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Führungstheorien


Inhaltsübersicht
I. Führung – Versuche einer Begriffsbestimmung
II. Ein Überblick über die Entwicklung
III. Neuere Theorieansätze
IV. Ausblick und kritische Würdigung

I. Führung – Versuche einer Begriffsbestimmung


Ein eingeborener Pfadfinder führt eine Expedition zu den Jagdgründen.
Eine Diskussion führt zu keinem Ergebnis.
Eine Führung durch ein Museum gefällt den Besuchern (oder auch nicht).
Die Führung eines Unternehmens wird durch die Aktionäre kritisiert.
Führung ist im deutschen Sprachgebrauch ein vielschichtiger Begriff. Auch in der wissenschaftlichen Terminologie gibt es keine einheitliche Definition des Führungsbegriffes. Weibler (Weibler,  2001) versucht, bestehende Bestimmungsversuche in folgender Definition zusammenzufassen:
Führung heißt, andere durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so zu beeinflussen, dass dies bei den Beeinflussten mittelbar oder unmittelbar ein intendiertes Verhalten bewirkt “ (Weibler,  2001, S. 29). Dieser Versuch kann aber nicht befriedigen. Wie kann nach dieser DefinitionFührung “ von „ Erziehung “ abgegrenzt werden? Besteht überhaupt ein Unterschied? Könnte mit der beschriebenen Definition nicht auch jedes sozial erfolgreiche Handeln beschrieben werden? Also auch z.B. der erfolgreiche Versuch, sich einer Bedienung in einem Lokal bemerkbar zu machen und das intendierte Verhalten zu bewirken? Würden wir dieses als erfolgreiche Führung bezeichnen? Wohl kaum. Ein Definitionsversuch von von Rosenstiel kommt der Realität näher:
„ Meist wird man bei der Nennung des Wortes Führung an das Handeln von betrieblichen Vorgesetzten denken, die sich bemühen, die Arbeit der ihnen unterstellten Personen zielgerichtet zu aktivieren und zu steuern. “ (Rosenstiel,  1999, S. 412).
Während die Bestimmung durch von Rosenstiel den Aspekt des Aufbaus einer Unternehmung in den Blickpunkt rückt, wird ein weiterer wichtiger Gesichtpunkt vernachlässigt. Von Rosenstiel spricht hier von „ Vorgesetzten “ und „ unterstellten Personen “ . Kann Führung nur in eine Richtung, von „ oben “ nach „ unten “ , geschehen? Eine weitere interessante Perspektive wird hier von Staehle (Staehle,  1999) eingebracht:
Führung ist die Beeinflussung der Einstellungen und des Verhaltens von Einzelpersonen sowie der Interaktionen in und zwischen Gruppen, mit dem Zweck, bestimmte Ziele zu erreichen “ (Staehle,  1999, S. 328). Führung kann von Gruppenmitgliedern in unterschiedlichem Umfang und Ausmaß wahrgenommen werden.
Führung wäre demnach eine Verhaltensbeeinflussung, die sowohl von „ oben “ nach „ unten “ , als auch in der entgegengesetzten Richtung verlaufen kann. Zusätzlich kann hier auch eine Verhaltensbeeinflussung zwischen verschiedenen Gruppen als Führung verstanden werden.
Einen diskussionsfähigen Definitionsversuch liefert Weinert (Weinert,  1989, S. 555):

-

Führung ist ein Gruppenphänomen (das die Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen einschließt);

-

Führung ist intentionale soziale Einflussnahme (wobei es wiederum Differenzen darüber gibt, wer in einer Gruppe auf wen Einfluss ausübt und wie dieser ausgeübt wird, u.v.m.);

-

Führung zielt darauf ab, durch Kommunikationsprozesse Ziele zu erreichen. “


In eine ähnliche Richtung zielt der systemtheoretische Definitionsversuch von Badke-Schaub (Stempfle, /Badke-Schaub,  2005). Führung wird hier nicht als ein einzelnes Verhalten (zielbezogene Beeinflussung, Strukturiertheit von Interaktion, etc.), auch nicht als Summe von Aktivitäten, sondern vielmehr als zentrale Funktion in sozialen Systemen, die sich mit der Steuerung des Systems befasst gesehen. Das Verhalten, das gezeigt wird, unterscheidet sich nach Stempfle, /Badke-Schaub, zunächst nicht von anderem Verhalten. Führungsverhalten ist ohne seine funktionale Einbettung, ohne die Steuerungsfunktion, der das Verhalten im Kontext des sozialen Systems dient, nicht als Führungsverhalten zu identifizieren.
Im Hinblick auf die „ neuen “ Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wird immer wieder eine neue Art der Führung bzw. eine neue Führungsgeneration gefordert. Eine Kontrastierung der Charakteristika heutiger Manager und zukünftiger Führer findet man bei Weinert. Der zukünftige Führer soll demnach mehr Innovator als Administrator sein, er soll Vertrauen initiieren, statt sich auf Kontrolle zu verlassen etc. (Weinert,  1998, S. 475).
Wir haben es also hier mit einem Phänomen zu tun, das zwar großen Einfluss auf organisatorische Prozesse besitzt, sich aber einer definitorischen Fassung entzieht. Zusätzlich scheinen technische und gesellschaftliche Entwicklungen neue Anforderungen an „ Führung “ zu formulieren, die bisher nicht oder nur teilweise beantwortet werden können.

II. Ein Überblick über die Entwicklung


1. Der erste Versuch – erfolgreiche Führung als Eigenschaft oder als Verhaltensstil

a) Eigenschaftstheorien


Der eigenschaftstheoretische Erklärungsversuch stellt den ältesten Zugang zum Phänomen „ Führung “ dar, ist aber in diversen neueren Formulierungen auch in der derzeitigen Diskussion nicht ohne Einfluss. Führung ist demnach ein Phänomen, das sich aus einer Eigenschaft des Führers (z.B. Vorgesetzten) erklären lässt.
Als Eigenschaften werden in der Psychologie relativ breite und zeitlich überdauernde Dispositionen verstanden, die in den verschiedensten Situationen konsistent auftreten. Im angloamerikanischen Sprachgebrauch werden diese zeitlich und situational konsistenten Dispositionen als traits bezeichnet. Erste Ansätze zu einer psychologischen Erforschung der Eigenschaften, die einer erfolgreichen Führung zu Grunde liegen, sind vor etwa 80 Jahren auszumachen (Kohs, /Irle,  1920). Der empirische Zugang lag hier in der Frage, welche Eigenschaften erfolgreiche Führer von weniger bzw. nicht erfolgreichen Führern unterscheiden. Die Befunde dieser Untersuchungen sind als sehr heterogen einzuschätzen (vgl. Stogdill,  1948; Delhees,  1995).
Die durchschnittlich am stärksten ausgeprägten Zusammenhänge ergaben sich zwischen den Variablen „ soziales Geschick “ sowie „ Beliebtheit “ und eben der Variable „ Führungserfolg “ (vgl. Tab. 1). Eine Kausalrelation ist hiermit natürlich nicht gegeben. Auch die Frage, ob Führungserfolg und Beliebtheit voneinander unabhängig sind, aber durch eine dritte Variable kausal beeinflusst werden (z.B. Wissen, Erziehung), kann nicht geklärt werden.
Führungstheorien
Tab. 1: Zusammenhang zwischen Führung und Persönlichkeitsfaktoren (Weibler,  2001, S. 138).
Aufgrund der großen Streuung in den Ergebnissen und der beschriebenen fehlenden Erklärung der Kausalitäten konnten und können diese Ansätze nicht vollständig überzeugen. In der Weiterentwicklung der Führungstheorien rückte in den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Verhaltenskomponente der Führung stärker in den Fokus.
Allerdings finden derartige Eigenschaftstheorien auch heute noch in der Praxis eine breite Anerkennung (Weibler,  2001, S. 141). Es wäre ein Trugschluss anzunehmen, dass Persönlichkeitseigenschaften des Führers und der Geführten im Sinne von Dispositionen keinen Einfluss auf den Führungsprozess hätten. Die frühen Erkenntnisse der Eigenschaftstheorie wurden in den folgenden Theorieansätzen integriert (Liebel,  1992, S. 112) und mit der charismatischen Führungstheorie entstand in den letzten Jahren auch eine Neo-Eigenschaftstheorie der Führung.

b) Verhaltensorientierte Theorieansätze


Die richtungsweisende Frage der verhaltenstheoretischen Ansätze war, wie sich erfolgreiche Führer in ihrem Verhalten von weniger erfolgreichen unterscheiden. Was tun Erstere, um eine effiziente und gleichzeitig zufriedene Arbeitsgruppe zu führen? Zwei zeitlich fast parallel arbeitende Forschungsgruppen in Ohio und Michigan führten in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts hierzu umfangreiche Studien durch. Das empirische Vorgehen in den Untersuchungen war sehr ähnlich. Mitarbeiter einer Führungsperson wurden über deren Verhalten befragt. Anschließend wurde versucht, aus diesen Verhaltensbeschreibungen eine möglichst kleine Anzahl relevanter Verhaltensdimensionen zu isolieren, die eine Prognose von zukünftigem Verhalten leisten sollten. Beide Gruppen kamen auch in ihren Ergebnissen zu sehr ähnlichen Kategorien (s. Tab. 2).
Führungstheorien
Tab. 2: Ohio- und Michigan – Studies.
Diese Einführung von Zwei-Faktoren-Modellen hat eine Entwicklung initiiert, die ihren Niederschlag in der Führungsstildiskussion fand. Diese Theorien wurden z.T. weiterentwickelt und verfeinert (Managerial Grid von Blake, /Mouton,  1969); zum Teil um weitere Faktoren ergänzt (4-Faktoren-Modell von Bowers, /Seashore,  1966). Die Diskussion um Führungsstile soll hier nicht vertieft werden. Kritisch zu sehen ist, ob zwei (oder auch vier) Dimensionen zur Beschreibung des komplexen Phänomens „ Führung “ ausreichen. Vom methodischen Standpunkt ist die Erfassung des Führungsverhaltens durch Fragebögen als besonders kritisch einzuschätzen (eine umfassende Kritik findet sich bei Liebel,  1992, S. 128; Weibler,  2001, S. 314).
Trotz dieser Kritik wurden die Ohio und Michigan Studien vielfach rezipiert und vor allem als Basis für die Entwicklung von Führungstrainings genutzt (RRR des Führungsverhaltens, Blake, /McCanse,  1995; Reifegrad-Modell, Hersey, /Blanchard,  1982).

2. Situative Führungstheorien


Nachdem bisher Führungstheorien im Mittelpunkt standen, die sich schwerpunktmäßig auf die Person des Führenden, auf seine Eigenschaften und auf sein Verhalten konzentrierten, soll in diesem Kapitel die wichtigste situative Führungstheorie in ihren Kernpunkten referiert werden.
Die Kontingenztheorie der Führung von Fiedler (Fiedler,  1967) kann als „ situativer “ Wendepunkt innerhalb der Geschichte der Führungstheorien angesehen werden. Fiedler geht davon aus, dass Führungserfolg abhängig ist von zwei interagierenden Faktoren. Dies ist zum einen das Ausmaß an Kontrolle über den Arbeitsprozess und das Arbeitsergebnis ( „ situative Kontrolle “ ), das einem Führer zur Verfügung steht und zum anderen die zeitlich überdauernde aufgabenorientierte oder mitarbeiterorientierte Motivation des Führers ( „ Führungsstil “ ).
Die situative Kontrolle kann nach Fiedler aufgrund von drei kritischen Dimensionen eingeordnet werden:

-

Führer-Geführten-Beziehungen: Die Unterstützung des Führers durch die Gruppe; die persönlichen Beziehungen des Führers zu seinen Gruppenmitgliedern

-

Aufgabenstruktur: Das Ausmaß, in dem die Aufgabe klar definiert ist, die Ziele verdeutlicht sind und der Weg zur Zielerreichung festgelegt ist

-

Positionsmacht: Die legale Macht des Führers, Gruppenmitglieder belohnen oder bestrafen zu können


Aufgrund der Ausprägung auf diesen Dimensionen ergeben sich Situationen von geringer bis hoher „ situativer Günstigkeit “ .
Die Aufgaben- oder Beziehungsorientierung des Führers operationalisiert Fiedler, durch die „ Least-Preferred-Co-worker “ Skala (LPC). Anhand einer Skala von 18 bipolaren Items (z.B. streitsüchtig – ausgleichend; widerlich – nett) sollen Führer denjenigen Mitarbeiter einschätzen, mit dem sie in der Vergangenheit oder der Gegenwart am wenigsten gerne zusammengearbeitet haben bzw. zusammenarbeiten. Diese Einschätzungen werden zu einem LPC-Wert des Führers aufsummiert (Fiedler, et al. 1979, S. 16). Ein Führer mit einem hohen LPC – Wert beschreibt auch den am wenigsten geschätzten Mitarbeiter mit postiven Eigenschaftsausprägungen, während ein Führer mit niedrigem LPC-Wert ihn durch sehr negative und zurückweisende Bezeichnungen beschreibt. Für Fiedler bedeutet ein hoher LPC-Wert den Führungsstil der Personenorientierung und ein niedriger Wert bedeutet Aufgabenorientierung.
Da der situative Ansatz davon ausgeht, dass es nicht einen erfolgreichen Führungsstil gibt, untersuchte Fiedler, , wie die Günstigkeit einer Situation und der praktizierte Führungsstil interagieren. Nach seinen Ergebnissen sind in extrem günstigen und in extrem ungünstigen Situationen aufgabenorientierte Führer erfolgreicher, in Situationen mittlerer Günstigkeit personenorientierte Führer. In weiteren Untersuchungen konnten als eine dritte Kategorie Personen mit einem mittleren LPC-Wert ermittelt werden. Diese Personen, die einen „ sozial-unabhängigen “ Führungsstil haben, zeigen scheinbar die besten „ Führungs “ -Leistungen in Situationen von hoher Günstigkeit. Sie sind dagegen in Situationen von geringer Günstigkeit „ relativ schwach “ (Fiedler, et al. 1995, S. 944). Fiedler räumt ein, dass weitere Forschungsanstrengungen notwendig sein werden, um ein klareres Profil zu ermitteln.
Fazit des Modells ist, dass nicht ein Führungsstil per se besser ist, sondern dass Führungseffektivität gleichermaßen durch den Führungsstil und durch die Situation bedingt wird (vgl. Weibler,  2001, S. 332). Aus dieser Aussage lassen sich praktische Empfehlungen für die Steigerung der Effektivität ableiten. Fiedlers Ansatz führte zu einer Flut von Untersuchungen. Die Kritikpunkte an der Kontingenztheorie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

-

Die Operationalisierung der VariableFührungsstil “ durch die LPC-Skala ist unbefriedigend.

-

Die Auswahl, Operationalisierung und Rangordnung der Situationsvariablen „ Führer-Geführten-Beziehung “ , „ Aufgabenstruktur “ und „ Positionsmacht “ erscheint willkürlich. Zwischen diesen als unabhängig postulierten Variablen bestehen höchstwahrscheinlich korrelative Beziehungen.

-

Die Betonung der Kriteriumsvariablen „ Leistung “ verkürzt die komplexen Zusammenhänge innerhalb des Führungsprozesses und der jeweiligen Organisation.


Neuere Ansätze von Fiedler verwenden die Prinzipien der Kontingenztheorie zur Entwicklung einer Theorie der „ kognitiven Ressourcen “ (Fiedler,  1986).

3. Path-Goal Theorien der Führung


Innerhalb der Path-Goal Theorien wird zum ersten Mal der Geführte (vor allem dessen Motive) in einer Führungstheorie mit einbeschlossen. Die Theorien bauen zum einen auf den Ohio-Studies und dem Kontingenzmodell von Fiedler auf. Zum anderen wird die Instrumentalitäts- oder Erwartungstheorie der Motivation aus der allgemeinen Psychologie aufgenommen (z.B. Heckhausen,  1987). Die Path-Goal Theorien postulieren, dass die Tendenz eines Menschen, eine bestimmte Handlung auszuführen davon abhängt, ob

-

er erwartet, dass dieses Verhalten zu spezifischen Ergebnissen und Resultaten führt (=Instrumentalität) und

-

ob diese Ergebnisse und Resultate für ihn einen gewissen subjektiven Wert (=Valenz) besitzen.


Nach den Annahmen der Weg-Ziel-Theorien handeln Menschen nur dann, wenn eine Ergebniserwartung für sie einen Nutzen hat und sie dieser Handlung eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit einräumen. Dem Führer kommt als Hauptaufgabe nach Evans (Evans,  1970) zu, eine Motivationsfunktion auszuüben. Er hat

-

die Art und Menge der ideellen und materiellen Gewinne der Mitarbeiter zu steigern (= Beeinflussung der Valenzen).

-

die Mitarbeiter zu beraten auf dem Weg, die Arbeitsziele ohne Umwege zu erreichen, Konflikte zu lösen, persönliche und dienstliche Interessen nicht aus dem Auge zu verlieren (= Beeinflussung der Instrumentalität) (Liebel,  1992, S. 137).


Innerhalb der Theorie werden weiterhin zwei Klassen von Kontingenzvariablen angenommen, die die Beeinflussung durch den Führer moderieren: die Charakteristika der Geführten und die Charakteristika der Aufgabe bzw. der Arbeitsumwelt.
Führungstheorien
Abb. 1: Kontingenzvariablen moderieren die Beziehung zwischen Führungsverhalten und Gruppenergebnis (Weinert,  1998, S. 459).
Weinert (Weinert,  1998, S. 459) stellt heraus, dass Path-Goal Theorien im Gegensatz zu früheren Ansätzen nicht nur untersuchen und erklären wollen, welcher Führungsstil zu einer effektiveren Leistung führt, sondern warum ein Führer unter bestimmten Konstellationen erfolgreicher ist oder nicht. Darüber hinaus lässt sich anführen, dass die Path-Goal Theorien zum ersten Mal einen Bezugsrahmen schaffen, der nicht mehr von einer klassischen Arbeitsgruppe mit einem Führer (und einem bestimmten Führungsverhalten) und einer ihm untergebenen Gruppe ausgeht. Die oben beschriebenen Motivationsfunktionen lassen sich durch geeignete Verstärkungs-, Trainings- und Coachingsysteme auch organisatorisch implementieren.
Die empirische Prüfung der Theorie ergibt bis heute noch kein einheitliches Bild. Die Ergebnisse einer eigenen Metaanalyse werden von Evans, selbst als enttäuschend eingestuft, wobei er hier feststellt, dass die bisherigen Überprüfungsversuche lediglich „ an der Oberfläche der Theorie herumlaborierten “ (Evans,  1995, S. 1087). Die Komplexität und Vernetztheit der Theorie, die theoretisch einen Vorteil darstellen, sind für eine methodisch „ saubere “ Überprüfung ein großes Hindernis.

III. Neuere Theorieansätze


1. Transaktion versus Transformation


In den letzten Jahren hat sich eine Differenzierung der Führungstheorien in Transaktions- versus Transformationsansätzen etabliert. Der Transaktionsführer führt und motiviert seine Mitarbeiter in Richtung feststehende, akzeptierte und etablierte Ziele, die durch ihn, die Organisation oder die Gesellschaft vorgegeben sind. Seine Funktion liegt in der Klarstellung der Erwartungen an die Arbeitsgruppe, der Erfordernisse der Aufgabenstellung und der Etablierung eines Belohnungs- und Bestrafungssystems. Transaktionale Führer orientieren sich an den durch die Organisation gegebenen Zielen, den Wünschen und Werten (Valenzen) ihrer Mitarbeiter. Die meisten der bisher referierten Führungstheorien sind damit unter den Oberbegriff der „ Transaktion “ zu subsumieren.
Transformationale Führer dagegen sehen in der Transaktion nur den Ausgangspunkt einer Formung. Transformationale Führung beginnt dort, wo die Ziele, Werte und Wünsche der Geführten verändert bzw. geformt werden.
Bass, postuliert vier Komponenten der transformationalen Führerschaft, die im Rahmen von empirischen Studien durch einen Fragebogen (MLQ = Multifactor Leadership Questionaire) identifiziert wurden (Bass,  1986).
Führungstheorien
Tab. 3: Komponenten transformationaler Führung (Weibler,  2001, S. 335).
Nach Weinert (Weinert,  1998, S. 476) konnten Bass und Avolio (Bass, /Avolio,  1993) „ belegen, dass Transformations-Führerschaft eine engere korrelative Beziehung zu hoher Produktivität und Arbeitszufriedenheit und zu niedriger Kündigungsrate hat als transaktionale Führung “ . Theoretisch lässt die Reduktion des komplexen Phänomens „ Führung “ auf vier Komponenten, die bisher theoretisch kaum definiert und empirisch schwer zu operationalisieren sind, Bedenken aufkommen.
Grundsätzlich ist die zu beobachtende Abgrenzung zwischen Transaktions- und Transformationstheorien kritisch zu betrachten. Transformation ist eine mögliche, aber nicht zwingende Konsequenz der Transaktion. Mitarbeiter, deren Wünsche und Werte von der Führungskraft nicht beachtet werden, sind wohl kaum zu einer Formung (im positiven Sinne der Transformation) bereit. Eine Parallele zu den Hygiene- und Zufriedenheitsfaktoren in der Diskussion der Arbeitszufriedenheit ist offensichtlich.

2. Charisma


Nachdem in der Forschung zu Führungstheorien zunächst über Jahrzehnte hinweg situative Komponenten eine stärkere oder sogar beherrschende Rolle spielten, kann man in den letzten Jahren in der psychologischen Forschung im Allgemeinen und in der Forschung zur Führungstheorie im Besonderen eine Renaissance des Konstruktes „ Persönlichkeit “ feststellen.
Während allerdings die „ älteren “ Eigenschaftstheorien auf der Suche nach einzelnen Eigenschaften waren, die für alle Situationen Geltung hatten, interessieren sich neuere „ trait “ -Ansätze für Verhaltensaggregate. House und Shamir (House, /Shamir,  1995) fassen umfangreiche empirische Arbeiten zur besonderen Qualität der Verhaltensweisen charismatischer Führer in 16 Punkten zusammen, die folgende Kernsätze enthalten:

-

Charismatische Führer entwickeln und fördern die Entstehung von Visionen, die sie ihren Untergebenen auch demonstrativ vorleben. Charismatische Führer zeigen eine hohe moralische Integrität.

-

Charismatische Führer haben ein hohes Selbstvertrauen, stärkere Entschlossenheit und Ausdauer und sie verfügen über eine hohe Risikobereitschaft.

-

Charismatische Führer wecken wahlweise das Gesellungs-, Macht- und Leistungsmotiv bei ihren Anhängern. Dabei haben sie diesen gegenüber hohe Erwartungen und aber auch hohes Vertrauen. Sie beurteilen ihre Geführten positiv, sind stolz auf sie und sind interessiert an deren positiven Entwicklung.

-

Charismatische Führer sind große Kommunikatoren. Sie zeigen außergewöhnliches und innovatives Verhalten, transportieren Botschaften anregend, einfallsreich und mit starker emotionaler Tönung.


Eine gewisse augenscheinliche Validität ist dieser Aufzählung gewiss abzugewinnen. Jeder kennt aus Politik, Geschichte oder Wirtschaft wenigstens eine solche „ charismatische “ Führungspersönlichkeit. Die Einwände gegen die transformationale Führungstheorie lassen sich auch auf diesen Ansatz ausweiten. Eine umfassende Kritik der charismatischen Führungstheorie findet sich bei Weibler (Weibler,  2001, S. 167).

IV. Ausblick und kritische Würdigung


Die Entwicklung der Führungstheorien steht zur Zeit an einem kritischen Punkt. Viele traditionelle Forschungsansätze haben sich scheinbar „ totgelaufen “ . Dies geschah z.T. auf Grund komplexer, kaum mehr empirisch überprüfbarer Annahmen. Auch die methodische Fixierung der Führungsforschung auf das Erhebungsinstrument „ Fragebogen “ hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Durch die Postulierung von „ neuen “ Anforderungen an die Führung bzw. das Management werden zusätzlich neue Ansätze begünstigt.
Gegenwärtig entstehen Ansätze, die durch eine Reduktion auf eine überschaubare Anzahl von Variablen Komplexitätsreduktion anbieten. Ob dies dem komplexen Phänomen „ Führung “ gerecht werden kann, erscheint theoretisch mehr als fraglich. Für die Praxis stellt vor allem die noch ungelöste Frage, ob Charisma und transformationale Führung lehr- und lernbar ist, einen wichtigen Kritikpunkt dar.
Es sind aber auch Bestrebungen zu beobachten, in die Diskussion um Führungstheorien kognitive Aspekte und Modelle der Systemtheorie einzubringen. Auch methodische Ansätze, das Erhebungsinstrument „ Fragebogen “ durch die Verhaltensbeobachtung zu ersetzen bzw. zu ergänzen, sind zu registrieren. Eine derartige theoretische und methodische Anreicherung wird u.E. dem Phänomen besser gerecht als eine Reduktion auf einige schlecht definierte und operationalisierte Dimensionen. Eine „ kognitive Wende “ in der Diskussion der Führungstheorien wurde oft gefordert und ist lange überfällig.
Literatur:
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Bass, B. M. : Charisma entwickeln und zielführend einsetzen, Landsberg/Lech 1986
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Weinert, A. : Führung und soziale Steuerung, in: Enzyklopädie der Psychologie, hrsg. v. Roth, E. et al., Göttingen et al. 1989, S. 552 – 580
Weinert, A. B. : Organisationspsychologie, 4. A., Weinheim 1998

 

 


 

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