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Verhandlungskonzepte


Inhaltsübersicht
I. Begriff der Verhandlung
II. Gegenstand und Methoden der Verhandlungsforschung
III. Unterschiedliche Verhandlungssituationen
IV. Verhandlungsstrategien
V. Mediation

I. Begriff der Verhandlung


Die Verhandlung ist ein Begriff des täglichen Lebens: „ Über alles kann man verhandeln “ ? und alle Verfahrensarten und -methoden sind in der Lebenswirklichkeit anzutreffen. Verhandeln ist ein Verhalten, das Menschen bewusst (rational) oder intuitiv (emotional) benutzen, wenn sie sich in einer Situation gegenseitiger Abhängigkeit Vorteile sichern bzw. Nachteile vermeiden wollen.
Verhandeln ist somit ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Zusammenlebens. Traditionelle und neuere Wissenschaften, deren Gegenstand das menschliche Verhalten ist, beschäftigen sich jeweils für sich mit diesem Untersuchungsgegenstand, so u.a. Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften, Soziologie, Psychologie, Anthropologie, Verhaltensforschung und Philosophie bis hin zur Spiel- und Entscheidungstheorie. Jede dieser Wissenschaften hat ihre jeweils eigenständigen Nomenklaturen (Crott, Helmut 1992, Sp. 2526).
Neben den Begriffswelten der Einzelwissenschaften gibt es Versuche einer übergreifenden Erklärung mit interdisziplinärem Ansatz auf der Basis eigenständiger Verhandlungsforschung (vgl. unten II.). Fasst man diese Versuche (vgl. Heussen, Benno 1997, S. LXVI: Literatur zur Verhandlungslehre) zusammen, so ergibt sich etwa folgende Definition: Verhandlungen sind bilaterale oder multilaterale (Mehrparteien-)Gespräche über die Konditionen eines noch abzuschließenden oder bereits bestehenden Vertrages (einer Vereinbarung) oder die Bearbeitung von Sachverhalten, Meinungsverschiedenheiten und Konflikten durch Kommunikation mit dem Ziel einer Lösung, bei der sich entweder die Position einer der beteiligten Parteien (überwiegend) durchsetzt oder bei der die „ wahren “ Interessen derart Berücksichtigung finden, dass beide Parteien bewusst und gewollt profitieren.

II. Gegenstand und Methoden der Verhandlungsforschung


Etwa seit den 1970er-Jahren gibt es vor allem in den USA Forschungseinrichtungen, die sich eigenständig mit dem Thema Verhandlung (Negotiation) beschäftigen. Zu nennen sind insoweit etwa das Harvard Negotiation Project, das Stanford Center on Conflict and Negotiation, das Consortium on Negotiation and Conflict Resolution der Georgia State University u.a.m. (Fisher, Roger et al. 2001, S. 16 – 18, 260 ff.). Die meisten dieser Projekte, obwohl interdisziplinär ausgerichtet, sind bei den Law Schools der betreffenden Universitäten angesiedelt. In Deutschland wurde 1983 an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen das „ Tübinger Verhandlungsseminar “ unter der Leitung von Fritjof Haft gegründet (Haft, Fritjof 1992, S. VI/VII); auch hier wird der Rechtswissenschaft also eine zentrale Bedeutung beigemessen. Zumal in der westlichen Hemisphäre beherrschen Recht und Gerichte, Rechtsanwälte und Richter die etablierte Streitkultur; das ist z.B. in vielen asiatischen Ländern eher nicht der Fall.
Der Forschungsgegenstand ist somit zunächst weitgehend juristisch gefärbt. Die Erkenntnisse anderer Disziplinen, insbesondere der neurophysiologisch forschenden Psychologie über die Grenzen des menschlichen Bewusstseins (vgl. statt vieler Pöppel, Ernst 1985, S. 138 ff.) sind aber einbezogen. Die Verhandlungsfähigkeit eines Menschen korreliert offenbar stark mit dessen individueller Fähigkeit, z.B. wahrzunehmen, zuzuhören oder sich eigene Vorurteile und Fixierungen im Sinne der Selbstwahrnehmung bewusst zu machen.
Die Forschungsmethoden sind überwiegend empirischer Natur. Neben universitätsinternen Planspielen mit Verhandlungsteams und Rollenverteilung werden Verhandlungsabläufe aus der Praxis systematisch ausgewertet. Auch aus der Analyse zahlreicher diplomatischer Verhandlungen im zwischenstaatlichen Bereich werden fortlaufend neue Erkenntnisse abgeleitet (vgl. zur Diplomatie als der \'Kunst des Verhandelns\': Nierenberg, Gerhard 1972, S. 7 ff.; Fisher, Roger et al. 2001, S. 15 ff.; Mastenbroek, Willem 1992, S. 248: Literatur zu „ Fallstudien “ und „ Empirischen Detailstudien “ etc.).

III. Unterschiedliche Verhandlungssituationen


Die Bandbreite unterschiedlicher Verhandlungssituationen reicht von friedlichen Verhandlungen des täglichen Lebens bei weitgehend gleichgeordneter Interessenlage (z.B.: Familiendiskussion über die Auswahl einer Fernsehsendung) über Entscheidungsprozesse in (multinationalen) Unternehmen (Klein, Hans Werner 1998, S. 92 ff.; Klein, Hans Werner 2002, S. 80 ff.) und anderen Organisationen sowie Auseinandersetzungen im politischen Raum bis hin zu Geiselnahme, Terror und anderen kriegerischen Konflikten.
Wenn Interessen und Ziele ähnlich gelagert sind, ist Kooperation erleichtert. Auch wenn Interessen und Ziele unterschiedlich oder konträr sind, die wechselseitige Abhängigkeit aber so groß ist, dass eine Übereinkunft auch für die Zukunft Vorteile für beide Seiten bietet, kann der latente Wunsch nach einer dauerhaft friedlichen Lösung aktiviert werden. Wenn dagegen eine Partei denkt, sie sei die (moralisch) Stärkere und sie habe auch die Macht, ihre Stärke (rechtlich) durchzusetzen, dann sind Kampf, Diktat und Unterwerfung vorprogrammiert. Nicht selten aber wird Aggression auch aus einer Position der (moralischen) Schwäche oder der (materiellen) Ohnmacht heraus eingesetzt, um eine (vermeintlich) starke Ausgangsposition für (nachfolgende) Verhandlungen aufzubauen (Stichwort: Drohkulisse). Der Kämpfende will Dominanz und möglichst schnellen Sieg (Stichwort: Blitzkrieg). Demütigung des Gegners und entsprechende Rachegefühle sind die lange nachwirkende Folge. Es entsteht eine Spirale der sich gegenseitig verstärkenden Missverständnisse und Feindseligkeiten, die oft zitierte Spirale der Gewalt. Täter und Opfer werden ebenso austauschbar wie Angriff und Verteidigung.
Ein Vergleich der unterschiedlichen Erscheinungsformen der so genannten „ neuen Kriege “ (vgl. das gleichnamige Buch von Münkler, Herfried 2002) zeigt pars pro toto, dass auch in extremen Situationen unterschiedliche Möglichkeiten bzw. Unmöglichkeiten einer Konfliktbearbeitung auf dem Verhandlungswege denkbar sind. Terrorismus z.B. gilt in der internationalen Politik als nicht verhandelbar, wird aber gleichzeitig als Kommunikationsstrategie bezeichnet. Von besonderer Bedeutung für Strategie und „ Bewaffnung “ der Terroristen ist der gezielte Einsatz der modernen Medien: z.B. Fernsehen und Internet (Münkler, Herfried 2002, S. 175, 177, 189).

IV. Verhandlungsstrategien


Es gibt keine allgemein gültige Verhandlungsstrategie. Sie muss vielmehr in der Praxis für die jeweils aktuelle Verhandlungssituation erarbeitet werden. Neue Situationen erfordern entsprechend korrigierte Strategien. Konstante Optimierung ist auch hier das Management-Erfolgsrezept. Unterschiedliche Strategien bewirken ebenso unterschiedliche Stilarten des Verhandelns. Der Verhandlungsstil wiederum beeinflusst z.B. das Verhandlungsklima.
Für Zwecke der theoretischen Unterscheidung erwähnt die Literatur verschiedene strategische Modelle, die in der Praxis jedoch vermischt vorkommen. Im Wesentlichen werden zwei große Gruppen unterschieden: das intuitive und das sachgerecht-rationale Verhandeln (Haft, Fritjof 1992, S. 9 ff.; Haft, Fritjof 2002c, S. 197 ff.; Fisher, Roger et al. 2001, S. 21 ff.).
Beim intuitiven Verhandeln ist die Strategie auf (einseitigen) Sieg ausgerichtet. Tricks und Finessen sind als Mittel zu diesem Zweck „ erlaubt “ . Der Gegner soll geschwächt und übervorteilt werden. Wahrheit und Recht werden einseitig beansprucht und gelten als unteilbar. Entsprechende Positionen werden nicht aufgegeben. Auf der Linie dieses Positionsdenkens gibt es eine große Bandbreite des harten oder weichen Verhandelns.
Beim sachgerecht-rationalen Verhandeln besteht das strategische Ziel darin, ein Verhandlungsergebnis zu erreichen, bei dem alle beteiligten Parteien gewinnen (WIN/WIN-Situation). Dieses strategische Modell wird gelegentlich auch als tatsachen- bzw. ergebnisorientiertes Verhandeln bezeichnet. Dazu gehört in erster Linie das von Fisher, Ury, Patton u.a. an der Harvard Universität (USA) entwickelte Harvard-Konzept. In Deutschland ist dieses Konzept u.a. in den Arbeiten von Fritjof Haft für Juristen rezipiert worden; ähnliche Modelle haben z.B. de Bono, Salacuse und Raiffa vorgestellt (Heussen, Benno 1997, S. 171). Das Harvard-Konzept wird im Wesentlichen durch vier Grundsätze gekennzeichnet:

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Wichtig sind nicht so sehr die (Rechts-)Positionen, sondern die tiefer liegenden Interessen der Parteien. Die Zukunft steht im Vordergrund, weniger die (rechtliche) Zurechnung oder Vorwerfbarkeit eines Verhaltens in der Vergangenheit.

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Gemeinsam entwickelte, interessenorientierte, beiderseits vorteilhafte und dauerhaft tragfähige Verhandlungsergebnisse sind das Ziel. Gegenseitiges Vertrauen und Kreativität sind erstrebenswerte Stationen auf dem Weg dorthin.

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Die Methode des sachbezogenen Verhandelns sorgt für gute persönliche Beziehungen zwischen den Verhandlungspartnern und versucht, diese Beziehungen bewusst von den Verfahrens- und Sachfragen zu trennen; sie ist hart in der Sache, aber respektvoll und tolerant gegenüber den Menschen und ihren Gefühlen. Das Verhandlungsergebnis baut möglichst auf objektiven Kriterien auf.

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Die Verhandlungslösung ist nur dann „ richtig “ , wenn sie für beide Seiten besser ist als jede Alternative, die ohne ein Verhandlungsergebnis in Betracht käme (Best Alternative to a Negotiated Agreement = BATNA).


Diesem Konzept liegt etwa folgende Arbeitshypothese zugrunde: Die Welt ist Wille und Vorstellung (ArthurSchopenhauer, Arthur), somit voller Widersprüche; es gibt nicht „ die “ Wahrheit, Wahrheit gibt es nur im Plural von subjektiven Wahrheiten und Welterfahrungen. Das menschliche Denken bewegt sich notwendig in einer Gefangenschaft von Zeit, Raum und Kausalität. Die Naturwissenschaften haben diesen Befund bestätigt (vgl. Pöppel, Ernst 1985, S. 136 ff.): Nicht nur Herkommen, Erziehung und Kultur einschließlich unterschiedlicher (religiöser) Glaubensrichtungen, sondern auch Emotionen und neuro-physiologische Prädispositionen bestimmen individuell Blickwinkel, Sichtweise und (Welt-)Anschauung. Die effizienteste, dem Menschen adäquate Methode des Verhandelns ist deshalb diejenige, die nicht Emotionen und (weltanschauliche) Positionen, sondern das dahinter liegende Interesse zum Verhandlungsgegenstand macht. So wird Rechthaberei vermieden; entspannte Kommunikation lässt Kreativität entstehen: Beide Parteien können profitieren.

V. Mediation


Mediation als Vermittlungsmodell hat alte mit der Menschheitsgeschichte verwobene Wurzeln (vgl. z.B. Lao-Tse; Sokrates\' „ Hebammenkunst “ oder Mäeutik). In den westlichen Demokratien ist Mediation methodisch seit den 1970er-Jahren (weiter-)entwickelt worden (vgl. Mähler, Gisela/Mähler, Hans-Georg 2001, S. 1185 ff. m.w.N.). Die anglo-amerikanischen Länder und inzwischen auch das zu diesem Thema erstellte Grünbuch der Europäischen Kommission vom 19. April 2002 ordnen diese Methode den „ Alternative Dispute Resolutions “ (ADR) zu. Besonders markant sind die methodischen Ähnlichkeiten mit dem oben behandelten Harvard-Konzept (Mähler, Gisela/Mähler, Hans-Georg 2001, S. 1187 ff.; zum Aspekt Globalisierung u. Mediation vgl. Carroll, Eileen/Mackie, Karl 2000).
Mediation lässt sich kursorisch beschreiben als ein außergerichtliches bzw. gerichtsnahes Verfahren der Konfliktbearbeitung, bei dem die Parteien selbst eigenverantwortlich mit Hilfe eines neutralen Dritten (Mediator/Mediatorin) versuchen, bei wechselseitiger Respektierung unterschiedlicher (Rechts-)Positionen eine faire, einverständliche Lösung zu finden, die den Interessen auf beiden Seiten möglichst weitgehend gerecht wird: „ Gerechtigkeit inter partes “ . Es geht um Aufklärung von Sachverhalten und um Stärkung der beteiligten Menschen auf der Grundlage wechselseitigen Verstehens. Mediation will Menschen mündig machen.
Das hierzu häufig zitierte „ Orangenbeispiel “ zeigt, wie sich dieses Prinzip von den tradierten Methoden einer juristischen Konfliktbehandlung unterscheidet: Zwei Schwestern streiten um eine Orange. Juristische Beratung führt zur Eigentumsfrage und zu gesetzlichen (Anspruchs-)Positionen. Ein Gericht kann auf dieser Grundlage die Frucht nur als ganze der einen oder der anderen Schwester zusprechen; eine gütliche Einigung mag darin bestehen, die Orange zu teilen (=  „ fauler Kompromiss “ , vor allem wenn der \'Zankapfel\' wegen der langen Verfahrensdauer inzwischen verdorben sein sollte). In der Mediation dagegen kann durch offene Kommunikation gleichsam kompromisslos die „ wahre “ Interessenlage rasch aufgeklärt werden: Die eine der Schwestern möchte das Fruchtfleisch essen, die andere benötigt die Schale zum Backen. Beide können (ohne Gesichtsverlust) sofort bekommen, was sie brauchen, ohne dass der jeweils anderen etwas fehlt.
Das Verhältnis der Mediation zum Recht ist somit ambivalent. Der in der Rechtsordnung gewachsene Schatz an abstrakter Regelungsintelligenz und Wertmaßstäben bleibt nicht unbeachtet, sondern ist ein Vorbild, das die Mediation übertreffen will.
Literatur:
Breidenbach, Stephan : Mediation, Köln 1995
Carroll, Eileen/Mackie, Karl : International Mediation: The Art of Business Diplomacy, London et al. 2000
Crott, Helmut : Verhandlungstheorie, in: HWO, hrsg. v. Frese, Erich, 3. A., Stuttgart 1992, Sp. 2526 – 2541
Duve, Christian : Mediation und Vergleich im Prozeß, Köln et al. 1999
Fisher, Roger : Das Harvard-Konzept: Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln, 20. A., Frankfurt am Main et al. 2001
Haft, Fritjof : Handbuch Mediation, München 2002a
Haft, Fritjof : Verhandlung und Mediation, in: Handbuch Mediation, hrsg. v. Haft, Fritjof et al., München 2002b, S. 75 – 86
Haft, Fritjof : Intuitive und rationale Verhandlung, in: Handbuch Mediation, hrsg. v. Haft, Fritjof et al., München 2002c, S. 197 – 209
Haft, Fritjof : Verhandeln: die Alternative zum Rechtsstreit, München 1992
Henssler, Martin : Mediation in der Anwaltspraxis, Bonn et al. 2000
Heussen, Benno : Beck\'sches Rechtsanwalts-Handbuch 2001/2002, 7. A., München 2001
Heussen, Benno : Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, Köln 1997
Klein, Hans Werner : Management by Mediation, in: ZKM – Zeitschrift für Konfliktmanagement, H. 2/2002, S. 80 – 82
Klein, Hans Werner : Wirtschaftsmediation und Konfliktmanagement, in: KON:SENS, Zeitschrift für Mediation, Jg. 1, H. 2/1998, S. 88 – 94
Mähler, Gisela/Mähler, Hans-Georg : Mediation, in: Beck\'sches Rechtsanwalts-Handbuch, hrsg. v. Heussen, Benno et al., 7. A., München 2001, S. 1185 – 1215
Mastenbroek, Willem : Verhandeln: Strategie, Taktik, Technik, Frankfurt am Main et al. 1992
Münkler, Herfried : Die neuen Kriege, 3. A., Reinbek et al. 2002
Nierenberg, Gerhard : Verhandlungstraining, München 1972
Pöppel, Ernst : Grenzen des Bewußtseins: über Wirklichkeit und Welterfahrung, Stuttgart 1985
Tengelmann, Curt : Die Kunst des Verhandelns: Verhandlungsführung als Management-Technik, 3. A., Heidelberg 1973

 

 


 

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