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Wohlstandsökonomik


1. Begriffsbestimmung. Gegenstand der W. bildet die Frage nach der bestmöglichen ökonomischen Nutzung der knappen Ressourcen einer Gesellschaft. Damit zählt die W. zum Bereich der normativen Ökonomik, die sich als Mikroökonomik herausgebildet hat. Im deutschsprachigen Raum werden neben der wörtlichen Übersetzung des von F. A. Fetter im Jahre 1920 geprägten angelsächsischen Ausdrucks "welfare economics" auch die Bezeichnungen Wohlstandsökonomik und "Allokationstheorie" verwendet.
2. Dogmengeschichte der W. Sie wird von den Bemühungen ihrer Vertreter gekennzeichnet, den Wohlstandsbegriff inhaltlich mit objektiven Kriterien zu füllen. Als ein solches Kriterium gilt in der W. der klassischen Nationalökonomik (T. R. Malthus, D. Ricardo, A. Smith) der physisch-materielle Güterberg, mit dem eine Gesellschaft versorgt wird. Daher betonen die Klassiker die überragende Bedeutung des Wirtschaftswachstums als Quelle der Wohlfahrtsmehrung. Somit kann die klassische W. treffend als Reichtumsökonomik bezeichnet werden. Im Zuge der Entwicklung der Grenznutzenschulen (Grenznutzenanalyse) in Cambridge (A. Marshall, A. C. Pigou) und Wien (E. von Böhm-Bawerk, C. Menger, F. von Wieser) vollzieht sich um 1900 der Übergang zur neoklassischen W., der sog. Älteren W. Auf dem Hintergrund der Philosophie des hedonistischen Utilitarismus (J. Bentham) entsteht ein Wohlstandsbegriff, der anstelle des materiellen Güterberges die Bedürfnisbefriedigung (Bedürfnis) in den Vordergrund hebt, die den Mitgliedern einer Gesellschaft durch den Güterkonsum (Gut, Konsum) ermöglicht wird. Gleichzeitig unterstellt die Ältere W. die kardinale Meßbarkeit und interpersonelle Vergleichbarkeit subjektiver Nutzenschätzungen (kardinaler Nutzen). Deshalb gilt die mathematische Summe der Individualnutzen (Cambridge welfare function) als wertfreier Maßstab für den Wohlstand, den die Gesellschaft insgesamt erreicht. Hatte noch die Klassik auf die Lösung des Wachstumsproblems als wichtige wirtschaftspolitische Aufgabe hingewiesen, so rücken die Grenznutzenschulen die Probleme der Allokationseffizienz und der Verteilungsgerechtigkeit in den Mittelpunkt. Die Analyse der Distributionsfrage gipfelt in der Forderung nach produktionsniveauneutralen Maßnahmen zur Egalisierung der Einkommen als einer notwendigen Voraussetzung für ein gesellschaftliches Wohlfahrtsmaximum. Die geschichtliche Erfahrung der Weltwirtschaftskrise (Große Depression) leitet in den frühen dreißiger Jahren eine neue Diskussion um das Selbstverständnis der Wohlstandsökonomik ein. Auf der Basis eines erkenntnistheoretischen Essays von L. C. Robbins bildet sich gegen Ende der dreißiger Jahre mit Beiträgen von J. R. Hicks, H. Hotelling und N. Kaldor die Neuere W. (new welfare economics) heraus. Sie greift in wesentlichen Aspekten auf grundlegende Arbeiten V. Paretos (Lausanner Schule) zurück, so daß sich schließlich der Vorschlag A. Bergsons durchsetzt, die Neuere W. als Paretianische W. zu bezeichnen. Neben der gleichgewichtstheoretischen (Gleichgewicht) Konzeption Paretos übernimmt die Paretianische Wohlstandsökonomik insbesondere dessen Deutung individueller Nutzen als Ordinalgrößen, die ihn in einen scharfen Gegensatz zu den Grenznutzenschulen gestellt hatte. Mit der Verwendung des Pareto-Kriteriums als Wohlstandskriterium beschränken sich die Vertreter der Paretianischen W. in Anlehnung an Pareto auf die Forderung, daß nur dann von einer Zunahme des gesellschaftlichen Wohlstandes gesprochen werden soll, wenn der Nutzen mindestens eines Individuums steigt, ohne daß sich gleichzeitig der Nutzen auch nur eines anderen Individuums verringert. Da dieses Kriterium solche Änderungen der ökonomischen Wirklichkeit nicht erfaßt, die den Wohlstand einer Gruppe von Individuen erhöhen, zugleich aber die Wohlstandsposition einer anderen Gruppe von Individuen verschlechtern, wird auf die wohlfahrtsökonomische Behandlung von Verteilungsfragen bewußt verzichtet. Daher steht die Analyse der Allokationseffizienz (Zweckmäßigkeit von Produktion und Tausch) im Vordergrund der Paretianischen Wohlstandsökonomik, die sich somit in erster Linie als Allokationstheorie versteht. Demgegenüber gilt das Distributionsproblem als normatives, nicht wissenschaftlich lösbares Problem, das der ethischen Beurteilung zugewiesen wird. In den fünfziger und sechziger Jahren stellen I. M. D. Little und S. K. Nath die Problematik der Formulierung eines wertfreien Wohlstandsmaßstabes abermals zur Diskussion. Sie zeigen, daß auch die Paretianische W. eine Reihe normativer Prämissen enthält (z.B. das Pareto-Kriterium selbst) und der Versuch, eine werturteilsfreie W. zu entwickeln, generell an der normativen Qualität des Terminus "Wohlstand" scheitern muß. Daraus wird das Postulat abgeleitet, implizite Wertprämissen aufzudecken und auf solche zu reduzieren, die wenig kontrovers sind (Naths "apriori welfare economics"). Auf der Basis dieser Prämissen gilt das Allokationsproblem als ein Problem, das mit den Instrumenten der Wirtschaftstheorie gelöst werden kann.
3. Theorie des sozialökonomischen Optimums. Den zentralen allokationstheoretischen Untersuchungsgegenstand der Paretianischen W. bilden die sog. Marginalbedingungen für die Verwirklichung eines sozialökonomischen Optimums, das auf der Grundlage des Pareto-Kriteriums den durch individuelle Nutzen bestimmten gesellschaftlichen Wohlstand maximiert. Diese Bedingungen beziehen sich auf die Ausgestaltung der Produktionsverhältnisse, die Organisation der Tauschsphäre sowie die Abstimmung der Produktions- und Tauschprozesse einer Volkswirtschaft. Mit der Realisierung der Marginalbedingungen erreicht man jene nationale Wohlstandsgrenze, die als Gesamtheit aller pareto-optimalen Kombinationen individueller Nutzen geometrisch im vereinfachenden Fall zweier Individuen durch die sog. (Situations-) Nutzenmöglichkeitskurve (P. A. Samuelson) repräsentiert wird. Die Ermittlung eines Optimum optimorum im Sinne der Auswahl eines konkreten Punktes auf dieser Kurve erfordert über das Pareto-Kriterium hinaus die Setzung zusätzlicher verteilungspolitischer Normen und wird deshalb nur leerformelhaft mit Hilfe des Konzeptes der gesellschaftlichen Wohlstandsfunktion illustriert (A. Bergson, J. de V. Graaff, P. A. Samuelson). Als gedankliche Zusammenfassung aller wohlstandsbezogenen Wertungen der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger ist sie das inhaltsleere Instrument, das den verbleibenden Freiheitsgrad der Marginalbedingungen für die Identifikation einer konkreten Lösung formal schließt. Den wohlfahrtsökonomischen Ansatzpunkt zur Durchsetzung der Paretianischen Optimumbedingungen stellen die beiden Hauptsätze der Paretianischen W. dar: a) Jedes mikroökonomische totale Konkurrenzgleichgewicht ist pareto-optimal; b) Jedes Pareto -Optimum kann durch ein spezifisches Preissystem und eine bestimmte Verteilung der Faktorbestände auf die Haushalte zu einem mikroökonomischen totalen Konkurrenzgleichgewicht ergänzt werden. Der naheliegenden Folgerung, daß die Marginalbedingungen des Pareto-Optimums am besten in einer durch den Preismechanismus koordinierten freien Konkurrenzwirtschaft erfüllt werden können, stellen sozialistische Vertreter der W. das Konzept des Markt- oder Konkurrenzsozialismus gegenüber, das allerdings historisch kaum eine Rolle gespielt hat.
4. Erweiterungen und Anwendungen der W. Das Theoriegebäude der W. hat im Laufe der Zeit vielfältige Erweiterungen erfahren, aus denen teilweise eigenständige Disziplinen hervorgegangen sind. Zu diesen Erweiterungen zählt u.a. die wohlfahrtsökonomische Behandlung der öffentlichen Güter (Gut) und ihrer Bedeutung z.B. für die Kosten -Nutzen-Analyse oder die Konzeption eines optimalen Steuersystems. Die in der W. geführte Diskussion um die technologischen externen Effekte ist eng mit der Umweltökonomik und der ökonomischen Theorie der Eigentumsrechte (Theorie der property rights) verbunden. Aus der Überwindung des statischen Charakters der W. ist die Theorie des optimalen Wachstums entstanden, die seit den sechziger Jahren eine rasche Entwicklung genommen hat. Als weniger erfolgreich haben sich die Bemühungen erwiesen, die verteilungstheoretische Problematik zu beseitigen. Diese Beurteilung gilt einerseits für die zahlreichen Versuche, das Distributionsproblem mit Hilfe von Kompensationskriterien (Kompensationsprinzipien) zu lösen (W. M. Gorman, J. R. Hicks, N. Kaldor, I. M. D. Little, P. A. Samuelson, T. de Scitovsky). Andererseits haben theoretische Überlegungen zu den konkreten Möglichkeiten, eine widerspruchsfreie gesellschaftliche Wohlstandsfunktion im Wege der demokratischen Abstimmung herzuleiten, eher Bedingungen offengelegt, unter denen dieser Weg nicht beschritten werden kann (K. J. Arrow, A. K. Sen). Ob und inwieweit die W. eine theoretische Begründung für wirtschaftspolitische Eingriffe liefern kann, wie z.B. im Fall des Monopolproblems oder im Zusammenhang mit verteilungspolitischen Fragen, ist umstritten. Umso mehr bietet die wissenschaftliche Analyse von Wert- und Zielproblemen in Verbindung mit positiv-ökonomischen Aussagen ein wichtiges Feld für die weitere wohlfahrtsökonomische Forschung in Richtung auf eine Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung (G. Gäfgen, A. K. Sen).

Literatur: F. M. Bator, The Simple Analytics of Welfare Maximization, in: American Economic Review, Vol. 47 (1957), 22-59. R. W. Boadway/N. Bruce, Welfare Economics. Oxford, New York 1984. E. Sohmen, Allokationstheorie und Wirtschaftspolitik. Tübingen 1976.

siehe unter Allokationstheorie, welfare economics, Wohlfahrtsökonomik.

 

 


 

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