind nur dann neu, wenn sie nicht prognostizierbar sind. Die Kurse verändern sich nur beim Bekanntwerden neuer Informationen. Damit sollten an einem informationseffizienten Markt Kursveränderungen auf Basis der verfügbaren Informationen nicht prognostizierbar sein.
Die Anforderungen an Kursverläufe an informationseffizienten Märkten werden in Kursbildungsmodellen oder Preisbildungsmodellen formalisiert (Fama, E.F. 1970): Fair-Game-Modellen liegt die Überlegung zugrunde, dass an einem informationseffizienten Markt die auf Basis des heutigen Informationsstandes erwartete Differenz zwischen dem tatsächlichen Kurs und dem auf Basis des heutigen Informationsstandes erwarteten Kurses am Periodenende null beträgt. Der Kurs folgt einem Submartingale-Modell, wenn der unter Verwendung des heutigen Informationsstandes gebildete Erwartungswert des Kurses am Periodenende den heutigen Kurs nicht unterschreitet. Sind beide Kurse gleich, wird das als Martingale-Modell bezeichnet. Ein Random Walk liegt vor, wenn aufeinanderfolgende Kursveränderungen voneinander unabhängig sind und aus identischen Verteilungen stammen.
Preisbildungsmodelle sind eine Voraussetzung, um Kurse empirisch hinsichtlich ihrer Informationseffizienz zu untersuchen. Bei der Interpretation solcher Untersuchungen ist zu bedenken, dass die Unmöglichkeit, Kursveränderungen zu prognostizieren, notwendige Voraussetzung für einen informationseffizienten Markt ist, dass aber der Umkehrschluss unzulässig ist, aus der Unmöglichkeit der Prognose von Kursveränderungen auf einen informationseffizienten Markt zu schließen (Summers, L.H. 1986; Keane, S.M. 1991). Dieses empirische Ergebnis könnte auch durch Rauschen entstanden sein, also Kursveränderungen ohne neue bewertungsrelevante Informationen (siehe dazu Black, F. 1986; Fama, E.F. 1989). Genaueren Aufschluss könnten detailliertere Kenntnisse über den Prozess der Kursbildung einschließlich der hinter den Transaktionen stehenden Informationen, Motive, Erwartungen und Risikoeinstellungen der Marktteilnehmer bringen. Ein geeignetes Instrument hierfür ist das Marktexperiment, bei dem unter Laborbedingungen das Marktgeschehen simuliert wird. Durch die Kontrolle über die Marktbedingungen kann der Experimentator den Einfluss einzelner Faktoren auf das Marktgeschehen isolieren (Gerke, W. 1990; ein instruktives Beispiel findet sich bei Forsythe, R./Palfrey, T./Plott, C.R. 1982). Einen Überblick über die Ergebnisse von Marktexperimenten sowie zur experimentellen Kapitalmarktforschung geben Weber (Weber, M. 1990) und Oehler (Oehler, A. 1995).

III. Verfahren der börslichen Kursermittlung


1. Ziel der börslichen Kursermittlung


Die Ermittlung und Publikation qualifizierter Kurse ist eine wesentliche Aufgabe von Wertpapierbörsen (Schmidt, H. 1977). Der qualifizierte Kurs ist der Kurs, der zum Zeitpunkt des Abschlusses den Markt räumt (Gleichgewichtskurs). Im Gegensatz zum einfachen Kurs reflektiert er alle bewertungsrelevanten Informationen, die den Marktteilnehmern bekannt sind.

2. Verfahren zur Ermittlung qualifizierter Kurse


Betrachtet wird folgende Situation: Die Marktteilnehmer haben den Bewertungsprozess (Abschnitt I.2.) abgeschlossen und wollen gemäß ihrer Nachfrage- und Angebotsfunktionen Effektengeschäfte abschließen, die zu den von den Preisbildungsmodellen (Abschnitt II.) beschriebenen Kursverläufen führen sollten. Dazu muss der theoretische Preisbildungsprozess mittels eines börslichen Handelsverfahrens umgesetzt werden, das zu qualifizierten Effektenpreisen und Kursnotizen führt.
Folgende Möglichkeiten stehen den Wirtschaftssubjekten offen, wenn sie Transaktionen durchführen möchten (zu den folgenden Ausführungen siehe Schmidt, H. 1977; Schmidt, 1988; Schwartz, R.A. 1991; Lüdecke, T. 1996):

a) Einzelverhandlung außerhalb der Börse


Käufer und Verkäufer einigen sich in einer außerbörslichen Verhandlung über den Kurs einer Transaktion. Der vereinbarte Kurs ist ein Einzelkurs. Ein Einzelkurs gilt im Gegensatz zu einem Gesamtkurs nur für einen Abschluss, also grundsätzlich nur für zwei Parteien. Der festgestellte Kurs ist das Ergebnis einer Einzelverhandlung. Bei einer Einzelverhandlung wird der Kurs zwischen zwei Parteien ermittelt, ohne dass wie bei einer Kollektivverhandlung dritte Parteien intervenieren können. Ein Kurs, der in einer Einzelverhandlung ermittelt worden ist, ist mit großer Wahrscheinlichkeit nur ein einfacher Kurs, da er nur den Informationsstand der beiden beteiligten Parteien reflektiert und ohne die Beteiligung gut informierter, um günstige Abschlüsse konkurrierender dritter Parteien zustande gekommen ist. Nur wenn eine an der Einzelverhandlung beteiligte Partei ein Marketmaker ist, ist der dabei vereinbarte Kurs mit größerer Wahrscheinlichkeit ein qualifizierter Kurs; siehe dazu den Exkurs zum Marketmakerprinzip.

b) Einzelkurse als Ergebnis börslicher Auktionen


Die Besonderheit eines nach dem Auktionsprinzip ermittelten Einzelkurses besteht darin, dass die Zahl der an seinem Zustandekommen beteiligten Parteien die Zahl der Parteien übersteigt, die durch den Abschluss gebunden ist. Durch einen Einzelkurs sind per definitionem zwei Parteien gebunden. An den Verhandlungen, die zu diesem Kurs führen, ist aber eine Vielzahl von Händlern an der Börse beteiligt. Der Kurs ist das Ergebnis einer Kollektivverhandlung und reflektiert somit den aggregierten Informationsstand der beteiligten Händler. Die Händler haben die Möglichkeit und den Anreiz, ihren Informationsstand in Form eines Gebotes offen zu legen, da sie jederzeit in die durch das Gebot eines Händlers initiierte Auktion eingreifen können, wenn ihnen ein Kaufgebot (Verkaufsgebot) zu niedrig (hoch) erscheint. Das Auktionsprinzip sorgt dafür, dass sich die höchsten Kaufgebote (niedrigsten Verkaufsgebote) in der Konkurrenz der Nachfrager (Anbieter) durchsetzen. Die Qualität des Kurses wird nicht nur von der Quantität, sondern auch von der Qualität der an der Verhandlung beteiligten Personen bestimmt. Die Börse führt gut informierte und versierte Händler zusammen, damit sie darum konkurrieren, Abschlusspartner von aktuellen oder potentiellen Verkäufern oder Käufern zu werden. Damit ist die Auktionsbörse die Institution, die qualifizierte Marktteilnehmer bei möglichst hoher Konkurrenzintensität versammelt. Ein Beispiel für dieses Verfahren ist der fortlaufende Handel zu Einzelkursen über das elektronische Börsenhandelssystem XETRA.

c) Gesamtkurse als Ergebnis börslicher Auktionen


Auch Gesamtkurse werden nach dem Auktionsprinzip ermittelt und sind somit das Ergebnis einer Kollektivverhandlung. Zum Gesamtkurs schließen alle (wenigstens mehr als zwei) Parteien ab, die zu diesem Kurs ausführbare Aufträge am Markt haben. Er kann mündlich ausgehandelt oder aber schriftlich oder elektronisch errechnet werden. Der Gesamtkurs ist dadurch gekennzeichnet, dass zu ihm der Markt erkennbar geräumt oder fast geräumt werden kann. Bei den bestehenden Kauf- und Verkaufsgeboten führt der Gesamtkurs zu dem größten möglichen Umsatz, und die bei diesem Kurs eventuell verbleibenden Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage sind geringer als bei jedem anderen Kurs. Dabei setzen sich, wie das Auktionsprinzip es verlangt, bei der Nachfrage die höchsten Kaufgebote und bei dem Angebot die niedrigsten Verkaufsgebote durch. Das Angebot geht zum höchstmöglichen, die Nachfrage zum niedrigstmöglichen Kurs aus dem Markt. Das entspricht dem klassischen Marktmodell der ökonomischen Theorie. Zum Gesamtkurs ist der Markt geräumt. Da – im Gegensatz zu einem in einer Kollektivverhandlung ermittelten Einzelkurs – die Zahl der mit eigenen Geboten an der Kursermittlung Beteiligten (Anleger, Händler etc.) bei einem Gesamtkurs gewöhnlich größer und ein Gebot die folgenreichste und damit glaubwürdigste Markteinschätzung ist, stuft man die Qualität eines als Gesamtkurs ermittelten Effektenpreises besser ein als die anderer Kursarten (Schwartz, R.A. 1991, S. 183 – 185; Schiereck, D. 1997 stützt diese Auffassung experimentell). Um in diesem Sinne zu einem möglichst guten Ausgangspunkt zu kommen, ist der Eröffnungskurs an namhaften Börsen ein Gesamtkurs, und in XETRA wird auch nach Handelsunterbrechungen wegen hoher Volatilität ein Gesamtkurs ermittelt. Die in Deutschland bekanntesten Gesamtkurse waren bis 2000 die Einheitskurse. Der Anteil am deutschen Börsenumsatz, der sich zu Gesamtkursen ergibt, scheint allerdings inzwischen unter 10% abgesunken zu sein (Schmidt, H./Oesterhelweg, O./Treske, K. 1996; Theissen, 1998; Kampovsky, A.-K./Trautmann, S. 1999).
Bisher wurde davon ausgegangen, dass die Gebote, die den Kurs bestimmen, unmittelbar vor dem Abschluss der Geschäfte zu einem Einzelkurs oder Gesamtkurs abgegeben wurden. Das entspricht dem Prinzip der Kongruenz von Abschlusszeitpunkt und Zeitpunkt der kurswirksamen Limitierung und macht es wahrscheinlich, dass der Kurs auch aktuelle Informationen widerspiegelt. Die Gebote in den Orderbüchern der Börse sind aber nicht immer so frisch, sie können Minuten, Stunden oder Tage alt sein. Deshalb empfehlen sich börsliche Handelsverfahren, bei denen unmittelbar vor der Kursfeststellung in einer so genannten zweiten Bietstufe aktuelle Gebote generiert werden (Schmidt, H./Küster-Simic, A. 1999).

d) Exkurs: Marketmakerprinzip


Ein Marketmaker ist ein Händler, der während der Geschäftszeit stets bereit ist, wenigstens eine Schlusseinheit bestimmter Titel auf Anfrage entweder zu einem von ihm genannten Kurs zu kaufen (Geldkurs) oder sie zu einem gleichzeitig genannten höheren Kurs zu verkaufen (Briefkurs), und zwar ohne bei der Nennung der Kurse zu wissen, ob der Anfragende kaufen oder verkaufen möchte. Die Differenz beider Kurse ist die gestellte Spanne des Marketmakers (zur Spannensystematik siehe Treske, K./Oesterhelweg, O. 1996). In elektronischen Quotations- oder Handelssystemen stellt der Marketmaker Geld- und Briefkurs (Quote) auch ohne Anfrage.
Der Marketmaker unterliegt einem Regelmechanismus, der ihn dazu veranlasst, möglichst kleine Spannen um den markträumenden Kurs zu stellen und etwaige Abweichungen vom marktgerechten Kurs schnell zu korrigieren. Ziel des Marketmakers ist ein möglichst hoher Umsatz, um die Spanne zwischen Kauf- und Verkaufskurs zu realisieren, ohne dabei Bestände aufzubauen und die damit verbundenen Kosten und Risiken zu tragen. Stellt er marktwidrige Kurse, gleichen sich Käufe und Verkäufe nicht aus, und er baut unerwünschte Bestände auf. Stellt er zu große Spannen um den marktgerechten Kurs, beeinträchtigt das seinen Umsatz. Dieser Regelmechanismus führt dazu, dass das in der gestellten Spanne ausgedrückte Urteil des Marketmakers über den markträumenden Kurs eine höhere Qualität hat als das Urteil einfacher Käufer und Verkäufer (Schmidt, H. 1977; Schmidt, 1988; Mildenstein, E./Schleef, H. 1983; Treske, K. 1996).
Handel nach dem Marketmakerprinzip liegt vor, wenn nur ein einziger Bieter involviert ist und dieser ein Marketmaker ist. Dabei werden stets Einzelkurse in Einzelverhandlung ermittelt. Aufgrund des oben beschriebenen Regelmechanismus\' ist die Feststellung eines qualifizierten Kurses wahrscheinlicher als in gleicher Situation ohne Marketmaker-Beteiligung. Dieses Prinzip ist besonders für den außerbörslichen Handel wichtig.
Sobald mehrere Bieter involviert sind, liegt ein Handel nach dem Auktionsprinzip vor. Wenn ausschließlich Marketmakern erlaubt ist, Gebote zu stellen, spricht man von einem Multi-Marketmaker-System oder vom Händlerauktionsmarkt (er ist quote driven, wie z.B. NASDAQ in seiner ursprünglichen Form). Wenn es kein Bietprivileg der Marketmaker gibt, die Geld-Brief-Spanne also (auch) aus Geboten von Anlegern entsteht, ist die Börse order driven. Man hat es dann mit Anlegerauktionsmärkten zu tun, die in der Form des Agency-auction market (NYSE, XETRA, EUREX) nach wie vor als Börsentyp dominieren. Sie sind in ihrer Agency-Komponente aber durch die Möglichkeit des direkten elektronischen Fernzugangs für institutionelle und zunehmend auch individuelle Anleger bedroht, so dass der Anlegerauktionsmarkt in Form der offenen Börse wieder an Bedeutung gewinnen könnte (Schmidt, H. 2001).

IV. Die Börse als Zwei-Güter-Markt


1. Zwei-Güter-Hypothese


Die obigen Ausführungen könnten das oft geäußerte Urteil nahe legen, die Auktion zu Gesamtkursen sei das überlegene Verfahren, um qualifizierte Kurse zu bestimmen. Damit stellt sich die Frage, warum in der Realität auch andere Verfahren Verwendung finden. Kernpunkt der Antwort auf diese Frage ist die Erkenntnis, dass bei jeder Transaktion an der Börse zwei Güter gehandelt werden, das Wertpapier und der Transaktionsservice.
Börsen sind Anbieter einer Handelsdienstleistung. Wie jeder Anbieter einer Leistung wird auch die Börse die von ihr angebotene Leistung an den Bedürfnissen ihrer Kunden ausrichten. Die Kunden der Börse sind Anleger, Emittenten und Börsenmitglieder, im Handel am Sekundärmarkt in erster Linie die Anleger. Die Anleger sind in ihren Bedürfnissen heterogen (dazu ausführlich Oesterhelweg, O. 1998). Damit ist von den beiden, in einer Transaktion gleichzeitig gehandelten Gütern das eine homogen, nämlich das standardisierte Wertpapier, während das andere Gut, die Dienstleistung, individuell von den einzelnen Börsen unmittelbar oder über ihre Mitglieder angeboten wird.
Der Transaktionsservice, z.B. fortlaufender Handel und Anlegerschutz durch Marktorganisation, hat zwei Dimensionen, Qualität und Preis. Qualität und Preis der Börsenleistungen können sich bei den Kunden als Kosten niederschlagen. Der Preis der Transaktionsleistung führt zu pagatorischen Transaktionskosten, unzureichende Qualität ex ante häufig zu kalkulatorischen Transaktionskosten. Für Börsen besteht also ein Qualitäts-Preis-Optimierungsproblem für die von ihnen angebotenen Effektenhandelsleistungen. Dieses Problem ist Gegenstand der Mikrostrukturtheorie (siehe hierzu O\'Hara, M. 1995). Eine Erläuterung dieses Gedankengangs am Beispiel der Transaktionsleistungen Sofortigkeitsservice und Anlegerschutz kann der interessierte Leser unter dem Stichwort Börsenkursbildung in der zweiten Auflage des HWF finden.

2. Zentraler vs. dezentraler Handel


Art, Umfang, Qualität und Preis der Effektenhandelsleistungen von Börsen im Zusammenspiel mit den Präferenzen der Kunden schlagen sich im Transaktionskalkül der Kunden nieder und haben so Einfluss auf Angebot und Nachfrage und damit auf den Kurs. Das hat Konsequenzen für die Frage, ob ein Wertpapier an verschiedenen Börsen gehandelt werden soll. Der Wettbewerb, der durch den Handel eines Wertpapiers an mehreren Börsen entsteht, führt bei statischer Betrachtung tendenziell dazu, dass die heterogenen Kundenpräferenzen für Effektenhandelsleistungen von Börsen optimal befriedigt werden. Bei dynamischer Betrachtung sorgt der Wettbewerb für die optimale Reaktion auf Veränderungen der Kundenpräferenzen und für den Anreiz, den Grad der Befriedigung bestehender Präferenzen zu steigern.
Die Vorteile des dezentralen Handels bei der Produktion des nicht standardisierten Gutes, der Handelsleistung, müssen gegen mögliche Nachteile des dezentralen Handels des standardisierten Gutes, dem Wertpapier, abgewogen werden. Dem zentralen Handel eines Wertpapiers wird ein Leistungsvorsprung bei der Ermittlung fairer, arbitragefreier, informationseffizienter und allokationsoptimaler Kurse zugeschrieben. Doch bei dem heutigen Stand der Informations- und Kommunikationstechnik zentralisiert sich der standardisierte Teil einer Börsentransaktion gewissermaßen selbst (Garbade, K.D./Silber, W.L. 1978; zur Rolle von Adapters siehe Domowitz, I./Steil, B. 1999, S. 42 f.). Unter diesen Bedingungen gewährleistet schon die Ausgleichsarbitrage einen einheitlichen Preis für ein dezentral gehandeltes Wertpapier. Die Gewinne aus der Differenzarbitrage zu Lasten der Anleger werden, wenn es dazu überhaupt noch kommt, sehr klein sein.
Zu beachten ist, dass die Arbitragebeziehung primär für den Preis des homogenen Wertpapiers gilt. Arbitragefreiheit hat nicht zwingend identische Börsenkurse zur Folge, da der Börsenkurs zusätzlich den Preis für die börsen-, kunden- und transaktionsindividuelle Effektenhandelsleistung umfasst.
In den letzten Jahren scheint sich der Wettbewerb zwischen den Anbietern börslicher Handelsmöglichkeiten verschärft zu haben (zu den regulatorischen Folgen der raschen Veränderung siehe Hopt, K.J./Baum, H. 1997). Bis in die achtziger Jahre hinein stand der inländische Wettbewerb zwischen traditionellen Mitgliederbörsen im Vordergrund (Schmidt, H. 1992). Seitdem hat der grenzüberschreitende Börsenwettbewerb, gefördert durch elektronischen Fernzugang (Big Bang 1986) und Fernmitgliedschaften, sehr an Bedeutung gewonnen. Die Tendenz, dass sich die Börsen von ihren Mitgliedern emanzipieren, lässt auch weiterhin wettbewerbliche Vorstöße in schneller Folge erwarten. Immer mehr Börsen verstehen sich nicht mehr als transaktionskostensenkender Hilfsbetrieb, sondern als marktwertmaximierendes Marktorganisatorunternehmen. Immer mehr Börsen verlassen die Governance-Struktur Verbandbetrieb und wechseln zur Kapitalgesellschaft oder werden wie 1972 Ariel (Automated Real-Time Investments Exchange Limited, Schmidt, H. 1977, S. 66 f.) oder 1988 die Deutsche Terminbörse GmbH gleich als Kapitalgesellschaft gegründet (Schmidt, H./Prigge, S. 1995, S. 43 f.). Auch das dürfte letztlich zu einer anlegerorientierten Ausdifferenzierung von Handelsdienstleistung und Handelsverfahren beitragen, gleichgültig, ob die Gesellschafter reine Investoren sind oder als Anleger börsenprivilegierte Händler oder Agenten ein bestimmtes Handelsverfahren beibehalten oder weiterentwickelt sehen möchten (Hart, O./Moore, J. 1996; Rudolph, B./Röhrl, H. 1997; Köndgen, J. 1998; Lee, R. 1998; Domowitz, I./Steil, B. 1999; Niedereichholz, D. 2004).
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