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Postkeynesianische (Analyse) Theorie

Bezeichnung für volkswirtschaftliche Theorien , die eine Weiterentwicklung des Ansatzes von John M. Keynes (Keynessche Theorie) darstellen und i. Ggs. zur Klassischen und Neoklassischen Theorie stehen. Zwei Schwerpunkte des Ansatzes von Keynes können unterschieden werden. Zum einen werden Rigiditäten bei Preisen , Löhnen und Zinsen berücksichtigt, zum anderen die Unsicherheit künftiger Entwicklungen . Beides steht i. Ggs. zum Gleichgewichtsansatz (Gleichgewicht) der Klassischen u. Neoklassischen Theorie, wonach Konkurrenz , Flexibilität und perfekte Information der Wirtschaftssubjekte ein Gleichgewicht auf allen Märkten garantieren, d. h. insbesondere auch Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt . Was die Rigiditäten anbelangt, so können drei Fälle unterschieden werden, in denen ein Unterbeschäftigungs -Gleichgewicht entstehen kann (Keynesianische Theorie). Im Fall starrer Nominallöhne nach unten ist die Unterbeschäftigung Folge mangelnder Lohnflexibilität . In den Fällen der zinsunelastischen (Elastizitäten ) Investitionsnachfrage ((Investitionstheorie) bzw. der völlig zinselastischen Geldnachfrage (Geldtheorie, Liquiditätsfalle) ist, soweit der Vermögenseffekt (Konsumtheorie) ausgeschlossen wird, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage völlig preisunelastisch, so daß nur durch eine expansive Fiskalpolitik die Vollbeschäftigung erreicht werden kann. Diese Interpretationen des Ansatzes von Keynes werden in der Makroökonomik als Spezialfälle im Rahmen des Gleichgewichtsansatzes der Neoklassischen Theorie dargestellt, was auch als Neoklassische Synthese (Teil der P. im weiten Sinn) bezeichnet wird. Die wichtigsten Vertreter sind Alvin H. Hansen, John R. Hicks, Lawrence R. Klein, Franco Modigliani, Don Patinkin, Paul A. Samuelson und James Tobin. Die Vertreter der P. (im engen Sinn) halten dagegen den Ansatz von Keynes für grundsätzlich unvereinbar mit der Methodik der Neoklassischen Theorie. Die wichtigsten Vertreter sind Paul Davidson, Roy F. Harrod, Richard F. Klein, Nicholas Kaldor, Michael Kalecki, Jan A. Kregel, Hymen P. Minsky, Joan Robinson und George L. S. Shackle. Gemeinsame Merkmale sind die Betonung der Unsicherheit und  damit eng zusammenhängend  die grundsätzliche Ablehnung der Methodik des Gleichgewichtansatzes der Klassik/Neoklassik. Wesentliche Aussagen betreffen die Instabilität von Marktwirtschaften (Konjunkturtheorie), die Bedeutung von Marktunvollkommenheiten , die Rolle des Geldes (Geldtheorie), die historische und institutionelle Bedingtheit wirtschaftlichen Geschehens und die Bedeutung von Global- und Einkommensgrößen (Verteilungstheorie, Wachstumstheorie). In dieser postkeynesianischen Sicht können zukunftsgerichtete Entscheidungen, d. h. insbesondere Investitions- (Investitionstheorie) und Portfolioentscheidungen (Portfoliotheorie) nur unter Unsicherheit (i. Ggs. zum Risiko , wo über die möglichen künftigen Entwicklungen Wahrscheinlichkeitsverteilungen (Wahrscheinlichkeit) existieren) getroffen werden. Nicht antizipierte, neue Informationen lösen in diesen Bereichen Erwartungsänderungen aus, die auf die Entscheidungen zurückwirken und so den Wirtschaftsablauf destabilisieren. In den Gleichgewichtsansätzen ist dies ausgeschlossen, da entweder aufgrund perfekter Voraussicht bzw. perfekt funktionierender Terminmärkte alle relevanten Informationen verfügbar sind, oder  in der Theorie des temporären Gleichgewichts (Gleichgewicht,
2.)  stabilisierend wirkende Erwartungsbildungen vorliegen. Postkeynesianische Vertreter nehmen ferner an, daß die Wirtschaftssubjekte die Unsicherheit durch entsprechende Vertragsgestaltung (z.B. Arbeitsverträge) und fest vereinbarte Preise zu vermindern versuchen. Damit wird die in weiten Bereichen realer Marktwirtschaften trotz der unsicheren Zukunft vorhandene relative Stabilität des Wirtschaftsablaufs begründet. In dieser Sicht sind aber Rigiditäten bei Preisen, Löhnen und Zinsen  und damit Erscheinungen wie ungleichgewichtige Märkte und dauerhafte unfreiwillige Arbeitslosigkeit  nicht Marktunvollkommenheiten, die es durch mehr Konkurrenz (Wettbewerbspolitik) zu beseitigen gilt, sondern notwendige Kennzeichen von Marktwirtschaften bei Unsicherheit. Die Betonung der Unsicherheit hat weiterhin Konsequenzen für die Interpretation der Rolle des Geldes. Bei Unsicherheit wird Geld nicht nur zu Transaktionszwecken gehalten (Quantitätstheorie), sondern auch aus Vorsichts- und Spekulationsgründen, um bei unerwarteten Zahlungsverpflichtungen liquide zu sein und um Kursverluste bei Wertpapieranlagen zu vermeiden (Geldtheorie). Erwartungsänderungen verursachen Verschiebungen der Geldhaltungswünsche, so daß der Wirtschaftsablauf auch aufgrund der instabilen Geldnachfrage destabilisiert wird.  Was die Seite des Geldangebots (Geldangebotstheorie) anbelangt, so ist in postkeynesianischer Sicht Inflation nicht durch Geldmengenbegrenzung vermeidbar (Quantitätstheorie). Preissteigerungen sind primär Folge von (Lohn-)Kostensteigerungen in Verteilungskämpfen (Inflation , Lohn -Preis-Spirale). Zudem ist die Geldmenge durch die Notenbank nicht autonom kontrollierbar, da die Wirtschaftssubjekte bei restriktiver Geldpolitik auf geldnahe Surrogate ausweichen. Allerdings werden der Geldpolitik  i. Ggs. zum Monetarismus Wirkungsmöglichkeiten auf Produktion und Beschäftigung zugestanden. Die künftige Inflationsrate ist wg. der Unsicherheit nicht vorhersehbar und es kann somit zu unerwarteten Reallohnänderungen (Reallohn) mit Beschäftigungswirkungen kommen. Postkeynesianer betonen, daß die Wirtschaft kein mechanistisch ablaufender Prozeß ist. Institutionelle und gesetzliche Rahmenbedingungen sind wesentliche Einflußfaktoren, die ständigen Wandlungen unterworfen sind. Reale Wirtschaftsprozesse sind folglich nur in ihrer historischen Einmaligkeit zu verstehen und kaum anhand einiger quantitativer Daten prognostizierbar. In der P. spielen schließlich  i. Ggs. zur Klassik/Neoklassik  Einkommenseffekte analytisch eine vorrangige Rolle und nicht Substitutionseffekte relativer Preisänderungen. Die Beschäftigung ist primär nicht durch den Reallohn, sondern durch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, insbesondere die Investitionsnachfrage (Multiplikator) determiniert. Die Wachstums- und Verteilungstheorie sind eng miteinander verknüpft, da Investitions - und Sparquoten in beiden Bereichen die wesentlichen Einflußgrößen sind. Die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der P. ergeben sich aus der für Marktwirtschaften diagnostizierten Neigung zu Instabilitäten. Die weitestgehende Strategie ist die Ersetzung der Marktwirtschaft durch eine Zentralplanwirtschaft . Im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung verbleiben die Strategie einer mehr oder weniger weitgehenden Verstaatlichung des Industrie- und des Bankensektors zur Kontrolle der Kapitalbewegungen und die schwächere Strategie einer interventionistischen (Interventionismus) Globalsteuerung des Wirtschaftsprozesses mit den Instrumenten der Geld- und Fiskalpolitik und der Einkommenspolitik . Die Problematik dieser Strategien besteht darin, daß durch eine Zentralisierung der Entscheidungsprozesse lediglich die Entscheidungskompetenzen verlagert werden, nicht jedoch die Unsicherheit beseitigt wird. Auch zentrale Entscheidungsträger verfügen nicht über perfekte Voraussicht. Die Frage, ob zentral oder dezentral organisierte Wirtschaftssysteme besser zur notwendigen Informationsbeschaffung und -verarbeitung geeignet sind, kann theoretisch nur schwer beantwortet werden. Die Entwicklung realer Wirtschaftssysteme spricht  bei allen Unvollkommenheiten realer Marktwirtschaften  für die Überlegenheit dezentraler Organisationsformen.

Literatur: A. S. Eichner, Über Keynes hinaus. Eine Einführung in die postkeynesianische Ökonomie. Köln 1982. Journal of Post Keynesian Economics, laufende Bände. K. W. Rothschild, Einführung in die Ungleichgewichtstheorie. Berlin 1981.

 

 


 

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