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Potenzialbeurteilung


Inhaltsübersicht
I. Definition und Zielsetzung
II. Methoden der Potenzialbeurteilung
III.  Bewertung und Ausblick

I. Definition und Zielsetzung


Neben der Leistungsbeurteilung gehört die Potenzialbeurteilung heute zu den wichtigsten Aufgaben der Personaldiagnostik. Während mithilfe der Leistungsbeurteilung der aktuelle Leistungsstand eines Mitarbeiters bestimmt werden soll (vgl. Marcus, /Schuler,  2001), fragt die Potenzialbeurteilung nach der zukünftig zu erwartenden Leistung des Individuums. Dabei kann es sich sowohl um externe Bewerber als auch um Personen handeln, die bereits Mitglieder der Organisation sind. Die Potenzialbeurteilung richtet sich immer auf Entwicklungsprozesse und versucht, deren Verlauf und/oder Resultate zu prognostizieren.
Eine klassische Aufgabe der Potenzialbeurteilung besteht z.B. in der Einschätzung, ob ein Hochschulabsolvent mit einem bestimmten Ergebnis im Personalauswahlverfahren nach einer möglichen Einstellung, dem Durchlaufen eines Trainee-Programms sowie einigen Jahren der Berufserfahrung die notwendigen Qualifikationen zur Übernahme einer Führungsposition entwickelt haben wird (Auswahl externer Bewerber). Ebenso wichtig ist aber auch die Prognose zukünftiger Leistungen von bereits eingestellten, mitunter langjährigen Mitarbeitern der Organisation (Auswahl interner Bewerber). Darüber hinaus gibt die Potenzialbeurteilung Hinweise für die Gestaltung von Personalentwicklungsmaßnahmen. Im Idealfall liefert sie Aussagen darüber, welche Mitarbeiter von welchen Maßnahmen im Hinblick auf zukünftige Leistungen profitieren könnten. In diesem Zusammenhang gewinnt vor allem die Prognose des Lernpotenzials, also der Bereitschaft und Fähigkeit des Individuums, sich an veränderte Umweltbedingungen zu adaptieren, große Bedeutung (Sarges,  2000).

II. Methoden der Potenzialbeurteilung


Die Messung des Potenzials stellt eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe dar, der man mit sehr unterschiedlichem Aufwand und Erfolg gerecht werden kann. Dabei sind vier Punkte von zentraler Bedeutung: der zu prognostizierende Verhaltensbereich, die zeitliche Erstreckung der Prognose, die Frage, wie die Prognose empirisch abgesichert wird sowie die Auswahl eines konkreten Datenerhebungsverfahrens.
Zunächst zum ersten Punkt: Vor der eigentlichen Messung des Potenzials stellt sich zwangsläufig die Frage, auf welche Verhaltensbereiche der beruflichen Leistung sich die Potenzialbeurteilung beziehen soll. Welche Fähigkeiten dies im Einzelnen sind, muss vor der Potenzialbeurteilung ermittelt werden. Handelt es sich um sehr konkrete Tätigkeiten (z.B. Erfolg einer beruflichen Ausbildung), die sich in den nächsten Jahren nicht gravierend verändern werden, so ist die Feststellung der fraglichen Fähigkeiten über die verschiedenen Formen der Arbeits- und Anforderungsanalyse vergleichsweise leicht zu erreichen. Schwieriger wird es hingegen, wenn die fragliche Tätigkeit mit sehr vielen verschiedenen, sich vielleicht sogar schnell verändernden Aufgaben verbunden ist (z.B. Führung eines Start-up-Unternehmens). In diesem Falle bleibt nur noch die Möglichkeit einer möglichst breit angelegten Diagnose. Ein solches Vorgehen entspricht der Sichtweise von Schuler, der Potenzial als die „ Gesamtheit der einer Person zur Verfügung stehenden Leistungsmöglichkeiten “ versteht und folglich immer eine multidimensionale (und multimethodale) Diagnose empfiehlt (Schuler,  2001, S. 53).
Der zweite wichtige Aspekt der Potenzialbeurteilung bezieht sich auf den Erstreckungsbereich der geplanten Prognose. Je größer der zeitliche Abstand zwischen der Feststellung des Potenzials und der zu prognostizierenden Leistung ausfällt, desto schwieriger ist das Unterfangen. Längerfristige Prognosen sind vor allem deshalb schwierig, weil sich im Zeitraum, über den hinweg eine Prognose gestellt werden soll, unkontrollierbare Veränderungen ergeben können. So können beispielsweise einschneidende biographische Ereignisse grundlegende Verhaltensorientierungen des Individuums verändern. Ebenso ist es möglich, dass sich die Anforderungen der Arbeitswelt so verändern, dass die Potenziale des Individuums ihre Relevanz verlieren.
Der dritte methodisch wichtige Aspekt der Potenzialbeurteilung bezieht sich auf die empirische Absicherung der Prognose. Zwar wird man in der Praxis häufig auf ein intuitives Vorgehen treffen. Zu empfehlen ist ein solches Vorgehen aber sicherlich nicht. Stattdessen bieten sich zwei wissenschaftlich fundierte Wege an. Im ersten Fall versucht man, über eine größere Stichprobe von Personen die sog. prognostische Validität zu berechnen. Ziel der Analyse ist die Bestimmung des Zusammenhangs (Korrelation) zwischen den Ergebnissen einer diagnostischen Untersuchung (Prädiktoren) und einem in der Zukunft liegenden Kriterium – häufig der Leistung und/oder Zufriedenheit der Mitarbeiter. Das ideale Vorgehen wäre dabei z.B., alle neu eingestellten Mitarbeiter einer breit angelegten diagnostischen Untersuchung zu unterziehen und ihre aktuellen Merkmale (Intelligenz, Persönlichkeit, soziale Kompetenzen) mit dem nach einigen Jahren erreichten Leistungsniveau (Gehalt, Führungsspanne, Zufriedenheit etc.) in Beziehung zu setzen. Im Ergebnis ließe sich anschließend sagen, welchen der Prädiktoren in welchem Ausmaß eine prognostische Bedeutung zukommt. Alternativ ließen sich entsprechende Berechnungen auch über einen Vergleich zwischen erfolgreichen und wenig erfolgreichen Mitarbeitern schätzen. Ein Bewerber, dem man ein hohes Potenzial bescheinigt, sollte in seinem Merkmalsmuster den erfolgreichen Mitarbeitern ähnlicher sein als den wenig erfolgreichen.
In beiden Fällen wird im Zuge der Potenzialbeurteilung eine Statusdiagnostik betrieben: Ausgehend von einer einzigen Messung wird die weitere Entwicklung des Kandidaten prognostiziert. Ein aufwändigeres Vorgehen würde eine mehrmalige, zeitversetzte Diagnose erfordern ( „ Prozessdiagnostik “ oder auch „ Dynamisches Testen “ , Guthke, /Wiedl,  1996). In diesem Fall wird unmittelbar erfasst, wie sich die Leistung des Kandidaten im Laufe eines Entwicklungsprozesses (z.B. einer längeren Organisationszugehörigkeit) verändert hat. Ebenso ist es möglich, zwischen einer ersten Messung (Pretest) und einer oder mehreren Nachfolgemessungen (Posttest) eine Trainingsmaßnahme zu implementieren, um die Lernfähigkeit unter kontrollierten Bedingungen bestimmen zu können (vgl. Holling, /Schulze,  2003). Ausgehend von derartigen Erkenntnissen wird die weitere Entwicklung prognostiziert. Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt in der tatsächlichen Messung der Entwicklung des Probanden, während bei der Berechnung der prognostischen Validität die Entwicklungsverläufe auf der Basis von Daten geschätzt werden, die an einer Stichprobe von anderen Menschen gewonnen wurden. Dennoch lässt sich empirisch keine prinzipielle Überlegenheit der Prozessdiagnostik gegenüber der Statusdiagnostik im Hinblick auf die Prognose zukünftiger Entwicklungen belegen (vgl. Holling, /Liepmann,  1998).
Der vierte Aspekt, der die Qualität einer Potenzialanalyse beeinflusst, bezieht sich auf die Auswahl eines konkreten Datenerhebungsverfahrens, mit dem die prognoserelevanten Merkmale des Individuums gemessen werden sollen. Hierzu bieten sich prinzipiell alle geläufigen personaldiagnostischen Instrumentarien an. Ziel des Vorgehens ist es dabei immer, die Subjektivität der Entscheidung zu reduzieren und sich gegenüber den vielfältigen systematischen Fehlern der Personenbeurteilung (vgl. Kanning,  1999) abzusichern. Schuler unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Arten des Vorgehens: konstruktorientierte, biographieorientierte und simulationsorientierte Verfahren (Schuler,  2001).
Konstruktorientierte Verfahren sind in der Regel theoriegeleitete Messinstrumente, die auf einem meist höheren Abstraktionsniveau angesiedelt sind und mehr oder minder „ verborgene “ Eigenschaften des Kandidaten erfassen sollen. Hierzu zählen alle Leistungstests (Intelligenz, Konzentration, Aufmerksamkeit) sowie Persönlichkeitstests (Kanning, /Holling,  2002). Als besonders guter Prädiktor der beruflichen Leistung hat sich die Intelligenz herausgestellt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sie bei allen geistigen Operationen des Menschen zum Einsatz kommt.
Biographieorientierte Verfahren fokussieren Ereignisse aus der Lebensgeschichte des Individuums. Die Informationen ergeben sich beispielsweise aus den Bewerbungsunterlagen. Ebenso ist es möglich, Lebensdaten über die Interviewtechnik oder biographische Fragebögen zu erheben (vgl. Kanning,  2002). Das größte Problem bei der Analyse der Bewerbungsunterlagen ist in der mangelnden Standardisierung des Vorgehens zu sehen. Der Nutzen der Analyse kann gesteigert werden, wenn alle Bewerbungsunterlagen nach den gleichen Prinzipien analysiert werden, wobei die Aussagekraft der einzelnen Kriterien möglichst belegt sein sollte. Im Zweifelsfall sollte man sich bei der Analyse auf die Feststellung formaler Qualifikationen (Bildung, Praktika etc.) beschränken. Die Deutung der ästhetischen Gestaltung einer Bewerbungsmappe spiegelt demgegenüber eher die Vorlieben des Entscheidungsträgers als eine Qualifikation des Bewerbers wider. Generell zeigt sich, dass Schulnoten gute Prädiktoren des Ausbildungserfolgs darstellen, während sie sich zur Prognose der Leistung im Beruf eher weniger eignen. Dies ist vor allem auf die Ähnlichkeit der Leistungssituationen zurückzuführen. Generell sind strukturierte Interviews gegenüber unstrukturierten zu bevorzugen, da sie eine deutlich höhere Validität aufweisen. Bei strukturierten Interviews sind die einzelnen Fragen, zumindest aber die Abfolge der Fragenkomplexe im Vorhinein für alle Interviewer verbindlich festgelegt. Darüber hinaus werden die Bewerber nach den gleichen Prinzipien auf zuvor festgelegten Dimensionen bewertet. Hilfreich ist überdies, wenn zwei unabhängige Beobachter die Bewertung vornehmen. Ein aufwändiges, aber prognostisch sehr nützliches Instrument stellt der biographische Fragebogen dar. Er beinhaltet Fragen zu Fakten und Ereignissen aus dem Leben der Bewerber, die zuvor im Rahmen einer empirischen Studie nach ihrem prognostischen Nutzen ausgewählt wurden. Die Entwicklung eines biographischen Fragebogens erfolgt stellenspezifisch.
Während sich konstruktionsorientierte Verfahren eher auf generelle Merkmale und biographieorientierte Verfahren auf die Vergangenheit des Individuums richten, wird mithilfe simulationsorientierter Verfahren ein sehr konkretes, auf die berufliche Tätigkeit bezogenes Verhalten erfasst. Das Ziel der Diagnose ist es, wesentliche Aspekte des beruflichen Alltags in der diagnostischen Situation zu simulieren und dabei das sichtbare Verhalten des Individuums beurteilen zu können. Zum Einsatz kommen Arbeitsproben, Computersimulationen oder Assessment Center. Arbeitsproben kann allgemein eine gute prognostische Leistung bescheinigt werden. Entscheidend ist dabei allerdings die Qualität des Beurteilungsverfahrens. Computersimulationen erfassen kognitive Fähigkeiten. Die Probanden müssen dabei komplexe Problemlöseszenarien wie z.B. die Leitung einer Firma am Computer bearbeiten. Die Validität entsprechender Instrumente ist belegt, wobei allerdings keine Erkenntnisse zur langfristigen Prognosekraft vorliegen (Strauß,  2001). Anders sieht dies beim Assessment Center, dem wohl aufwändigsten personaldiagnostischen Einzelverfahren aus. Klassische Übungen sind beispielsweise Gruppendiskussionen, Rollenspiele oder Präsentationen. Die prognostische Validität des Assessment Centers kann als belegt gelten.

III.  Bewertung und Ausblick


Die Potenzialbeurteilung ist ein für die Personalauswahl und Personalentwicklung ebenso wichtiges wie schwieriges Unterfangen. Die Probleme liegen dabei weniger in der eigentlichen Datenerhebung – hier liefert die Forschung vielfältige Anregungen zur Konstruktion zuverlässiger Instrumentarien – als vielmehr im Grundsätzlichen. Menschliches Verhalten und damit auch die Leistung und Zufriedenheit im organisationalen Kontext ist immer das Ergebnis eines Zusammenspiels zwischen den Merkmalen der Person und den Merkmalen der Umgebung. So wird beispielsweise auch der qualifizierteste Mitarbeiter nur suboptimale Leistungen zeigen, wenn das Verhalten von Vorgesetzten und Kollegen, Informationsprozesse oder andere Aspekte des Arbeitsgeschehens nicht als optimal zu bezeichnen sind. Hinzu kommt, dass auch private Entwicklungen zur Veränderung des Verhaltens in der Organisation beitragen können. In dieser komplexen Bedingtheit liegen gleichermaßen die Grenzen der Prognosemöglichkeit, aber auch die Chancen einer positiven Beeinflussung. Durch die Schaffung günstiger Arbeits- und Entwicklungsbedingungen kann die Ausbildung sowie die Entfaltung eines etwaigen Potenzials positiv beeinflusst werden.
Die Potenzialbeurteilung wird umso aussagekräftiger ausfallen, je präziser die Informationen über die zukünftige Arbeitsaufgabe und ihre Rahmenbedingungen ausfallen, je kürzer der Prognosezeitraum ausfällt, je mehr wissenschaftliches Know-how bei der empirischen Absicherung der Prognose eingesetzt wird und je mehr methodische Sorgfalt in die Durchführung der Datenerhebung investiert wird. Eine möglichst breit angelegte multidimensionale und multimethodale Diagnostik hilft dabei, einen Überblick über die gegenwärtigen Merkmale einer Person zu gewinnen. Sie hat jedoch im Hinblick auf eine Potenzialanalyse bestenfalls heuristischen Wert, wenn nicht bekannt ist, welche Merkmalsausprägungen für zukünftiges Leistungsverhalten wirklich bedeutsam sind und wie sie sich unter bestimmten Umweltbedingungen ggf. verändern können.
Literatur:
Guthke, J./Wiedl, K. H. : Dynamisches Testen: Zur Psyochodiagnostik der intraindividuellen Variabilität, Göttingen 1996
Holling, H./Liepmann, D. : Personalentwicklung, in: Lehrbuch Organisationspsychologie, hrsg. v. Schuler, H., 3. A., Bern 1998, S. 285 – 316
Holling, H./Schulze, R. : Methoden und Strategien, in: Enzyklopädie der Psychologie. Band: Organisationspsychologie, hrsg. v. Schuler, H., Göttingen 2003
Kanning, U. P. : Die Psychologie der Personenbeurteilung, Göttingen 1999
Kanning, U. P. : Tipps für die Anwendung nicht-standardisierter Methoden, in: Handbuch personaldiagnostischer Instrumente, hrsg. v. Kanning, U. P., Göttingen 2002
Kanning, U. P./Holling, H. : Handbuch personaldiagnostischer Instrumente, Göttingen 2002
Marcus, B./Schuler, H. : Leistungsbeurteilung, in: Lehrbuch Personalpsychologie, hrsg. v. Schuler, H., Göttingen 2001, S. 397 – 431
Sarges, W. : Diagnose von Managementpotenzial für eine sich immer schneller und unvorhersehbar verändernde Wirtschaftswelt, in: Perspektiven der Potenzialbeurteilung, hrsg. v. Rosenstiel, L. v./Lang-von Wins, T., Göttingen 2000, S. 107 – 128
Schuler, H. : Das Rätsel der Merkmals-Methoden-Effekte: Was ist „ Potenzial “ und wie lässt es sich messen?, in: Perspektiven der Potenzialbeurteilung, hrsg. v. Rosenstiel, L. von/Lang-von Wins, T., Göttingen 2001, S. 53 – 71
Strauß, B. : Die Messung der praktischen Intelligenz von Managern, in: Perspektiven der Potenzialbeurteilung, hrsg. v. Rosenstiel, L. von/Lang-von Wins, T., Göttingen 2001, S. 129 – 151

 

 


 

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