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Raumwirtschaftstheorie

I. Gegenstand der R. Die R. beschäftigt sich mit der Verteilung wirtschaftlicher Aktivitäten im Raum insbe-sondere in verschieden großen Siedlungen oder Agglomerationen, mit der Heraus-bildung der Bodenpreise an verschiedenen Standorten, den ökonomischen Beziehungen zwischen verschiedenen Orten (Tausch, Faktorbewegungen, Pendlerbewegungen) sowie den Veränderungen der durch diese interdependenten Faktoren bestimmten Raumstrukturen im Zeitablauf. Sie ist damit eine gegenüber der (raumlosen) Theorie der Ein-Punkt-Wirtschaft und einer (über den Raum aggregierten) makroökonomischen Theorie (Makroökonomik) eine um die Raumdimension erweiterte Theorie. Die ökonomische Bedeutung des Raumes liegt nicht im Auftreten von Entfernungen an sich, sondern in den materiellen, zeitlichen oder psychischen Kosten der Raumüberwindung. Durch diese Kosten der Raumüberwindung werden Märkte jeweils mehr oder weniger stark voneinander getrennt, und es entstehen für einzelne Aktivitäten verschieden große Agglomerationsvorteile und -nachteile. Bei alledem sind die ökonomischen Aktivitäten zur Überwindung des Raumes prinzipiell anderen ökonomischen Aktivitäten gleich: sie alle erfordern Inputs als Aufwand , deren Kosten der Wertschöpfung (bzw. Nutzenerhöhung) aus der Raumüberwindung gegenüberzustellen sind. Dieser Transport durch den (geographischen) Raum (als räumliche Transformation) ist insbesondere dem "Transport durch den Raum der Güterqualitäten" (in Form der Be- oder Verarbeitung von Gütern) und dem Transport durch die Zeit (zeitliche Transformationen) gleichzusetzen. Wertschöpfung und Transformationskosten sind jeweils zu vergleichen. Durch die Höhe der Transportkosten bestimmt sich  auf der Grundlage einer jeweils vorgegebenen räumlichen Verteilung der ökonomisch relevanten Ressourcen und der Präferenzen der Menschen für Güter und Raumpunkte - die räumliche Verteilung der Aktivitäten und deren Entwicklung in der Zeit im Zusammenspiel mit den (im weitesten Sinne) politischen Entscheidungen und mit vielerlei nicht-ökonomischen Einflüßen. Die auf einer  vom ökonomischen Standpunkt  völlig homogenen Fläche wirksamen Faktoren, welche die Raumstruktur bestimmen und deshalb als die ökonomischen raumdifferenzierenden Faktoren bezeichnet werden, sind
(1) die Raumüberwindungskosten im Zusammenwirken mit
(2) der Nachfrage nach Land und
(3) den Agglomerationseffekten: Diese Effekte sind Vor- und Nachteile der Massen-produktion ("interne Ersparnisse") sowie der Nähe zu Betrieben derselben Branche ("brancheninterne Agglomerationsvorteile") und der Nähe anderer Menschen beziehungsweise anderer Aktivitäten (branchenexterne Agglomerations- oder "Urbanisationseffekte"). II. An einem Zentrum orientierte Aktivitäten: Landwirtschaftliche und städtische Standortheorie Das theoretische Fundament der Raumwirtschaftstheorie legte J. H. von Thünen, einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler des 19. Jahrhunderts in theoretischer und empirischer Forschung, insbesondere mit der Behandlung sehr weitgehender ökonomischer Fragestellungen in seinem Isolierten Staat (1826). Das einfachste Modell nimmt auf einer homogenen Fläche einen einzigen städtischen Markt mit vorgegebenen Preisen und vorgegebenen Frachtraten an und leitet daraus die optimale Bodennutzung und die Bodenpreise als Funktion der Entfernung ab. In zunehmender Entfernung werden Produkte mit abnehmenden Gesamttransportkosten je Hektar angebaut. Deren Anbauzonen liegen in Ringen um die Stadt herum.  Mit qualitativ ähnlichen Resultaten einschließlich der mit der Entfernung abnehmenden Bodenpreisen ist dieser Modellansatz später auf die Bodennutzung in der Stadt angewendet worden. Hierzu haben W. Alonso und E. Mills die wichtigsten Beiträge geliefert. III. Verschiedene Liefer- und Absatzorte: Industriestandortlehre Eine zweite Entwicklungslinie geht auf Launhardt und Alfred Weber zurück und ist vor allem von Palander und Isard weiter verfolgt worden. Im einfachsten Fall ist der Standort mit der niedrigsten Summe der Transportkosten zu Liefer- und Absatzorten zu ermitteln. Eine bestimmte Entwicklung führte zu den (linearen) Transportmodellen, in denen zusätzlich bestimmte Liefer- und Absatzmengen zugrundegelegt, optimale räumliche Zuordnungen und Bodenrenten abgeleitet werden. IV. Räumliche Konkurrenz und Raumstrukturen Die optimale Verteilung von verschiedenen Angebotsorten im Raum bei unterschiedlich großen Reichweiten der Güter ist für (a) den tertiären Sektor von W. Christaller und (b) für Anbieter allgemein von A. Lösch abgeleitet worden. Behandelt man zuerst Güter höchster Ordnung (mit dem größten Absatzradius) und geht dann zu Gütern mit kleinerem Absatzradius über  was als eine Verbesserung der Versorgung etwa als Folge erhöhter Kaufkraft interpretiert werden kann , so erhält man das hierarchische System Zentraler Orte von Christaller. Das komplexe System Löschs ergibt sich, wenn auf der Basis kleiner autarker Raumeinheiten neue Güter mit zunehmend größeren Absatzradien betrachtet werden. Ein wichtiges Charakteristikum ist dann eine teilweise Spezialisierung von Orten und Regionen, wie das für den sekundären Sektor zu beobachten ist. Beide Systeme beruhen auf Partialmodellen für einzelne Güter und enthalten  als Implikation der Minimierung der Entfernungen von den eigenen Kunden  das Prinzip der Maximierung der Abstände der Anbieter von ihren jeweiligen nächsten Konkurrenten und damit eine Anordnung von regelmäßigen Sechsecken. V. Allgemeine mikroökonomische Modelle und Raumstrukturen Von A. Lösch, dem eigentlichen Begründer der Raumwirtschaftslehre und deren bedeutendstem Initiator, und von W. Isard, dem Begründer der weit über die Ökonomie hinausgreifenden RegionalScience, sind die ersten mathematischen Modelle formuliert und u.a. von Stevens, Beckmann, Lefeber und von Böventer weiterentwickelt worden. Soweit es sich um Walras-Modelle mit Transportkosten handelt (etwa auch mit unvollständiger Konkurrenz), bleiben sie notwendigerweise inoperabel. Rigorose, aber der Wirklichkeit nähere Modelle der Raumstruktur enthalten Elemente der landwirtschaftlichen Standorttheorie (für Landwirtschaft und Stadtstruktur), der Industriestandortlehre sowie der Christaller- und Lösch-Systeme (vgl. von Böventer). Die Theorie des Tourismus ist ein Teil dieser Entwicklungen. VI. Agglomerationstheorien. In der Gegenwart nimmt die Rolle der Agglomerationseffekte in Theorie und Empirie vergleichsweise zu. Schon bei der Analyse von Dorfgrößen sind sie, im Zusammenwirken mit politischen und gesellschaftlichen Vor- und Nachteilen der Agglomeration, bestimmend. Es geht jeweils um den Vergleich marginaler (Netto-)Agglomerationsvorteile und marginaler Kosten bei der Wahl einer größeren Stadt  wie immer unter Berücksichtigung außerökonomischer und historischer Faktoren. In modernen Großagglomerationen haben die Kosten des Gütertransports an Bedeutung verloren zugunsten der Vorteile großer Märkte für Produktionsfaktoren und für Informationen sowie der Vorteile von direkten Kontakten. Zusammen mit sektoralem Strukturwandel erklärt dies die zunehmende Urbanisierung und die verstärkte Attraktivität moderner Dienstleistungszentren.

Literatur: William Alonso, Location and Land Use. Toward a General Theory of Landrent. Cambridge, Mass. 1964. J. Martin Beckmann, Location Theory. New York 1968. Edwin von Böventer, Theorie des räumlichen Gleichgewichts. Tübingen 1962. Derselbe, Standortentscheidung und Raumstruktur. Hannover 1979. Walter Isard, Location and Space-Economy. New York-London 1956. E. S. Mills/B. W. Hamilton, Urban Economics.
4. A., Glenview, Ill. 1989. Claude Ponsard, History of Spatial Economic Theory, Berlin-Heidelberg 1983. Harry W. Richardson, Regional and Urban Economics, (Penguin) 1972. J. H. von Thünen, Der isolierte Staat in bezug auf Landwirtschaft und Nationalökonomie, Hamburg 1826, (Der isolierte Staat, Darmstadt 1966).

 

 


 

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