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Regionalpolitik

Regionale Wirtschaftspolitik oder regionale Strukturpolitik ist der explizit räumlich ausgerichtete Zweig der allgemeinen Strukturpolitik. Aufbauend auf einer regionalen Gliederung der volkswirtschaftlichen Fläche versucht sie, über die Beeinflussung der Wirtschaftsstruktur  z.B. der Sektoral-, Betriebsgrößen- oder Infrastruktur  bestimmter Teilgebiete (Fördergebiete) das Regionalgefüge  gemessen anhand der Anteile der Regionen an wichtigen gesamtwirtschaftlichen Größen  zwecks besserer Durchsetzung gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Anliegen zu verändern. Hierbei werden vor allem wachstums-, ausgleichs- und sicherungspolitische Zielsetzungen betont. Da eine Begründung der R. über das sog. "Marktversagen" i.d.R. große Schwierigkeiten bereitet, bezieht man sich in der Praxis zu ihrer Legitimierung zumeist auf das räumliche Ausgleichsanliegen, gemäß dem der Staat möglichst gleichwertige (Mindest-)Lebensbedingungen in allen Teilgebieten eines Staatswesens zu gewährleisten habe. Die praktische R. besitzt darum in starkem Maße Züge einer allokativen Verteilungspolitik im Raum. Mit anderen Worten: Über die gezielte Beeinflussung der räumlichen Produktionsaktivitäten will sie eine als "angemessen" angesehene (Mindest-)Beteiligung der über die Regionen verteilten Einwohner eines Landes an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung  zumeist gemessen am Bundesdurchschnitt  erreichen. Man kann hierbei zwischen einer leitbildorientierten und einer eher ordnungspolitischen (Ordnungspolitik) Ausgestaltung der Regionalpolitik unterscheiden, wobei in der Praxis die erstere dominiert. Die leitbildorientierte R. interveniert  aufbauend auf einer Diagnose der regionalwirtschaftlichen Disparitätensituation und der Analyse zukunfts- und zielrelevanter Entwicklungstrends unter Berücksichtigung der als bekannt vorausgesetzten Ziel-Mittel-Zusammenhänge  zugunsten rückständiger bzw. strukturell gefährdeter Gebiete (sog. Fördergebiete) und stellt eine Spielform quantitativ-interventionistischer Wirtschaftspolitik dar. Man unterscheidet hierbei zwischen einem klassischen und einem neueren räumlDisparitätenmuster. Das klassische Disparitätenbild, gemäß dem die verdichteten Gebiete i.d.R. als gut und die peripher gelegenen ländlichen Räume als schlecht entwickelt galten, änderte sich im Verlauf der siebziger Jahre. Gemessen an der Höhe der Arbeitslosigkeit , traten damals nämlich auch altindustrielle Verdichtungsgebiete (vor allem Montanreviere und Werftenregionen) in den Vordergrund und erfahren daher zunehmend eine regionalpolitische Unterstützung. Als Ansatzpunkte einer Beeinflussung regionaler Entwicklungsprozesse stehen grundsätzlich die Nachfrage wie auch ausgewählte Angebotsdeterminanten (z.B. die regionale oder örtliche Realkapitalbildung, die Infrastruktur, das Arbeitskräftevolumen, Humankapital (human capital) oder der technische Fortschritt) zur Verfügung. Besonderer Beliebtheit erfreut sich bis jetzt die realkapitalorientierte R. (Hauptansatzpunkte: gewerbliche Produktivkapitalbildung und Infrastrukturinvestitionen), die man neuerdings um die gezielte Unterstützung von Forschung, Entwicklung und Unternehmungsgründungen (sog. innovationsorientierte R.) zu ergänzen versucht. Als Instrumente einer derartigen Strukturpolitik gelangen vor allem finanzielle Anreize (Investitionszulage bzw. Investitionszuschüsse) zum Einsatz. Unter dem Blickwinkel der wirtschaftsstrukturellen Anpassungsprobleme der altindustriellen Problemgebiete rückt neuerdings auch die Beeinflussung der institutionellen Hemmfaktoren, insbesondere der Abbau der flexibilitätsmindernden Wirkung vieler rechtlichen Rahmenbedingungen (vor allem im Bereich des Planungs-, Bau- und Umweltrechts) in den Vordergrund. Bei der Auswahl der förderungswürdigen Tatbestände nimmt man i.d.R. eine sachliche und räumliche Schwerpunktbildung vor. So beschränkt man unter sachlichen Überlegungen die Investitionsanreize auf sog. Primäraktivitäten. Gemäß der Exportbasis-Theorie sind dies Produktionsaktivitäten, deren Produktionsergebnis vor allem außerhalb der Regionsgrenzen abgesetzt wird. Bedingt durch den auf eine "Exportsteigerung" zurückzuführenden regionalen Multiplikatorprozeß (Multiplikatorprinzip), kommt es gemäß diesem Konzept zu einer intraregionalen Nachfrageausweitung, die vor allem eine Expansion des regionsinternen Dienstleistungssektors (Sekundäraktivitäten) zur Folge hat. Die räumliche Schwerpunktbildung führt zum Schwerpunktorteprinzip. Es baut auf der Theorie der zentralen Orte, der Wachstumspoltheorie sowie der Agglomerationsforschung auf und sieht  neben der Lage und der Ressourcenausstattung  vor allem in der Siedlungsstruktur (definiert über die Einwohnerdichte und die Zentrengröße) eine wichtige Größe zur Erklärung regionaler Wachstumsvorgänge. Danach wirkt eine Investitionstätigkeit in regionaler Hinsicht vor allem dann wachstumsverstärkend, wenn sie räumlich konzentriert stattfindet. Aus diesem Grund nimmt man i.d.R. eine räumliche Differenzierung der Fördersätze vor, wobei den Schwerpunktorten besonders günstige Förderungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Seit der GG-änderung (Artikel 91a GG) des Jahres 1969 sowie dem im Jahre 1970 in Kraft getretenen Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW) vom
6. Oktober 1969 fällt die R. in die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern (Bund-Länder-Kooperation oder vertikale Politikverflechtung). Damit fand eine verfassungsrechtliche Absicherung der auf diesem Gebiet bereits seit langer Zeit verbreiteten Mischfinanzierung und Kompetenzverschränkung statt. Ein Planungsausschuß stellt die für die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgabe entscheidenden, Bund und Länder verpflichtenden und jährlich an die aktuelle Entwicklung anzupassenden Rahmenpläne auf. Diesem Planungsausschuß gehören der Bundesminister für Wirtschaft als Vorsitzender sowie der Bundesminister der Finanzen und die Länderwirtschaftsminister und -senatoren an. Entscheidungen werden mit Drei-Viertel-Mehrheit (bei 11 Länder- und 11 Bundesstimmen) gefällt. Der erste Rahmenplan trat am 1.1.1972 in Kraft und baute noch weitgehend auf dem alten System der Regionalen Aktionsprogramme auf. Eine umfassende Neuabgrenzung der Fördergebiete und -instrumente nahm man im
4. Rahmenplan (1975) vor, eine weitere größere Korrektur erfolgte im 10. Rahmenplan (1981). Der 14. Rahmenplan (1985) erweiterte den Bereich der Primäraktivitäten, differenzierte die Realkapitalförderung nach dem Kriterium der Einkommenswertigkeit und bemühte sich um eine stärkere Innovationsorientierung. Eine umfassende Neuabgrenzung der Fördergebiete wird wieder für den 15. Rahmenplan erwartet. Aufgrund der Regelförderung sowie der Sonderprogramme (etwa für die Stahlstandorte oder Werftenregionen) befinden sich gegenwärtig (14. Rahmenplan, 1985) 35,2 v.H. der Bevölkerung der BRD im Bereich der Förderung. Hinzu tritt neuerdings ein regionalpolitischer Kompetenzanspruch der Europäischen Gemeinschaft. Hierbei beruft sich die EG-Kommission einmal auf die Artikel 92ff. EWG-Vertrag (Beihilfeaufsichtsverfahren) und zum anderen auf die am 1.1.1985 in Kraft getretene neue Verordnung Nr. 1787/84 des Rates betreffend den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Im Rahmen der Beihilfeaufsichtsverfahren prüft die Kommission vor allem, ob die auf nationaler Ebene beobachteten interregionalen Disparitäten die Gewährung von Fördermaßnahmen überhaupt rechtfertigen oder als nicht zulässige Wettbewerbsverfälschung angesehen werden müssen. Gegen die Wirtschaftsförderungsprogramme mehrerer Bundesländer wurden bereits Verfahren eingeleitet. Neuerdings mehrt sich die Kritik an der Institution der Gemeinschaftsaufgabe. So verweist man auf eine ökonomisch nicht gerechtfertigte Überzentralisierung, problematische Unitarisierungstendenzen, die zunehmende Inflexibilität, die Förderungsinflationierung, die abnehmende Ordnungsfunktion sowie die Gefahr der Politiksegmentierung. Ein ordnungspolitisch interessanter Vorschlag der Neugestaltung der R. läuft auf ein System konkurrierender Regionen bei Neugestaltung des Finanzausgleichs und Schaffung eines einheitlichen Wettbewerbsrahmens hinaus.

Literatur: D. Fürst/P. Klemmer/K. Zimmermann, Regionale Wirtschaftspolitik. Tübingen und Düsseldorf 1976. C. Noé, Regionale Wirtschaftspolitik, in: Grundriß der Raumordnung, hrsg. v. d. Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Hannover 1982, 496ff. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Chancen für einen langen Aufschwung. Jahresgutachten 1984/85, Stuttgart und Mainz 1984, 199ff.

 

 


 

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